Der Neupack-Streik – eine kurze Analyse

Eine Analyse von Dieter Wegner vom 11.07.2013

IG BCE: SOZIALPARTNERSCHAFT – AUF DIE SPITZE GETRIEBEN
Geschichtlich hat das Verhältnis der Gewerkschaften zum Staat vier Stadien durchlaufen: Vom Verbot über die Duldung zur Anerkennung bis zur Inkorporierung. Die Erkämpfung der Koalitionsfreiheit wurde synonym mit dem Begriff Streik gebraucht. Gewerkschaften wurden zu Mechanismen kapitalistischer Arbeiterkontrolle.
(Nach: Bolbrinker u.a. in Bergmann u.a. in Autonomie im Klassenkampf. Hamburg 1978)

Wie alles begann

Daß das Hamburger Verpackungsunternehmen Neupack bestreikt wurde, ist das Verdienst des Betriebsratvorsitzenden Murat Günes, weil er die Voraussetzungen für den Arbeitskampf bei Neupack durch jahrelange Vorarbeit geschaffen hatte: Er fügte die vielen Ethnien (ca. 12) zu einer Streikeinheit, als Voraussetzung dafür, den Streik am 1. November überhaupt beginnen zu können – eine Einheit in Form von Zusammengehörigkeit und Kampfwillen ergab sich allerdings erst ab 1. November, dem ersten Streiktag.
Dem Beginn des Streiks waren zehn Jahre Leidenszeit vorausgegangen mit extrem unterschiedlicher Bezahlung für gleiche Arbeit, Willkür (als Nasenfaktor von den KollegInnen bezeichnet), schikanöse Behandlung und bis zu 12 Jahren ohne Lohnerhöhung. Den Beschäftigten war es egal, wie es zu einer Besserung ihrer unerträglichen Lage kam, durch eine Betriebsvereinbarung über den Betriebsrat oder einen Tarifvertrag, ausgehandelt durch die IG BCE. Sie hatten und haben durchaus ein instrumentelles Verhältnis zur Gewerkschaft, die sie als bloßes Mittel zur Verbesserung ihrer Lebenslage begreifen. Da fast alle noch nicht lange Mitglied waren, waren sie auch keine ideologischen GewerkschafterInnen.

Die Gegensätze, die sich aus den verschiedenen Ethnien und Religionen ergaben und oft zu heftigen Auseinandersetzungen führten wurden gedämpft, indem es Murat Günes gelang, sie für die Gewerkschaft zu werben – in Hinblick auf die Vorbereitung des Streiks. Das war auch der Grund dafür, daß es keine Selbstorganisation gab, keine Betriebszelle. So konnten nur Streikkomiitees gebildet werden, die wenig Aufgaben übernahmen und kaum selbstbewußt gegen die Gewerkschaftshierarchien auftraten. Nur als Individuen waren die Beschäftigten auf das Ziel „Tarifvertrag“ fokussiert.
Eine Vertrautheit und ein Miteinander, ergab sich erst vom 1. November an, dem Beginn des Erzwingunsstreiks für einen Tarifvertrag – dadurch, daß sich die Streikenden im Streikzelt, bei den Blockaden und vielen anderen Unternehmungen besser kennenlernten.
Kollektivverhältnis, Vertrautheit und Einheit wurden von der IG BCE-Führung am 24.1.2013 wieder aufgelöst, als sie die Belegschaft wieder unter das Fabrikregime stellte. Es bildeten sich wieder Cliquen, auch auf ethnischer Grundlage, die sich zwar nicht in Feindschaft begegnen, aber parallel nebeneinander her laufen, sich kaum noch grüßen.
Die Streikenden hatten ihre kollektive Kraft, ihre Streikkraft verloren, nachdem sie von ihrer Führung gezwungen wurden, die Stärke ihrer Streikkollektivität aufzugeben und sich wieder der Fabrikdisziplin zu unterstellen.

Diese Collage entstand schon im Dezember nach der Bemerkung eines jungen streikenden Kollegen, nachdem durch Intervention eines Gewerkschaftssekretärs die Blockaden durch den Soli-Kreis aufhören sollten und es keine Fahrten zu den Kunden von Neupack geben solle.
Er sagte: Dann haben wir es ja ja mit zwei Gegnern zu tun, einem Wolf und einem Wolf im Schafspelz. Seine Intuition wurde durch den Flexi-„Streik“ ab 24.1. vollauf bestätigt.

neupack_wolf

Diese Collage entstand schon im Dezember nach der Bemerkung eines jungen streikenden Kollegen, nachdem durch Intervention eines Gewerkschaftssekretärs die Blockaden durch den Soli-Kreis aufhören sollten und es keine Fahrten zu den Kunden von Neupack geben solle. Er sagte: Dann haben wir es ja ja mit zwei Gegnern zu tun, einem Wolf und einem Wolf im Schafspelz. Seine Intuition wurde durch den Flexi-„Streik“ ab 24.1. vollauf bestätigt.

Bis zum 24.1. hingegen waren sie eine starke Truppe, niemand hatte in diesen drei Monaten die Streikfront verlassen. Sie hatten gegenüber der IG BCE-Streikführung in Hannover, d.h. gegen Ralf Becker, eine Veto-Macht. Sie sagten einfach: „Nein“! So, als das Streikzelt über Weihnachten abgebaut werden sollte – sie durchschauten das als Versuch, den Streik zu schwächen. Mehrfach versuchte Becker, die Streikenden auf Mitgliederversammlungen von der Forderung nach einem Tarifvertrag abzubringen zugunsten einer Vereinbarung. Die KollegInnen beharrten: Wir wollen einen Tarifvertrag! Becker war in einer Zwickmühle. Einerseits hatte er erkannt, daß mit sozialpartnerschaftlichen Mitteln gegen die Krügers nichts auszurichten war, andererseits zeigten sich die Streikenden nicht willig, der IG BCE-Führung gefügig zu sein. Denn das war sie ja gewohnt, daß der Befehlsweg von oben nach unten, d.h. von Vassiliadis/Becker bis zum letzten Mitglied funktionierte.
Die örtliche Streikführung stellte bis zum 24.1., dem Beginn des Flexi-Streiks, die Widerspieglung der Streikenden dar. Und zwar insofern als sie den widerspenstigen Willen und das Beharren der Streikenden auf einem Tarifvertrag ausdrückte.
Während sich die Macht der obersten Streikführung bis dahin darauf beschränkte, das Streikinfo rauszugeben und Veranstaltungen wie die auf dem Hachmannplatz am Hauptbahnhof zu organisieren, hatte sie ab 24.1. die Direktionsmacht über die Belegschaft, indem sie entschied, wann mal ein oder ein paar Tage gestreikt wurde.

Einen schwerwiegenden Fehler hatte die örtliche betriebliche Streikführung am Beginn des Streiks gemacht. Die Gewerkschaftsführung wollte mit Krüger Verhandlungen beginnen, aber vom Betriebsrat wurden Verhandlungen mit Krüger über eine Betriebsvereinbarung geführt, an der Vertreter der Hauptverwaltung aus Hannover als Berater teilnahmen. Diese Kontakte wurden von der Gegenseite mal als Gespräche, mal als Verhandlungen bezeichnet. Diese Situation konnte die IG BCE-Führung benutzen, die Verhandlungen so darzustellen als ginge es um einen Tarifvertrag. Es ging jedoch immer nur um die Modalitäten einer Betriebsvereinbarung. Der Betriebssrat sah den Inhalt dieser Betriebsvereinbarung als Voraussetzung bzw. Grundlage für einen späteren Tarifvertrag an.
Krüger aber war konsequent in seiner Weigerung, über einen Tarifvertrag zu verhandeln.
Es war auch verkehrt von Arbeitnehmerseite, sich auf Geheimverhandlungen einzulassen (zeitweise: geheimer Termin, geheimer Ort), das führte zur Verunsicherung der Belegschaft, weil ihre Vertreter sagen mußten: Darüber dürfen wir nichts sagen!

Eine weitere negative Wirkung hatte die Tatsache, daß der Streik formal bis zum 1. Juli weiterlief: Der Betriebsrat war in seinen Rechten aufgrund der Rechtslage während dieser ganzen Zeit weitgehend ausgeschaltet.

Der einigende Faktor: Hoffen auf den Tarifvertrag

Der Betriebsratsvorsitzende warb in der Zeit vor Streikbeginn etwa 80 Prozent der Belegschaft für die Gewerkschaft und zusammen mit dem Gewerkschaftssekrtär Rajko Pientka orientierte er auf Tarifverhandlungen, wobei ihnen und der Belegschaft klar war, daß es angesichts der Mentalität der Krüger-Familie auf Streik hinauslaufen würde. Sie vertrauten der Kampfkraft ihrer großen Gewerkschaft, besonders nach den großen Worten des Vorsitzenden Vassiliadis: Wir werden an Neupack ein Exempel statuieren, koste es was es wolle. Als Vassiladis und Becker den großen Worten dann keine Taten folgen ließen, nämlich etwas kämpferischer gegen ihren renitenten Sozialpartner Krüger vorzugehen, gingen die Streikenden von Neupack in die Sozialpartnerschaftsfalle der IG BCE-Führung. Es erwies sich, daß sie eher die eigenen Mitglieder opfert als schärfer gegen den Sozialpartner vorzugehen. Auch der Verfasser dieses Textes hatte anfangs geglaubt, die Gewerkschaftsführung würde ihre Sozialpartnerschaftsideologie partiell etwas zurückstellen zugunsten einer kämpferischen Attitüde. Es wäre leicht gewesen, Krüger zu besiegen, stattdessen wurde er gerettet.
Krüger und sein Berater Hoeck schätzten hingegen die IG BCE-Führung in Hannover von vornherein treffend ein, was deren Nachgiebigkeit betraf. Ihre eigentlichen Gegner waren die Streikenden und die Betriebsräte.

Was hatten die Streikenden verbrochen, daß sie von ihrer Gewerkschaftsführung mit dem Flexi-„Streik“ bestraft wurden? Sie hatten der IG BCE-Führung den Gehorsam verweigert. Sie hatten „nur“ auf ihrer Forderung bestanden, auf die sie von ihrem BR-Vorsitzenden Murat Günes und ihrem Gewerkschaftssekretär Rajko Pientka in den Monaten vor Streikbeginn eingeschworen worden waren: Tarifvertrag statt Einzelarbeitsverträge!

In die Erreichung eines Tarifvertrags hatten sie als streik- und gewerkschaftsunerfahrene Belegschaft vielleicht zu viel Hoffnungen reingelegt:

  •  Gleiche Löhne für gleiche Arbeit.
  •  Lohnerhöhungen auf 82 Prozent des Flächentarifvertrages. (Diese ganz bescheidne Forderung war wohlkalkuliert, sie war als Anfangsforderung gedacht, um auch möglichst viele KollegInnen dahinter zu kriegen.)
  • Abschaffung des Nasenfaktors.
  • Aufhören der Schikanen.
  • Zahlung von Lohnerhöhungen (einige KollegInnen hatten seit 12 Jahren keine Lohnerhöhung mehr bekommen).

Aber: Diese Forderung nach einem Tarifvertrag war die Grundlage, die sie alle einte – und von der sie von der IG BCE-Führung erst abgebracht werden konnten mittels der Flexi-„Verarschung“..

In den ersten Tagen des Streiks bildeten die Streikenden für eine halbe Stunde Blockaden gegen die Streikbrecher aus der Stammbelegschaft (sogar 18 IG BCE-Mitglieder waren StreikbrecherInnen!). Der Gewerkschaftssekretär Rajko Pientka, der mit ihnen in einer Reihe stand, argumentierte gegen die StreikbrecherInnen: Wenn ihr reingeht, verlängert ihr nur den Streik! Die KollegInnen nahmen diese Parole auf. (Siehe Bild). Mit dem Befehl zur Arbeitsaufnahme am 24. Januar wurden die Streikenden also zu StreikbrecherInnen ihres eigenen Streiks gemacht!

Der Streik bei Neupack und seine Bedeutung

Ein Schild, das in der Anfangszeit des Streiks gemalt wurde

Es wäre Aufgabe der Gewerkschaftsführung gewesen, die Mitglieder aus Hamburg und Umgebung zur Blockade gegen die StreikbrecherInnen aufzufordern. Die KollegInnen in der Jurte oder am Feuerkorb erwarteten genau das von ihrer Gewerkschaft und rechneten sich aus, wie viele KollegInnen im Doerriesweg hätten stehen können, falls nur ein Prozent der Mitglieder einem Aufruf gefolgt wäre. Auch keine der anderen großen Gewerkschaften, verdi oder IGM forderte dazu auf!
Allein der Soli-Kreis organisierte drei Mal Blockaden im Doerriesweg, mit immerhin bis zu 80 TeilnehmerInnen. Die Einfahrt der polnischen StreikbrecherInnen konnte (morgens um fünf Uhr) bis zu zweieinviertel Stunden verzögert werden. Diese Aktionen zeigten durchaus Beharrlichkeit und Widerstandsgeist. Bei der Letzten wurden vier Kollegen festgenommen und in die Stellinger Wache gebracht. War das auch ein Grund für die IG BCE-Führung, zu ihrem Flexi-„Streik“ überzugehen? Weitere Blockaden durch den Soli-Kreis wurden durch den Quasi-Abbruch des Streiks am 24.1. verhindert. Ebenso wurden dadurch schon geplante Besuche bei Abnehmerfirmen in der Nähe Hamburgs unmöglich.
Eine Beschreibung der Arbeit des Soli-Kreises wird an anderer Stelle erfolgen.

Und dann spielte sich etwas sehr Makaberes ab: Für den 24. Januar, als die Streikenden wieder in den Betrieb geschickt wurden, hatte Uwe Grund, der Hamburger DGB-Vorsitzende, an Gewerschaftsmitglieder appelliert, zwischen fünf und sechs Uhr im Doerriesweg zu erscheinen. Immerhin 300 bis 400 kamen, viele mit Fackeln. Es war ein gespenstisches Bild: Die Streikenden hatten sich vor einem Tor aufgestellt und wurden unter Beifall und Fackelschein im Sechserpack von Security-Männern zur Arbeitseinteilung geführt.
Krüger/Hoeck mußten diese Aktion als das gewertet haben, was sie wirklich war: Die Kapitulationserklärung unter akzeptierten demütigenden Bedingungen. Entsprechend konnte er ab sofort die derart Reingeschickten schikanieren, abmahnen, fristlos kündigen – alles, ohne daß die IG BCE-Führung kollektiv darauf reagieren ließ. Den Gewerkschaftsfunktionären konnte er anschließend die Verhandlungsbedingungen diktieren: Gespräche oder Verhandlungen, Geheimverhandlungen. Wer sich derartig erniedrigt hat, wird auch entsprechend behandelt.

neupack_demo

Photo: Peter K.
Feierliche Begleitung der Neupack-Streikenden als sie im Sechserpack zur Arbeiteinteilung geführt wurden. Falls die Feierer in den Monaten vorher zu den Blockaden gekommen wären, wäre der Streik anders verlaufen.

Rede von Jan Eulen, dem Hamburger IG BCE-Vors. am 24.1. vor dem Neupack-Tor: Ihr ist nichts hinzuzufügen, sie spricht für sich selbst.
„85 Tage Streik haben die Kolleginnen und Kollegen, die sich hier heute versammelt haben, um in das Werk wieder hineinzugehen, hinter sich. Das ist ein ganz, ganz tolles Signal von Entschlossenheit und Kampfbereitschaft, das ihr ausgesendet habt. (…) Und wir wollen mit dem Signal, dass jetzt reingegangen wird, auch dafür sorgen, dass es hier eine Zäsur gibt, eine Möglichkeit darüber[Chance, über einen Tarifvertrag zu verhandeln] nachzudenken. Wir wollen den Laden nicht kaputtstreiken. Wir wollen, dass in Zukunft auch vernünftig miteinander gearbeitet werden kann, wir wollen die Gräben nicht vertiefen, wir haben kein Interesse an der Eskalation. (…) mit dem Reingehen in den Betreib macht ihr euch nicht klein, sondern ihr seid ganz groß. Wir verändern eure Strategie und wir helfen euch jetzt beim Reingehen. Und wir helfen euch auch bei dem weiteren Kampf, der Kampf um die Ziele, die wir erreichen wollen, hört nicht auf, er nimmt ’ne andere Form an.“
Näheres zu diesem entscheidenden Tag, dem faktischen Abbruch des Streikes im Jour Fixe Info 5-2013 vom 25.1.2013 (Siehe unten).

Wie es zum Flexi-„Streik“ kam

Nach dem Erschrecken Anfang November über den Einsatz von 28 StreikbrecherInnen aus Polen bemerkten die Streikenden jedoch, daß die viel Ausschuß produzierten und die Lager sich immer mehr leerten, Krüger Aufträgen nicht mehr nachkommen konnte. Sie wurden in ihren Informationen bestätigt als sie am 24. Januar reinmußten. Um die Reklamationen zu bearbeiten, die von Kunden zurückgesandte Ware, mußten bis zu fünf KollegInnen aus der Stammbelegschaft eingesetzt werden. Etliche der StreikaktivistInnen äußerten während des Flexi-„Streiks“: Wir hätten nicht reingehen sollen sondern einfach nur abwarten, wie sich die Lager weiter leeren und die polnischen StreikbrecherInnen viel Schrott produzieren. Diese Meinungen stießen bei den Gewerkschaftssekretären jedoch auf taube Ohren. Sie betonten dagegen die Verantwortung der Gewerkschaft für die Arbeitsplätze.

Als für die IG BCE-Führung in Hannover absehbar war, daß sie bei Krüger, den sie zwanghaft als Sozialpartner behandelten, der sich aber konsequent, zusammen mit seinem Berater Hoeck, als Klassengegner verhielt, mit der Forderung nach dem Tarifvertrag auf Granit beißen würden, versuchten sie schon im Dezember und Januar auf Mitgliederversammlungen den Streikenden schmackhaft zu machen, daß auch eine Vereinbarung ganz akzeptabel sei. Aber auch bei den KollegInnen stießen sie auf resolute Ablehnung, die weiterhin forderten: Wir wollen einen Tarifvertrag! Sie lehnten auch das Ansinnen der IG BCE-Führung ab, ab Weihnachten das Streikzelt abzubauen.

neupack_sozialpartner

Verspottung der IG BCE-Führung mit ihrer sozialdemokratischen Gesinnung!

Als er also bei beiden Seiten auf Granit biß, entschied sich Becker (IG Bezirksvorsitzender Hannover) zu einem Trick. Auf zwei Mitgliederversammlungen überredete er die Streikenden, die sich weigerten, ohne gewonnen zu haben wieder in den Betrieb zurückzukehren, den Kampf mit einer Flexi-Streik-Taktik fortzusetzen. Diese Taktik würde Krüger nicht nur überraschen sondern auch schädigen. Die Streikenden gingen darauf ein, weil sie Becker glaubten, er würde einen wirklichen Flexi-Streik anordnen: Einen Tag rein, einen Tag raus, einen Tag in Stellingen raus, einen Tag in Rotenburg. Aber er schickte sie für fünf Arbeitstage rein, gleich danach für acht Arbeitstage. Sie füllten Krüger die leeren oder fast leeren Lager und nebenbei mußten sie noch die polnischen Streikbrecher anlernen, die ziemlich viel Ausschuß produzierten! Von Überraschung keine Spur, denn Krüger wurde mindestens 12 Stunden vor den Arbeitseinsätzen informiert, oft noch bevor die Beschäftigten selbst Bescheid bekamen! Und Krüger wurde nicht geschädigt sondern gerettet! Die 28 StreikbrecherInnen aus Polen nützten Krüger nicht so viel wie behauptet, die zentralen Arbeiter waren die Maschinenführer, von denen einige mit rausgegangen waren.

Die IG BCE hat die Streikenden mit dem Flexi-Streik von ihrer Sache, dem Erzwingungsstreik, enteignet, wozu sie durch ihre Bürokratie und die Finanzhoheit (Streikgelder) die Macht hatte. Nur für die Zeit des Streiks hatten die Streikenden eine Veto-Macht – sie konnten gegenüber ihrer Führung „Njet!“ sagen.

Als die Neupack-Kämpfenden sahen, daß sie Krüger die Lager füllten, bezeichneten sie den Streik, der keiner mehr war, als Flexi-Verarschung. Murat Günes gab ein Interview, das in der Jungen Welt und in indymedia erschien und in dem er diesen Begriff der Flexi-Verarschung aufnahm und die Gewerkschaftsführung aufforderte, einen wirklichen Flexi-Streik durchzuführen.

Dennoch verteidigten die Gewerkschaftssekretäre, die zeitweise oft zu den Treffen des Soli-Kreises kamen, die praktizierte Flexi-„Streik“-Taktik der IG BCE-Führung. Oliver Venzke (stellv. Bezirksleiter), Rajko Pientka u.a., wurden von den Streikenden und von KollegInnen aus dem Soli-Kreis hart angegriffen.

Selbst gestandene Gewerkschafter aus der IG BCE und der IGM waren erstmal fassungslos, als sie die Flexi-Verarschung durch den Gewerkschaftsvorstand zur Kenntnis nehmen mußten. Dieses Ausmaß an Sozialpartnerschaft war bisher außerhalb ihres Denkvermögens gewesen. Sehr deutlich kommt das hier zum Ausdruck: Brief eines IGM-Kollegen und ehem. Arbeitsrichters: Die IG BCE-Führung begeht Verrat!
https://www.labournet.de/branchen/sonstige/verpackungen/igm-kollege-ig-bce-fuhrung-begeht-verrat/#more-32631

Devote Signale der IG BCE-Führung

Die Gewerkschaftsführung hatte einen Erzwingungstreik verkündet, ein großes Wort, da sie glaubte, ihren renitenten Sozialpartner in den ersten Wochen auf dem Boden der Sozialpartnerschaft zu bezwingen. Nachdem ihr aber klar geworden war, daß sich Krüger der Sozialpartnerschaft verweigerte, d.h. der Verhandlung über einen Tarifvertrag, begegnete sie ihm in Dutzenden ihrer Streikinfos mit Appellen und Signalen, dem Gegenteil von Drohung und Erzwingung. Diese devote Haltung einem kleinen Unternehmer-Krauter gegenüber muß den Vertretern einer Großgewerkschaft (680 000 Mitglieder) selbst schon peinlich gewesen sein!

neupack_tiger

Bild I: Streikbeginn am 1.11.2012: Wir werden an Krüger ein Exempel statuieren – koste es was es wolle
Bild II: Flexi-”Streik” ab 24.1.2013: Die Lager werden gefüllt
Bild III:Der Tiger ist im Büro von Krüger Jun. als Bettvorleger gelandet
(Bilder: AB)

Kurz vor Weihnachten schickte Krüger an die meisten Beschäftigten einen „verbesserten Einzelarbeitsvertrag“. Die KollegInnen sammelten diese Briefe ein und vernichteten sie. In einem Streikinfo wurde diese Krüger-Aktion als „vergiftetes Weihnachtsgeschenk“ bezeichnet. Nachdem sie von ihrer Führung in den Betrieb geschickt worden waren, nutzte Krüger bzw. sein Stratege Hoeck sofort die Gelegenheit, als die Streikenden wieder seinem Regime unterstanden, ihnen erneut einen „verbesserten Einzelarbeitsvertrag“ vorzulegen. Diesmal beauftragte die Gewerkschaftsführung aus Hannover einen Anwalt, der den Betriebsrat von Neupack bisher beraten hatte, in die Zelte zu gehen und eine Beratung zu den eingegangenen Briefen vorzunehmen. Die Beratung war so gut, daß die Mehrzahl der „Beratenen“ unterschrieb. Der Anwalt hatte ihnen geraten, „das Zubrot doch mitzunehmen“, „es sei ja nichts dabei“. Die Beratenen erhielten bis zu 80 Euro im Monat mehr. Diese Beratung geschah gegen den Willen des Betriebsrates! Es war ein Schlag gegen die Steikfront! Durch Anwaltsberatung wurden sie in Richtung Egoismus gelenkt, sich durch Abschließung der Einzelarbeitsverträge Vorteile im Centbereich zu sichern. Diese gemeinsame Aktion der IG BCE-Führung signalisierte: Individualität geht vor Kollektivität, „Rette sich wer kann“. Sie war quasi als Test gedacht, der nächste Schritt war dann das Reinschicken der Streikenden in den Betrieb ein paar Tage später!

Die IGBCE-Führung und die Maschinenführer

Die zweite Rettungsaktion der IG BCE-Führung für Krüger war dann zu Beginn des Flexi-„Streiks“: Es war das Wieder-Reinschicken von Maschinenführern bzw. die Aufforderung, drin zu bleiben! Es waren insgesamt sechs Maschinenführer, die vom 1. November bis zum 24. Januar nicht mit gestreikt hatten, die sich aber zu Beginn des Flexi-Streiks sich diesem anschlossen bzw. sich ihm anschließen wollten. Zwei Maschinenführer waren einen Tag rausgegangen, einer hatte sich arbeitsunfähig gemeldet, drei wollten rausgehen, bekamen aber die Anweisung, drinnen zu bleiben!
Ohne Maschinenführer wäre Krüger in die Knie gegangen – die vielen Packer hätten nichts mehr zu packen gehabt!
Oliver Venzke, von Streikenden und IG BCE-Mitgliedern zur Rede gestellt, warum die Maschinenführer wieder reingeschickt wurden, gab zu, daß das „ein Fehler“ gewesen sei. So leicht kann man sich aus der Affäre ziehen.

Letzte Versuche

Einen Versuch, das Ruder noch mal rumzureißen, machten Streikaktivisten am Ostersonntag (Stellingen) und am Ostermontag (Rotenburg). Sie versammelten sich in ihren Zelten ohne jeden Gewerkschaftssekretär und berieten ihre Lage. Es gab ihnen allen neuen Mut, als sie beschlossen, folgende Forderungen an Ralf Becker zu senden mit dem Ziel, daß aus der Flexi-Verarschung ein wirklicher Flexi-Streik wird:

Dazu gehörten:

  • Erstmal sollten zwei Wochen dauergestreikt werden, damit die Streikenden sich erholen können und die Lager leerer werden.
  • Der Streik sollte diese Strukturen haben: Stellingen streikt, Rotenburg nicht und umgekehrt. Die Frühschicht beginnt um 6 Uhr, ab 8 Uhr ist wieder Streik.
  • Bei Disziplinierungsmaßnahmen durch Krüger sofort eine kollektive Reaktion zeigen. Nach jeder fristlosen Kündigung drei Tage die Arbeit niederlegen. Nach jeder Abmahnung zwei Tage die Arbeit niederlegen, nach jeder Versetzung einen Tag die Arbeit niederlegen.
  • Bei jedem Kündigungsschutzverfahren ein Streiktag und kollektiv das Arbeitsgericht besuchen.
  • Da die personellen Engpässe extrem hoch sind bei Neupack, sollten die Urlaubszeiten für spontane Streiks genutzt werden.

Soweit einige Vorstellungen der Streikaktivisten. Sie trauten sich zu, mit diesem Plan Krüger niederzustreiken, die Mehrzahl vertraute der Information der UnterstützerInnen, daß in Deutschland noch kein Betrieb kaputtgestreikt worden sei. (Die IG BCE-Führung hatte ihnen monatelang eingetrichtert: Wir wollen doch nicht eure Arbeitsplätze gefährden, deshalb dürfen wir Krüger mit unseren Maßnahmen nicht zu sehr schädigen – diese Ideologie fiel anfangs teilweise auf fruchtbaren Boden).
Becker vertröstete sie zuerst auf zehn Tage, der Hauptvorstand müsse beraten. Dann erhielten sie gar keine Antwort. Sie wurden also erneut verarscht.
Dann war allerdings die Luft raus bei der Masse der Streikenden. Auch dieses Mittel des Appells hatte versagt. Die Streikenden hätten Krüger besiegen können aber waren nicht in der Lage, ihre eigene Gewerkschaft und deren Sozialpartnerschaftsideologie zu besiegen.

Einen weiteren Versuch unternahmen einige der Streikaktivisten, mit Unterstützung des Soli-Kreises: Sie bereiteten eine Pressekonferenz für Montag, den 29.4. vor. Sie wollten die Gelegenheit der Medienaufmerksamkeit nutzen, daß der Vorsitzende Vassiliadis in Hamburg auf der DGB-Veranstaltung zum 1. Mai als Hauptredner auftrat. Auf dieser Pressekonferenz sollte den Medien-VertreterInnen reiner Wein eingeschenkt werden über die Flexi-Verarschung durch die IG BCE-Führung. Wegen Uneinigkeit in der örtlichen Streikführung wurde dieser Plan kurz vorher abgeblasen.

Zum Abschluß

Die Gewerkschaftsführung feiert die Verbesserungen als Erfolg! Nach einem vor sieben Monaten begonnenen Kampf wurde ein Ergebnis erzielt, wo im Vergleich bei manchen normalen Tarifrunden mehr herrausgesprungen ist. Einige KollegInnen haben nur 30 Cent mehr als vorher in diesem Jahr, im nächsten Jahr dann 20 Cent mehr!:
Beispiel: Eine Packerin, die in Gruppe II eingestuft wurde, sie erhält jetzt 9 Euro 50 statt 9 Euro 20. Eine Streikbrecherin neben ihr, die die gleiche Arbeit macht, erhält 10 Euro 10. Also eine Belohnung für Streikbruch. Der Nasenfaktor gilt weiterhin.
PackerInnen bekommen höchstens 70 Cent mehr, in diesem Jahr, 20 Cent dann im nächsten Jahr.
Maschinenführer, die bisher 10 Euro die Stunde verdienten bekamen, sollen in Zukunft 5 Euro mehr erhalten, gesplittet bis 2016. Dafür fallen aber die Prämien weg, die es bisher (nur) für die Maschinenführer gab!

Wie Ralf Becker, Leiter des IG BCE-Bezirks Nord, Verhandlungsführer und Streikleiter den Abschluß sieht (Streikinfo 62):
„Wir schaffen gerechte und vergleichbare Arbeitsbedingungen. Damit bricht für die Arbeitnehmer eine neue Zeit bei Neupack an. Es war einer der wohl längsten und härtesten Arbeitskämpfe – aber dieser Kampf hat sich gelohnt …“
Auf der Betriebsversammlung am 28.6 begründete er den niedrigen Abschluß damit, weil Neupack durch den Streik schwer geschädigt worden sei.
Er verkündete, daß eine Urabstimmung nicht notwendig sei, da ja nur eine Betriebsvereinbarung abgeschlossen worden sei. Und um einen Tarifvertrag sei es ja nicht mehr gegangen.

Zum Schluß herrscht noch eine große Konfusion: Becker verkündete das Ende des Streiks und gab das den Medien bekannt. Einen Brief hat die IG BCE-Führung allerdings bisher nicht an Krüger geschickt. Und noch einen drauf: Die KollegInnen erhielten am Dienstag die Mail, daß der Betriebsrat das Verhandlungspaket nicht unterschreibe, weil Details „nicht in unserem Sinne schriftlich fixiert“ worden seien.

Es werden etwa 30 bis 40 Kolleginnen demnächst zu viel sein im Werk. Nach Streikbeginn wurden ja insgesamt 58 Streikbrecher fest eingestellt worden, meistens PolInnen. Wer darf bleiben? Die Geschäftsführung hat schon angekündigt, daß einige der PolInnen bleiben werden. Die StreikaktivistInnen rechnen damit, daß die Krügers einige aus der Stammbelegschaft loswerden wollen, die öfter krank waren. Eine Methode, KollegInnen loszuwerden, sei, sie an schwerere Maschinen zu stellen. Schon während des Flexi-Streiks wurden etliche von der Geschäftsführung zum Vertrauensarzt geschickt.

Der Streik war nicht nur deshalb eine Niederlage, weil das ursprüngliche Ziel, der Tarifvertrag, nicht erreicht wurde sondern auch wegen der Wirkungen des Streiks:
Er hat aus einer Mannschaft, die fast drei Monate zusammen gestanden hat, ohne daß die Streikfront bröckelte, eine besiegte, individualisierte und demoralisierte Belegschaft gemacht. Viele haben sich während des Flexi-„Streiks“ wegen des Betriebsklimas mit Mobbing, Abmahnungen, fristlosen Kündigungen eine andere Arbeit gesucht, etliche sind schon ausgetreten aus der Gewerkschaft.
Wie sind die Wirkungen auf Belegschaften kleinerer und mittlerer Betriebe, deren Belegschaften es ähnlich dreckig geht wie der von Neupack? Sie werden es sich zehnmal überlegen, ob sie sich in einen Streik wagen!
Wie sind die Wirkungen auf die Unternehmer und Manager von Firmen, die keinen Tarifvertrag haben und wo sich die Belegschaften eine Verbesserung ihrer Lage erhoffen? Sie werden sich durch den Erfolg bei Neupack bestärkt fühlen und sich Rat holen bei Arno Hoeck, dem erfolgreichen Berater von Krüger. (Der Marktwert von Hoeck dürfte enorm gestiegen sein!).
Für jeden aufmerksamen Beobachter hat der Arbeitskampf bei Neupack gezeigt, wieweit Sozialpartnerschaft für eine Gewerkschaft gehen kann – bis zur Schädigung der eigenen Organisation. So schonungslos offen hat m.E. noch keine Gewerkschaft gezeigt, daß sie bereit ist, sich selbst, einen Streik und eine Belegschaft für den Sozialpartner zu opfern – ihn vor einer kämpferischen Streikmannschaft zu retten.

Wenn jetzt die Beendigung der Verhandlungen/Gespräche mit einer Betriebsvereinbarung bzw. Regelungsrede als Erfolg verkauft wird, ohne auch nur eine Maßregelungsklausel erreicht zu haben, in die Murat Günes einbezogen ist, dann ist das eine weitere Verarschung der Kämpfenden von Neupack:
http://www.hamburg-harburg.igbce.de/portal/binary/com.epicentric.contentmanagement.servlet.ContentDeliveryServlet/site_www.hamburg-harburg.igbce.de/static_files/a9e37db9c15057991989dd1035bf21ca.pdf externer Link

Das Interesse der IG BCE-Führung ist es, den Abschluß in ihren eigenen Medien als Erfolg, als „nahe an einem Tarifvertrag“, darzustellen. Die bürgerlichen Medien übernehmen diese Darstellung. Es ist in beider Interesse, den Kampf bei Neupack als „normalen“ Arbeitskampf zu verkaufen, der zwar etwas länger gedauert hat aber letztlich erfolgreich war. Das Politische am Kampf, was für eine Bedeutung er für weitere Kämpfe in Deutschland hat, wird nicht erwähnt. Daß aber linke Parteien und Gruppen ins gleiche Horn stoßen, weil sie es sich nicht mit den Vorständen und Apparaten einer großen Gewerkschaft verderben wollen, das ist nur noch … traurig. Oder Opportunismus pur!

So unfähig sich die IG BCE-Führung zeigte, gegen Krüger zu kämpfen, so ideenreich und flexibel war ihr Verhalten gegenüber den Streikenden und dem Soli-Kreis. Obwohl (oder besser: weil) vom 24.1. die Kluft des Flexi-„Streiks“ zwischen Vorstand und Neupack-Kämpfenden stand, wurden z.B. in fast jedem Streik-Info der IG BCE Beschäftigte von Neupack mit Bildern herausgestellt, oft zusammen mit Gewerkschaftsfunktionären, um Eintracht vorzutäuschen. Besonderes Objekt der Begierde war Murat Günes als Symbolfigur des Streiks. Er wurde am 1. Mai in Hamburg auch vom IG BCE-Vorsitzenden Vassiliadis persönlich auf die Bühne geholt um wiederum Eintracht vorzutäuschen. Außerdem hatte die Gewerkschaftsführung Angst, daß Eier und Tomaten fliegen würden, aber wenn Murat Günes auf der Bühne stand, dann nicht.
Vassiliadis griff an diesem 1. Mai den Soli-Kreis „als linksradikale Störenfriede“ an. Die Eintracht zwischen den Neupack-Kämpfenden und dem Soli-Kreis konnte weder er noch andere Gewerkschaftsfunktionäre beeinträchtigen.

Warum wurde ein Erzwingungsstreik, der am 24.1. beendet wurde, noch bis 30.6. formal weitergeführt? Beide Parteien, Krüger und die IG BCE-Führung hatten was davon. Solange der Streik formal lief, waren die Rechte des Betriebsrats stark eingeschränkt. Für die ehemals Streikenden war im Juli, also nach fünf Monaten der Streik schon so weit weg, keine Kampfesstimmung war mehr da, daß ihnen der von der IG BCE-Führung verkündete Abschluß egal war, auch, daß es satzungswidrig keine Urabstimmung gab. Nur das Schicksal der StreikaktivistInnen, die nicht unter die Maßregelungklausel fallen, ist ihnen nicht egal. Diese Hürde haben Krüger und die IG BCE-Führung noch zu nehmen.

Was für die Neupack-Kämpfenden bleibt

Sie haben gelernt, daß mit einer Streikführung, die die Ideologie der Sozialpartnerschaft im Kopf hat und objektiv dem Gegner zuarbeitet anstatt ihn zu treffen, kein Streik gewonnen werden kann. Sie können stolz sein, solange durchgehalten zu haben, auch wenn sie jetzt die Verlierer sind und genau so dastehen wie vor Beginn des Streiks. Sie haben ihre Erfahrung gemacht mit einem zutiefst sozialdemokratisch-sozialpartnerschaftlichen Gewerkschaftsapparat. Aber sie haben auch ein Gefühl für die eigene Stärke bekommen.
Diese wäre umzusetzen in das Bilden von organisatorischen Strukturen im Alltagsarbeitsleben, also schon vor dem nächsten Streikbeginn und in die Übernahme der Streikführung. Aber noch befinden sich alle in Enttäuschung und Depression und ein neuer Streik ist in weiter Ferne.
Was auch bleibt, sind die intensiven und herzlichen Kontakte zu vielen KollegInnen aus dem Soli-Kreis, die in vielen gemeinsamen Tag- und Nachtstunden entstanden.
Ob die KollegInnen das einlösen, was sie während der ersten Monate des Streiks oft sagten?: Falls demnächst anderswo gestreikt wird, gehen wir dahin! Das wäre notwendig, um dort über ihre -einmaligen- Erfahrungen zu berichten. Von Vertrauensleutekörpern und Betriebsräten Hamburger Großbetriebe waren selten Delegierte zu Besuch. Auch eine Erfahrung, die ernüchterte.

Der Bauernkrieg und der Neupack-Streik:
„Geschlagen ziehen wir nach Haus, unsere Enkel fechtens besser aus!“ Mit diesem Satz trösteten sich die geschlagenen Bauernhaufen 1529. Ob die Geschlagenen von Neupack auch auf ihre Enkel warten müssen?
Falls die von ihrer eigenen Gewerkschaft Geschlagenen ihre Gewerkschaftslektion gelernt haben brauchen sie nicht auf ihre Enkel zu warten.

Was für die IG BCE-Führung bleibt

Schon beim ersten ernsthaften Arbeitskonflikt seit 1972 ist sie grandios gescheitert. Die Opfer der Niederlage sind die Beschäftigten.
Was wohl auch bleibt, ist das feste und offenherzige Bekenntnis zur Sozialpartnerschaft mit dem Kapital:
http://www.igbce.de/igbce/sozialpartner/6592/chemie-sozialpartner/as-print externer Link

Solidarität mit den Streikenden bei Neupack

Bei der Art wie die IG BCE-Führung Streiks führt, dürfte es weitere Jahrzehnte dauern, ehe die Belegschaft einen Tarifvertrag hat

Was für die Krügers bleibt

Sie haben einen absoluten Sieg eingefahren! Einen Sieg für sich selbst und ihre mittelständischen Klassengenossen.
Die hohen Kosten für den Berater Hoeck, den Betriebsratsbekämpfer haben sich gelohnt, er kann sich eine weitere Feder an seinen Hut stecken, als IG BCE-Bekämpfer und Tarifvertragsverhinderer.
Und Jens Krüger (72), fährt seit letzter Woche wieder mit seinem Ferrari von seiner Villa an der Elbchaussee aufs Betriebsgelände, was er seit Beginn des Streiks nicht gemacht hatte – eine Triumphgeste der besonderen Art. In den vergangenen Monaten hatte er weniger protzige Modelle aus seinem gut bestückten Wagenpark benutzt.

Zum Schluß

Ein Zitat von Marx zur Aufgabe von Gewerkschaften:
„Gewerkschaften tun gute Dienste als Sammelpunkte des Widerstands gegen die Gewalttaten des Kapitals. Sie verfehlen ihren Zweck zum Teil, sobald sie von ihrer Macht einen unsachgemäßen Gebrauch machen. Sie verfehlen ihren Zweck gänzlich, sobald sie sich darauf beschränken, einen Kleinkrieg gegen die Wirkungen des bestehenden Systems zu führen, statt gleichzeitig zu versuchen, es zu ändern, statt ihre organisierten Kräfte zu gebrauchen als einen Hebel zur schließlichen Befreiung der Arbeiterklasse, d.h. zur endgültigen Abschaffung des Lohnsystems“ (MEW 16, S. 152).
Anmerkung: Welche Rolle spielte die IG BCE-Führung im Neupack-Streik, gemessen an dieser Definition von Marx? Marx sieht es als äußerste negative Möglichkeit von Gewerkschaften an, nur einen „Kleinkrieg gegen die Wirkungen des bestehenden Systems zu führen“. Ein Überlaufen einer Gewerkschaft zum Klassengegner, also die Vereinigung zur Sozialpartnerschaft von Arbeit und Kapital, konnte sich Marx in seiner Phantasie nicht vorstellen. Wenn die IG BCE-Führung doch „nur“ zumindest einen Kleinkrieg gegen Krüger geführt hätte, statt ihn um Sozialpartnerschaft anzubetteln! Der Weg der Arbeiterklasse in Deutschland (wie auch anderswo) „zur endgültigen Abschaffung des Lohnsystems“ ist noch weit. Es müssen noch etliche Hindernisse beiseite geräumt werden! Packen wir´s an. Trotz alledem!

Innergewerkschaftliche Opposition gegen Sozialpartnerschaft formiert sich

Es ist überaus erfreulich, daß jetzt auch innerhalb von Gewerkschaftsapparaten, Hauptamtliche in Opposition gehen zu ihren sozialpartnerschaftlichen Vorständen und erklären, sich auf die Seite der Kämpfenden zu stellen!

  • Wir treten ein für eine konflikt- und basisorientierte Gewerkschaft und für eine klassenkämpferische, internationalistische Ausrichtung. Eine Politik des Co-Managements und des Standortnationalismus lehnen wir im Betrieb und als Gesamtorganisation ab.
  • Wir treten ein für eine breite Mobilisierung und Aktivität sowie demokratische Beteiligung der Kolleg_innen. https://www.labournet.de/liv/

Dieter Wegner (akiv im Soli-Kreis Neupack) 11.07.2013
Wegner.Dieter@t-online.de

www.soli-kreis.tk externer Link


Hier einige Artikel, mit denen der Arbeitskampf begleitet wurde. Durch die Lektüre kann sich jede/r einen relativ guten Eindruck machen, was bei Neupack abgelaufen ist.
Ganz unten als Kontrastprogramm die Streik-Infos der IG BCE-Führung.

Hier nochmal das Jour Fixe Info vom 25.1.2013
Der 24.1. war der Tag, an dem der Streik faktisch beendet wurde, formal wurde er von der IG BCE-Führung erst am 1.7.2013 beendet.
Ein Kapitalist macht Klassenkampf – die IG BCE bittet um Sozialpartnerschaft. Wer gewinnt?
https://www.labournet.de/branchen/sonstige/verpackungen/der-neupack-streik-ein-kapitalist-macht-klassenkampf-die-ig-bce-bittet-um-sozialpartnerschaft-wer-gewinnt/

Die Schlacht um die gar trutzige Doerriesburg nahe am Flecken St. Ellingen.
Ein modernes Märchen zum Streik bei Neupack von Jacob Grimmig.
Vom 14.2.2013
https://www.labournet.de/branchen/sonstige/verpackungen/die-schlacht-um-die-gar-trutzige-doerriesburg-nahe-am-flecken-st-ellingen/

Brief eines empörten türkischen Kollegen an Ralf Becker vom Hauptvorstand der IG BCE. Mit Wut und Emphase niedergeschrieben. (14.4.2013)
https://www.labournet.de/branchen/sonstige/verpackungen/neupack-streik-brief-eines-emporten-turkischen-kollegen-an-ralf-becker-vom-hauptvorstand-der-ig-bce-hannover-mit-wut-und-emphase-niedergeschrieben/#more-31950

Opfert die IG BCE-Führung Murat Günes und fünf weitere Streikaktivisten? Vom 15.4.2013
(Mehrfach hatte die IG BCE-Führung das bevorstehende Streik-Ende verkündet).
https://www.labournet.de/branchen/sonstige/verpackungen/nach-fast-sechs-monaten-streik-bei-neupack-opfert-ig-bce-fuhrung-murat-gunes-und-funf-weitere-streik-aktivisten/#more-31945

Jour Fixe Info 28-2013 vom 21. April 2013
Brief eines IGM-Kollegen und ehem. Arbeitsrichters: Die IG BCE-Führung begeht Verrat!
https://www.labournet.de/branchen/sonstige/verpackungen/igm-kollege-ig-bce-fuhrung-begeht-verrat/#more-32631

IG BCE-Vorsitzender Vassiliadis am 1. Mai in Hamburg: Der Neupack-Streik und linksradikale Störenfriede.
https://www.labournet.de/branchen/sonstige/verpackungen/ig-bce-vorsitzender-vassiliadis-am-1-mai-neupack-und-linksradikale-storenfriede/#more-33925

Wie die IG BCE-Führung einen Streik beendet. Was gleubt ihr was bei Neupack los ist? (13.5.2013)
https://www.labournet.de/branchen/sonstige/verpackungen/wie-die-ig-bce-fuhrung-einen-streik-beendet-was-glaubt-ihr-was-bei-neupack-los-ist/#more-34596

Am Anfang große Worte von Vassilidiadis: Wir werden an Neupack ein Exempel statuieren. Koste es was es wolle. Am Ende eine totale Niederlage. (29.6.2013)
https://www.labournet.de/branchen/sonstige/verpackungen/wir-werden-an-neupack-ein-exempel-statuieren-koste-es-was-es-wolle/

Hier alle Streikinfos der IG BC:
http://www.igbce-blogs.de/neupack/?page_id=189 externer Link

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=40136
nach oben