Der Neupack-Streik: Ein Kapitalist macht Klassenkampf – die IG BCE bittet um Sozialpartnerschaft. Wer gewinnt?

Artikel von Dieter Wegner vom 25.1.2013

Der Streik in der kleinen Firma Neupack (Hamburg-Stellingen und Rotenburg/Wümme) hat für die große IG BCE (680.000 Mitglieder) eine große Bedeutung.IG BCE kämpft bei Neupack

Deshalb beobachten Funktionäre der Hauptverwaltung in Hannover den Streik ganz genau und und sind öfter vor Ort. Sie beschwören dabei „die Sozialpartnerschaft“ und schreiben es unentwegt in den Streiknachrichten, die örtlich herausgegeben werden. Jedoch zeigt ein kleiner Kapitalist, Jens Krüger (72), Mitinhaber der Verpackungsfirma Neupack, der großen IG BCE die Grenzen ihrer Macht auf, indem er ganz einfach die ihm zugedachte Rolle nicht spielt sondern Klassenkampf praktiziert – und das seit dem Beginn des Streiks, dem 1. November 2012. Er hatte schon 15 Jahre vorher Klassenkampf praktiziert, nur Einzelarbeitsverträge mit den Beschäftigten abgeschlossen, mal 40 Prozent unter dem Flächentarifvertrag, bei den Angestellten und einigen ArbeiterInnen deutlich über Tarif. Eben nach dem Motto: Teile und herrsche! Einige der KollegInnen hatten seit elf Jahren keine Lohnerhöhung bekommen. Durch die Forderung nach einem Tarifvertrag gedachten die Beschäftigten diese Zustände und darüberhinaus entwürdigende Behandlungen zu beseitigen.

Um diesen Tarifvertrag (nur ein Haustarifvertrag, in dem nur 83 Prozent der Lohnsumme des Flächentarifvertrages gefordert wird!) wird seit über zwölf Wochen gerungen. Allerdings kämpfen die Gegner auf verschiedenen Ebenen: Die Krügers machen Klassenkampf, die IG BCE bittet um Sozialpartnerschaft, ist in allen Papieren zu Kompromissen bereit. Von der IG BCE werden die Krügers als Exoten, als Einzelfall, als Leute aus dem 19. Jahrhundert hingestellt. In Wahrheit sind es höchst moderne Leute, beispielgebend für viele andere Firmen. Wie die Krügers machen es die Eigentümer des Call-Centers in Halle, macht es das Management des Netto-Konzerns!

Jetzt hat sich die IG BCE-Zentrale in Hannover eine neue Strategie ausgedacht: Die Rein-Raus Taktik, ein Flexi-Konzept. Die überraschten Streikenden wurden am Dienstag und Mittwoch dieser Woche auf Mitgliederversammlungen darauf eingeschworen und schon am Donnerstag in die Firma zur Arbeit geschickt. Streikaktivisten hatten die Möglichkeit des Flexi-Konzeptes auch im Kopf, aber nicht als sofortige Realisierung. Viele der Streikenden konnten sich nicht vorstellen, in dieser unklaren Situation wieder reinzugehen.

Am Donnerstagmorgen um sechs Uhr hatten sich die Streikenden versammelt zur Aufnahme der Arbeit, zur Aussetzung des Streiks. Die IG BCE akzeptierte die Modalitäten der Geschäftsleitung bei der Arbeitsaufnahme: Die KollegInnen gingen im Fünferpack unter Begleitung eines Security-Mannes in die Firma. Dort wurden sie eingeteilt: Einige wurden genommen, einige wurden freigestellt, einige sollten Urlaub nehmen.

Was ihre Stärke ausmachte, ein Kollektiv zu bilden, eine Streikfront zu sein, ist jetzt aufgehoben. Die Logik des Betriebsregimes setzte wieder ein. Sie sind wieder den Bedingungen der Lohnarbeit unterworfen, den Anweisungen der Vorgesetzten. Was drei Monate ihr Ziel und ihre Praxis war, durch Entzug ihrer Arbeitskraft den Kapitalisten zu schädigen, gilt plötzlich nicht mehr: Sie wurden von ihrer Gewerkschaft zur Erwirtschaftung von Mehrheit in die Lohnarbeit geschickt.  Die Produktion läuft wieder auf Hochtouren.

Von IG BCE-Seite wird erklärt: Aber die Krügers müssen jetzt mehr Lohn zahlen als früher. Dem ist zu entgegnen: Die Krügers haben sich diesen Streik bisher viel Geld kosten lassen, vielleicht Millionen, da dürften sie gern bereit sein, auch diese jetzt anfallenden Löhne zu bezahlen.

Es wird sich sehr bald zeigen, ob alle bisher Streikenden die moralische Stärke, die sie im Streik sich erworben haben, jetzt beibehalten, wo sie vereinzelt an ihren Arbeitsplätzen stehen. Ob sie den Verlockungen des Arbeitgebers widerstehen, Einzelarbeitsverträge mit höheren Löhnen abzuschließen.

Die IG BCE argumentiert: Die KollegInnen, die abgewiesen worden sind, sich quasi in Wartestellung befinden, können ihr Recht auf Arbeit auch einklagen. Eine seltsame Argumentation: Jede/r bisher Streikende ist froh, nicht wieder zu arbeiten und sogar in dieser freigestellten Zeit Lohn zu bekommen und ihre Gewerkschaft verkauft es als Kampfinstrument, die Arbeit individuell einzuklagen, was ja viel Arbeit nicht nur für den Gewerkschaftsapparat sondern auch für Arbeitsrechtsanwälte bedeuten würde. Und bisher hatten Gewerkschaftssekretäre sowohl die Streikenden als auch die UnterstützerInnen immer wieder aufgefordert, auch ja keine Handlung zu begehen, auf die die Krügers mit einer Anzeige reagieren könnten – was sie trotzdem fleißig machten.

Wie verlief es nach der Selektion durch die Vorgesetzten? Die IG BCE schreibt in einer Pressemitteilung: „Zwar verlief der Auftakt friedlich, doch Neupack kam seiner Pflicht auf Beschäftigung der Kolleginnen und Kollegen nicht nach und schickte 33 von ihnen wieder vor die Tür. Die rechtliche Zulässigkeit dieser Maßnahme wird nun überprüft. Außerdem gab es ohne Anhörung des Betriebsrates eine ganze Reihe von Zwangsversetzungen und neue Schichteinteilungen, so daß nun z.B. Ehepaare unterschiedliche Arbeitszeiten haben“. Schöne neue Arbeitswelt!

Im 27. Streikinfo vom 24. Januar schreibt die IG BCE: „Grundsätzlich finden wir auch die Erklärung von Neupack gut, zum Beispiel auf Aussperrungen zu verzichten“. Eine befremdliche Argumentation der IG BCE: Wenn sie mit den KollegInnen nicht geschlossen in die Firma geht und die Krügers so in die Lage bringt, die ArbeitsanbieterInnen aussperren zu müssen, können die Krügers generös auf die Möglichkeit der Aussperrung verzichten.

Im Streikinfo schreibt die IG BCE weiter: „Selbst Neupack zeigte sich aufgeschlossen (sic!) und verteilte ein Begrüßungsflugblatt.“ In diesem „Begrüßungsflugblatt“, das ist eine Bezeichnung der IG BCE, nicht der Firma Neupack, heißt es: „Bei Fragen hierzu wenden Sie sich bitte auch an die IG BCE, die ggf. in der Koordination heute um Hilfe gebeten wird“. Wenn das keine Sozialpartnerschaft ist!

Im Streikinfo wertet die IG BCE ihr Flexi-Konzept als „Ein Zeichen der Stärke“, fragt: „Ein neuer Anfang?“. Das Flexi-Konzept kommt nicht aus der Mitte der Streikenden, ist ihnen übergestülpt worden, was als Stärke bezeichnet wird, ist das Vermögen der Gewerkschaftsfunktionäre, die Streikenden innerhalb von zwei Tagen von der neuen Strategie „zu überzeugen“.

Zu fragen ist, ob die Bitte vom Vorsitzenden der IG BCE, Michael Vassiliadis, von der Krüger-Familie empfangen zu werden, in Zusammenhang steht mit dem Flexi-Konzept. Vassiliadis hat sich schon einen honorigen Hamburger Politiker ausgesucht, den er als Vermittler vorschlägt, wen, sagt er nicht. Unsere Vermutung: von Dohnanyi oder Voscherau, beides Ex-Bürgermeister von Hamburg. Einiges deutet auf diesen Zusammenhang hin, wenn im Streikinfo 27 steht: „Nun wird es aber darauf ankommen, daß Neupack dem Vermittler die Chance gibt, erfolgreiche Arbeit zu leisten“. Und weiter: „Unser Ziel bleibt klar: Gerechte Entgeltstrukturen, angemessene Entgelthöhen und die dauerhafte und nachhaltige Befriedung des Unternehmens bei guten Arbeitsbedingungen“. Ist es Zufall, daß nichts mehr von „Wir wollen einen Tarifvertrag“, der Forderung der KollegInnen, der Forderung nach 83 Prozent des Lohnes des Flächentarifvertrages in der „klaren Ziel“formulierung steht? Ist das schon eine Vorgabe für den Schlichter? Mit den Begriffen: „gerechte“, „angemessene“, „dauerhafte“ und „nachhaltige“ werden die Sozialpartner: Der Schlichter, die Krügers und die IG BCE dann gut jonglieren können.

Die IG BCE ist begeistert von sich selbst und ihrem Flexi-Konzept, wenn sie zur Aussetzung des Streiks schreibt: „Was für eine Kulisse! Hundert Freunde und Unterstützer kamen, Dutzende von Fackeln leuchteten …“ Und weiter: „Eulen freute sich über die große Solidarität der DGB-Einzelgewerkschaften. Hamburgs DGB-Chef Uwe Grund hatte es geschafft, binnen weniger Stunden viele Kolleginnen und Kollegen zu mobilisieren:…“

Im Soli-Kreis am Donnerstagabend im Streikzelt, einem gemeinsamen Treffen von UnterstützerInnen und Streikenden, wurde allerdings unter dem Beifall fast aller gefragt, warum diese Mobilisierung nicht schon in den drei Monaten vorher passiert sei. Weder von der IG BCE, noch einer anderen Gewerkschaft, noch des DGB wurde die Basis für den Streik bei Neupack mobilisiert! Diese Frage blieb an diesem Abend unbeantwortet. Nachdem die Streikenden den UnterstützerInnen wochenlang Kaffee machten und belegte Brötchen anboten, haben sich UnterstützerInnen angeboten, die Feuer zu schüren und Kaffee zu machen. Ihrer eigentlichen Aufgabe, Blockaden gegen die polnischen Streikbrecher zu organisieren und Fahrten zu den Kundenbetrieben sind sie jetzt enthoben. (DW)

Es war viel Presse und TV am Ort. Ihr könnt euch einen Beitrag im NDR-Fernsehen anschauen:
–  NDR-Fernsehen
–  Di., 29.2.2013
–  Panorama 3
–  21:15 bis 21:45 h

 

Dieter Wegner, Soli-Kreis Neupack, soli-kreis@gmx.de, www.soli-kreis.tk externer Link

DIDF (u.a.) solidarisch mit dem Neupack-Streik

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=23785
nach oben