Im Weltauktionshaus: Crowdsourcing und der globale Wettbewerb um Arbeit – Herbert Rehm über das Beispiel IBM

Artikel von Herbert Rehm, erschienen in express, Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit, 04/2013

In express 1-2/2013 berichtete Betriebsrat Ralf Kronig von den krankmachenden Arbeitsbedingungen beim Softwareriesen SAP. Die faszinierenden Technologien einer weltweiten digitalen Kommunikation schaffen auch ungeahnte Möglichkeiten der Arbeitsverdichtung und -intensivierung. Rund um die Uhr kann an »Projekten« gefeilt werden, alle MitarbeiterInnen konkurrieren miteinander. Weiter auf die Spitze getrieben wird diese Ausbeutungsstrategie mit dem Konzept des »Crowdsourcing« – so heißt die Auslagerung von Projektaufgaben in eine globale Programmierer-Menge, die mit ihren Arbeitsergebnissen um den Zuschlag bei Internetausschreibungen konkurriert. Bezahlt wird nur, wer gleichzeitig am besten, schnellsten und billigsten liefert. Wir dokumentieren ein Papier von ver.di zum Thema,  und IBM-Betriebsrat Herbert Rehm* stellt dar, wie die schaurige Innova­tion in seinem Unternehmen funktioniert.Crowdsourcing ist in der IT-Industrie ein Angst machendes Schlagwort – »Revolutionäres Arbeitsmodell: IBM schafft den Miet-Jobber«, so titelte Spiegel online am 5. Februar 2012. Der NDR kommentierte: »Die Softwarebranche ist Vorreiter für neue, flexiblere Arbeitsmodelle. Auch das Crowdsourcing hat sich (…) etabliert: Firmen schreiben über spezielle Plattformen Aufträge an freie Mitarbeiter aus, die miteinander im Wettbewerb stehen. Erstmals wurden nun Überlegungen eines großen IT-Konzerns bekannt, mit diesen Methoden die komplette Firma umzustrukturieren.« (1)

Nicht nur in der Presse (Spiegel 6/2012, Handelsblatt 1. Februar 2012) wurde darüber spekuliert, dass der Computerriese IBM dadurch mehrere Tausend Arbeitsplätze hierzulande abbauen könnte. Auch ver.di hält in seinem Berliner Cloudworking-Crowdsourcing-Papier (2) die Zukunft der 900000 Beschäftigten in der IT-Industrie in Deutschland von webbasierter Prekarisierung und Arbeitsplatzverlagerungen für bedroht. Mit der IG Metall-Broschüre »Crowdsourcing – Beschäftigte im globalen Wettbewerb um Arbeit – am Beispiel IBM« (3) liegt erstmals eine gründliche Ausarbeitung des Crowdsourcing-Konzepts mit ersten praktischen Erfahrungen vor.

Bereits heute werden bei IBM Voraussetzungen dafür geschaffen, den Zuschnitt der Arbeitsverhältnisse und der Arbeitsorganisa­tion in Zukunft grundlegend zu verändern. So werden Kenntnisse und Fähigkeiten (»Skills«) aller IBM-Beschäftigten weltweit erfasst, es existieren weltweit einheitliche Vorgehensweisen und Standards im Projektmanagement und hinsichtlich der Tools sowie weltweit einheitliche Verrechnungsmethoden. Sie werden der globalen Personaleinsatzsteuerung zugrunde gelegt und erlauben, globale Entgeltunterschiede zu nutzen. So müssen Projektverantwortliche in Deutschland immer häufiger auf Mitarbeiter aus der ganzen Welt zurückgreifen, wenn sie die Projektaufgaben termingerecht erfüllen sollen.

Mit dem Konzept »Generation Open (GenO)« und dem Programm Liquid beschreitet IBM eine weitere Stufe im globalen Wettbewerb um Arbeit. Große Projektaufträge werden in viele kleine Arbeitseinheiten aufgeteilt. Crowdsourcing in der IBM wird im GenO Liquid-Programm umgesetzt – als Auslagerungsstrategie für kleinteiligen Arbeitseinheiten, die mittels webbasierter Versteigerungsplattformen an eine unbekannte Masse an Freelancern vergeben werden. Die IG Metall-Studie über die Konzepte und Auswirkungen solcher Tools und Verfahrensweisen im Rahmen der IBM GenO Tools-Palette kann im Internet detailliert nachgelesen werden.

Diese webbasierten Tools werden dabei in den weltweiten Arbeitsorganisationszusammenhang der IBM als global integriertes Unternehmen gestellt: Welche Jobs, Rollen und Skills werden noch vor Ort benötigt? Wie werden bei gleicher Aufgabenmenge, aber reduzierter Anzahl von Festangestellten in gesättigten Märkten wie in Deutschland vermehrt »globale Ressourcen« erforderlich und mittels vereinheitlichter Tools weltweit eingesetzt und gesteuert? Wie wird dadurch die Arbeitsteilung und Arbeitsorganisation verändert? Welche Ansatzpunkte gibt es bei der Einführung und Nutzung dieser Konzepte und Technologien für betriebsrätliches Handeln? Auch der Frage der Beeinflussbarkeit dieser Änderungsprozesse durch Betriebsräte und Gewerkschaften wird intensiv nachgegangen.

Während bei den IBM-Beschäftigten Arbeitsaufwand, Leistungsdruck und Ängste um den Arbeitsplatz wachsen, müssen die externen AuftragnehmerInnen um die Honorierung ihrer Arbeit bangen: Sie bearbeiten online ausgeschriebene Aufträge mit einem ausgelobten Preis und bieten ihre Arbeitsergebnisse wie auf einer Versteigerung an. Wenn sie den Zuschlag bekommen, wird ihre Arbeit belohnt. Ansonsten gehen sie leer aus. Die Rechte an ihrer Entwicklungsarbeit haben sie bereits zu Beginn an die Internet-Plattform oder den Auftraggeber abgegeben. Diese zugespitzte Konkurrenz aller gegen alle und der damit verbundene Dumpingdruck auf Freelancer bleibt auch für die IBM-Beschäftigten nicht folgenlos. Insbesondere Betriebsräte haben dabei die Mitbestimmungsrechte bei der Einführung grundlegend neuer Arbeitsmethoden, bei der Leistung, der Arbeitszeit und der Personalplanung im Blick. Ausgangspunkt für diesen Blick war die vom Arbeitgeber gewollte Einführung von technischen Systemen, die zur Verhaltens- und Leistungskontrolle herangezogen werden können.

Schnell hat sich gezeigt, dass die neuen Tools für IT-Professionals technisch beherrschbar sind, aber eine vollkommen neue Arbeitsorganisation beschreiben. Die Arbeitsweise zeichnet sich durch einen viel höheren Formalisierungsgrad aus. Die Herausforderungen für die ArbeitnehmerInnen und ihre Vertretungen liegen vor allem in der Gestaltung dieser grundlegend neuen Arbeitsmethoden. Für die betriebsrätlichen Mitbestimmungsrechte bekommen damit folgende Themen eine grundlegend neue Bedeutung:

Die Brisanz dieser Stichworte wiederum ist in der Auseinandersetzung zwischen dem Arbeitgeber IBM und einigen Betriebsräten bislang noch kaum aufgefallen. Wenn die IBM immer von leistungsorientierter Bezahlung spricht, meint sie damit eigentlich nur die Verteilung von Gehaltserhöhungen, Karrierechancen und Sonderzahlungen nach einem Zielvereinbarungs- und Leistungsbewertungsverfahren, dem »Personal Business Committment« (PBC). Einem subjektiven Verfahren zur Leistungsbewertung, das nach vorgegebenen Steuerungsgrößen die Geldverteilung für Arbeitsverträge im Zeitlohnprinzip regelt. Mit der Einführung von Tools, die zur Verhaltens- und Leistungskontrolle herangezogen werden können, entsteht jedoch der Nukleus neuer Arbeitsmethoden, die im Kern industrieller Fließbandfertigung ähneln. So wird z.B. intern die feingliedrige Arbeitsteilung in Form von virtualisierten Akkordzetteln (»GenO Bluesheets«) vorangetrieben. Das heißt, dass damit auch weiter gehende betriebsrätliche Mitbestimmungsmöglichkeiten, wie sie etwa aus der standardisierten Massenfertigung bekannt sind, gegeben sein können.

Weitere Punkte dieser neuen Arbeitsmethode:

  • Durch Crowdsourcing-Wettbewerbe wird die parallele Softwareerstellung forciert.
  • Statt dem Zeitprinzip bei der Softwareerstellung hält das Ergebnisprinzip Einzug.
  • Der Crowdsourcee erhält nicht seine verausgabte Arbeitszeit bezahlt, sondern bestenfalls den vom Ausschreiber ausgelobten Preis. Der beste Fall hängt ab von der vom Ausschreiber bewerteten Verwendbarkeit des Arbeitsergebnisses.
  • Arbeitsergebnisse werden in Punktesystemen weltweit vergleichbar, und dieser digitale ›Ruf‹ beeinflusst auch die Beschäftigungsfähigkeit der Teilnehmer.
  • Diese virtuelle, globale, IT-unterstützte und hochgradige Arbeitsteilung ermöglicht sowohl interne als auch externe Wettbewerbe: Die Softwareerstellung kann somit als parallele, virtualisierte Fließbandfertigung nach Marktmechanismen (auf der Ebene jedes einzelnen Arbeitsergebnisses) organisiert werden.
  • Die bisherige indirekte Steuerung der Arbeitnehmer mittels Zielvorgaben wird so erweitert um die weltweite Transparenz der eigenen Arbeitsergebnisse – und das zu fast jedem Zeitpunkt.
  • Gleichzeitig müssen sich Arbeitnehmer und Freelancer selbstständig um ihre Qualifizierung kümmern, um weiter in diesem Arbeitsmarkt wettbewerbsfähig zu sein bzw. einen sicheren Arbeitsplatz zu halten, und dies möglichst in ihrer Freizeit.

Wenn sich mit den GenO Tools – oder auch mit anderen virtuellen Fließbandkonzepten im www – grundlegend neue Arbeitsweisen im praktischen Arbeiten entwickeln, dann ist es höchste Zeit, sich über die eigene interessenpolitische Linie zu verständigen:

  • Wenn Instrumente der klassischen Taylorisierung eingesetzt werden, stellt sich die Frage der dafür adäquaten Bezahlung und des Schutzes vor Leistungsüberforderung.
  • Wie können Betriebsräte und Gewerkschaften eine transparente und berechenbare Arbeitsleistung, die mit solchen Instrumenten erzielt wird, im Sinne der Arbeitnehmer gestalten?
  • Können an dieser Stelle Prämien- oder Akkordsysteme zur Entlohnung und Leistungsbegrenzung Erfolg versprechend im Arbeitnehmerinteresse durchgesetzt werden?

Gerade bei der in der IT weit verbreiteten Projektarbeit werden durch die Ausschreibung von Crowdsourcing-Wettbewerben der Arbeitsaufwand und die Leistungsanforderungen erhöht: Die Projektkomponenten müssen genauer spezifiziert werden, und das Projektmanagament des Zusammenfügens vieler kleiner Komponenten wird komplexer und aufwändiger. Und weil solche Projektorganisationsformen nicht alleine IBM und wahrscheinlich auch nicht nur IT-spezifisch sind, stellt sich hier die Frage nach dem Umsichgreifen solcher Konzepte. Die Erfahrungen der IBM-Betriebsräte können vielleicht dabei helfen, solche neuen Entwicklungen besser und früher im eigenen Unternehmen zu erkennen. Und die vorliegende Analyse der IG Metall könnte dabei helfen, die Ideen und Ansatzpunkte für gewerkschaftliches und betriebsrätliches Handeln zu entdecken und weiter zu entwickeln, um dieser zugespitzten kapitalistischen Verwertungslogik wirksame Grenzen aufzuzeigen. Auch wenn es anfangs auch nur die kleinen Absprachen der Crowdsourcees sind, die den Auftraggeber zur immer wiederkehrenden Auftragsvergabe an nicht transparente, aber vielleicht dennoch existierende virtuelle Arbeitnehmerkartelle bringen.

*  Herbert Rehm ist Betriebsratsvorsitzender der IBM EAS Herrenberg und lebt in Stuttgart.

Anmerkungen

1) Lu Yen Roloff: »Crowdsourcing« – das neue Outsourcing, NDR Info vom 15. März 2012, www.ndr.de/ratgeber externer Link

2) Siehe: http://tk-it.verdi.de/archiv/2012_1/12-10-31-cloudworking externer Link

3) Zu finden auf: www.igmetall.de/crowdsourcing-ibm externer Link

express im Netz unter: www.express-afp.info externer Link

 

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=33897
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