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Updated: 18.12.2012 15:51
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RBB will Freienvertreter mundtot machen

Jürgen Schäfer, ver.di-Freienvertreter und rbbpro-Sprecher, soll nach Angaben der RBB-Hörfunkdirektorin Hannelore Steer künftig nicht mehr beim RBB beschäftigt werden. Eine Beschäftigung über das Jahr 2004 hinaus sei nicht möglich, erklärte Steer, zugleich stellvertretende Intendantin, gegenüber Gewerkschaftsvertretern am 10. Juni und bekräftigte dies am vergangenen Freitag erneut. Steer begründete dies mit "strukturellen Änderungen" in der Nachrichtenredaktion. Andere Beschäftigungsmöglichkeiten beim RBB seien ihr "nicht bekannt".

Freie Mitarbeiter halten diese Begründung für vorgeschoben und gehen davon aus, dass Jürgen Schäfer wegen seines Engagements für Freie mundtot gemacht werden soll. In einem Haus, in dem weit über 1000 freie Mitarbeiter in arbeitnehmerähnlichem Umfang arbeiten, müsse es bei gutem Willen der Verantwortlichen möglich sein, für einen fachlich hervorragenden Mitarbeiter eine Beschäftigung zu ermöglichen. Die bisherigen Erklärungen legten aber nahe, dass eine Beschäftigung Schäfers auch in anderen Redaktionen verhindert werden solle.

Im vergangenen Dezember hatte Schäfer an exponierter Stelle eine Auseinandersetzung um die von RBB-Intendantin Dagmar Reim einseitig erlassene "Dienstanweisung für den Einsatz freier Mitarbeiter" geführt, in deren Verlauf sich ca. 650 freie Mitarbeiter zur Freienvertretung "rbbpro" zusammengeschlossen hatten. Seit mehreren Monaten setzte sich Schäfer in RBB-Tarifverhandlungen für bessere Arbeitsbedingungen für freie Mitarbeiter ein.

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So weit die Mitteilung. Tja, es wird finster über dem RBB, nicht nurüber Jürgen. Ein kurzer Schlenker zu den ersten uns bekannten Ergebnissen der "Verständigungsverfahren" in der vergangenen Woche: Wie viele Freie die Geschäftsleitung mit Verweis auf die Dienstanweisung Ende des Jahres aussortieren will, können wir noch nicht zahlenmäßig überschauen (bitte meldet alle eure "Ergebnisse" an info@rrbpro.de, gerne auch anonym). Fest steht, dass sich der RBB einen Dreck um die Vereinbarung vom Dezember schert, obwohl die zuständigen Programmverantwortlichen ausdrücklich programmliche Gründe für eine Weiterbeschäftigung geltend machen. In den nächsten Tagen mehr darüber.

Schockierend ist der Stil, in dem das Haus die Beschäftigung eines einzelnen freien Mitarbeiters zu beenden gedenkt, obwohl er nicht nur längst auf Prognose arbeitet, in der Nachrichtenredaktion von "radio eins" ein überaus geschätzter und geachteter Kollege ist, dessen fachliche Leistungen von seinem Wellenchef und selbst der Hörfunkdirektorin als so vorbildlich anerkannt sind, dass er sogar dem RBB-Nachwuchs an der "ems" das Nachrichtenmachen beibringt.

Dass Jürgen darüber hinaus im ORB Sprecher des Freieinrats war, für die Gewerkschaft ver.di Tarifpartner des RBB in Tarifverhandlungen war und ist und maßgeblich den Aufbau der Freienvertretung "rbbpro" organisiert hat, also dem RBB und seiner Vorgängeranstalt nicht nur seine Arbeitskraft, sondern auch viel ehrenamtliches Engagement gegeben hat, soll sich jetzt wohl gegen ihn kehren.

Dass Jürgen als rbbpro-Update-Schreiber vor rund zwei Wochen verstummt ist, haben ja einige schon bemerkt. Gar nicht leicht, für die Freien zu sprechen, wenn die Geschäftsleitung einem eine Schlinge um den Hals gelegt hat. Bzw. einem die wirtschaftliche Lebensgrundlage entziehen will. Der Reihe nach:

Am 9. Juni hat Jürgen von radio-eins-Chef Lehnert erfahren, dass er nur noch bis Ende des Jahres seinen Job als Nachrichtenredakteur machen darf. Das bestätigte einen Tag später am Rande der Tarifverhandlungen Hörfunkdirektorin Steer (auch: stellvertretende Intendantin). Jürgens Tätigkeit für den RBB werde dann beendet.

Offizielle Begründung: Anfang 2005 werde eine "strukturelle" Änderung seine Arbeit als schreibender Nachrichtenredakteur überflüssig machen, Nachrichten würden künftig zentral (bei "Inforadio") geschrieben, auf"radio eins" nur noch konfektioniert und vorgelesen. Ganz strukturell also: Kein Bedarf mehr für Jürgen, dessen Hochdeutsch zwar hervorragend, aber mit einem deutlichen fränkischen Akzent gesegnet ist.

Ein Schuft, der Böses dabei denkt und zwischen einer "strukturellen"Änderung und Jürgens Gewerkschafts-/rbbpro-Aktivitäten einen Zusammenhang herstellt. Hofften wir zunächst auch. Nun sollte es ja kein Problem sein, einen geschätzten Leistungsträger auch über strukturelle Änderungen hinaus zu beschäftigen. Naiv gedacht: Die Nachrichten, die andere auf "radio eins" und anderswo lesen, müssen ja von jemandem geschrieben werden - warum also nicht u.a. von Jürgen, wenn auch nicht mehr in seiner Stammredaktion? Noch naiver: selbst wenn er keine Nachrichten mehr machen würde, könnte ein erfahrener Radioprofi wie Jürgen immer noch wieder als Redakteur (CvD, Ablauf-, Planungs-, sonstwas-Redakteur) arbeiten. Bei "radio eins" etwa, oder irgendeiner der sechs anderen RBB-Wellen. Von den Möglichkeiten einer Beschäftigung bei den Fernseh-Nachrichten oder in den Online- und Videotext-Redaktionen mal zu schweigen.

So naiv waren dann auch die Verhandlungsführer der beiden Gewerkschaften, als sie gegen die Kündigung ihres Freienvertreters in den Tarifverhandlungen am 10. Juni protestierten. Sinngemäße Antwort durch Frau Steer: "So leid es uns für Herrn Schäfer tut, wir werden ihn aus strukturellen Gründen nicht mehr beschäftigen." Punkt.

Da Tarifverhandlungen ihre eigene Rhetorik haben, versuchte ich mit der Hörfunkdirektorin ein Gespräch in etwas weniger aufgeladenen Atmosphäre zu vereinbaren. Dafür hatte sie aber "keine Zeit". In der vergangenen Woche willigte sie schließlich ein, mit Jürgen selbst zu sprechen. Während des Termins, zu dem ich Jürgen auf seine Bitte begleitete, durfte ich nur vor der Tür sitzen ("Entweder ich rede mit Herrn Schäfer allein oder ich rede mit keinem von Ihnen"). Um Jürgen auseinanderzusetzen, warum er ab nächstem Jahr nicht mehr beim RBB beschäftigt werden soll, dafür nahm Frau Steer sich immerhin eine volle Stunde Zeit.

Im rbbpro-Sprecherteam hatten wir vereinbart, diese Sache bis zu einem klärenden Gespräch diskret zu behandeln. Viel wollten wir ja nicht von Frau Steer: aber die Zusage, dass Jürgen seine Arbeitskraft realistisch im ganzen RBB anbieten kann. Das offiziell verbieten kann sie natürlich nicht, aber wenn die stellvertretende Intendantin immer nur erklärt, sie "sehe keine Beschäftigunsgmöglichkeit", ist das natürlich keine Ermutigung an die Programmchefs, Jürgen zu beschäftigen - diplomatisch gesagt.

Bleiben wir diplomatisch: Jürgen den Rausschmiss anzukündigen, das ist ein sehr, sehr unfreundlicher Akt, und wenn er auch das Opfer ist: natürlich ist nicht er allein gemeint. Es ist in Affront gegen die Gewerkschaften, eine Gefährdung der Tarifverhandlungen, eine neue, diesmal absolut bodenlose Respektlosigkeit vor den freien Mitarbeitern, die natürlich sehr genau wissen, dass juristisch nichts leichter ist, als einen unliebsamen freien Mitarbeiter vor die Tür zu setzen. Sie wollen uns ihre Macht zeigen, ganz unverhohlen, ganz platt, ohne verklausulierende Dienstanweisung, ohne Regeln, allein durch rohe Willkür.

Einer für alle: Jürgen hat uns Freie nach außen vertreten, nun soll er dafür büßen, dass wir gewagt haben, bessere Arbeitsbedingungen, Respekt und Rechte einzufordern.

Alle für einen: Wenn den Damen und Herren nichts Erbärmlicheres einfällt, als unserem Sprecher die ökonomische Existenz zu nehmen, sind wir gefragt, das zu verhindern.

Geeignete Maßnahmen sind schon in Planung - aber jede Anregung kann nützlich sein. Bitte schickt uns eure Ideen per Mail, oder kommt am besten selbst zum "Ständigen Gremium" am Donnerstag um 18 Uhr in die Cafeteria, Masurenallee, Berlin.

Und wenn die hoffen, wir würden uns durch so eine miese Tour von unseren eigentlichen Aufgaben ablenken lassen: Wir werden kein Opfer der Verständigungsverfahren fallen lassen, denn spätestens jetzt wissen alle, dass wirklich jeder der Nächste sein könnte.


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