Vom Dienst als Workpackage

Leiharbeit in der Autoindustrie. Grafik von Findus - wir danken!Lebens- und Leidensbericht vom Januar 2017, der Autor ist der Redaktion bekannt

Im Folgenden schildere ich die Arbeitssituation eines Anfangs 30 jährigen Großstädters, welche beispielhaft für die Situation vieler anderer meiner Generation steht.  Es ist auch ein Versuch zu beschreiben, warum sich trotz der nicht unberechtigten „uns geht es doch gut“-Attitüde eine gefährliche Perspektivlosigkeit aufdrängt.

Zunächst möchte ich meinen Dank aussprechen: Dafür, dass die Hansestadt Hamburg in meine und ihre Zukunft in Form einer soliden Schulbildung und anschließend in Form des Masterstudiengangs Flugzeugbau, auch mit der Hilfe von Studienkrediten, investiert hat. Besonders vor dem Hintergrund des Luftfahrtclusters „Hamburg Aviation“ und dessen ambitioniertem Plänen, hat mir mein absolviertes Studium zum Ingenieur für Flugzeugbau beste Voraussetzungen für einen direkten Einstieg und Beitrag zur Fortentwicklung des Luftfahrtstandortes Hamburg geboten.

Richtet man sich nach den Medien, verzeichnet der größte ansässige Flugzeughersteller stetig steigende Auftragszahlen und auch für die Industrie ungewohnt langfristige Auftragsstabilitäten. Auf dieser Basis resultierte wohl auch der zwischen Stadt und Industrie gemeinsam getroffene Entschluss, den von mir dankbar angenommenen Stiftungsstudiengang Kabine und Kabinensysteme für das Kabinenkompetenzzentrum Hamburg ins Leben zu rufen. Augenscheinlich stimmen die Grundvoraussetzungen auf allen Seiten.  Das war vor 11 Jahren.

Ich bin geborener Hamburger, fühle mich unserer Stadt sehr verbunden und würde nun gerne meinen Beitrag in Form eines Anstellungsverhältnisses in dem Industriezweig leisten, für den ich und vor allem von dem ich aufwändig ausgebildet wurde.

Trotz der benannten guten Auftragslage war ein Einstieg in die Branche nur über befristete. ausgelagerte Werksverträge möglich. Abgesehen von dem zum Teil selbstschädigenden Effekt für die Firmen, bietet dieses Anstellungsverhältnis nicht genügend Sicherheiten, keine Weiterentwicklungsmöglichkeiten und untergräbt Jahrzehnte lang erkämpfte Arbeitnehmerrechte.

Für einen Einstieg in die Arbeitswelt noch akzeptabel, stellt sich mir nun mit 30 die Frage: „Wie geht es weiter?“ Meine scheinbare Festanstellung mittels Werksvertrag bei einem Ingenieursdienstleister gibt mir zwar die Möglichkeit, wie gewünscht in meinem Ausbildungsgebiet einen Beitrag zu leisten, entzieht mir aber jegliche Grundlage mich langfristig und nachhaltig beruflich sowie privat weiterzuentwickeln oder Fuß zu fassen. Zudem stellt die tägliche Ungleichbehandlung, gerade weil die Arbeit dauerhaft vor Ort ausgeführt wird, eine erhebliche psychische Belastung dar. Auch in anderen Branchen und Orten Deutschlands trifft man auf ähnliche Verhältnisse. Dass in der derzeitigen Situation ausschließlich in der Rüstungsindustrie Perspektiven bestehen, ist zynisch. Auch meine Lebensgefährtin arbeitet für einen Dienstleister.

Die vielmals gelobten unbefristeten Arbeitsverhältnisse sind bei den meisten Ingenieursdienstleistern nur dann wirksam, wenn ein geeigneter Einsatzort gefunden wird. Läuft das Projekt aus, kann man betriebsbedingt entlassen werden.

Als sogenanntes Workpackage muss man einerseits die hart verhandelten zugestandenen Arbeitsstunden für die Work Units einhalten, andererseits die geforderte Qualität liefern. Um seiner Arbeit gerecht werden zu können und um eine sinvolle Zusammenarbeit zu gewährleisten, wird man trotz räumlicher Trennung oftmals komplett in den Arbeitsprozess mit eingebunden. Wie ein richtiger Mitarbeiter. Auch wenn klare Scheinleiharbeitskriterien vorlägen, würde niemand auf die Idee kommen zu klagen, weil somit auch die Arbeitsplätze deiner Tischnachbarn gefährdet wären.

Ich bin in den Kontakt zu zwei Bundestagsabgeordneten getreten, habe der letzten Expertenanhörung zur Revision des Gesetzesentwurfes beigewohnt, sowie die gesamte Debatte zum Arbeitnehmerüberlassungsgesetz und den Werkverträgen verfolgt. Mir ist dadurch erneut klar geworden, wie stark sich die Mechanismen des Dienstleistergewerbes bereits manifestiert haben. Es ist die Gewissheit über meine persönliche Ungewissheit, die mich verzweifeln lässt.

Die persönliche Antwort der Abgeordneten hat mir trotzdem bestätigt, dass es noch möglich ist zumindest Gehör zu finden. Es hat mir auch gezeigt, dass wir alle zur Verfügung stehenden Mittel nutzen sollten und dass es sich lohnt, seine Bedenken zu adressieren.

Die in der Verabschiedung des neuen Gesetzes beschriebene Notwendigkeit eines flexiblen und agilen Arbeitsmarktes vor allem im Hinblick auf die Globalisierung trifft sicherlich zu. Mir ist bewusst, dass nicht nur die größten Arbeitgeber des Landes sich auch international behaupten und im Zuge der Globalisierung anpassen müssen. Auch bin ich mir darüber im Klaren, dass gerade ein internationaler Konzern durch seine hohen Beschäftigungszahlen einen gewissen Druck bezüglich der Standortsicherheit ausüben kann. Es ist sicherlich kein leichter Spagat für Politiker, einen Kompromiss zwischen wirtschaftlicher Abhängigkeit der großen Arbeitgeber und der Umsetzung sozialgerechter Politik zu schaffen.

Es ist vielleicht ein Erfolg, dass die Grenzen der Leiharbeit (Arbeitnehmerüberlassung, LAK) in Zukunft klarer definiert sind. Dies schafft allerdings für die Unternehmen Klarheit. Leider zeichnet sich schon jetzt ab, dass nahezu alle Unternehmen auf das Werksvertragsverhältnis (Workpackage, FAK) ausweichen. Selbst Unternehmen, die bisher fest eingestellt haben, schreiben nahezu ausschließlich Werkverträge aus. Airbus hat laut Betriebsrat Mitte 2016 etwa 6000 Angestellte von Fremdfirmen allein mit diesem Vertragsverhältnis in Hamburg. Dazu kämen geschätzt 3000 – 4000 Leiharbeitskräfte (AnÜ), die zwar eine faire Bezahlung erhielten, aber mitunter über 10 Jahre auf eine Festeinstellung hofften. Bei knapp 20.000 Beschäftigten aller Vertragsformen ist dies beinahe die Hälfte und die Tendenz ist nun klar.

Ist das auch noch im Sinne der geforderten Flexibilität? Da man auf „Shareholder Value“ fokussierten Unternehmen weiterhin eine gesetzliche Grauzone im Bereich der Werksverträge zugesteht, zeichnet sich an der Basis bereits jetzt ab, dass die Bemühungen des Gesetzes vergebens sind.

Neben der Spaltung von Stammbelegschaft und Leiharbeitnehmern aller Formen, kristallisieren sich derzeit auch Interessenkonflikte innerhalb der unterschiedlichen Anstellungsvarianten. Der Betriebsrat und die Gewerkschaft richten den Fokus  gemäß ihrer Befugnisse und ihrem Wirkungsradius folgerichtig auf „ihre“ Leiharbeiter, die LAKs.  Leider kann die verhandelte prozentuale Höchstquote von LAKs nur mit ausreichend Distanzierung zu den gleichzeitig steigenden Zahlen der FAKs als Erfolg kommuniziert werden. Wir müssen gemeinsam Lösungen finden, um der zunehmenden Spaltung der Interessengruppen auf Arbeitnehmerseite entgegenzuwirken.

Der durch das neue Leiharbeitsgesetz noch weiter verschärfte Bieterkampf der Dienstleister für die Aufträge wirkt sich direkt auf die Arbeitslast der Angestellten aus. Auf der einen Seite führt dies zu Kosteneinsparungen, auch in Form ausbleibender Schulungen und Weiterqualifizierungsmaßnahmen und andererseits werden den Firmen seitens der Dienstleister  Qualifikationen versprochen, die seitens der Angestellten nicht erbracht werden können. Gerade im Bereich sicherheitsrelevanter Schulungen können die Kontrollmechanismen der sicherheitssensiblen Luftfahrt teilweise umgangen werden.

Seit dem sich die Richtung des neuen Gesetzes zur Leiharbeit abgezeichnet hat, haben die „Big Player“ der Flugzeugindustrie samt Zulieferer kaum einen festen bzw. befristeten Job ausgeschrieben, sondern sich voll und ganz auf das Sub-Contracting von Ingenieursdienstleistern konzentriert.

Zusehends entwickeln sich die Unternehmen in ein wackliges Gerüst aus ausgelagertem Know-How und einer erhöhten Anzahl von Stakeholdern. Ich frage mich, ab welchem Verhältnis von „Make or Buy“ kann ein Unternehmen sich noch sein Eigen nennen? Inwieweit muss das Unternehmen auch die Verantwortung für die Beteiligten übernehmen, die die in seinem Namen erbrachten Produkte herstellen? Ist es überhaupt vertretbar, dass im Sinne des „Shareholder Value“ Arbeitsplätze wie Schrauben als Produktionsmittel abgerechnet werden? Es scheint gefährlich, wenn in einer leistungsorientierten Wirtschaft Leistung nicht mehr honoriert wird…

Da es das neue Gesetz es in absehbarer Zeit nicht schafft, im Einklang mit der Industrie, neue klar definierte Handlungsspielraume für Subunternehmen zu definieren, sehen sich tausende gezwungen Hamburg, bzw.  Deutschland als Lebensmittelpunkt in Frage zu stellen. Für mich persönlich hat sich durch den Gesetzesentwurf die Sicherheit über meine persönliche Unsicherheit verstärkt. Die gegenteilige Darstellung in Medien und seitens vieler Politiker erzeugt bei allen Betroffenen ein Gefühl der Ohnmacht und Wut. Ich bin mir sicher, dass die unnötige prekäre Anstellungssituation vieler, zu einem unterschätzen Anteil des gegenwärtigen gesellschaftlichen Unmuts beiträgt.

Die derzeitige Situation schränkt meine Lebensgefährtin und mich in unserer Familienplanung ein und verhindert gleichzeitig die persönliche und professionelle Weiterentwicklung. Sie lässt uns ernsthaft an unserer Zukunft zweifeln. Mit Hinblick auf die Familienplanung ist eine Vergrößerung des Wohnraums bei derzeitigen Mietpreisen und dem Lohnlevel ohnehin nicht realisierbar.  Die einzig logische Konsequenz, sich durch Eigentum langfristig abzusichern, ist mit der gegeben Vertragsform nicht umsetzbar.

Es ist für mich schwer nachzuvollziehen, dass die Hansestadt Hamburg so viel Geld in mich investiert  hat, um dann von Beginn an beruflich sowie persönlich „still zu stehen“ und langfristig keinen oder nur einen kleinen Beitrag für die Gesellschaft leisten zu können?

Für einen Großteil meiner Generation fühlt es sich so an, als ob die suggerierten Sicherheiten bis auf das Gesundheitssystem nicht mehr existent sind.

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=109723
nach oben