Diskriminierend: Bundesarbeitsgericht schränkt kirchliches Arbeitsrecht ein – nicht genug

Dossier

wurstteller_grossver.di begrüßt das heutige Urteil des Bundesarbeitsgerichtes (BAG) in Erfurt, das den Kirchen enge Grenzen bei der Einstellungspraxis setzt. Demnach dürfen Bewerberinnen und Bewerber auf Arbeitsplätze in sogenannten verkündigungsfernen Tätigkeiten nicht abgelehnt werden, wenn sie nicht Mitglied einer christlichen Kirche sind. Das Urteil des BAG folgt damit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom 17. April 2018. (…) „Das war ein sehr langer Rechtsweg. Nach dem Europäischen Gerichtshof gibt mir nun auch das Bundesarbeitsgericht Recht; dieses Urteil bestätigt mich darin, dass diese Form der Diskriminierung bei verkündungsfernen Stellenangeboten beendet werden muss“, so Egenberger. Für die nicht erfolgte Einstellung steht Egenberger nun eine Entschädigung zu…“ Beitrag von ver.di vom 25.10.2018 externer Link, siehe dazu:

  • GEW: „Kirchliches Arbeitsrecht muss modernisiert werden“ mit Recht auf Streik und auf die gewerkschaftliche Organisierung New
    Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) begrüßt den Prozess zur Reform des kirchlichen Arbeitsrechts, den die Bundesregierung gestartet hat. Sie sieht insbesondere mit Blick auf die betriebliche Mitbestimmung dringenden Handlungsbedarf. „Für fast zwei Millionen Menschen bei kirchlichen Trägern, davon eine erhebliche Zahl in Schulen, bei den Trägern der Kinder und Jugendhilfe, in Kindertageseinrichtungen und der stationären Jugendhilfe, gilt: Sie sind Beschäftigte zweiter Klasse. Ihr Mitbestimmungs- und Streikrecht muss dringend verbessert werden“, sagte Doreen Siebernik, GEW-Vorstandsmitglied für Jugendhilfe und Sozialarbeit, am Freitag in Frankfurt a.M. „Die geplanten Änderungen signalisieren einen bedeutenden Schritt hin zu mehr Gleichberechtigung und einer Modernisierung des Arbeitsrechts in konfessionell gebundenen Einrichtungen. Diese Reformen, die auf eine längere Diskussion und zahlreiche Forderungen der Beschäftigten, des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) und seiner Mitgliedsgewerkschaften sowie gesellschaftlicher Gruppen zurückgehen, zielen darauf ab, das Arbeitsrecht der Kirche mit den allgemeinen gesellschaftlichen und rechtlichen Standards in Einklang zu bringen.“…“ GEW-Pressemitteilung vom 08.03.2024 externer Link
  • Kirche liefert weiter Argumente: Ein neuer Fall vor dem Europäischen Gerichtshof zeigt die Dringlichkeit der Abschaffung der kirchlichen Sonderregeln im Arbeitsrecht
    Kirchliche Arbeitgeber liefern immer neue Argumente für die Abschaffung des besonderen kirchlichen Arbeitsrechts. Gerade erst hat die Caritas durch ein sogenanntes Anerkenntnisurteil verhindert, dass der Fall der wegen Kirchenaustritts gekündigten Hebamme Sandra Eltzner vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) landet. Nun muss sich das Gericht in Luxemburg doch mit der Frage auseinandersetzen, ob konfessionelle Arbeitgeber Beschäftigte kündigen dürfen, weil diese aus der Kirche ausgetreten sind. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat Anfang Februar 2024 den Fall einer Sozialpädagogin dem EuGH vorgelegt, die von einem katholischen Verein für Schwangerschaftsberatung fristlos entlassen wurde, weil sie während ihrer Elternzeit aus der Kirche ausgetreten war. Die Beratung der Schwangeren erfolge konfessionsneutral, betonte die Sozialpädagogin, die über sechs Jahre bei dem katholischen Verein tätig war. Sie selbst berate größtenteils muslimische Frauen und habe ausdrücklich keinen Missionsauftrag. Dennoch forderte der Arbeitgeber sie ultimativ auf, wieder Kirchenmitglied zu werden. Als sie dies ablehnte, kündigte er mit der Begründung, der Austritt stelle eine »schwerwiegende Loyalitätsverletzung« dar. Vor dem Wiesbadener Arbeitsgericht und dem Landesarbeitsgericht Frankfurt erlitt der katholische Träger damit eine Bauchlandung (LAG Frankfurt Urteil vom 1.3.2022, Az.8 Sa 1092/20). (…)
    Statt die Situation zu verbessern, würden mit der im Januar 2024 veröffentlichten Richtlinie »neue rechtliche Unsicherheiten geschaffen, wenn künftig die einzelnen Träger definieren könnten, welchen Beschäftigten besondere Loyalitätspflichten abverlangt werden dürfen und welchen nicht«, kritisiert der ver.di-Kirchenfachrat in einer Stellungnahme externer Link . Insgesamt zeige der nur auf Druck von außen zustande gekommene Beschluss, dass Evangelische Kirche und Diakonie keinen inneren Reformwillen haben und ihren Sonderstatus im Arbeitsrecht unbedingt erhalten wollen. Die Konsequenz daraus muss sein, den öffentlichen Druck weiter zu erhöhen – nicht nur auf die Kirchen, sondern vor allem auf den staatlichen Gesetzgeber…“ Meldung vom 08.02.2024 von ver.di Gesundheit, Soziale Dienste, Bildung und Wissenschaft externer Link
  • Das Kreuz mit den kirchlichen Wohlfahrtsverbänden: Der »Dritte Weg« in der Verbetriebswirtschaftlichungsfalle Die arbeits-, tarif- und mitbestimmungsbezogenen Sonderrechte der Kirchen bzw. ihrer Wohlfahrtsverbände sind mächtig unter Druck geraten. Dieser ist auch eine Folge ihrer wachsenden wirtschaftspolitischen Bedeutung (…) Leistungen wurden und werden auf profitable Felder umgesteuert, Einrichtungen gekauft, ausgegliedert, geschlossen und verkauft. (…) Leistungsverdichtung, Überstundenberge, befristete Arbeitsverträge, Leiharbeit und rechtlich fragwürdige Zugriffsrechte auf Beschäftigte jenseits der Dienstpläne und Mitbestimmung gehören dazu. Vor diesem Hintergrund erscheint das über den sogenannten „Dritten Weg“ ausgestaltete individuelle und kollektive Arbeitsrecht der Kirchen und ihrer Wohlfahrtsverbände nicht nur Kirchenskeptiker*innen zunehmend fragwürdig. (…) Größenwachstum gilt als Faktor im Wettbewerb. Privilegien gegenüber dem allgemeinen Arbeits-, Tarif- und Mitbestimmungsrecht auch…“ Artikel von Robert Hinke im Heft Nr. 6 vom Juni 2023 der Zeitschrift Sozialismus.de  – wir danken!
  • ver.di-Petition: Die Diskriminierung von Beschäftigten kirchlicher Einrichtungen muss ein Ende haben. Gleiche Rechte für alle! 
    „Die Unterzeichnenden fordern von Bundesminister für Arbeit und Soziales, Hubertus Heil, sowie von den Bundestagsabgeordneten von SPD, Bündnis90/Die Grünen und FDP: – Schluss mit Diskriminierung wegen privater Entscheidungen: Streichung der Sonderregeln für Kirchen im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (§ 9 AGG) – Volle Mitbestimmung auch für Kirchenbeschäftigte: Streichung gesetzlicher Ausnahmen (u.a. § 118 Abs. 2 Betriebsverfassungsgesetz). (…) Kirchliche Arbeitgeber beschäftigen rund 1,8 Millionen Menschen. Sie betreiben Krankenhäuser, Pflegeeinrichtungen und -dienste, Einrichtungen der Behinderten- und Jugendhilfe, Rettungsdienste, Kitas u.a.m. Wie bei anderen Trägern werden diese fast ausschließlich aus Steuermitteln und Sozialversicherungsbeiträgen finanziert. Kirchliche Unternehmen betreiben Tarifflucht und Outsourcing, nutzen Leiharbeit und sachgrundlos befristete Arbeitsverhältnisse. Sie verhalten sich wie andere Arbeitgeber, beharren aber auf Sonderregeln im Arbeitsrecht. Das passt nicht zusammen. (…) Der Austritt aus der Kirche gilt zum Beispiel als Kündigungsgrund. Wer sich in seiner Freizeit in einer Weise äußert, die der Kirche missfällt, kann ebenfalls gekündigt werden. Ermöglicht wird das durch eine Sonderregel im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG). Diese verstößt gegen europäisches Recht. Die Bundesregierung muss die Regelung ersatzlos streichen. Beschäftigte könnten dann nicht mehr wegen privater Entscheidungen sanktioniert werden, die der Kirche missfallen. (…) Kirchliche Einrichtungen sind vom staatlichen Mitbestimmungsrecht ausgeschlossen. Stattdessen gelten kirchliche Regeln, nach denen Mitarbeitervertretungen gewählt werden. Doch ihre Mitbestimmungsrechte sind weniger wirksam, die Durchsetzung der Rechte ist schwieriger und sie haben geringere Ressourcen als Betriebs- und Personalräte. Hinzu kommt, dass die Gewerkschaften im Kirchenrecht ausgegrenzt werden. (…) Damit das staatliche Mitbestimmungsrecht auch in kirchlichen Einrichtungen vollständig angewendet werden kann, muss die Bundesregierung die gesetzlichen Ausnahmen (u.a. § 118 Abs. 2 BetrVG) streichen. Für eine umfassende Stärkung der Mitbestimmungsrechte muss das staatliche Recht ohne Einschränkungen durch den so genannten Tendenzschutz zur Anwendung kommen (Neufassung des § 118 BetrVG)…“ Petition von ver.di Berlin vom 17. Mai 2023 externer Link auf die wir leider jetzt erst aufmerksam gemacht wurden, siehe dazu:

    • Arbeitsrecht bei Kirchen: Schluss mit Sonderregeln. Beschäftigte kirchlicher Betriebe fordern ihre rechtliche Gleichstellung 
      „… »Dass die Kirchen Sonderregeln für sich beanspruchen und ihren Beschäftigten grundlegende Rechte vorenthalten, ist völlig aus der Zeit gefallen«, findet auch Daniel Wenk, der sich im Evangelischen Sozialwerk Müllheim als Mitarbeitervertreter und Verdi-Vertrauensmann engagiert. »Dafür haben die allermeisten überhaupt kein Verständnis – weder in der Gesellschaft noch unter den Beschäftigten kirchlicher Einrichtungen.« Wenk und seine Mitstreiter*innen haben deshalb ihre Petition gestartet. Sie richtet sich nicht an die Kirchenleitungen, sondern an Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) und die Abgeordneten der Regierungsfraktionen – mit dem Ziel, die gesetzlichen Sonderregeln zu beseitigen. Bislang haben nach Verdi-Angaben rund 5000 Menschen unterzeichnet. (…) Nicht nur die Initiative zur Petition zeigt, dass Beschäftigte in kirchlichen Einrichtungen zunehmend ihre Rechte einfordern. Auch in den Betrieben wächst der Widerstand. So nahmen im Zuge der Tarifbewegung bei Bund und Kommunen im Frühjahr so viele Kirchenbeschäftigte an Aktionen teil wie noch nie zuvor.
      In insgesamt 26 konfessionellen Einrichtungen, in denen sich die Arbeitsbedingungen nach dem Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst richten, kam es zu Streiks. »Viele Hundert Beschäftigte aus kirchlichen Betrieben haben Mut bewiesen und teilweise trotz Einschüchterung die Arbeit niedergelegt – das ist der Durchbruch«, meint der Gewerkschafter Wenk. »Kirchlich Beschäftigte lassen sich nicht länger ihrer Grundrechte rauben, sich auf die Zuschauerränge verweisen.«
      Bei den Themen betriebliche Mitbestimmung und Gleichbehandlung nach dem AGG muss der Gesetzgeber aktiv werden, an den sich die Petition der Beschäftigten richtet. »Die Bundesregierung muss rasch handeln und dafür sorgen, dass die Beschäftigten der Kirchen endlich die gleichen Rechte haben wie andere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutschland«, betont Mario Gembus, bei Verdi für kirchliche Betriebe zuständig. »Dafür machen wir Druck.«“ Artikel von Daniel Behruzi vom 26.06.2023 in ND online externer Link
  • Interview mit Peter Stein: „Ein Arbeitsvertrag ist eine weltliche Angelegenheit“ 
    „Die Kirchen pochen in arbeitsrechtlichen Angelegenheiten auf weitgehende Sonderregelungen. Tatsächlich ist die Ungleichbehandlung von Beschäftigten nur in Ausnahmefällen gerechtfertigt“, sagt der Jurist Peter Stein im Gespräch mit Kay Meiners im Magazin Mitbestimmung Ausgabe 02/2023 externer Link: „… Frau Egenberger klagte 2013 beim Arbeitsgericht Berlin, weil sie nicht eingestellt wurde und eine Diskriminierung aus religiösen Gründen vermutete. Sie gehört keiner Kirche an und war von der Diakonie nicht einmal eingeladen worden. Der potenzielle Arbeitgeber bestand auf einer Kirchenmitgliedschaft. Sie musste durch alle Instanzen. 2018 erstritt sie vor dem Bundesarbeitsgericht eine Entschädigung von gut 3.900 Euro. [Frage:] War die Klage nicht riskant? Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz, kurz AGG, hält eine unterschiedliche Behandlung durch Religionsgemeinschaften in Bewerbungsprozessen unter bestimmten Bedingungen für zulässig. [Antwort Peter Stein:] Dafür gibt es aber nur zwei Gründe: zum einen, wenn es Glaubwürdigkeit und Außenwirkung erfordern. Dafür sprach in diesem Fall überhaupt nichts. Zum Zweiten, wenn für die konkrete Tätigkeit eine Kirchenmitgliedschaft unabdingbar ist. So legt der Europäische Gerichtshof die Gleichbehandlungsrichtlinie aus, die für die Anwendung des AGG maßgebend ist. Das europäische Recht überformt das nationale Recht. Für die Referentenstelle, auf die sich Frau Egenberger beworben hatte, war eine Kirchenmitgliedschaft, objektiv gesehen, gerade nicht erforderlich. Es ging um koordinierende Aufgaben, nicht darum, Positionen der Kirche zu vertreten. (…) Der deutsche Gesetzgeber hat die EU-Richtlinie in mehreren Punkten nicht korrekt umgesetzt. Nach dem deutschen Gesetz reicht es z. B. schon aus, dass das Ethos der Kirche die Kirchenmitgliedschaft erfordert. Das ist mit der Richtlinie keinesfalls vereinbar. Es kommt bei objektiver Betrachtung – also nicht nach Auffassung der Kirche – vielmehr auf die konkrete Tätigkeit an. Eine Mitgliedschaft ist bei verkündigungsnahen Tätigkeiten, beispielsweise Pfarrer, Rabbi oder Imam, sachlich notwendig. Wenn es um Sportlehrer an konfessionellen Schulen oder Ärztinnen in kirchlichen Krankenhäusern geht, ist das hingegen nicht plausibel. (…) Ein Arbeitsvertrag ist nach meinem Verständnis eine weltliche Angelegenheit. Wenn die Kirche Arbeitsverträge abschließt, verlässt sie den Kreis der eigenen Angelegenheiten. Das Bundesverfassungsgericht sagt das Gegenteil: Der Abschluss von Arbeitsverträgen hebt nach seiner Auffassung die Zugehörigkeit zu eigenen Angelegenheiten nicht auf. (…) [Am] Wortlaut [der Norm] liegt es nicht, sondern an der Auslegung. Die Norm ist im Wortlaut seit 1919 unverändert. Dennoch gab es in Weimar Arbeitskämpfe in kirchlichen Einrichtungen. Das Betriebsrätegesetz, der Vorläufer unserer Betriebsverfassung, galt auch in kirchlichen Betrieben – ohne dass jemand daran Anstoß genommen hätte. Das muss auch heute wieder möglich sein. (…) Das Bundesverfassungsgericht hat den Artikel zu einer Schutznorm gegen den Staat umgedeutet. Es ist der Auffassung, dass die Kirchen selbst entscheiden können, was ihre eigenen Angelegenheiten sind. Eigentlich sollten doch Gerichte darüber entscheiden, wo die eigenen Angelegenheiten der Kirchen anfangen und wo sie enden…“ zum empfehlenswerten und kostenlosen 259-seitigen Rechtsgutachten von Peter Stein externer Link , siehe auch hier unten:
  • Studie analysiert u.a. Einfluss von EuGH-Rechtsprechung: Arbeitsrechtliche Privilegien für Kirchen nicht mehr haltbar – Grundrechte von Beschäftigten gestärkt 
    „Die Kirchen konnten in arbeitsrechtlichen Angelegenheiten lange auf weitgehende Sonderregelungen pochen. Tatsächlich ist die Ungleichbehandlung von Beschäftigten aber nur in Ausnahmefällen gerechtfertigt. Das zeigt ein neues Rechtsgutachten, das das Hugo-Sinzheimer-Institut (HSI) der Hans-Böckler-Stiftung gefördert hat. Die Vorstellung, dass sich der Arbeitgeber in ihr Privatleben einmischen oder ihnen eine bestimmte Weltanschauung vorschreiben könnte, dürfte den meisten Beschäftigten befremdlich erscheinen. Kirchliche Beschäftigte sind daran gewöhnt: Etliche von ihnen haben in der Vergangenheit ihre Stelle verloren, weil sie sich beispielsweise für eine zweite Ehe oder eine gleichgeschlechtliche Partnerschaft entschieden haben. Deutsche Arbeitsgerichte haben dem Gebaren der Kirchen regelmäßig ihren Segen erteilt – mit Verweis auf deren Selbstbestimmungsrecht. Wie weit dieses Recht reicht, hat der ehemalige Arbeitsrichter Peter Stein in einem Gutachten für das HSI erörtert. Die Grenzen sind demnach enger gesteckt, als es die Rechtsprechung hierzulande über Jahrzehnte vorgegeben hat: Das kirchliche „Nebenarbeitsrecht“ sei spätestens nach mehreren Urteilen des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) nicht mehr haltbar, schreibt Stein, der an einem der Verfahren vor dem EuGH als Anwalt beteiligt war. Vorgaben, die in die private Lebensführung eingreifen und auf eine Ungleichbehandlung von Beschäftigten hinauslaufen, seien allenfalls bei „verkündigungsnahen“ Tätigkeiten rechtmäßig. Ob das im Einzelfall zutrifft, hätten nicht die Kirchen selbst, sondern staatliche Gerichte zu entscheiden. Die Stellung der Kirchen im Staat sei im Grundgesetz in Artikeln geregelt, die aus der Weimarer Reichsverfassung übernommen wurden, erklärt der Jurist. Darin finde sich unter anderem ein „Recht der Glaubensgemeinschaften auf Selbstverwaltung innerhalb der Schranken des für alle geltenden Rechts“. Die Verfassung habe in erster Linie klarstellen wollen, dass für die Kirchen die gleichen Rechte wie für alle gelten. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) habe den Artikel dagegen zu einer Schutznorm der Kirchen gegen den Staat umgedeutet und das kirchliche Selbstverwaltungsrecht hin zu einem Selbstbestimmungsrecht extrem ausgeweitet, insbesondere im Arbeitsrecht. Um Streitigkeiten zu entscheiden, bei denen es um Verstöße von Beschäftigten gegen „Loyalitätspflichten“ geht, müssen die Arbeitsgerichte laut BVerfG das Selbstverständnis der Kirchen als Maßstab zugrunde legen. Stein hält das für wenig überzeugend: Ein bloßer Nachvollzug des Selbstverständnisses von Glaubensgemeinschaften habe mit eigenständiger Kontrolle durch die Rechtspflege nichts zu tun. Mit der Maxime „Plausibel ist, was die Kirche für plausibel hält“ hätten die Karlsruher Richter einen „kontrollimmunen Interpretationsprimat“ der Kirchen installiert und „die christliche Wertemoral in exzessivem Umfang gegenüber dem staatlichen Arbeitsrecht“ privilegiert. Vernachlässigt hätten sie dagegen die Grundrechte der Beschäftigten, gegen die das Selbstbestimmungsrecht von Religionsgemeinschaften abgewogen werden müsse. Dass die „Überbetonung kirchlicher Sichtweisen“ ein Irrweg ist, hat dem Gutachten zufolge 2018 auch der EuGH bestätigt. Die EU-Gleichbehandlungsrahmenrichtlinie enthalte zwar Ausnahmen vom Diskriminierungsverbot, die sich durch berufliche Anforderungen rechtfertigen lassen und auf die sich Kirchen berufen können, wenn sie zum Beispiel die Konfession als Einstellungskriterium verwenden. Allerdings seien diese Ausnahmen eng auszulegen: Der Aufgabenbereich, der ohne eine bestimmte Religion nicht ausgeübt werden kann, müsse „quantitativ einen erheblichen Teil des gesamten Aufgabenfeldes ausmachen“. Zudem müsse die Diskriminierung „geeignet“ und sachlich notwendig sein. (…) Um für Klarstellungen im deutschen Recht zu sorgen und es in Einklang mit Unionsrecht zu bringen, empfiehlt der Autor Anpassungen im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz. Ob eine gerechtfertigte berufliche Anforderung vorliegt, dürfe sich nicht nach dem kirchlichen Selbstbestimmungsrecht bestimmen, sondern allein nach der Art der Tätigkeit. Zudem sollte der Geltungsbereich des Betriebsverfassungsgesetzes auf kirchliche Einrichtungen ausgedehnt werden, wird doch über die kirchliche Mitarbeitervertretung neben den Interessen der Beschäftigten zugleich auch ein kirchliches Amt vertreten. Das Recht zu streiken steht kirchlichen Beschäftigten nach Steins Einschätzung bereits jetzt zu, weil ohne dieses Recht keine Lohnverhandlungen auf Augenhöhe möglich sind.“ Pressemitteilung vom 9. Januar 2022 der Hans-Böckler-Stiftung externer Link zur 259-seitigen Studie von Peter Stein externer Link vom Januar 2023
  • Die Sonderrechte, die der Staat den kirchlichen Unternehmen zubilligt, gehören endlich abgeschafft 
    „Die katholische Kirche hat Ende Mai 2022 einen Entwurf zur „Grundordnung des kirchlichen Dienstes“ veröffentlicht, den der Verband der Diözesen Deutschlands in Auftrag gegeben hatte. Vorgesehen war, dass „das kirchliche Arbeitsrecht grundlegend weiterentwickelt werden sollte“. Doch in dem Entwurf ist weder die Aushandlung von Tarifverträgen auf Augenhöhe vorgesehen noch das Grundrecht auf Streik. Auch bei Fragen der Glaubens- und Meinungsfreiheit können Beschäftigte weiterhin von den Kirchenunternehmen sanktioniert werden, sogar bis hin zum Verlust des Arbeitsplatzes. Der ist beispielsweise vorgesehen, wenn Beschäftigte aus der Kirche austreten. Im November 2022 verabschiedeten die katholischen Bischöfe der 27 Diözesen in Deutschland, gut in den Medien platziert, eine Änderung der „Grundordnung des kirchlichen Dienstes“. Was großartig klingt, meint allerdings nur das Ende der arbeitsrechtlichen Diskriminierung, wenn die Beschäftigten der katholischen Kirchen sich zu einer gleichgeschlechtlichen Partnerschaft bekennen oder wenn sie nach einer Scheidung wieder heirateten. (…) Die kirchlichen Unternehmen sind in eine unüberschaubare Anzahl von Einrichtungen und Rechtsträgern aufgesplittert, die als Körperschaften des öffentlichen Rechts, als eingetragene Vereine oder gemeinnützige GmbH firmieren. Sie werden je nach Sichtweise und Interessenlage unterschiedlich zugeordnet und gezählt und bilden auch bei gleicher Trägerschaft einen bunten Flickenteppich. Diese Einrichtungen haben sich zu profitablen Unternehmen mit ständig wachsenden Beschäftigtenzahlen entwickelt. Sie berufen sich immer noch auf die ihnen im Grundgesetz zugesicherte Kirchenautonomie und bestehen nach wie vor darauf, dass auf ihre Krankenhäuser, Altenheime und Beratungsstellen das Betriebsverfassungs- und das Mitbestimmungsgesetz nicht angewendet werden. Immer noch werden Verstöße gegen kirchenrechtliche Loyalitätspflichten mit verhaltensbedingten Kündigungen geahndet. Das kirchliche Selbstordnungs- und Selbstverwaltungsrecht – auch als Selbstbestimmungsrecht bezeichnet – wird von den Kirchen arbeitsrechtlich insbesondere in drei Richtungen ausgeübt: – Für eine Mitarbeit in kirchlichen Einrichtungen wird von den mehr als 1,3 Millionen Beschäftigten eine Übereinstimmung mit den kirchlichen Glaubens- und Moralvorstellungen erwartet. Ein Verstoß gegen diese Loyalitätspflichten zieht arbeitsrechtliche Konsequenzen – bis hin zur Kündigung – nach sich. – Anstelle eines Betriebs- oder Personalrates werden die kirchlichen Beschäftigten durch eine Mitarbeitervertretung an den betrieblichen Entscheidungen beteiligt. – Die Löhne und andere grundlegende Arbeitsbedingungen werden überwiegend nicht im Rahmen von Tarifverhandlungen („zweiter Weg“) oder einseitig vom Arbeitgeber („erster Weg“) festgelegt, sondern durch Gremien, die paritätisch aus den Reihen der Beschäftigten und der Unternehmensleitung besetzt werden („dritter Weg“). Arbeitskampfmaßnahmen (Streik und Aussperrung) sind nach Ansicht der Kirchen mit dem Dienst am Nächsten unvereinbar und werden deshalb ausgeschlossen…“ Beitrag vom 6. Dezember 2022 im gewerkschaftsforum.de externer Link – leider fehlt bei der ganzen Darstellung eine Auseinandersetzung mit der verfassungsrechtlichen Sonderstellung der Kirchen. Allein mit der Kritik an den Auswüchsen, wird mensch dem Problem nicht beikommen…
  • Gott läßt sich immer noch nicht bestreiken: Reform des kirchlichen Arbeitsrechts nicht für alle und unzureichend, ver.di fordert Gesetzgeber zum eingreifen auf
    • Katholische Kirche: Bischöfe reformieren kirchliches Arbeitsrecht
      Homosexualität, Scheidung, Wiederheirat – solche privaten Aspekte gehen die Arbeitgeber bei Kirche und Caritas nichts mehr an. Künftig müssen sie ihre 800 000 Mitarbeitenden in aller Vielfalt akzeptieren. (…) „Der Kernbereich privater Lebensgestaltung unterliegt keinen rechtlichen Bewertungen und entzieht sich dem Zugriff des Dienstgebers“, steht nun in der Grundordnung. Dadurch werden das Beziehungsleben und die Intimsphäre des einzelnen Arbeitnehmers zur „rechtlich unantastbaren Zone“. Ob Pastoralreferenten oder Erzieherinnen offen in einer schwulen oder lesbischen Partnerschaft leben, ob Ärzte kirchlicher Krankenhäuser nach ihrer Scheidung wieder heiraten – all das hat den Arbeitgeber Kirche künftig nicht mehr zu interessieren. Die neue Grundordnung ist die Rechtsgrundlage für die Beschäftigungsverhältnisse von rund 800 000 Menschen, die in Deutschland bei der katholischen Kirche oder der Caritas arbeiten. (…) Mitglieder der Aktion [Initiative #Outinchurch] sprachen von einem „Teilerfolg“ – das neue Arbeitsrecht sei „eine Markierung auf einem längeren Weg zu einer diskriminierungsfreien Kirche“, sagt der Würzburger Hochschulpfarrer Burkhard Hose der SZ. So sei nur die Rede von sexueller, nicht aber von geschlechtlicher Identität: „Das heißt, Menschen, die nicht ins binäre Geschlechtersystem passen, werden davon nicht erfasst.“ Hose kritisierte zudem den Kündigungsgrund „kirchenfeindliches Verhalten“: „Was ist kirchenfeindliches Verhalten genau? Verhalte ich mich, der ich mich für #Outinchurch engagiere, bereits kirchenfeindlich? Hier bleibt immer noch viel Spielraum für bischöfliche Willkür.“…“ Artikel von Annette Zoch vom 22. November 2022 in der Süddeutsche Zeitung online externer Link
    • ver.di: Katholische Kirche beharrt auf diskriminierendem Arbeitsrecht – Gesetzgeber muss eingreifen
      Die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) kritisiert die heute von der Vollversammlung der Diözesen Deutschlands beschlossene neue Grundordnung der katholischen Kirche. „Die beschlossene Reform ist völlig unzureichend. Es darf nicht länger akzeptiert werden, dass die katholische Kirche in die Lebensführung ihrer Beschäftigten eingreift, Menschen diskriminiert und ihnen weiterhin grundlegende Rechte verweigert“, erklärte ver.di-Bundesvorstandsmitglied Sylvia Bühler. „Die Bischöfe scheinen in einer völlig anderen Welt zu leben als der überwiegende Teil der Bevölkerung. Sie reagieren nur nach massivem öffentlichen Druck und dann auch nur mit minimalen Verbesserungen. Die Bundesregierung kann nicht länger dulden, dass unter dem Dach der Kirche in erheblichem Ausmaße Unrecht geschieht.“ So könne Beschäftigten der katholischen Kirche oder ihres Wohlfahrtsverbandes Caritas gekündigt werden, wenn sie aus der Kirche austreten. (…) Ein weiterer Kündigungsgrund sei sogenannte „kirchenfeindliche Betätigung“. Was gegen die Werteordnung der Kirche verstoße, lege diese selbst fest. „Es kann zum Beispiel Kündigung drohen, wenn jemand für die Abschaffung der Strafbarkeit von Schwangerschaftsabbrüchen demonstriert. Das ist nicht hinnehmbar“, stellte die Gewerkschafterin klar. Tarifverhandlungen auf Augenhöhe erteile die Kirchenspitze mit der neuen Grundordnung erneut eine Absage. Sie weigere sich weiterhin, das Grundrecht der Beschäftigten auf Streik anzuerkennen und bestehe auf einer schwächeren betrieblichen Mitbestimmung als im weltlichen Arbeitsrecht, auch Unternehmensmitbestimmung unter Beteiligung der Beschäftigten ist nicht in Sicht. „Diese Realitätsverweigerung ist erstaunlich“, kritisierte Bühler. „Die rund 25.000 karitativen Einrichtungen im Gesundheits- und Sozialwesen finanzieren sich fast ausschließlich aus öffentlichen Mitteln. Trotzdem dürfen die katholischen Arbeitgeber mit Billigung des Staates ihren Beschäftigten Rechte vorenthalten, die in jedem anderen Betrieb gelten. SPD, Grüne und FDP haben im Koalitionsvertrag die Prüfung des kirchlichen Sonderrechts vereinbart. Die Bischöfe haben erneut gewichtige Argumente für ein Eingreifen des Gesetzgebers geliefert. Die Bundesregierung muss die nötigen Konsequenzen zu ziehen.““ Pressemitteilung vom 22.11.2022 externer Link
    • Queer, geschieden, ausgetreten? Was sich durch das neue Arbeitsrecht der Kirche ändert
      Überblick vom 22.11.2022 beim WDR externer Link
  • Das Bundesarbeitsgericht zweifelt. Und legt die Kündigung einer Hebamme schon vor Arbeitsantritt aufgrund ihres Kirchenaustritts dem EuGH vor. Die Lösung wäre einfach 
    „Dass die katholische und evangelische Kirche in Deutschland den einbalsamierten Status von faktischen Staatskirchen haben in einem Land, in dem Staat und Kirche angeblich getrennt sein sollen, ist seit Jahren nicht nur mit Blick auf die enormen Zahlungen aus allgemeinen Steuermittel beispielsweise für das Leitungspersonal der Kirchen (mit der Begründung, wegen der Enteignung von Kirchengütern zu napoleonischen Zeiten müsse man auch heute noch Reparationen leisten) in der Kritik, sondern auch und gerade aufgrund der erheblichen Bedeutung der Kirchen bzw. kirchlich gebundener Träger im Sozial- und Gesundheitswesen als ganz großer Arbeitgeber hinsichtlich der weitreichenden Sonderrechte, die seitens der kirchlichen Arbeitgeber (pardon: richtigerweise muss es in der kirchlichen Terminologie „Dienstgeber“ heißen) gegenüber ihren „Dienstnehmern“ ausgeübt werden können – und die beispielsweise den hunderttausenden Beschäftigten in Kitas und Kliniken das elementare Streikrecht vorenthalten. (…) Unter der Überschrift Kündigung einer Hebamme wegen Austritts aus der katholischen Kirche vor Begründung des Arbeitsverhältnisses teilt uns das Bundesarbeitsgericht am 21. Juli 2022 mit: »Das Bundesarbeitsgericht ersucht den Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) um Auslegung des Unionsrechts zur Frage, ob ein der katholischen Kirche zugeordnetes Krankenhaus eine Arbeitnehmerin allein deshalb als ungeeignet für eine Tätigkeit ansehen darf, weil sie vor Beginn des Arbeitsverhältnisses aus der katholischen Kirche ausgetreten ist, auch wenn es von den bei ihm tätigen Arbeitnehmern im Übrigen nicht verlangt, dass sie der katholischen Kirche angehören.« Hier werden wir nicht nur mit dem höchst selektiven Rechtsverständnis einer Einrichtung in katholisch gebundener Trägerschaft konfrontiert (man könnte es auch als das bezeichnen, was sich hier offensichtlich Bahn bricht: Doppelmoral), sondern wir werden Zeugen, dass selbst das höchste deutsche Arbeitsgericht letztendlich den Europäischen Gerichtshof (EuGH) zu Hilfe rufen muss, um einen bestimmten Teil des kirchlichen Sonderarbeitsrechts zur Disposition zu stellen. (…) Dabei wäre die Lösung solcher und vieler anderer Fälle doch ganz einfach und man könnte sich so viel Ärger und Nöte bei den Menschen und Kosten im System ersparen, wenn man endlich das kirchliche Sonderarbeitsrecht für die vielen Einrichtungen, in denen hunderttausende (eigentlich normale) Beschäftigte ihr Lohn und Brot verdienen und die übrigens so gut wie alle genau so aus öffentlichen Mitteln finanziert werden wie andere Einrichtungen in kommunaler oder privater Trägerschaft auch, einfach abschafft. Die gleichen Arbeitsrechte wie die anderen „normalen“ Arbeitnehmer auch. Und natürlich auch das Streikrecht. Es wäre schon längst an der Zeit gewesen, diesen Schritt zu vollziehen…“ Beitrag von Stefan Sell vom 23. Juli 2022 auf seiner Homepage externer Link, siehe  dazu den Entwurf einer neuen Grundordnung externer Link vom 6. Mai 2022 sowie die Bischöflichen Erläuterungen zum kirchlichen Dienst externer Link vom 27. Mai 2022
  • Die Kirchen und der Dritte Weg: Das Privileg wackelt 
    „… Die Massenaustritte der Mitglieder weisen den Bischöfen den Weg in die Moderne. Diesen Eindruck kann bekommen, wer sich den Mitte Juni vorgelegten Entwurf der Grundordnung der Katholiken anschaut: Die Mitgliedschaft in der Kirche ist nicht mehr Voraussetzung für ein Arbeitsverhältnis, und die sexuelle Orientierung auch nicht. An einem Punkt treten die Bischöfe auf der Stelle: „Wer sich kirchenfeindlich betätigt oder aus der katholischen Kirche ausgetreten ist, wird nicht angestellt“, heißt es im Entwurf der neuen Grundordnung, die nun diskutiert und vermutlich im November von den Bischöfen verabschiedet wird. (…) Auf halben Wegen stehengeblieben, möchte man meinen, denn die 360 000 Christen, die im vergangen Jahr die katholische Kirche verlassen haben, kommen somit nicht in Betracht für eine Einstellung bei der Caritas, dem Wohlfahrtsverband der Katholiken, der für Krankenhäuser, Pflegeeinrichtungen und Kitas Arbeitskräfte sucht. (…) Auf dem Dritten Weg werden die Löhne in paritätisch besetzten Kommissionen ohne Beteiligung der Gewerkschaften ausgehandelt, Streiks sind ausgeschlossen. Kirchen und Wohlfahrtsverbände berufen sich dabei auf das im Grundgesetz verankerte Selbstbestimmungsrecht der Kirchen. Und das Betriebsverfassungsgesetz, das seit 1952 die betriebliche Mitbestimmung regelt, gilt auch nicht für die Kirchen. (…) Der Marburger Bund, der unter anderem rund 45 000 Ärzte in katholischen Krankenhäusern vertritt, möchte den Dritten Weg ebenso abschaffen wie die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi. „Tarife werden zwischen Arbeitgebern und Gewerkschaften ausgehandelt, nicht in pseudoparitätischen Kommissionen ohne Verhandlungsmacht auf der Arbeitnehmerseite“, heißt es bei der Ärztegewerkschaft. Frank Bsirske, von 2001 bis 2019 Vorsitzender von Verdi und seit Herbst letzten Jahres für die Grünen im Bundestag, will „auf die Umsetzung des Koalitionsvertrages drängen“. Bsirske, inzwischen Sprecher für Arbeit und Soziales der Grünen, erwartet Vorschläge von Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) im nächsten Jahr…“ Beitrag von Alfons Frese vom 18. Juli 2022 beim Tagesspiegel online externer Link
  • Göttliche Sonderrolle der katholische Kirche: Bischöfe wollen »dritten Weg« beim Arbeitsrecht in konfessionellen Einrichtungen beibehalten. Gewerkschaften fordern Abschaffung 
    Es ist gewissermaßen ein Gebot: Erwerbstätige in Kirchen oder kirchlichen Einrichtungen ackern ohne tarifvertragliche Standards. Bei der Caritas etwa, dem katholischen Wohlfahrtsverband mit knapp 700.000 Beschäftigten bundesweit. Und das soll der Deutschen Bischofskonferenz (DBK) zufolge auch künftig so bleiben. »Dritter Weg« heißt das im Kirchenarbeitsrecht. Kein Wunder: Die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi und die Kirchengewerkschaft sprachen der DBK in der vergangenen Woche einen »echten Reformwillen« ab.
    Die »Bischöfliche Arbeitsgruppe Arbeitsrecht« unter Vorsitz des Kölner Kardinals Rainer Maria Woelki hatte am Montag voriger Woche einen modifizierten Entwurf der »Grundordnung des Kirchlichen Dienstes« präsentiert, der jW vorliegt. Es regelt das Verhältnis zwischen Dienstnehmern und Dienstgebern, wie »Arbeitnehmer« und »Arbeitgeber« in der kirchlichen Arbeitswelt genannt werden. Zoff im Betrieb soll »durch Verhandlung und wechselseitiges Nachgeben gelöst werden«, heißt es in Artikel 8 in der Grundordnung unter der Zwischenüberschrift »Beteiligung der Mitarbeitenden an der Gestaltung ihrer Arbeitsbedingungen«. Viel gestalten können Kirchenarbeiter indes nicht, denn: Streiks und weitere Arbeitskampfmaßnahmen widersprechen »dem Leitbild der christlichen Dienstgemeinschaft« und »scheiden daher aus«.
    Nur konsequent ist dann auch das: »Kirchliche Dienstgeber schließen keine Tarifverträge mit tariffähigen Arbeitnehmerkoalitionen (Gewerkschaften) ab.« Lohnabhängige in konfessionellen Einrichtungen können sich deshalb nicht auf das Betriebsverfassungsgesetz berufen, Arbeitsgerichte als Instanzen fallen weg. Eventuelle Rechtsverstöße werden kirchenintern in »arbeitsrechtlichen Kommissionen« der Diözesen verhandelt.
    Gegen diesen Status quo opponiert die Kirchengewerkschaft. Der Bundesvorstand habe mit Erschrecken zur Kenntnis genommen, dass die katholische Kirche am »dritten Weg« festhalten wolle, teilte Gewerkschaftssekretär Hubert Baalmann am vergangenen Donnerstag gegenüber jW mit. Mehr noch, es sei »Sünde« von Nächstenliebe zu sprechen, aber »lohnabhängig beschäftigten Kolleginnen und Kollegen« Tarifverträge weiterhin verweigern zu wollen. (…)
    Nicht von ungefähr forderte der DGB auf seinem Kongress Mitte Mai, das Zustimmungsverweigerungsrecht der Kirchen zu einem bloßen besonderen Anhörungsrecht abzuändern. »So kann bei der Erweiterung der Anwendbarkeit von Tarifverträgen einer Blockade auf seiten der kirchlichen Arbeitgeber*innen entgegengewirkt werden«, heißt es in einem Beschluss des Dachverbands. Eine konkrete Initiative dazu ist bislang nicht in Sicht…“ Artikel von Oliver Rast in der jugen Welt vom 07.06.2022 externer Link
  • Kirchliches Arbeitsrecht: ifw-Gutachten beim BVerfG im Fall „Egenberger“ eingereicht 
    „… Im März 2019 hat das Evangelische Werk für Diakonie und Entwicklung e.V. beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe eine Verfassungsbeschwerde eingelegt. Diese richtet sich unmittelbar gegen das Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 25. Oktober 2018 (Az. 8 AZR 501/14) und mittelbar gegen das Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 17. April 2018 (Rs. C-414/16 – Vera Egenberger gegen Evangelisches Werk für Diakonie und Entwicklung e.V.). Der EuGH traf in 2018 eine wegweisende Entscheidung für den Bereich des kirchlichen Arbeitsrechts. Die Luxemburger Richter urteilten, dass eine unterschiedliche Behandlung wegen der Religion im Rahmen der Einstellungspolitik der Diakonie nur zulässig sei, wenn die Religion nach der Art der Tätigkeiten oder den Umständen ihrer Ausübung eine wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung angesichts des Ethos der Religionsgemeinschaft bzw. Einrichtung darstellt. (…) Entscheidend ist also die Nähe zum Verkündigungsauftrag. Nur wenn diese gegeben ist, darf zukünftig von Bewerber*innen eine Religionszugehörigkeit gefordert werden. Durch das Urteil wird konfessionsfreien Ärztinnen und Kindergärtnerinnen, Krankenpflegerinnen und Bürokräften, Reinigungspersonal und Hausmeisterinnen etc. ein neuer Zugang zu dem von kirchlichen Organisationen dominierten sozialen Arbeitsmarkt eröffnet. Dies betrifft insbesondere die größte weltanschauliche Gruppe in Deutschland – die Gruppe der Konfessionsfreien, welche gegenwärtig 37,8 Prozent der Gesamtbevölkerung stellen – positiv. Gegen diese Öffnung wendet sich die Diakonie mit ihrer Verfassungsbeschwerde. Deshalb hat das ifw den renommierten Verfassungsrechtler Prof. Dr. Bodo Pieroth zusammen mit Akad. Rat Dr. Tristan Barczak beauftragt, ein Rechtsgutachten zu den Erfolgsaussichten der Verfassungsbeschwerde der Diakonie zu erstellen. In ihrem Gutachten kommen die Rechtsexperten zu dem Ergebnis, dass die Verfassungsbeschwerde unzulässig und unbegründet ist (…) Das Gutachten wurde von der Klägerin des Ausgangsverfahrens, Frau Vera Egenberger, zusammen mit ihrer Stellungnahme zur Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht eingereicht…“ Meldung vom 9. Oktober 2019 beim Institut für Weltanschauungsrecht (ifw) externer Link
  • Bundesarbeitsgericht: Diakonie klagt gegen Urteil zu kirchlichem Arbeitsrecht 
    „… In einem Rechtsstreit um das kirchliche Arbeitsrecht hat die Diakonie Verfassungsklage eingereicht. Der Wohlfahrtsverband der evangelischen Kirche sehe sich in unzulässiger Weise in seinem verfassungsrechtlichen Selbstbestimmungsrecht beschränkt, sagte Diakonie-Präsident Ulrich Lilie. Die Klage richtet sich gegen ein Urteil des Bundesarbeitsgerichts (BAG) vom Oktober 2018, das einer konfessionslosen Stellenbewerberin nach einer Ablehnung eine Diskriminierungsentschädigung von knapp 4.000 Euro zugesprochen hatte. Das BAG stützte sich dabei auf ein vorausgegangenes Urteil des Europäischen Gerichtshofs zum selben Fall. (…) „Die Diakonie will und muss als der soziale Dienst der evangelischen Kirche erkennbar bleiben. Dazu gehört nach unserem Selbstverständnis, dass nicht nur an wichtigen Stellen evangelische Christen arbeiten, die unsere Einrichtungen prägen“, sagte Lilie in einem Interview mit der Katholischen Nachrichten-Agentur…“ Meldung vom 19. März 2019 bei der Zeit online externer Link, siehe dazu:

    • Kirchliche Einstellungspraxis: ver.di kritisiert Verfassungsklage der Diakonie
      Eigentlich sollte es keine Frage des Glaubens sein, wenn jemand in kirchlichen Einrichtungen als Erzieher oder Pflegekraft arbeitet oder sich auf eine kirchliche Projektstelle zur Bekämpfung von Rassismus bewirbt. So sehen es auch die Gerichte. Die Diakonie allerdings hält an ihrem Glaubensgrundsatz für Beschäftigte fest. ver.di hat mit großer Verwunderung und Kritik auf die Ankündigung der Diakonie reagiert, Verfassungsklage gegen ein Urteil des Bundesarbeitsgerichts (BAG) und mittelbar des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) zur Diskriminierung von Beschäftigten wegen fehlender Kirchenmitgliedschaft einzureichen. „Man kann der Diakonie nur dringend empfehlen, im 21. Jahrhundert anzukommen und die Realitäten anzuerkennen“, sagte ver.di-Bundesvorstandsmitglied Sylvia Bühler. „Statt krampfhaft an überkommenen Mustern festzuhalten, sollte die Diakonie ihren Sonderweg sowohl beim individuellen als auch beim kollektiven Arbeitsrecht insgesamt überdenken, sonst schadet sie sich selbst am meisten.“ Im konkreten Fall hatte das Evangelische Werk für Diakonie und Entwicklung (EWDE) die Berlinerin Vera Egenberger, die sich im Jahr 2012 auf eine Referentenstelle beim EWDE beworben hatte, nicht für ein Vorstellungsgespräch eingeladen, weil sie kein Kirchenmitglied ist. Dagegen hatte Vera Egenberger mit Unterstützung von ver.di erfolgreich geklagt. Der EuGH und in der Folge das BAG hatten das Vorgehen der Diakonie als Diskriminierung gewertet und klargemacht, dass weltliche Gerichte die kirchliche Einstellungspraxis überprüfen können…“ ver.di-Pressemitteilung vom 20. März 2019 externer Link
    • Ökonomische Interessen: Kirche beharrt auf Diskriminierung
      „In allgemeinpolitischen Debatten präsentiert sich die evangelische Kirche gern liberal. Doch damit ist Schluss, sobald es um die eigenen Beschäftigten geht. Weit mehr als eine Million Menschen arbeiten in Pflegeheimen, Krankenhäusern, Beratungsstellen und anderen Einrichtungen der Diakonie oder ihres katholischen Gegenstücks Caritas. Für sie alle soll ein Sonderrecht gelten, das die Kirchenoberen eigenmächtig festlegen. Dieses »Selbstordnungsrecht« stammt aus den alten Zeiten der Weimarer Reichsverfassung. Allerdings bedeutete es schon damals nicht, dass die Kirchen tun und lassen können, was ihnen beliebt. Vielmehr gilt die Selbstverwaltung lediglich für die »eigenen Angelegenheiten« und nur im Rahmen der für alle geltenden Gesetze. (…) Doch die Spitze der Diakonie lebt offenbar in ihrer eigenen Welt – und will dort bleiben. Am Dienstag gab der evangelische Wohlfahrtsverband bekannt, dass er im Falle der abgelehnten Bewerberin Verfassungsklage eingereicht habe. (…) Der tieferliegende Grund dürfte nicht in theologischen Überzeugungen begründet sein, sondern in handfesten ökonomischen Interessen. Und hier geht es vor allem ums kollektive Arbeitsrecht. Die meisten Einrichtungen von Diakonie und Caritas weigern sich nach wie vor stur, reguläre Tarifverträge mit den Gewerkschaften auszuhandeln. Damit verschaffen sie sich auf dem umkämpften Sozial- und Gesundheitsmarkt einen Wettbewerbsvorteil gegenüber öffentlichen Trägern. Das Kalkül ist vermutlich: Wenn die kirchliche Selbstherrlichkeit im individuellen Arbeitsrecht bröckelt, steht sie bald auch auf kollektiver Ebene zur Disposition. Um das zu bremsen, nimmt die Kirchenspitze weitere Imageverluste in Kauf.“ Kommentar von Daniel Behruzi in der jungen Welt vom 20. März 2019 externer Link

Siehe dazu auch:

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=139190
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