[Hamburger Hafen] Ausgehebelt – der Mensch bleibt auf der Strecke

Buch von Rolf Geffken: Arbeit und Arbeitskampf im Hafen. Zur Geschichte der Hafenarbeit und der Hafenarbeitergewerkschaft„… Der finanzielle Umfang der Errichtung des vollautomatisierten Containerterminals samt E-Hub wird derzeit auf 1,2 bis 1,4 Milliarden Euro geschätzt. Am Ende wird am Steinwerder eine Hafenanlage stehen, die quasi exterritoriale Rechte genießt und kaum Gebühren in die Staatskasse zahlt, weil der Pächter alles allein gemacht hat. Seit Jahren stagniert das Containeraufkommen am Hamburger Hafen. Unter den Beschäftigten dort glaubt niemand an eine baldige Steigerung. Folglich dürfte der neue Terminal der Chinesen zu Überkapazitäten führen und einen ruinösen Wettbewerb mit den bisherigen Hafenbetreibern wie HHLA und Eurokai auslösen, der mit Sicherheit Stellenabbau im großen Stil nach sich ziehen wird. Ein solcher Umstand, gepaart mit den ohnehin als gering einzuschätzenden Zahlungen des chinesischen Konsortiums an die kommunalen Kassen, könnte wiederum zu steigenden Preisen für die Passagiere von Bus und Bahn des Hamburger Verkehrsverbunds (HVV) führen. (…) Es folgte eine Diskussion, die von den hochinteressanten Erläuterungen Jörn Wölkes, Betriebsratsmitglied (GHB), zu den Auswirkungen und Umwälzungen, die in der Arbeitswelt weltweit infolge der Automatisierung und des Einsatzes der künstlichen Intelligence (KI) drohen, beflügelt wurde. Ihm zufolge stehen durch das Steinwerder-Modell mindestens 1100 bereits existierende Arbeitsplätze auf dem Spiel. Auf der Welt gibt es bislang nur eine Handvoll vollautomatisierte Hafenterminals, darunter einen in Los Angeles sowie die neue Anlage der dänischen Reederei Maersk in Rotterdam. Dort arbeiten kaum noch Menschen, höchstens einige Wachleute, um das Gelände vor Außenstehenden abzusichern, und einige Spezialisten, um den reibungslosen Betrieb der Roboter zu garantieren. Wölke bezeichnete die Vollautomatisierung als länderübergreifendes gesamtgesellschaftliches Problem. Auch ohne die Chinesen hätten die anderen Hafenbetreiber in Hamburg Pläne zur weiteren Wegrationalisierung von Arbeitsplätzen mittels Roboter in der Schublade, so Wölke. Wie richtig dieser mit seinen Kassandrarufen liegt, zeigt ein Bericht der britischen Sonntagszeitung Observer vom 13. Mai, dem zufolge bis 2021 allein bei den Callcentern im Vereinigten Königreich bis zu 46.000 Arbeitsplätze verlorengehen werden…“ Bericht vom 13.06.2018 von Schattenblick externer Link über den 164. Jour Fixe der Hamburger Gewerkschaftslinken am 6. Juni im Curio-Haus an der Rothenbaumchaussee unter dem Motto „Hamburger Hafen: Arbeitserleichterung oder Stellenvernichtung“ und nun das zweite Interview:

  • Hafen Hamburg – politisch müde … Gerd Müller im Gespräch New
    “… SB: Im Welthandel hat es mit der Einführung der Container einen großen Strukturwandel gegeben, der einen erheblichen Druck auf die abhängig Beschäftigten ausgeübt hat. Viele von ihnen waren nicht mehr erforderlich, weil nicht mehr so viel Stückgut verladen wurde. Könntest du diese Entwicklung einmal aus deiner Sicht schildern? GM: Als ich 1972 im Hafen angefangen habe, waren wir 14.000 im Hafen Beschäftigte, die entweder beim Gesamthafenbetrieb oder bei Hafeneinzelbetrieben einen Job hatten. In dieser Zahl sind die Unständigen nicht eingerechnet. Inzwischen sind wir runter auf etwas über 5000. Das heißt, zwei Drittel der Hafenarbeiter sind weg. Das hat aber zu keinen großen Verwerfungen geführt, weil es in dem Sinne keine Entlassungen gab, sondern es wurde zum einen über sehr lukrative Altersteilzeitverträge, die damals nach dem Arbeitsförderungsgesetz ungeheuer bezuschußt wurden, geregelt. Auf diese Weise haben die Unternehmer ganze Belegschaften richtiggehend entsorgt und die Arbeitslosenkasse wurde gnadenlos geplündert. In den 1980er Jahren sind haufenweise Kollegen mit 55 Jahren gegangen, mit guten Regelungen der Fortzahlung der Bezüge. Aus diesem Grund hat es keine Entlassungswelle gegeben. Zum Teil wurde das auch aufgefangen durch Zuwächse im Containerumschlag, weil Ladungen nicht einfach weggefallen, sondern in den Container gewandert sind. Insgesamt, denke ich, liegt die Zahl der Leute, die eigentlich dazu gehören würden, deutlich höher als die 5000 nur im Hafen Beschäftigten, weil die Arbeit in die prekären, also etwa speditionellen und Logistikbereiche gewandert ist. Was wir früher mit den Schiffen gemacht haben Ladung entgegengenommen, zwischengelagert, ausgeliefert oder längerfristig eingelagert und bearbeitet -, wird jetzt im Container konzentriert, denn der Container ist ja nichts anderes als zur Verfügung gestellter Schiffsraum. Jetzt nimmt man einfach ein Schiff und fährt es woanders hin. Als noch konventionell gearbeitet wurde, war das Schiff der einzige Gegenstand und Arbeitsort. Jetzt ist der Arbeitsort aus dem Hafengebiet herausgenommen worden und teilweise ins Binnenland oder ins Umfeld des Hafens gewandert. Diese Leute nennt man nicht mehr Hafenarbeiter, obwohl es nach wie vor Hafenarbeit ist, die allerdings unter prekären Verhältnissen von nicht besonders qualifizierten Menschen geleistet wird. Ich will denen nicht zu nahe treten, aber es ist nun einmal so, daß sie nicht ausgebildet werden. Man sagt ihnen, stopft das in den Container rein oder holt das aus dem Container raus. Dadurch nimmt man wahnsinnige Qualitätsverluste in Kauf zum Beispiel in bezug auf die Ladungssicherung. Eigentlich müßte man sie zu den im Hafen Beschäftigten dazuzählen, denn früher waren das alles Hafenarbeiter. …“ Interview mit Gerd Müller vom 17.10.2018 von und bei Schattenblick externer Link
  • Ausgehebelt – vollautomatisierter Betriebsfrieden … Norbert Paulsen im Gespräch
    „… SB: Es hört sich an, als hätte die Wirtschaftsbehörde das Ganze auf Sparflamme gehalten. NP: Es hat sich keiner darum geschert. Die HHLA selber hat zum Beispiel auch mit angeboten, jedoch nur einen 6. Platz gemacht. Offenbar waren die anderen Ideen besser. Ein wesentlicher Punkt bei der Ausschreibung, der auch in der Beurteilung angeführt wurde, war die Wirtschaftlichkeit des Projektes für die Region im allgemeinen und für die Hamburg Port Authority (HPA) im besonderen. Der wichtigste Aspekt der erfolgreichen Bewerbung, der auch ein wesentlicher Unterschied zu den bisherigen Verhältnissen am Hamburger Hafen darstellt, ist, daß das chinesische Konsortium angeboten hat, sowohl die Infrastruktur als auch die Suprastruktur komplett aus der eigenen Tasche zu bezahlen. Das heißt, das Herrichten der Fläche, das Aufbauen von Anlagen auf dem Areal Steinwerder Süd wie zum Beispiel die Kaimauern, sollte nicht mehr von der Stadt finanziert werden – was 70 Jahre lang im Hafen üblich war -, sondern das würde das Konsortium selbst übernehmen. Dafür soll das Konsortium einen Pachtvertrag für mindestens 60 Jahre bekommen mit einer Erweiterungsmöglichkeit auf 99 Jahre. Das läuft auf eine Enteignung von Hamburger Staatseigentum hinaus. (…) SB: Als Teil der Anlage in Steinwerder Süd ist auch ein Logistikzentrum von Ali Baba geplant. Das heißt, von Hamburg aus würde das chinesische Versandsunternehmen auf europäischem Boden den Kampf mit dem amerikanischen Branchenprimus Amazon aufnehmen. Sehen wir das richtig? NP: Es sieht alles danach aus. Da kämpften dann zwei Große um den Kuchen, den es hier in Europa bzw. in Deutschland zu verteilen gibt. (…) SB: Wie stark ist der Widerstand im Hafen gegen dieses Vorhaben? NP: Der ist erheblich, sowohl seitens der Hafenbetriebe als auch der Arbeitnehmerschaft. Wir brauchen einen runden Tisch, an dem alle mitreden können, auch über die sozialen Gesichtspunkte, die in dem Ideenwettbewerb überhaupt keine Rolle spielten. Wenn solche Kriterien weiter mißachtet werden, dann ist das eine Kampfansage an die Beschäftigten. Dann werden wir auf die Straße gehen und dagegen massiv kämpfen. Wichtig ist uns dabei, daß wir Mitsprache bekommen, wie die Zukunft des Hamburger Hafens aussehen soll, speziell für Steinwerder Süd. Deswegen fordern wir einen runden Tisch, an dem dann sich die beteiligen Betriebsräte im Hamburger Hafen als auch die Vertrauensleute beteiligen können, um hier über die weitere Entwicklung des Hafens mitzubestimmen…“ Interview mit Norbert Paulsen vom 16.06.2018 von Schattenblick externer Link anlässlich des 164. Jour Fixe der Hamburger Gewerkschaftslinken am 6. Juni im Curio-Haus an der Rothenbaumchaussee unter dem Motto „Hamburger Hafen: Arbeitserleichterung oder Stellenvernichtung“
Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=133583
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