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Geburtshilfe – ein Tod auf Raten? Zur Situation der freiberuflichen Geburtshilfe

Dossier

Das haben Hebammen nicht verdient„Als am 5.Mai 2010 in dutzenden Städten Hebammen auf die Straße gingen und für bessere Arbeitsbedingungen protestierten, rückten sie für kurze Zeit in den Fokus der Medien. Empörung und Versprechen sich für Besserungen einzusetzen kamen von nahezu allen Seiten der deutschen Parteienlandschaft. Sowohl die mediale als auch parteipolitische Betroffenheit ebbte schnell ab und es fehlte ein erkennbarer Wille zur Veränderung der Situation. Wie auch andere soziale Berufe besitzt die Geburtshilfe das Manko, nicht für den Markt zu produzieren und kurzfristig verwertbare Erfolge zu erzielen und ist daher in den Zielsetzungen der Wirtschaftsstrategen und Gesundheitsmanager eine zu vernachlässigende Berufsgruppe. Aber gerade durch die außerklinische Geburtshilfe wird es Frauen ermöglicht, als aktiver Part selbstbestimmt eine Geburt zu durchleben und dies als Kraftreservoir für spätere Konflikte, vor allem in der tagtäglichen Auseinandersetzung innerhalb einer patriarchal geprägten Umwelt, zu nutzen. Dieser emanzipatorische Ansatz wird durch dreierlei Faktoren bekämpft: Durch den permanenten Anstieg der Kosten für die Berufshaftpflicht, eine Gebührenerhöhung auf Inflationsniveau, sowie durch die Zentralisierung und den Wegfall der flächendeckenden Versorgung zu Gunsten wirtschaftlich rentabler Perinatalzentren…“ Artikel von Benjamin Steilmann vom April 2012 im LabourNet-Archiv. Siehe dazu:

  • Die Arbeit einer Hebamme im kapitalistischen Gesundheitswesen New
    “… Woran spürst du im Alltag, dass du in einem kapitalistischen Gesundheitssystem arbeitest? In der Geburtshilfe ist der Profitdruck in den Krankenhäusern in den letzten Jahren vor allem dadurch extrem spürbar geworden, dass viele kleine Kreißsäle geschlossen wurden. Das bedeutet, dass die Kolleg:innen in den bestehenden Kreißsälen mehr abfangen müssen als sie können und viele Frauen, vor allem auf dem Land, teilweise über eine Stunde Fahrt zum nächsten Kreißsaal auf sich nehmen müssen. Das verschlechtert sowohl die Versorgung der Gebärenden als auch die Arbeitsbedingungen für uns Hebammen. Und so ist das bei vielen von diesen Sparmaßnahmen, die so spürbar sind. Geburten werden mit den Fallpauschalen (DRG-System) sehr gering vergütet. Die Geburtshilfe, als ein Bereich der eher wenig Pathologien betreut, erwirtschaftet wenig für das Krankenhaus. Im DRG-System muss aber Geld erwirtschaftet werden, weil daran wieder Personalschlüssel, Investitionen und sowas hängen. Deshalb wird auch bei einer normalen Geburt geguckt, was sich Pathologisches finden und dokumentieren lässt, um das mit abzurechnen. Da geht der Druck vor allem auf unsere ärztlichen Kolleg:innen, die müssen mega wirtschaftlich denken, um ihre Arbeit „richtig“ zu machen. Als Hebammen sind wir gespalten in Freiberufliche und Angestellte. Wenn wir Vorsorgen in der Schwangerschaft machen wollen oder Hausbesuche nach der Geburt, müssen wir uns dafür selbstständig machen, obwohl das eine total grundlegende Gesundheitsversorgung für Frauen ist. Also auch als Hebamme muss man wirtschaftlich denken und erlebt ständig die Zerrissenheit zwischen dem Wohlergehen der Frauen und Neugeborenen oder dem was sich finanziell lohnt. Wenn man anfängt darüber nachzudenken, wo der Kapitalismus im Gesundheitssystem spürbar ist, merkt man wie umfassend das ist. Das sind Sachen, bei denen fast alle denken, dass sie normal sind. Zum Beispiel, dass die Reinigungskräfte und die Beschäftigten aus der Wäscherei nicht am Krankenhaus angestellt sind, sondern in externen Firmen, denn das ist billiger für‘s Krankenhaus. Das ist Outsourcing und so profitorientiert. Zum Beispiel ist die Wäscherei für unser Krankenhaus in Österreich, weil das billiger ist. In einem Winter mit viel Schnee, hatten wir phasenweise richtig lang keine Wäsche, weil die Wäscherei Lieferschwierigkeiten wegen dem Schnee hatte. Wie komisch ist das denn alles? Das ist so eine krasse Umweltbelastung und so sinnlos, dass das nicht hier in München gemacht wird. Die Strukturen sind total durcheinander und widersprüchlich – Arbeitskraft wird verbraucht, ohne dass es ein sinnvolles Konstrukt gibt; es werden immer nur Löcher gestopft. So ist es auch allgemein mit dem Gesundheitssystem. Es gibt da auch einfach keinen Rahmen für präventives Arbeiten, keine Kapazitäten. Wir als Hebammen versuchen das so gut wie es geht in die gesamte Frauengesundheit einzubauen. Aber natürlich müssen wir auch in einem kapitalistischen Gesundheitssystem arbeiten. Ich hasse es und finde es so zermürbend, das die ganze Zeit zu spüren. Ich kann es immer nur bestmöglich machen, aber gut kann ich es nicht machen. Das ist so frustrierend täglich diese Grenzen zu spüren und zu wissen, dass es besser gehen würde …“ Interview von Charlotte Ruga mit Leoni vom 07.02.2021 bei Klasse gegen Klasse externer Link
  • [Internationaler Hebammentag] Es brennt in der Geburtshilfe. Der Deutsche Hebammenverband warnt vor der Unterversorgung von Schwangeren 
    „Ein Wohnhaus brennt, mehrere Löschfahrzeuge sind vor Ort. Plötzlich lassen einige Feuerwehrleute die Wasserschläuche fallen. Und fahren zu anderen Einsätzen. Das Haus brennt weiter. Kurz darauf wird die örtliche Feuerwache geschlossen. Wäre dies Wirklichkeit, würden Tausende Menschen auf die Straße ziehen und für mehr Feuerwehrleute demonstrieren. Die Politik stünde enorm unter Druck. Anders ist das in der Geburtshilfe. Hebammen rennen von einem Einsatz zum nächsten, betreuen oft mehrere Frauen gleichzeitig. Über Jahre hinweg wurden Kreißsäle geschlossen – rund 40 Prozent zwischen 1991 und 2010, also mehr als ein Kreißsaal pro Monat. Grund waren nicht nur sinkende Geburtenraten, sondern auch Sparmaßnahmen. Etwa von 2012 bis 2016 stieg die Geburtenziffer. Heute sind Hebammen überarbeitet, Frauen und ihre Neugeborenen sind häufig unterversorgt. (…) Anlässlich des Internationalen Hebammentags am 5. Mai warnt der DHV vor einer weiteren Verschlechterung. »Die Situation im Kreißsaal ist mittlerweile so dramatisch, dass einzelne Maßnahmen nicht helfen werden. Wir brauchen ein Geburtshilfe-Stärkungsgesetz«, so DHV-Präsidentin Ulrike Geppert-Orthofer. (…) Das Motto des Hebammentags, den es seit 1992 gibt, kommt vom internationalen Dachverband. Dieses Jahr lautet er: »Hebammen verteidigen Frauenrechte«. Der Slogan wendet sich somit gegen frauenfeindliche politische Kräfte, die weltweit an Bedeutung gewinnen. Während Konservative und Faschisten viel Nachwuchs für ihre Nation wollen, versuchen sie, die Rechte von Frauen und Arbeiter*innen einzuschränken und zurück zu drängen. (…) Robert Manu meint, die Politik habe das »Frauenthema und den Frauenberuf Hebamme« seit Jahren ignoriert, trotz Unterstützung aus der Bevölkerung. Wann sich wirklich etwas tut, hinge letztlich davon ab, wie viel öffentlicher Druck aufgebaut werden kann, so Manu. Dass es diesen Druck braucht, ist keine Frage. Andernfalls wird die Unterversorgung in der Geburtshilfe bald zum Flächenbrand.“ Beitrag von Lotte Laloire bei neues Deutschland online vom 5. Mai 2019 externer Link
  • Ausbeutung im Kreißsaal
    Deutsche Geburtshelferinnen beklagen zunehmend schlechtere Arbeitsbedingungen in Kliniken / Auch Gebärende leiden unter personellen Missständen / Deutscher Hebammenverband fordert mehr Personal und bessere Bezahlung
    Die Hebammen klagen über eine zunehmende Belastung durch den Personalmangel in Kreißsälen. Wie aus einer am Montag in Berlin veröffentlichten Umfrage des Deutschen Hebammenverbandes (DHV) hervorgeht, muss die Hälfte der Befragten häufig drei Frauen gleichzeitig betreuen. Jede fünfte Geburtshelferin kümmert sich sogar parallel um vier und mehr Frauen. Das unabhängige Picker-Institut befragte im Auftrag des DHV insgesamt knapp 1700 angestellte Hebammen zu ihrer Arbeitssituation in Kliniken. Besonders dramatisch sei, dass kaum noch eine Hebamme Zeit habe, eine Frau während der gesamten Geburt ungestört zu betreuen, kritisierte der Verband
    …“ Meldung vom 01.02.2016 in Neues Deutschland online externer Link
  • Hausgeburt als Anomalie. Hebammenverband kritisiert Schiedsspruch, der zahlreiche Ausschlusskriterien festschreibt
    Freiberufliche Hebammen sind seit langem unter Druck. Diejenigen unter ihnen, die überhaupt noch direkte Geburtshilfe und Begleitung von Hausgeburten anbieten, müssen so hohe Haftpflichtbeiträge zahlen, dass sie kaum noch ihre Existenz sichern können (siehe dazu auch jW vom 3.7.). Darüber hinaus verlangt der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) die Festlegung von Voraussetzungen, unter denen Frauen eine Hausgeburt erlaubt sein soll. Diese Kriterien hatte der Deutsche Hebammenverband (DHV) wiederholt als fachlich nicht gerechtfertigt kritisiert. Dennoch hat eine Schiedsstelle der GKV sie nun mit einer am 25. September getroffenen Entscheidung bestätigt. Der Schiedsspruch legt aber auch fest, dass Hebammen, die nur wenige Geburten betreuen, entlastet werden sollen, wie der Spitzenverband am Montag mitteilte. Demnach müssen sie nur vier geburtshilfliche Leistungen pro Jahr erbringen, damit sie die Kosten für die Berufshaftpflicht von den Kassen finanziert bekommen…“ Artikel in junge Welt vom 02.10.2015 externer Link
  • Prämienspirale dreht sich weiter: Hebammen beklagen Verhandlungstaktik der Krankenkassen und teure Versicherungen
    Am 1. Juli 2015 steigt die Haftpflichtprämie für freiberufliche Hebammen um weitere 23 Prozent auf 6274 Euro. Das vergrößert die Sorge der Expertinnen um die Entwicklung der Geburtshilfe. Artikel von Ulrike Henning im neuen deutschland vom 30. Juni 2015 externer Link. Aus dem Text: „… Der Vorwurf der Kassen, die letzte Woche die Schiedsstelle anriefen, lautet: Die Berufsverbände hätten im gesamten Monat Juni nicht für Verhandlungen zur Verfügung gestanden. Eine nahtlose Anschlussregelung sei damit verhindert. Jeschke hingegen wirft den den Kassen eine seit dem vorigem Jahr andauernde Hinhaltetaktik vor. Zunächst sei nur mit einem kleinen Hebammenverband verhandelt worden. Die schließlich erfolgreiche Klage dagegen habe ein Dreiviertel Jahr gekostet. Im Januar 2015 wurden den Hebammen – bei Vorliegen abschlussreifer Verträge – vorgeworfen, dass sie quasi eine »gefährliche Geburtshilfe« wollten, weil sie bestimmte Ausschlusskritierien für Entbindungen zu Hause ablehnten…
  • Freiberufliche Hebammen sorgen sich um ihre Zukunft – Kongress in Mannheim
    Hebammen-Streik in KölnWo möchte ich mein Kind zur Welt bringen – in der Klinik, in einem Geburtshaus oder zu Hause? Noch haben Frauen die Wahl. Doch der Deutsche Hebammenverband (DHV) schlägt Alarm: Schwangere könnten künftig keine Hebamme mehr finden; ein jahrhundertealter Beruf stehe vor dem Aus. Die überproportional gestiegenen Haftpflichtprämien bei gleichzeitig viel zu geringer Vergütung seien die Ursache dafür, dass viele Hebammen von ihrer Arbeit nicht mehr leben könnten.Vor allem freiberufliche Hebammen sorgen sich um ihre Zukunft. Ab dem kommenden Juli zahlen sie rund 6300 Euro Versicherungsprämie; das sind 23 Prozent mehr als bisher. Doch nicht nur Hebammen geben reihenweise auf: Auch Frauenärzte steigen aus der Geburtshilfe aus, weil sie sich ihre Haftpflichtversicherung nicht mehr leisten können.Über 2000 Hebammen und Frauenärzte trafen sich am Wochenende in Mannheim beim Kongress „Geburtshilfe im Dialog“, um die Situation zu erörtern…“ Artikel von Sabine Hebbelmann in der Rhein-Neckar-Zeitung vom 02.03.2015 externer Link
  • Filmtipp: Reportage im Ersten – Hebamme am Limit
    „Anja Lehnertz ist die letzte übrig gebliebene Beleg- und Hausgeburtshebamme in der gesamten Umgebung von Trier an der Mosel. Ständig klingelt ihr Telefon. Werdende Mütter wollen ihre Unterstützung. Doch ihr Terminkalender ist meistens voll.“ Video Stream vom 07.02.2015 in der ARD Mediathek externer Link
  • Versicherungsprämien für Hebammen: Freie Geburtshilfe wieder möglich
    Der Kampf der freiberuflichen Hebammen hat sich gelohnt: Geburtshelferinnen müssen zwar höhere Versicherungen zahlen. Aber die Kassen übernehmen einen Teil davon. Artikel von Simone Schmollack in der TAZ vom 10.07.2012 externer Link
  • Was ist los am 5. Mai 2012 – dem Internationalen Hebammentag?
    „Bundesweit sind vielfältige Aktionen geplant. Sie reichen von Demonstrationen über Kundgebungen, Infostände, über Zukunftsdiskussionen bis zu Filmveranstaltungen. Bitte informieren Sie sich zeitnah zum 5. Mai über die Homepages der Länder oder bei Ihren Landesvorsitzenden, denn manche Aktionen finden bereits am Vortag statt….“ Eine Übersicht der Aktionen findet sich beim Deutschen Hebammen Verband e.V. externer Link
Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=16625
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