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Updated: 18.12.2012 15:51
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Fliegen um jeden Preis?

Rolf Engelke* über die Pseudo-Jobmaschine Flughafen und die Einkehr kapitalistischer Normalität im Edel-Business

Wer hierzulande dem Volke Arbeitsplätze verspricht, der verspricht sich davon, dass ihm die Herzen zufliegen. Das gilt nicht nur für Krisenzeiten, das gilt auch nicht allein für den gegenwärtigen Vorwahlkampf, wo eine Allparteienkoalition mit dem »Thema Nr. 1«, dem »Arbeitsplatzthema«, auf Stimmenfang geht: Alles, was Arbeit schafft, ist »sozial«, tönt es von Schröder bis Merkel. Und so wird die permanente Aushöhlung sozialer Standards von der herrschenden Politik als sich letztlich auszahlende soziale Wohltat verkauft. Denn allein die »Vollkasko-Mentalität« am Standort Deutschland verhindere das geforderte Wirtschaftswachstum. Die »rot-grüne« Regierung hat mit der beschleunigten Zerstörung sozialstaatlicher Regularien begonnen; das aktuelle CDU-Wahlprogramm verspricht, diese Politik fortzuschreiben - aber natürlich viel effektiver als die nach sieben Jahren Regierung und Sozialdemontage ausgebrannten »Rot-Grünen«.

Auch der geplante Ausbau des Frankfurter Flughafens, der um eine zusätzliche Landebahn, ein Terminal und eine Wartungshalle für den Großraum-Airbus A-380 erweitert werden soll - im September soll mit den Rodungen für den Bau der Halle und mit dem Erörterungstermin für das Landebahnprojekt begonnen werden -, wird als »soziale Wohltat« angepriesen. Als angebliche »Jobmaschine« der Region verspricht der Flughafenausbau Arbeitsplätze in geradezu unglaublichen Dimensionen zu schaffen. Schon die Mediation zur Flughafenerweiterung kam in ihrem ökonomischen Teil zu dem Ergebnis, dass bei einem Ausbau »mit voller Kapazität« 57 000 neue (sic!) Arbeitsplätze am Flughafen und in der Region entstehen würden. Im Kleingedruckten des entsprechenden Gutachtens ist allerdings zu lesen: »Lediglich bei einem marktgerechten Anstieg der Flugbewegungen ist mit einem weiteren Wachstum von Beschäftigung und Einkommen zu rechnen.« [1] Da ein Nachtflugverbot beispielsweise eine »nicht-marktgerechte« Einschränkung der unternehmerischen Freiheit der im Luftverkehr tätigen Betriebe mit sich bringt, stehen die freihändigen Prognosen der Mediation unter Vorbehalt.

Das hält die Ausbaubefürworter keineswegs davon ab, weiterhin mit gigantischen Arbeitsplatzversprechen Stimmung und Politik zu machen. »Wir schaffen jeden Tag vier neue Arbeitsplätze!« Wenn diese von FRAPORT-Arbeitsdirektor Michel produzierte Schlagzeile (FR, 15. Februar 2001) irgendeine Realität transportieren würde, müssten am Flughafen mittlerweile mindestens zehntausend Beschäftigte mehr als die z.Zt. ca. 63 000 ihr Auskommen finden. Aber im Endergebnis kommt es offensichtlich auf einige Zehntausende mehr oder weniger nicht an. Der Vorstandsvorsitzende von FRAPORT, Bender, verdoppelte Ende 2003 kurzerhand die Mediationszahlen und setzte die Zahl von 100 000 zusätzlichen Arbeitsplätzen (bis 2015) in die Welt. Für den Fall, dass »der Ausbau der Flughafeninfrastruktur unter ökologischer Abwägung« zugleich die A 380-Halle und ein weiteres Terminal mit umfasse. (Vgl. www.verkehrsforum.de/publikationen/netinfo/netinfo0363.html externer Link)

Die schöne heile Flughafenwelt: Welche Arbeit hat der Airport im Angebot?

Interessanter als die haltlosen und eindeutig vom Ausbauinteresse diktierten Arbeitsplatzprognosen ist die Frage, welche Art von Arbeit der Flughafen im Angebot hat. Es handelt sich dabei offensichtlich nicht allein um gut bezahlte und Prestige versprechende Tätigkeiten wie Flugkapitän oder den »Traumjob« Stewardess. Die frühere ÖTVGewerkschaftssekretärin Regina Bickert wies in einem Beitrag in »Turbulenzen. Widerstand gegen den Ausbau des Rhein-Main-Flughafen« (Trotzdem Verlag, Grafenau 2002) darauf hin, was sich »hinter den Glitzerfassaden des Flughafen wirklich abspielt.« Einige Beispiele zu den wenig sauberen Arbeitsverhältnissen auf Rhein-Main-Airport, die sich vor allem in den Betrieben finden, die die FRAPORT aus ihrem Unternehmen outgesourct hat, um als selbst geschaffene Billigkonkurrenz auf die FRAPORT-Beschäftigten Druck ausüben:

  • Die große Masse der Beschäftigten im Sicherheitsdienst arbeitet mittlerweile bei »Drittanbietern« zu weit schlechteren Bedingungen als die FRAPORT-Angestellten. Bei den Firmen Securitas, Piepenbrock etc. werden die Beschäftigten zwar in der Regel nach Tarif bezahlt; doch die Angestellten des privaten Wach- und Sicherheitsgewerbes erhalten tariflich selbst im »Hochlohnland« Hessen teilweise unter sechs Euro pro Stunde, so eine aktuelle Übersicht des Bundesministeriums für Wirtschaft und Arbeit (Bundesregierung auf eine kleine Anfrage vom 19. April 2004 (Bundestagsdrucksache 15/2932)). Und selbst diese miesen Tarifverträge werden, so Regina Bickert, nicht immer eingehalten. Wenn die Beschäftigten arbeitsgerichtlich gegen die Verletzung der Tarifverträge vorgehen, sind sie nicht selten zugleich ihren Job los. »Die Kollegen aus den Wachdiensten stehen neben den Toilettenreinigern am unteren Ende der Hierarchie des Ansehens, und das hat damit zu tun, dass sie insbesondere eingesetzt werden, die Beschäftigten ... zu bewachen und zu bespitzeln«, so Regina Bickert.
  • Im Frachtumschlagbereich arbeiten die KollegInnen oft unter geradezu haarsträubenden Arbeitsbedingen, vor allem in den Betrieben, die nicht unter die Tarifverträge des Öffentlichen Dienstes fallen. Es ist »keine Seltenheit, dass Dienstpläne über 28, 29 Tage im Monat gehen, an sieben Tagen in der Woche im Drei-Schicht-Betrieb gearbeitet wird, ohne einen einzigen freien Tag und das bei schwerster körperlicher Arbeit«. Ein wahrer »Horrorjob« ist die Arbeit an der Rampe, im Jargon der Beschäftigten als »Straflager« bezeichnet, wo nahezu ausschließlich prekär Beschäftigte mit befristeten Arbeitsverträgen tätig sind. »Die Leute müssen acht Stunden lang, teilweise auf engstem Raum und in gebückter Haltung, Gepäckstücke über Kopf in Flugzeuge hieven und das unter totalem Stress.« Renate Bickert schließt mit der Frage: »Kann eine Gesellschaft wirklich Arbeit um jeden Preis wollen?«
  • Kein Wunder, dass am Flughafen auch der Ein-Euro-Job als neueste soziale Errungenschaft der bundes-deutschen Arbeitswelt Einzug hält. Derzeit betreut ein Team von - zunächst 18 - Langzeitarbeitslosen als »internationale Gästebetreuer« ankommende Touristen. In adretten »blau-gelben Uniformen«, die Sprachkenntnisse »aufgefrischt« und nach »Stilberatung« werden sie mit den Ansprüchen der »Gäste« vertraut gemacht. Vorausgesetzt werden freilich »Vorkenntnisse aus dem kaufmännischen oder dem Servicebereich « und Fremdsprachen wie Spanisch oder Russisch. Und das für Arbeitslosengeld zzgl. ein oder zwei Euro; für die Flughafenbetreiber eine Serviceleistung umsonst, sie zahlen keine müde Mark für hochqualifizierte Arbeitslose.

»Kostensenkung« 2005: FRAPORT-Beschäftigte unter Hochdruck

Mittlerweile hat die FRAPORT AG unter dem Stichwort »Kostensenkung« die Angriffe auch auf die Arbeitsbedingungen ihrer eigenen, (noch) nicht outgesourcten Beschäftigten intensiviert und ausgedehnt. Ganz oben auf der Streichliste des Projekts mit dem viel versprechenden Namen »Effizienz-Programm: Wir machen Fraport fit« steht eine »breit angelegte Kostensenkungs-Kampagne « (FinanzNachrichten, 19. Januar 2005). Diese soll zu einer Personalkostenersparnis von 70 bis 100 Mio. Euro beitragen. Inhaltlich zielt dieses Programm auf Änderungen der Arbeitszeiten, Tarifstrukturen und betrieblichen Sozialleistungen. Selbstverständlich sollen nach alter Flughafen-Tradition auch die Beschäftigten und die Gewerkschaften selbst in diesen Sozialabbau mit einbezogen werden: In 30 »Mitarbeiter-Dialogen« sollen bei der Suche nach Wegen, »die Kostenstrukturen dauerhaft wettbewerbsfähiger zu machen«, die MitarbeiterInnen »intensiv eingebunden« werden. Zeichnet doch für den Personalbereich bei FRAPORT auf der Arbeitgeberseite mit Herbert Mai der ehemalige bundesdeutsche ÖTV-Vorsitzende selbst verantwortlich. Für die Beschäftigten heißt das im Klartext: »Neue (?) Arbeitsplätze sind ... nur durch Mehrarbeit ohne Lohnausgleich, flexiblere Arbeitszeiten, geringere Urlaubsdauer und andere Zugeständnisse der Belegschaft zu erreichen.«

Im Mai 2005 stimmte der FRAPORT-Betriebsrat unter verdi-Führung einem »Zukunftsvertrag 2010« zu. Erkauft mit der vagen Zusage, auf betriebsbedingte Kündigungen bis 2010 zu verzichten, wird die Streichung übertariflicher Leistungen, eine Verlängerung der tariflichen Arbeitszeiten und eine »Anpassung« der Einstiegsgehälter (nach unten) auf die Agenda gesetzt. »Ein Kompromiss, der sich sehen lassen kann«, so die Betriebsratsmehrheit in verdi FRAPORT-News, Nr. 2/2005. »Mehrarbeit gegen Job-Garantie« nennt dies die FAZ (25. Mai 2005). Und als besonderer Leckerbissen für die FRAPORT-Eigner: »Der Einsatz von Fremdpersonal bei den Bodenverkehrsdiensten kann bis zu 23 Prozent des Stammpersonals erreichen.« Das heißt konkret: Der Anteil der Niedriglohnarbeit kann verdoppelt werden; »dadurch werden die als teuer geltenden Angestelltenverträge des Öffentlichen Dienstes umgangen.« (Financial Times Deutschland, 26.Mai 2005) Freie Fahrt für einen weiteren Schub in Richtung Outsourcing. So werden sie allmählich stumpf, die glänzenden Fassaden der FRAPORT-Arbeitswelt.

Die aktuellen Bestrebungen von FRAPORT, »konkurrenzfähige Kostenstrukturen durch zusetzen« (Handelsblatt, 31. Mai 2005), widerlegen nachdrücklich die fromme Legende, der Frankfurter Flughafen habe als »Jobmaschine « die Aufgabe, möglichst zahlreiche und gut bezahlte Jobs anzubieten. Eine Legende, die nicht nur von findigen Werbeagenturen, sondern aus den höchsten politischen Etagen verbreitet wird, und auf die besonders von den Gewerkschaften (immer noch) positiv Bezug genommen wird.

Entgegen dieser Selbstinszenierung ist Rhein-Main-Airport ein »ganz normales« kapitalistisches Großunternehmen und handelt nach allgemein üblichen betriebswirtschaftlichen Methoden und aus einer schlichten Interessenlage heraus: Erwirtschaftung von möglichst hohen Renditen bei möglichst niedrigen Personal- und Sachausgaben; dementsprechend werden Verschlechterungen der Konkurrenzbedingungen an die Beschäftigten weiter gegeben. Ziel der Flughafenerweiterung ist also keineswegs die Schaffung zusätzlicher Arbeitsplätze, im Gegenteil: je weniger Arbeitskosten, desto besser, desto profitabler. Der durch den Börsengang von FRAPORT eingeleitete Privatisierungsprozess wird diese Tendenz zunehmend klarer zutage treten lassen.

Nachtrag aus aktuellem Anlass:

Der gerade durch die Medien verbreiteten Auffassung, dass die FRAPORT-Beschäftigten sich angesichts des Gespensts »Globalisierung « sang- und klanglos den Zumutungen ihres Managements beugen müssten, widerlegt der jüngste Streik am Flughafen London-Heathrow. Hier gelang es den mit Entlassung bedrohten Beschäftigten des weltweit agierenden Cateringunternehmens Gate Gourmet, unterstützt durch einen »illegalen « Solidaritätsstreik großer Teile der Bodenangestellten der British Airways, »ihre« Unternehmensleitung massiv unter Druck zu setzen (s. express, S 1f.). Aufgrund eines 24-stündigen Ausstands brach der Flugverkehr von und nach Heathrow mitten in der Urlaubszeit für mehrere Tage komplett zusammen. »Niederschmetternd« (Handelsblatt, 24. August 2005) für British Airways und Anlass für gehässige Beschimpfung der »rückständigen« Belegschaften, aber auch ein deutliches Signal für die »beachtliche Produktionsmacht« [2] der Beschäftigten - gerade in den Sektoren des Luftverkehrs. Diese sollten sie sich nicht durch ein blindes Vertrauen auf die »Erfolge« eines eifrigen Co-Management ihrer Betriebsräte aus der Hand nehmen lassen.

* Rolf Engelke arbeitet im AKU (Arbeitskreis Umwelt) Wiesbaden mit (siehe
www.aku-wiesbaden.de externer Link). Der Beitrag basiert auf einem Flugblatt, das für den express aktualisiert und erweitert wurde.

Erschienen im express, Zeitschrift für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit, 8/05


(1) Hujer/Kokot: »Einkommens- und Beschäftigungseffekte des Flughafens Rhein/Main - Status-Quo-Analyse und Szenrien«, Frankfurt/M. 1999, S. XIX

(2) Berverly J. Silver: »Forces of Labor. Arbeiterbewegungen und Globalisierung seit 1870«, Hamburg, Berlin 2005, S. 157


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