letzte Änderung am 10. Okt. 2002

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Schlecker und die Schokoriesen

»Herzlich willkommen, Sie betreten rechtsfreies Gelände!« – so müsste es im Eingangsbereich der Schleckerfilialen heißen. Denn noch immer behindert Schlecker in zahlreichen Filialen die Arbeit der legalen Interessenvertretungen, die sich mittlerweile gebildet haben. Aus den rechtskräftigen Verurteilungen aus dem Jahr 1996 hat die Firma offenbar nichts gelernt. Damals waren Firmeninhaber Anton Schlecker zu 1,5 Mio. und seine Frau Christa zu 500000 DM Strafe, jeweils in Verbindung mit zehn Monaten Bewährungsstrafe verurteilt worden – für die Missachtung der Rechte von Belegschaften und Interessenvertretungen. Aus den gleichen Gründen erhielten u.a. der Vertriebsleiter 100000 DM Strafe bei sechs Monaten Bewährung und der Personalleiter 37500 DM Strafe. Jetzt steht Schlecker erneut vor Gericht wegen willkürlicher Gehaltskürzungen bei Betriebsrätinnen und einem Hausverbot für die Betriebsrätin Ilse Auer in Heidelberg – nur ein Beispiel von vielen.

 

Schon oft hat die Firma Schlecker von sich reden gemacht. Miserable Arbeitsbedingungen, Verhinderung von Betriebsratswahlen oder Bezahlung unter Tarif: Dafür ist die Drogeriemarktkette in der ganzen Republik bekannt. Erst nach einer langen, bundesweiten Kampagne der damaligen Gewerkschaft HBV konnte Schlecker dazu gezwungen werden, Betriebsratswahlen zuzulassen. Seither wird immer wieder von Einschüchterungsversuchen gegenüber den gewählten Betriebsratsmitgliedern berichtet. So sieht sich der Schlecker-Betriebsrat in Heidelberg-Kirrlach seit über einem Jahr üblen Schikanen durch den Bezirksleiter Neupert ausgesetzt.

Auch bei einem Gütetermin am 16. September am Heidelberger Arbeitsgericht musste über eine sehr ungewöhnliche Kündigung im Hause Schlecker verhandelt werden. Über fünfzig Schlecker-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeiter sowie Betriebsratsmitglieder anderer Betriebe aus der gesamten Rhein-Neckar-Region verfolgten gespannt die Verhandlung.

Eine Filialleiterin aus Hambrücken bei Karlsruhe und Mitglied des Betriebsrats Heidelberg-Kirrlach hatte Ende Juli Unglaubliches erlebt. Ein Revisor der Firma Schlecker besuchte sie in ihrer Filiale, hielt ihr eine leere Bonbontüte hin und beschuldigte sie, die Tüte aus dem Regal genommen und den Inhalt verzehrt zu haben. Außerdem habe sie von einer Kundin sechs Euro für zwei Schachteln Zigaretten erhalten, diese aber nicht in die Kasse eingetippt. Vor einer herbeigerufenen Polizistin musste Sie sich auf der Toilette ausziehen und wurde sogar im After nach weiterem Diebesgut untersucht. Anschließend erhielt sie Hausverbot in ihrer Filiale und wurde von der Arbeit freigestellt. Die Kollegin bestreitet vehement die gegen sie erhobenen Vorwürfe, und der Betriebsrat verweigert die Zustimmung zur Kündigung.

Bei der Verhandlung wurde die ganze Absurdität des Schlecker-Vorgehens deutlich: Der Schlecker-Revisor hatte sich um 7.50 Uhr unbemerkt in den Verkaufsraum geschlichen und die Mitarbeiterin aus seinem engen Holzverschlag durch ein kleines Loch in der Wand beobachtet - bis er um 13.30 Uhr endlich etwas beobachtet haben will. Nämlich den unrechtmäßigen Verzehr einer Tüte Storck Schokoladenriesen sowie die Unterschlagung des erhaltenen Gelds für zwei Schachteln Marlboro Light in Form eines Fünf-Euro Scheins und zwei Fünfzig-Cent Münzen. Bei der Ganzkörperuntersuchung durch die Polizei wurden später sechs Euro zehn Cent in Form von Münzen bei der Betriebsrätin gefunden, der Geldschein war spurlos verschwunden. Und dass die von Schlecker angedrohte Untersuchung auf Fingerabdrücke positiv ausfallen könnte, wäre kein Wunder: Der Revisor hatte die Mitarbeiterin lauthals aufgefordert, die Schokoladenriesen-Tüte samt Einwickelpapier genau zu untersuchen, weshalb sie diese in die Hand genommen hatte. Also verwarf der Richter die von Schlecker geforderte Möglichkeit, die Bonbontüte nach allen Regeln der kriminaltechnischen Kunst zu untersuchen. Bei den bei ihr gefundenen Münzen handelte es sich um das Rückgeld eines morgendlichen Einkaufs bei der Bäckerei gegenüber, betonte die Beschuldigte. Dem Gericht wurden Fotos des Tatorts vorgelegt, auf denen zu sehen war, dass zwischen dem Regal mit den Schokoriesen und dem Beobachtungsposten des Revisors ein Verkaufsständer für Kaugummi die Sicht versperrte.

Das Vergleichsangebot des ver.di-Anwaltes, die Kündigung zurückzunehmen und in Absprache mit dem Betriebsrat eine Überwachungskamera in der Filiale zu installieren, wurde von der gegnerischen Seite rigoros abgelehnt. Schlecker habe Angst, sein Gesicht zu verlieren. Da fragt man sich, was da noch zu verlieren ist.

Das Arbeitsgericht versprach, nach einer Inspektion des Tatorts so schnell wie möglich einen zweiten Verhandlungstermin festzusetzen, um ein Urteil über die Sache zu fällen. Bis dahin wird die Betriebsrätin in Ungewissheit über ihre Zukunft leben müssen.

AST
Informationen über: Mia Lindemann, ver.di-Sekretärin, Fachbereich Handel, Mannheim/Heidelberg, Tel. (0621) 1254-270

Erschienen im express, Zeitschrift für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit, 9/02

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