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Arbeitskampf im Berliner Call Center "AudioService"

Ca. 30 Call Center [1] Agents [2] fordern Anerkennung ihrer Arbeitsverhältnisse — die Geschäftsführung besteht auf "befristeten Tagesarbeitsverhältnissen" und antwortete mit bislang 14 Kündigungen (bei insgesamt ca. 70 Beschäftigten).

Die AudioService GmbH ist ein Unternehmen der "Zweiten Hand", dem Gratis-Kleinanzeigenblatt in Berlin. Unter den ca. 70 Beschäftigten sind sehr viele, die sich mit dem Job ihr Studium finanzieren. Diese Student/inn/en arbeiten hauptsächlich im Inbound, [3] wo AudioService für Auftraggeber wie z.B. das Theater des Westens die Tickethotline anbietet. Auch wer Karten für ein Spiel der "Eisbären" (Eishockey) oder von Herta BSC (Fußball) will oder beim BVG-Club (ÖPNV), bei der Siemens Ausbildungshotline oder der Störungsstelle für‘s Kabel-TV anruft, landet bei Call Center Agents von AudioService. Bei AudioService wird 7 x 24 Stunden die Woche gearbeitet, dafür bekommen die allermeisten Call Center Agents 15,- DM brutto pro Stunde (egal ob Tags, Nachts, Werktags oder am Wochenende), davon bleiben den Studierenden 13,50 DM netto (wenn sie nicht mehr als 20 h/Woche arbeiten) [4].

Selbstverständlich hat die Arbeit der Call Center Agents bei AudioService die üblichen Merkmale von Lohnarbeit: Schichtplan, Ankündigungsfristen für Urlaub, weisungsgebundenes Arbeiten an einem festgelegten Arbeitsplatz... Juristisch-papierene Grundlage der Arbeit bei AudioService ist aber ein "Rahmenvertrag", der die Fiktion einer Lieferbeziehung herstellen soll: AudioService kann (muss aber nicht) dem/der jeweiligen Agent Arbeit anbieten; der/die Agent kann (muss aber nicht) die Arbeit annehmen. Trotzdem existieren schriftliche Anweisungen denen zu Folge jede/r Agent mindestens zwei und höchstens drei Schichten pro Woche arbeiten muss.

Das bedeutet, dass AudioService weder Urlaub bezahlt, noch Lohnfortzahlung im Krankheitsfall leistet, Agents schon mal von heute auf morgen keine Arbeit mehr bekommen (kalte Kündigung) oder einer schwangeren Kollegin genau einen Tag vor Beginn des Mutterschutzes gekündigt wird. So bekam die Geschäftsführung vor ein paar Jahren z.B. Wind vom Versuch einen Betriebsrat zu gründen und kündigte wen sie für Rädelsführer hielt.

Aktueller Anlass: befristete Tagesarbeitsverhältnisse und ein Call Center Agent Treffen

Schon immer mussten die Agents als Grundlage der Lohnabrechnung einen Abrechnungszettel über ihre Arbeitsstunden führen, vom Vorgesetzten gegenzeichnen lassen und unterschreiben. Inzwischen steht auf diesem Abrechnungszettel noch vor der Tabelle für die Arbeitszeiten:"Gemäß der zwischen der AudioService GmbH und Herrn/Frau ... geschlossenen Rahmenvereinbarung vom ... werden an den unten aufgeführten Tagen jeweils befristete Tagesarbeitsverhältnisse geschlossen. Das befristete Arbeitsverhältnis beginnt mit der für den jeweiligen Tag angegebenen Beginn Uhrzeit und endet automatisch mit der angegebenen Beendigungszeit, ohne dass es einer Kündigung bedarf."

Diese tägliche Entwürdigung fiel zeitlich mit einer Reihe von Call Center Agent Treffen zusammen, die vom "güPt" [5] initiiert wurde und die inzwischen unter dem ironischen Titel "Call Center Offensive" [6] firmiert. Die Treffen bewirkten zum einen eine Selbstwusstseinsbildung: Sich selbst auch als Lohnarbeiter/in wahrzunehmen, im Fall der Agents bei AudioService als selbst für Call Center Agents schlecht bezahlte Call Center Agents. Zum anderen boten die Treffen einen Ort gedanklichen Probehandelns; in einem Fall war ein Rechtsanwalt eingeladen, um über die Gesetzeslage und juristische Möglichkeiten zu informieren.

Im Ergebnis wurde der Geschäftsführung von AudioService am 24. Juli ein Brief überreicht. Mit diesem Brief fordern 30 (!) Agents die "Liebe Geschäftsleitung" auf über unbefristete Verträge (angelehnt an die zwei, drei unbefristeten Call Center Agent Verträge, die es bei AudioService gibt, was eine Lohnerhöhung um 3,-/h bedeuten würde) mit Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, bezahlten Urlaub und Feiertags- bzw. Nachtschichtzuschläge zu verhandeln. Tags darauf wurden die ersten vier Agents entlassen, mit Hausverbot belegt und von Geschäftsführung und deren Anwalt aus dem Gebäude begleitet. Seit dem lädt die Geschäftsführung die Agents einzeln zu Gesprächen ein, in denen sie aufgefordert werden, die Stundenabrechnung zusammen mit dem Tagesarbeitsverhältnispassus zu unterschreiben. Die meisten baten sich Bedenkzeit aus. Am 27. Juli wurde der Geschäftsführung ein weiterer Brief übergeben, in dem 17 Agents, die zu diesem Zeitpunkt noch nicht gekündigt waren, die Geschäftsführung auffordern, die Kolleg/inn/en wieder einzustellen und auf ihren Forderungen aus dem ersten Schreiben bestehen. Bei der Übergabe dieses zweiten Schreibens waren Journalisten anwesend, doch die Geschäftsführung weigerte sich gegenüber der Presse Stellung zu nehmen und warf alle Anwesenden raus.

Inzwischen sind mindestens 14 Agents, die sich geweigert haben, den Tagesarbeitsverhältnispassus zu unterschreiben, gekündigt. Weitere Kündigungen werden wahrscheinlich folgen. Die Agents lassen sich von der Rechtsberatung der IG Medien Berlin bzw. von einem weiteren Anwalt vertreten. Erste Abfindungsverhandlungen wurden von seiten der Geschäftsführung ausgesetzt. Die Agents haben Klagen beim Arbeitsgericht eingereicht.

Die Call Center Agents von AudioService werden unterstützt von der Call Center Offensive, die über http://www.callcenteroffensive.de bzw. mailto:ccenteroff@yahoo.de erreicht werden kann.

Max Müller (güPt)

 

Anmerkungen:

1) Ein Call Center ist ein Unternehmen oder der Teil eines Unternehmens, das/der auf die Abwicklung von Kundenkontakten per Telefon spezialisiert ist. Vom Boom der Call Center in den letzten Jahren versprechen sich vor allem Landespolitiker/innen neue Arbeitsplätze für ihre Region. Tatsächlich arbeiten z.B. in Großbritannien mehr Menschen in Call Centern, als in der Stahl-, Auto- und Werftindustrie zusammen. Deswegen werden Call Center in vielen Bundesländern mit besonderen Fördereinrichtungen gefördert und angelockt. Dabei wird systematisch ausgeblendet, dass viele Call Center Arbeitsplätze durch Verlagerung entstehen und dass die Arbeits- und Entlohnungsbedingungen in Call Centern überwiegend miserabel sind.

2) Telefonist/inn/en. Viele Begriffe aus der Call Center –Branche sind englisch.

3) "Inbound" werden Anrufe von Kunden entgegengenommen, die etwas haben oder sich beschweren wollen. Berühmtestes Beispiel ist die Telefonauskunft. Im "Outbound" werden Kunden angerufen, um sie über Konsum- oder Kaufmöglichkeiten zu informieren. Ein anderer klassischer Outbound -Bereich sind Umfragen. Im Outbound werden auch Leistungslöhne (entsprechend der Zahl der Abschlüsse, vereinbarten Termine oder Interviews) bezahlt.

4) genauer: höchstens 20 h/Woche dürfen in die Zeit fallen, während der die/der Student/in an der Uni Veranstaltungen besuchen kann. Zusammen mit Nacht- und Wochenendarbeit darf’s auch mehr sein.

5) Das gruppenübergreifende Praxistreffen ("güPt") hatte sich im Anschluss und als ein Ergebnis von "Schluss mit dem Stress! Konferenz zu Arbeitszeitverkürzung und Existenzgeld" (Berlin, März 1999) als loser Zusammenschluss zweier Kleingruppen und ein paar Einzelpersonen gebildet um nach der mehr theoretischen Beschäftigung mit Prekarisierung und prekären Arbeitsverhältnissen auf der Konferenz nun auch was Praktisches zum Thema zu machen. Nach einigen Suchbewegungen einigte man sich darauf zu Call Centern zu arbeiten, weil zu dieser Branche am ehesten Berührungspunkte und Kontakte bestanden.

6) "Call Center Offensive" als Entgegnung auf die "Call Center Initiative NRW", einer Stabstelle der Landesregierung NRW, die die Ansiedlung von Call Centern in NRW fördert.


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