Dunkle Wolken

Artikel von Daniel Behruzi, zuerst erschienen in der jungen Welt vom 04.10.2012

Düstere Aussichten für Europas Autohersteller. Produktionsstillstände, Verhandlungen über Kurzarbeit und Stellenabbau sind Vorboten der herannahenden Krise

Die sprichwörtlichen dunklen Wolken am Himmel der Automobilkonjunktur verdichten sich. Nach den sogenannten Volumenherstellern geraten nun auch die Anbieter großer Luxuskarossen wie Daimler und Audi in Schwierigkeiten. In den vergangenen Tagen vermeldete eine Reihe von Automobilunternehmen Produktionskürzungen oder gar Kurzarbeit. Mit der Innovative Components Technologies GmbH (ITC) kündigte am Montag ein erster Autozulieferer Insolvenz an.

Am Montag eröffnete das Amtsgericht Siegen das Insolvenzverfahren für ITC mit insgesamt etwa 1300 Beschäftigten. Das Hauptwerk des Herstellers von Kunststoffteilen steht in Lennestadt bei Siegen, ein weiteres mit 290 Mitarbeitern im hessischen Wächtersbach. Die ITC-Auslandswerke in Borja (Spanien) und Tachov (Tschechische Republik) sind von der Pleite zunächst nicht betroffen. Auch für einen Teil der hiesigen Belegschaften könnte diese glimpflich ausgehen, da die Chancen zur Weiterführung mit einem neuen Investor laut Insolvenzverwalter gut stehen.

Wieder Kurzarbeit

Dennoch ist die Meldung eine von vielen, die von der herannahenden Krise in Deutschlands Leitbranche künden. Eine weitere war zu Wochenbeginn die Ankündigung des Zulieferers Federal Mogul, mit Betriebsräten und Gewerkschaften europaweit über Kurzarbeit zu verhandeln. Der Konzern mit hierzulande rund 7000, weltweit etwa 45000 Beschäftigten verkauft das zwar lediglich als Vorsichtsmaßnahme. Zuvor hatten aber bereits andere große Zulieferer wie Bosch Verhandlungen über die Einführung von Kurzarbeit bekanntgegeben.

Bei dem in der Dauerkrise befindlichen Autobauer Opel ist Kurzarbeit schon länger ein Thema. Schon in der vergangenen Woche standen die Bänder in den deutschen Fabriken still. Trotz des Wiedereinstiegs in die Bundesligawerbung setzte sich die Talfahrt beim Opel-Absatz fort. Im September wurden hierzulande nur noch knapp 17000 Neuwagen mit dem Blitz auf der Kühlerhaube verkauft – fast 26 Prozent weniger als vor einem Jahr. Entsprechend zurückhaltend präsentierten sich die Manager der General-Motors-Tochter in der vergangenen Woche beim Pariser Autosalon. »Ich bin kein Pessimist, wenn ich sage, daß wir im nächsten Jahr keinen Rückenwind vom Markt erwarten«, ließ Vertriebschef Alfred Rieck das Handelsblatt wissen.

Peugeot baut ab

Auch PSA Peugeot-Citroën bläst der Wind kräftig ins Gesicht. Das französische Unternehmen – das neben Opel und Fiat am stärksten unter dem Einbruch des südeuropäischen Marktes leidet – wird nach eigenen Angaben noch bis 2014 monatlich einen dreistelligen Millionenbetrag verbrennen. Das Monatsminus werde sich von aktuell 200 Millionen im kommenden Jahr voraussichtlich auf rund 100 Millionen Euro halbieren, so PSA-Chef Philippe Varin kürzlich in der Wirtschaftszeitung Les Echos. Allein im ersten Halbjahr verbuchte PSA – bislang hinter Volkswagen die Nummer zwei in Europa – einen Verlust von 819 Millionen Euro. Als Reaktion darauf plant die Konzernspitze die Vernichtung von 8000 Jobs und die Schließung des Werks in Aulnay bei Paris. Auch die Konkurrenz hat nach Varins Auffassung entsprechende Vorhaben in der Schublade. »Wir haben unsere Pläne bekanntgegeben, aber andere Hersteller werden ähnliche Operationen durchführen müssen«, sagte der PSA-Boß. Manche Hersteller in Europa würden pro verkauftem Wagen noch mehr Geld verlieren als PSA. »Die aktuelle Situation ist nicht haltbar«, so Varin.

Das meint Fiat-Chef Sergio Marchionne schon lange. »Europa kann das Produktionsvolumen nicht vertragen«, sagte er am Rande der Pariser Automesse. Überkapazitäten gebe es vor allem in Deutschland. Fiat selbst ist allerdings auch nicht gerade sorgenfrei. Ohne seine US-Tochter Chrysler hätten die Italiener im zweiten Quartal dieses Jahres 246 Millionen Euro Verlust eingefahren. Wegen des Chrysler-Absatzes vor allem auf dem noch florierenden US-Markt verbuchte der Gesamtkonzern statt dessen einen Nettogewinn von 358 Millionen Euro.

Harte Zeiten

Die Fiat-Spitze sagt allen Herstellern in Europa, wo der Absatz im bisherigen Jahresverlauf um sieben Prozent eingebrochen ist, eine harte Zeit voraus. »In der nächsten Zeit wird es unmöglich sein, zu den Verkaufszahlen von Anfang des Jahrhunderts zurückzukehren – damit muß jeder einzelne Autohersteller umgehen«, so Luca Cordero die Montezemolo, Chef der Fiat-Tochter Ferrari, in einem Interview. Auf ihrem Heimatmarkt ist selbst die Nobelmarke mit Absatzrückgängen konfrontiert. Ansonsten aber wächst Ferrari weiter. Und auch das markiert einen Trend: Richtig teure Autos finden weiterhin ihre Käufer. Auf diese neue Marktlage versuchen sich die Konzerne einzustellen. Beim Pariser Autosalon präsentierten sie vor allem entweder Modelle für die High Society, wie den neuen Zweisitzer von Jaguar, oder Fahrzeuge für die abstiegsbedrohte Mittelschicht. So zielen beispielsweise der neue Renault Clio und der Opel Adam auf die kleiner werdenden Budgets der Noch-Arbeitsplatzbesitzer.

Mittlerweile bekommt aber auch das »Premiumsegment« die Krise zu spüren. So stehen die Bänder im Audi-Werk Neckarsulm in dieser Woche still. Die VW-Tochter peile für 2012 weiterhin einen Rekordabsatz von mehr als 1,4 Millionen Fahrzeugen an, betonte ein Sprecher. Dennoch sieht Professor Willi Diez, Leiter des Instituts für Automobilwirtschaft an der Hochschule Nürtingen-Geißlingen, den Produktionsstillstand als Beleg dafür, »daß die Krise bei den Premium­herstellern angekommen ist« und »nun auch die Großen trifft«. Bereits im Juli hatte Audi angekündigt, Hunderte Leiharbeiter auf die Straße zu setzen. Anders herum läuft es noch bei BMW. Das Münchner Unternehmen, das im Dreikampf mit Audi und Daimler aktuell vorn liegt, will 3000 seiner aktuell rund 11000 Leiharbeiter fest einstellen. Im Gegenzug akzeptiert der Betriebsrat eine noch weitergehende Arbeitszeitflexibilisierung bei den Stammbeschäftigten. So sollen Arbeitszeitkonten ausgedehnt, Schichten verlängert oder verkürzt sowie Pausen in Stoßzeiten gestrichen werden können. Dafür soll der Anteil der prekär Beschäftigten künftig auf acht Prozent der Gesamtbelegschaft begrenzt sein.

Im Sindelfinger Montagewerk von Daimler, wo eine solche Maximalquote bereits gilt, dürften in den kommenden Wochen mehrere hundert der aktuell gut 1000 Leiharbeiter ihren Job verlieren. Hintergrund ist die Reduzierung der S-Klasse-Produktion von zwei Schichten auf eine (siehe jW vom 26. September) – auch das ein Ausdruck zurückgehender Nachfrage im Premiumsegment. In der Folge wird der Stuttgarter Konzern sein operatives Gewinnziel für die Pkw-Sparte von zehn Prozent ab 2013 wohl verfehlen, wie Daimler-Boß Dieter Zetsche kürzlich andeutete. Dennoch wird das von ihm angekündigte Kürzungsprogramm »Fit for Leadership« wohl nicht so dramatisch ausfallen wie zunächst angenommen. Die vom Handelsblatt genannte Einsparsumme von einer Milliarde Euro sei falsch, sagte Zetsche in der Bild am Sonntag. »Es geht hier nicht um ein Sparprogramm«, betonte er. Wie jW aus Betriebsratskreisen erfuhr handelt es sich in der Tat »nur« um die ohnehin geplanten Rationalisierungsmaßnahmen – die aus Beschäftigtensicht aber schon schlimm genug ausfallen dürften.

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