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Nach „sozialpartnerschaftlicher“ Vereinbarung arbeitsrechtlicher Rückschritte: Rechte Demagogie und kapitalistische Erpressung

Artikel von Bernard Schmid vom 25.01.2013

Marine Le Pen versucht sich durch eine Kampagne gegen das Abkommen vom 11.01.13 zu profilieren. Unterdessen erpresst Renault seine Belegschaften zur Annahme eines Produktivitätspakts, wie das Abkommen mit drei Gewerkschaftsdachverbänden vom 11. Januar 13 es (/ihn) erlaubt. Nach dem Motto: Vereinbarung her oder „Standorte“ platt…

Am Freitag, den 18. Januar 13 berichteten wir an dieser Stelle (unter dem Titel „Kompromiss, sagten Sie?“ -> https://www.labournet.de/internationales/frankreich/gewerkschaften-frankreich/frankreich-kompromiss-sagten-sie/) über das Abkommen zwischen dem Arbeitgeberlager und drei von fünf französischen Gewerkschaftsdachverbänden, das eine knappe Woche zuvor abgeschlossen worden war. Es hat den so genannten Arbeitsmarkt zum Gegenstand und ermöglicht den Abschluss betrieblicher Vereinbarungen zur Krisenbewältigung durch vorübergehende „Opfer“ der Lohnabhängigen. Anders, als ein unverschämt dämlicher Artikel in der Wochenzeitung Die Zeit dumm-dreist behauptete (vgl. http://www.zeit.de/wirtschaft/2013-01/frankreich-gewerkschaft-reform externer Link ), beweist natürlich nicht „der Widerstand dagegen wenig Verantwortung“ (sic!) – sondern eher die Tatsache, dass Gewerkschafter dumm genug waren, ihre Unterschrift unter eine solche Vereinbarung zu setzen.

Aus Gründen besserer Übersichtlichkeit – unser Artikel vom 18.01.13 war unter hohem Zeitdruck zustande gekommen – stellen wir UNTEN noch einmal die wichtigsten Punkte des Abkommens vom 11. Januar 13 vor. (Ferner hatte sich beim Thema ,Kündigung bei Ablehnung der neuen Bestimmungen‘ eine Ungenauigkeit eingeschlichen.)

Zunächst jedoch zu den aktuellen Geschehnissen rund um die Sache.

Negative Urteile…

Viele Experten sprechen offen von einem „Abkommen, das eher die Arbeitgeberseite begünstigt“ (vgl. http://www.lemonde.fr/idees/article/2013/01/16/un-accord-plutot-favorable-aux-employeurs_1817666_3232.html externer Link ). Und manche Beobachter fragen sich angesichts der sehr einseitigen Begünstigung und mangels ausreichender Gegenseitigkeit sogar: „Kann man wirklich von einem Abkommen sprechen?“ (Vgl. http://blogs.rue89.com/chez-pierre-polard/2013/01/16/accord-historique-sur-le-travail-peut-meme-parler-dun-accord-229420 externer Link ) Selbst der frühere Mitarbeiter von Präsident François Mitterrand im Elysée-Palast und spätere Berater der rechtssozialdemokratischen Tante Ségolène Royal während ihres Präsidentschaftswahlkampfs 2006/07, Jean-Louis Bianco, meldete Kritik an. Sogar er erklärte öffentlich: „Ich hätte mir ein Abkommen, das günstiger für die Beschäftigten ausfällt, gewünscht.“ (Vgl. http://www.lemonde.fr/idees/article/2013/01/17/j-aurais-prefere-un-accord-plus-favorable-aux-travailleurs_1818741_3232.html externer Link )

…doch zufriedene Rating-Agenturen

Unterdessen wurde vermeldet, dass die Ratingagenturen – die seit Herbst 2011 Frankreichs Ländernote mehrfach „herabzustufen“ drohten, was ein Risiko der verschlechterten Rückzahlungsaussichten für Schulden widerspiegeln soll – infolge des neuen Abkommens „vorläufig zufrieden“ seien. (Vgl. http://www.latribune.fr/entreprises-finance/banques-finance/industrie-financiere/20130116trib000742894/l-accord-sur-l-emploi-devrait-satisfaire-pour-un-temps-les-agences-de-notation.html externer Link ) Das ideelle Gesamtkapital reibt sich also die Hände, und wartet auf die Gelegenheit für den nächsten Angriff.

Renault taktiert & erpresst

Gleichzeitig wurde bekannt, dass Renault allem Anschein nach die Abkündigung des geplanten massiven Arbeitsplatz-Abbaus bis nach kurz nach dem Zustandekommen des o.g. Abkommens hinausgeschoben hatte; vgl. http://emploi.blog.lemonde.fr/2013/01/16/renault-a-t-elle-retarde-ses-annonces-pour-sauver-laccord-sur-le-marche-du-travail/ externer LinkEine taktische Finesse, welche jedoch die politische Rechtfertigung für die Umsetzung des Abkommens – in Texte mit Gesetzeskraft – für das Regierungslager nun schwieriger macht. Auch wenn der amtierende sozialdemokratische Arbeits- & Sozialminister Michel Sapin behauptet: „Bei Renault läuft es besser als bei Peugeot/PSA“, vgl. http://actu.orange.fr/une/sapin-cela-se-passe-mieux-chez-renault-que-chez-psa-afp_1304352.html externer Link

Gleichzeitig spielt der Automobilhersteller Renault (dessen Konzernchef Carlos Ghosn nun vorgeworfen wird, er bevorzuge den ihm ebenfalls unterstehenden japanischen Autobauer Nissan) die Karte der offenen Erpressung. Das, nun ja, „Angebot“ lautet wie folgt: „Abschluss eines Abkommens zur Arbeitsplatzrettung durch Stärkung der Wettbewerbungsfähigkeit – oder Standort platt.“ Dabei steht die Drohung im Raum, der Konzern könne zwei französische Produktionsstandorte aufgeben, falls ein solches Abkommen inklusive Opferbringen der Lohnabhängigen nicht zustande komme. (Vgl. http://actu.orange.fr/une/renault-le-maintien-des-sites-dans-la-balance-de-l-accord-competitivite-afp_1312712.html externer Link und http://www.lefigaro.fr/flash-eco/2013/01/22/97002-20130122FILWWW00510-renault-menace-de-fermer-deux-sites-en-france-syndicats.php externer Link ) Am Dienstag, den 22. Januar 13 wurde ein Schreiben der Direktion von Renault an die Beschäftigtenvertreter publik, in dem es wörtlich heißt: „Sonst können wir unser Versprechen, keine Standorte dichtzumachen, nicht einhalten und die Schließung von Standorten würde unabdingbar.“ (Vgl. http://www.lemonde.fr/economie/article/2013/01/23/le-gouvernement-refuse-un-chantage-aux-fermetures-de-sites-chez-renault_1821043_3234.html externer Link )

Proteste und „gemeinsame Sache“ bei Renault & PSA

Die Ankündigungen von Renault führten jedoch zu spontanen Protesten. Schnell kam es zu ersten Arbeitsniederlegungen, vgl. http://actu.orange.fr/economie/debrayages-a-renault-ou-les-reductions-d-effectifs-embarrassent-le-gouvernement-afp_1302096.html externer Link – Auch anderswo kam es zu Protesten. Am Donnerstag, den 17. Januar 13 veranstalteten etwa Beschäftigte des rivalisierenden französischen Automobilkonzerns PSA mit Trillerpfeifen und Vuvuzuelas um 06.30 Uhr früh am Wohnort des Konzernerben Aufsichtsrats-Vorsitzenden Thierry Peugeot; vgl. http://actu.orange.fr/france/psa-des-salaries-sous-les-fenetres-de-thierry-peugeot-pour-reveiller-les-negociations-afp_1303912.html externer Link

Am Montag, den 22. Januar 13 berichtete ferner die liberale Pariser Abendzeitung Le Monde über starke Spannungen in der Automobilfabrik von PSA in Aulnay-sous-Bois (bei Paris), wo 3.000 Arbeitsplätze verschwinden sollen, über – huch – „Gewalt und Drohungen“; vgl. http://www.lemonde.fr/economie/article/2013/01/22/violences-menaces-psa-aulnay-sous-tension_1820426_3234.html  externer Link  Und am Mittwoch, den 23. Januar streikten mehrere hundert Beschäftigte am Renault-Produktionsstandort in Flins (westlich von Paris, Schauplatz heftiger Kämpfe im Mai und v.a. Juni 1968), zu denen sich rund 250 Kollegen vom „Konkurrenten“ PSA in Aulnay-sous-Bois und einige Dutzende weitere vom PSA-Standort in Poissy hinzu gesellten. Die Arbeiter der beiden Automobilkonzerne machten auf diese Weise „gemeinsame Sache“ gegen ihre drohende Entlassung. (Vgl. http://www.lemonde.fr/emploi/video/2013/01/23/cause-commune-des-ouvriers-de-psa-et-renault-pour-preserver-leurs-emplois_1821486_1698637.html externer Link )

Marine Le Pen profiliert sich gegen das Abkommen

Ausgerechnet die rechtsextreme Politikerin Marine Le Pen versucht nun, sich zu profilieren, indem sie Stunk gegen die neue Vereinbarung macht. Dazu veranstaltet ihre Partei sogar einen ziemlichen Zirkus: Der Front National (FN) lancierte eine eigene Petition gegen das Abkommen. Die extreme Rechte versucht dadurch, sich zur Verteidigerin sozialer Interessen aufzuschwingen, und gleichzeitig die Gewerkschaften als solche zu diskreditieren. Vordergründig spart der FN dabei nicht mit sozialer Demagogie und radikalen Phrasen, und spricht von einer „sozialen Kriegserklärung gegen die Beschäftigten“ (vgl. http://www.liberation.fr/depeches/2013/01/17/accord-sur-l-emploi-une-declaration-de-guerre-aux-salaries-selon-le-pen_874704 externer Link in Verbindung mit  http://www.lemonde.fr/politique/article/2013/01/19/marine-le-pen-lance-une-petition-contre-l-accord-sur-l-emploi_1819436_823448externer Link ).

Allerdings ist dabei viel Blendwerk im Spiel. So wird behauptet, das Abkommen sei deswegen schädlich, weil es allein den Großbetrieben nutze (denen u.a. kollektive betriebsbedingte Entlassungen erleichtert würden, was zutrifft) – aber nichts für die „mittelständischen Betriebe“ getan werde. Stattdessen müssten (neben denen der Arbeitnehmer) die Interessen der „kleinen und mittleren Unternehmen“ viel stärker und besser berücksichtigt werden. Nach dem Motto: ein kleiner Ausbeuter ist besser automatisch besser als ein großer – was mit der Lebenswirklichkeit ja überhaupt nicht übereinstimmt, im Gegenteil können (selbst bei bestem persönlichem Willen seinerseits) die objektiven Bedingungen der Arbeitskräfte beim Ersteren noch viel schlimmer ausfallen, weil kein kollektives Kräfteverhältnis hergestellt werden kann.

Ferner widerspricht Marine Le Pen dem Abkommen auch noch an dem vielleicht einzigen Punkt, wo es tatsächlich für die Lohnabhängigen etwas Positives erreichte – als „Gegenleistung“ für die zahllosen substanziellen Zugeständnisse der Gewerkschaften an das Arbeitgeberlager -, nämlich bei der stärkeren Versteuerung bzw. der Erhöhung von Arbeitgeber-Sozialabgaben für befristete Arbeitsverträge. Vor allem die sehr kurzfristigen Beschäftigungsverhältnisse, unter einem Monat Dauer (die im Augenblick die Mehrheit der in Frankreich abgeschlossenen befristeten Arbeitsverträge darstellen) werden demnach künftig saftiger besteuert. Und zwar, um die Arbeitgeber ein bisschen finanziell davon abzuschrecken, eine allzu große Prekarisierung der Lohnabhängigen anzustreben.

Gerade an dem Punkt erklärt Marine Le Pen  jedoch ihre strikte Gegnerschaft: Eine stärke Besteuerung von kurzfristigen Arbeitsverträge unterstelle den Unternehmen ein schuldhaftes Verhalten, und „belastet besonders die mittelständischen Betriebe“, die oft „nichts anders können als befristet einzustellen“. (Vgl. u.a. http://gauchedecombat.com/2013/01/10/fn-et-medef-meme-combat/ externer Link im Zusammenhang mit http://www.liberation.fr/depeches/2013/01/17/accord-sur-l-emploi-une-declaration-de-guerre-aux-salaries-selon-le-pen_874704 externer Link ) Von wegen sozial…

Übersicht über die Inhalte des Abkommens

Vorgestellt seien noch einmal einige Kernpunkte des „sozialpartnerschaftlichen“ Abkommens vom 11. Januar 13:

-> Produktivitätspakte:

In ihrem Artikel 18 erlaubt die Vereinbarung so genannte „Abkommen zur Beschäftigungssicherung“ auf Unternehmensebene, mit einer Laufzeit von bis zu zwei Jahren. Dabei geht es darum, dass in Krisenzeiten „bedrohte“ Unternehmen Änderungen an der Arbeitszeit – sei es durch ihre Erhöhung (u.U. ohne Lohnausgleich) oder ihre Herabsetzung, mangels Aufträgen – und am Lohngefüge vornehmen dürfen. Lohnsenkungen dürfen, wie präzisiert wird, die Einkommen nicht unter den gesetzlichen Mindestlohn SMIC (als minimale Untergrenze für alle Beschäftigten in Frankreich) hinunter drücken. Aber oberhalb des SMIC ist Vieles denk- und machbar.  .

Solcherlei Abkommen auf Betriebsebene „zur Wahrung (/Förderung) von Beschäftigung & Wettbewerbsfähigkeit“ hatte erstmals der rechte Altpräsident Nicolas Sarkozy im Januar 2012 angekündigt, damals zusammen mit der Anhebung der Mehrwertsteuer TVA. (Letzte wurde durch die neue sozialdemokratische Regierung im Juni 2012 annulliert, bevor im Oktober 12 dann doch eine andere Erhöhung der TVA auf die Tagesordnung kam…) Diese Idee war durch die damalige sozialdemokratische Opposition tendenziell bekämpft worden, ebenso wie durch die Mehrzahl der Gewerkschaften. Auch wenn die CFDT damals bereits ankündigte, sie bemängele eher die Methode Sarkozys – welche den „Sozialpartnern“ keine oder nicht genügend Zeit für die Verhandlungen zur Sache überlasse – und nicht die Sache selbst…

-> Ungünstige Abänderung des Arbeitsvertrags:

Der Inhalt der Betriebsvereinbarung n. Artikel 18 kann, für die Dauer ihrer Laufzeit, auch einen für den/die Lohnabhängige(n) günstigeren Arbeitsvertrag abändern. Allerdings kann der oder die Arbeitnehmer/in dies ablehnen, und die dergestalt ausgesprochen – befristete – Änderungskündigung führt in dem Falle zur Entlassung. Schon bislang konnte der Arbeitgeber Änderungskündigungen aussprechen (d.h. das „Angebot“ auf eine ungünstige Abänderung des Arbeitsvertrags, gekoppelt an die Androhung einer Kündigung), doch bislang musste in diesem Falle die Entlassung den Anforderungen an eine betriebsbedingte Kündigung genügen. Diese gilt dann als „sozial gerechtfertigt“.

-> Kündigung bei verweigertem Wohnortwechsel:

Noch an einem weiteren Punkt ändern sich das rechtliche Regime für Kündigungen von Lohnabhängigen im Falle einer „Verweigerung“ ihrerseits, und zwar einer Verweigerung so genannter „interner Mobilität“. Es geht dabei um die Ablehnung einer Umsetzung auf andere Arbeitsplätze, die ausdrücklich mit Wohnortwechsel und Umzügen in andere Regionen – deren nähere Organisierung in Artikel 15 des Abkommens näher erörtert wird – einhergehen kann. Bislang konnte im Falle einer solchen Umsetzung (in Verbindung mit einem Ortswechsel) eine Änderungskündigung ausgesprochen werden, deren Ablehnung im Prinzip zu einer Entlassung führen konnte. Letztere musste jedoch als betriebsbedingte Kündigung behandelt werden, ES SEI DENN, dass der Arbeitsvertrag eine „Mobilitätsklausel“ enthielt – in letzterem Falle handelte es sich um eine verhaltensbedingte Kündigung wegen verweigerter Ausführung eine Anordnung, die unter das Direktionsrecht des Arbeitgebers fällt.

Viele Kündigungen infolge der Ablehnung eines Wohnortswechsels durch den/die Lohnabhängige/n mussten also bislang als „betriebsbedingte Kündigung“ eingestuft werden. Dies hatte u.a. zur Konsequenz, dass bei Nicht-Vorliegen eines triftigen wirtschaftlichen Grundes die Kündigung ungerechtfertigt war, und dass die gesetzlichen Vorschriften im Falle einer betriebsbedingten Kündigung griffen.

Dazu gehörten u.a. die Verpflichtung, dem/r gekündigten Arbeitnehmer/in verfügbare andere Arbeitsplätze im Unternehmen anzubieten, und ab zehn gekündigten Beschäftigten einen Sozialplan (PSE) auszuarbeiten. Im französischen Recht kann ein Sozialplan nicht nur finanzielle Begleitmaßnahmen, sondern er muss auch Maßnahmen zur Verringerung der tatsächlich erfolgenden Kündigungen (wie Umschulungen, Umsetzungen auf andere Arbeitsplätze) beinhalten. All dies ist künftig nicht mehr erforderlich: Es entfällt, wenn im Falle der Ablehnung einer Änderungskündigung – unter Einschluss eines Wohnwortswechsels – Lohnabhängige entlassen werden. Die Kündigung gilt dann nicht mehr als betriebsbedingte, sondern als verhaltensbedingte (auch wenn die Ablehnung nicht als disziplinarrechtliche Verfehlung gewertet werden darf).

-> Kürzere Fristen für Rechtswege, und Vorgaben für einen arbeitsgerichtlichen Vergleich:

Viele Anfechtungsfristen vor den Arbeitsgerichten werden verkürzt. Bislang konnten die meisten Klagen im Zusammenhang mit einem Arbeitsverhältnis (wg. Kündigung, wg. nicht ausbezahlter Lohnbestandteile – auf die ein Anrecht bestand – oder unbezahlter Überstunden, wg. unberücksichtig bleibender Urlaubsansprüche oder Ansprüche auf Freizeitausgleich..) innerhalb von fünf Jahren gerichtlich eingeklagt werden. Früher konnten bei rechtswidriger Diskriminierung Klagen sogar noch innerhalb von 30 Jahren erhoben werden, aber unter Präsident Sarkozy war die dreißigjährige Verjährungsfrist im Namen der „Rechtssicherheit“ der Unternehmen abgeschafft und durch die allgemeine fünfjährige Frist ersetzt worden.

Nunmehr wird die Frist im Allgemeinen durch eine neue, zweijährige Frist ersetzt. (Vgl. Artikel 24 des Abkommens, übertitelt mit „Rechtssicherheit“. Wie Arbeitsrechts-Professor Antoine Lyon-Caen in der Pariser Abendzeitung ‚Le Monde’ vom 18. Januar 13 ausführt, konnten die Begriffe inzwischen erfolgreich so umgedreht werden, dass das Wort „Rechtssicherheit“ i.d.R. nicht jene der Lohnabhängigen – also der schwächeren – bezeichnet, sondern nur noch jene der Unternehmen.)

Diese 24-Monats-Frist ist u.U. schnell vorbei, wenn der oder die Lohnabhängige zwischendurch mit der Einschreibung bei den Arbeitsämtern, der Stellensuche sowie ggf. der Aufnahme eines neuen Jobs beschäftigt war. Oder mit Umstellungen oder gar Umzügen wg.  eines geringer gewordenen, verfügbaren Budgets. Auch eine Klage vor einem Arbeitsgericht muss schließlich vorbereitet werden: die Argumentation, und die Auswahl eines Anwalts/einer Anwältin oder auch einer/s gewerkschaftlichen Verteidigers/Verteidigerin. Hinzu kommt, dass der Rechtsweg oft nur mit Erfolg beschritten werden, wenn der oder die Betroffene über Beweismittel in Gestalt von Zeugenaussagen verfügt. Solche Aussagen können jedoch nur von Arbeitskollegen und –kolleginnen kommen. Es werden am ehesten ehemalige KollegInnen, die inzwischen den Arbeitgeber gewechselt haben, dafür in Frage kommen – denn wer noch bei demselben Arbeitgeber in Lohn & Brot steht, fürchtet i.d.R. um die eigene Zukunft. Deswegen versprechen längere Fristen auch bessere Chancen, über notwendige Aussagen von früheren Arbeitskolleg/inn/en verfügen zu können. Und kürzere Fristen bedeuten oft geringere Aussichten darauf…

-> Die Inhalte von „Sozialplänen“ konnten bislang innerhalb von einem Jahr gerichtlich angefochten werden. Künftig werden es nur noch drei Monate sein.

-> Das Abkommen sieht ferner Bestimmungen vor für den Fall, dass vor dem Arbeitsgericht ein Vergleich gefunden werden kann – eine Vergleichsinstanz (instance de conciliation) ist vor der Eröffnung der Hauptverhandlung im arbeitsrechtlichen Streit (instance de jugement) grundsätzlich Pflicht, sie muss sich allerdings nur um einen Vergleich bemühen, Letzterer ist nie obligatorisch. Neu ist künftig, dass im Vergleichsverfahren nunmehr bestimmte pauschale Abfindungen in einer durch Artikel 25 des Abkommens festgelegten Höhe vorgegeben werden.

Demnach beträgt die Abfindung im Kündigungsfall – sofern eine Einigung in der Vergleichsinstanz erzielt wird – „idealerweise“ zwei Monatslöhne bei einer Betriebszugehörigkeit zwischen null und zwei Jahren; vier Monatslöhne (oder Monatsgehälter) bei einer Dauer zwischen zwei und acht Jahren usw. Als maximale Stufe wird eine pauschale Abfindung in Höhe von 14 Monatslöhnen (/ -gehältern) aber einer Betriebszugehörigkeit von mindestens 25 Jahren definiert.

Es steht zu vermuten, dass diese neue Tabelle von Abfindungssummen zukünftig den Arbeitsgerichten in den meisten Fällen (und eben vielleicht auch im Streifall, wo eine Einigung nicht zustande kommt) als Vorgabe dienen wird, da es ihre Tätigkeit ungemein erleichtert, sie nicht mehr in Einzelfällen jeweils bestimmen zu müssen. Darüber hinaus gehende Ansprüche von Lohnabhängigen könnten es dann schwerer haben, eine gerichtliche Durchsetzungsmöglichkeit zu finden.

-> Sozialauswahl bei Entlassungen:

Die „Sozialauswahl“ bei betriebsbedingten Kündigungen (französisch: ordre des licenciements) wird künftig radikal auf den Kopf gestellt: Artikel 23 des Abkommens. Bislang ging es dabei darum, solche Personen vor dem Risiko der Erwerbslosigkeit – relativ – zu schützen, die auf dem Arbeitsmarkt besondere Schwierigkeiten zu haben drohen. Also etwa ältere Lohnabhängige oder solche mit langer Betriebszugehörigkeit, deren Erfahrungen weniger leicht auf andere Unternehmen zu übertragen sind. Neben den gesetzlich vorgeschriebenen Kriterien (Lebensalter, familiäre Unterhaltspflichten…) konnte der Arbeitgeber dann noch weitere Kriterien hinzufügen. Damit ist nun künftig tendenziell Schluss: Ab jetzt heißt es ausdrücklich, dass der Arbeitgeber „den beruflichen Fähigkeiten den Vorzug geben“ darf, sofern er die übrigen Kriterien noch (irgendwie) „berücksichtigt“. Demnach wird also der Arbeitgeber sich die Liste der Namen jener Beschäftigten, die er behalten möchte – sei es aufgrund ihrer Fähigkeit, oder ihrer besonderen Fügsamkeit, usw. … -, relativ frei zusammenstellen. Er muss nur argumentieren.

-> Zugeständnisse der Arbeitgeber:

Zu den kleineren Zuckerl für die gewerkschaftliche Seite – neben einer stärkeren finanziellen Belastung befristeter Beschäftigungsverhältnisse durch erhöhte Sozialabgabe für solche Arbeitsverträge, je nach Typus zwischen plus 0,5 % und plus 3%, n. Artikel 4 des Abkommens  – gehört auch eine stärkere „Vertretung der Arbeitnehmer in den Führungsorganen von Unternehmen“ vorgesehen ist.

In Riesenunternehmen (ab 5.000 Beschäftigten in Frankreich, oder 10.000 international) werden künftig n. Artikel 13 des Abkommens, nun ja, ein bis zwei (!) Arbeitnehmer im beschlussfassenden Organ sitzen. Dabei handelt es sich, je nach Struktur des Unternehmens (denn nicht alle französischen Unternehmen haben Aufsichtsräte wie deutsche Konzerne), um den Aufsichtsrat oder, bei dessen Fehlen, um den Vorstand. Eine Unterschrift unter das beschriebene Abkommen rechtfertigte dies mit absoluter Sicherheit nicht…

Ferner werden bestimmte Rechte der Lohnabhängigen, die ab einer bestimmten Beschäftigungsdauer im Unternehmen entstehen oder mit zunehmender Beschäftigungsdauer anwachsen (etwa das Recht auf Bildungserlaub oder Anerkennung von Fortbildungsmanahmen) übertragbar. Dies bedeutet, dass der oder die Lohnabhängige sie bei einem Unternehmenswechsel „mitnehmen“ kann. (Vgl. u.a. Artikel 5) Es ist allerdings als Vorstufe für eine stärkere „Flexibilität“, die auch den häufigeren Verlust des Arbeitsplatzes beinhaltet, konzipiert…

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=23797
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