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Internationale Solidarität mit der Opposition in der mexikanischen Lehrergewerkschaft – tut dringend not: Die Lehrergewerkschaft selbst betätigt sich als Denunziant

yosoycnteSeit dem 15. Mai hat die Opposition in der mexikanischen Lehrergewerkschaft den unbegrenzten Generalstreik in jenen Bundesstaaten ausgerufen, in denen sie über die Mehrheit verfügt – jetzt, am 17. Juni, hat sich die Lage extrem zugespitzt. Im Kampf gegen die 2013 per Dekret und ohne Debatten  erlassene sogenannte Erziehungsreform der Regierung Pena Nieto gewinnt die Oppositionskoordination CNTE zunehmend Unterstützung: Von Eltern und SchülerInnen, aber auch aus der Gewerkschaftsbewegung und international. Menschenrechtsgruppierungen kritisieren den massiven Einsatz von Polizei und Armee gegen streikende LehrerInnen, ein Aufruf von prominenten Intellektuellen des Landes, die Regierung möge statt dem Knüppel endlich den Dialog mit der CNTE aufnehmen verändert die öffentliche Debatte, eine wachsende Zahl linker Organisationen beginnt, zur Solidarität zu mobilisieren, allen voran die EZLN. Demgegenüber stehen nicht nur eine Regierung, die als Bedingung für den Dialog die „Anerkennung der Reform“, also die Unterwerfung fordert, sondern auch die Gewerkschaft SNTE, die sich einmal mehr als besonderer Schandfleck der Gewerkschaftsbewegung erweist. Unsere ausführliche kommentierte Materialsammlung „Internationale Solidarität mit der Opposition in der mexikanischen Lehrergewerkschaft“ vom 19. Juni 2016 ist sowohl ein Versuch, einen Beitrag zum Verständnis der komplexen Entwicklung zu leisten, als auch ein Aufruf, Solidarität mit den kämpfenden mexikanischen LehrerInnen zu üben

Internationale Solidarität mit der Opposition in der mexikanischen Lehrergewerkschaft

Seit Freitag, 17. Juni, rund einen Monat nach der Ausrufung des Streiks und eine Woche nach der überfallartigen Festnahme von Streikorganisatoren der CNTE hat sich die Lage in der Auseinandersetzung mit der mexikanischen Regierung und ihrer sogenannten Erziehungsreform erheblich zugespitzt. Vor allem im Bundesstaat Oaxaca, in dem es die meisten Straßenblockaden gab, ging die Polizei extrem gewalttätig vor, in dem Städtchen Nochixtlan eröffnete sie das Feuer, mehrere Todesopfer sind zu beklagen. Hunderte von Festnahmen, Tränengas aus Hubschraubern und andere Eskalationsschritte sind an der Tagesordnung.

Die aktuelle Entwicklung zum, am und nach dem 17. Juni

„Lehrerstreik in Mexiko unter Beschuss“ von Philip Gerber am 19. Juni 2016 bei amerika21.de externer Link fasst diese neueste Entwicklung so zusammen: „Einen ersten Großeinsatz hatte die Polizei am Freitagnachmittag durchgeführt. Unter Tränengaseinsatz räumten zirka 1.000 Polizisten mehrere Straßenblockaden im Isthmus. Es folgten Räumungen in Zanatepec nahe Chiapas sowie in den Ortschaften Ciudad Ixtepec, Mixtequilla und Tehuantepec. Nach dem Einsatz in Zanatepec warnten die Kirchenglocken in den umliegenden Ortschaften die Bevölkerung vor der Polizei, nach deren Abzug die Anwohner die Straße erneut blockierten. Wenige Kilometer entfernt befinden sich die Stadt Juchtián sowie der wichtige Industriehafen Salina Cruz, wo das Erdölunternehmen Pemex eine Ölraffinerie betreibt. Aktivisten in Juchitán berichten von Gruppen bewaffneter Zivilisten, die der Regierungspartei PRI zugerechnet werden. Die Polizeiaktion wird durch Militärlogistik unterstützt und von Helikoptern und Drohnen begleitet. Um 22 Uhr, zehn Stunden nach Beginn der Operation, aktualisierte die Zivilschutzbehörde die Liste der Blockaden. Von den elf Straßensperren bestanden noch neun

„Al menos 5 fallecidos por enfrentamiento en Nochixtlán, Oaxaca“ am 19. Juni 2016 bei Somos el Medio externer Link ist eine erste Meldung über Todesopfer beim Polizeiüberfall auf die Straßenblockade in Nochixtlan – wieviele Todesopfer es tatsächlich sind, und wer sie sind, ist noch weitgehend unklar. Auf einer ersten Pressekonferenz der CNTE wenige Stunden nach dem tödlichen Überfall wurden die Namen von zwei Todesopfern bekannt gegeben, ebenso einiger Verletzter und Festgenommener, wobei niemand der namentlich erwähnten Opfer Mitglied der CNTE sei, sondern regionalen Organisationen angehörten, die den Kampf unterstützen, wie Frente Popular Revolucionario (FPR), Consejo de Defensa de los Derechos del Pueblo (CODEP), Frente Indígena de Organizaciones Binacionales(FIOB), Movimiento Agrario Indígena Zapatista (MAIZ)  y COMUNA

„Inédita, absurda y sin sentido la respuesta del gobierno Federal a la protesta social en el Istmo“ am 18. Juni 2016 beim Menschenrechtszentrum des Isthmus von Tehuantepec externer Link ist eine Pressemitteilung, die sich ausführlich und konkret mit den Polizeistaatsmaßnahmen in der Region befasst, wie sie seit einigen Tagen umgesetzt werden – und die täglich brutaler werden

„Mobilisation des enseignants : affrontements à Oaxaca – 16-18 juin 2016“ am 19. Juni 2016 bei Anthropologie du Présent externer Link ist eine Materialsammlung (in englisch und spanisch) mit Berichten über die aktuellen Auseinandersetzungen bis einschließlich Samstag, 18. Juni mit einem Schwerpunkt auf der Entwicklung des regelrechten Kampfes um Straßenblockaden.

„Cobertura al minuto: Jornada de movilización de profesores de la CNTE“ am 17. Juni 2016 bei La Jornada externer Link ist eine Chronologie der Demonstration in Mexiko Stadt an diesem Freitag, bei der die zahlreichen Fotos bereits deutlich machen, dass die offiziellen Angaben, es würden sich 6.000 Menschen an der Demonstration beteiligen, ziemliches Propagandagewitter sind. Auch was den Polizeiaufmarsch betrifft, sind die Fotos aussagekräftig. Ansonsten werden im Verlaufe dieser Tageschronologie auch zahlreiche neue Solidaritätsbekundungen und Demonstrationsteilnahmen berichtet. So hat sich der Rektor der UNAM, der größten Universität des Landes, in einer Erklärung mit den streikenden LehrerInnen solidarisiert – wie auch die Vereinigung der Familien der 43 verschwundenen Studenten von Iguala.

„Bajo represión, maestros y padres de familia realizan jornada de protesta, toman 87 alcaldías en Chiapas, Michoacán y Jalisco“ am 01. Juni 2016 bei Desinformemonos externer Link ist ein kurzer Bericht über die Reaktion auf die Polizeiangriffe in drei Bundesstaaten, die aus einer Welle von Besetzungen der Bürgermeisterämter bestand – 87 Besetzungen wurden an diesem Tag gezählt

„México: Oaxaca 2016, la hierba seca incendiará la hierba húmeda“ am 16. Juni 2016 bei kaosenlared externer Link ist ein Bericht über die Großdemonstrationen im Bundesstaat Oaxaca Ende Mai, an denen sich über 350.000 Menschen beteiligten – und die deswegen von den Autoren als Wiederauflammen der Bewegung gesehen werden, die es 2006 in Oaxaca gab und deren Geist nun wieder an die Öffentlichkeit getreten sei

„Como nunca tras Reforma Educativa, padres y organizaciones se solidarizan con magisterio“ am 30. Mai 2016 bei Educaoaxaca externer Link ist eine kommentierte Videosammlung über diese Demonstrationen Ende Mai, bei der der Schwerpunkt vor allem darauf liegt, zu betonen, dass alleine schon die bloße Zahl der TeilnehmerInnen dieser Demonstration beweise, dass die LehrerInnen massive Unterstützung durch die Bevölkerung erhalten

„Why Are Mexican Teachers Being Jailed for Protesting Education Reform?“ von David Bacon am 17. Juni 2016 bei The Nation externer Link ist ein Artikel, der von der Verhaftung von zwei Streikorganisatoren am Wochenende zuvor handelt – die beiden Sekretäre der CNTE in der Region 22 (Oaxaca), die sich zu 5 anderen CNTE Aktivisten „gesellen“, die seit Wiederbeginn der Auseinandersetzung ins Gefängnis geworfen wurden – unter anderem der Kassier, weil er ohne Genehmigung Geld sammelte (nachdem die Regierung die Konten der Gewerkschaftsopposition sperren ließ)

„Familiares denuncian arbitrariedades en detenciones de líderes de la CNTE“ am 14. Juni 2016 bei Somos el medio externer Link ist ein Bericht über die Pressekonferenz der Verwandten der verhafteten Lehrer, die sich mit einer Dokumentation der illegalen Maßnahmen gegen die Verhafteten an die Öffentlichkeit wandten – den gefangenen Lehrern wird bisher jede Kommunikationsmöglichkeit verweigert. Und es wird berichtet, dass es aktuell – an jenem Dienstag letzter Woche – 24 weitere Haftbefehle gegen CNTE Lehrer gäbe

Die Solidarität wächst – die Denunziation durch die SNTE auch

„COMUNICADO URGENTE DE LA NUEVA CENTRAL DE TRABAJADORES POR LA DETENCIÓN DEL MAESTRO DIRIGENTE DE LA CNTE JUAN JOSÉ ORTEGA MADRIGAL“ am 19. Juni 2016 beim Gewerkschaftsbund NCT externer Link (Facebook) ist einerseits eine Solidaritätserklärung mit dem festgenommenen Lehrer Ortega Madregal – der frühere Sekretär der CNTE im Bundesstaat Michoacan ist der erste führende Gewerkschafter, der außerhalb des Bundesstaates Oaxaca festgenommen wurde. Die Erklärung ist gleichzeitig aber auch ein Aufruf an die Mitglieder der Gewerkschaften, die dem NCT angeschlossen sind, es sei jetzt an der Zeit, die Reihen zu schließen im Kampf gegen Neoliberalismus und für demokratische Freiheiten Soliplakat mit der mexikanischen Lehreropposition CNTE Juni 2016

„LOS MAESTROS DEMOCRÁTICOS NO ESTÁN SOLOS!“ am 12. Juni 2016 bei der SME externer Link (Facebook) ist der in dieselbe Richtung zielende Aufruf der Gewerkschaft in den Elektrizitätswerken, in dem zur Volkseinheit im Kampf für demokratische Rechte aufgerufen wird

„Llamado Urgente a retomar el diálogo con Magisterio“ am 17. Juni 2016 bei CodigoDH externer Link ist der Appell der Koordination der Menschenrechtsgruppen an die Regierung, die Repression zu beenden und stattdessen den Dialog über eine Erziehungsreform aufzunehmen – was nichts anderes als die eigentlich sehr bescheidene Grundforderung der CNTE ist

„ENTRE EL AUTORITARISMO Y LA RESISTENCIA“ am 30. Mai 2016 beim Enlace Zapatista externer Link ist ein Beitrag über die Unterstützung des Kampfes der CNTE durch die EZLN, worin unter anderem darauf verwiesen wird, dass die Forderungen der CNTE keineswegs nur die der LehrerInnen seien, sondern die der Bevölkerung, speziell in ländlich geprägten Gegenden wie dem Bundesstaat Chiapas (auch einer der Bundesstaaten in dem die CNTE die Mehrheit in der Gewerkschaft hat) wie auch überhaupt in den Gegenden mit einem hohen Anteil an indigener Bevölkerung

„Paco Ignacio Taibo II: Un país que no defiende a sus maestros está condenado a la miseria intelectual“ am 12. Juni 2016 beim mariategui.info externer Link ist ein Bericht über eine Versammlung mexikanischer Schriftsteller, die der auch in der BRD bekannte Paco Taibo einberufen hatte, um die Unterstützung für die kämpfenden LehrerInnen zu dokumentieren und weiterhin zu organisieren – eines einer ganzen Reihe möglicher Beispiele von initiativen der letzten Tage, mit denen aus verschiedensten Bereichen der Gesellschaft Solidarität organisiert werden soll

„In solidarity with Mexican colleagues facing severe repression“ am 17. Mai 2016 bei BCT externer Link (Föderation der Lehrergewerkschaften im kanadischen Bundesstaat British Columbia) war einer der ersten internationalen Solidaritätsadressen zu Streikbeginn, inzwischen gibt es, vor allem aus Nordamerika eine ganze Reihe davon, auch von einer wachsenden Zahl von Organisationen mexikanischer MigrantInnen vor allem in den USA

¡Ya basta de represión y de criminalización de l@s que luchan!“ vom 15. Juni 2016 ist die Solidaritätserklärung des alternativen gewerkschaftlichen Netzwerkes für Solidarität und Kampf in der ein Ende der Repression und die sofortige Freilassung der festgenommenen Lehrer gefordert wird

Gerade andersherum die SNTE

„Alto a la barbarie de la Coordinadora, exige el SNTE“ am 31. Mai 2016 bei der SNTE externer Link ist eine Pressemitteilung der offiziellen Lehrergewerkschaft, die ein Ende der Barbarei der Opposition fordert – von der Staatsmacht (Appell befolgt). Der Grund: Es wurden Berichte lanciert, nach denen streikende Lehrer einigen StreikbrecherInnen zwangsweise die Haare geschoren hätten. Die Tatsache war von der CNTE sofoprt dementiert worden und inzwischen gehen auch Mainstream-Medien (die die Meldung zunächst massiv als Schlagzeile verbreitet hatten) davon aus, dass dies eine Provokation war (und bei weitem nicht die erste dieser Art gegen die streikenden LehrerInnen, da gab es auch brennende Häuser und manches Andere mehr…). Die „größte Einzelgewerkschaft Lateinamerikas“ (stets ein Transmissionsriemen der PRI, auch wenn ihre langjährige Vorsitzende wegen Korruption im Gefängnis sitzt) hielt es nicht für nötig, für diese Verleumdung irgendeine Art Entschuldigung zu äußern

„Cometen un error quienes se oponen al cambio: Juan Díaz de la Torre“ am 17. Mai 2016 bei der SNTE externer Link ist sozusagen die Erklärung des Gewerkschaftsvorsitzenden zum Streikbeginn der Opposition: Wer sich Veränderungen entgegen stellt, begeht einen Fehler. Was nicht nur bedeutet, dass die SNTE die Erziehungsreform als „Veränderung“ gut heißt, sondern auch genau der Propaganda der Regierung (die ja auch von anderswo in anderen Auseinandersetzungen bekannt ist) entspricht, es seien nur „ewig gestrige“ und „faule“, die sich ihrer anbefohlenen Reform widersetzten. Dass diese Erklärung des Herrn de la Torre bei einem gemeinsamen Festakt ausgesprochen wurde, an der auch das Kultusministerium teilnahm rundet die Positionierung dieser Gewerkschaft lediglich ab

„Mexican union launches anti-privatisation programme“ am 16. Januar 2016 bei Education International externer Link ist die Meldung der Internationale der Lehrergewerkschaften über den Beginn einer Kampagne gegen die Privatisierung – durch die mexikanische Mitgliedsgewerkschaft SNTE. Ob dies Ausdruck von Verzweiflung ist oder bloße Unverschämtheit – dies zu entscheiden soll hier vermieden werden. Tatsache ist: Wer eine Reform unterstützt, die auf Privatisierung zielt, kann schlecht eine Kampagne dagegen organisieren. Von einer solchen Kampagne der SNTE ist denn auch weit und breit nicht die Rede, selbst auf ihrer eigenen Webseite kaum

Der Kampf gegen die sogenannte Erziehungsreform und einige gesellschaftliche Bedingungen

„Mexican Teachers ‚Indefinite General Strike‘ Faces Severe Repression“ von Dan La Botz am 31. Mai 2016 bei New Politics externer Link ist ein ausführlicher Beitrag des langjährigen Koordinators der unabhängigen US-Elektrikergewerkschaft für die Solidarität mit Mexico, in der nicht nur auf bisherige Kämpfe der LehrerInnen eingegangen wird und die diesmal besonders heftige Repression, sondern auch das politische Lager des „Pakts für Mexiko“  (das neoliberale Kampfprogramm des PRI Präsidenten) skizziert – und die Opposition dagegen. Darin wird unter anderem deutlich, dass eben diese Erziehungsreform ein Baustein der entsprechenden Veränderung Mexikos sein soll. Außerdem wird ein kurzer Überblick über die bisherige internationale Solidarität gegeben

„1er Encuentro Nacional por la Educación“ am 16. Juni 2016 bei indymedia mexico externer Link Audio Datei ist ein Radiobericht über ein Treffen an der Universität von Mexico Stadt bei dem – unter anderem – auch ein streikender Lehrer nicht nur über den Streik spricht, sondern auch die Vorstellungen seiner KollegInnen über eine wirkliche Erziehungsreform zum Nutzen der Bevölkerung darstellt

„Las Zonas Económicas Especiales y la represión a la CNTE“ von Agustín Ávila Romero am 17. Juni 2016 beim Centro de Comunicación Alternativa externer Link ist ein Beitrag, der die Erziehungsreform und die damit einhergehende Unterdrückung des Widerstandes der LehrerInnen in Zusammenhang setzt mit den jüngst (am 1. Juni)  von der Regierung beschlossenen Sonderwirtschaftszonen (in denen etwa dieselben Bedingungen gelten sollen, wie sie aus anderen Ländern ebenfalls bekannt sind – unter anderem eben stramm antigewerkschaftlich). Wobei die brutale Repression gegen die streikenden LehrerInnen auch als Mahnung an die Bevölkerung in der Umgebung jener Zonen verstanden werden: Dort wird es Grundstücke für Investoren brauchen…

„Extortion, threats, kidnapping: Workers the hidden casualty of Mexico’s violence“ von Sara Mojtehedzadeh am 23. Mai 2016 bei The Star externer Link ist ein Artikel, der vor allem damit befasst ist, nachzuzeichnen, wie die allseits bekannte und oft generell thematisierte Gewalt der Drogenbanden sich eben insbesondere gegen GewerkschafterInnen richtet und insofern Bestandteil des staatlichen Repressionssystems geworden ist…

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=99999
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