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Wenig Zuckerbrot und viel Peitsche: Die Repression gegen Widerstand gegen das französische Arbeitsgesetz wird härter

Frankreich 2016: Loi travail: non, merci!„Zuckerbrot & Peitsche: Wenig Zuckerbrot und etwas mehr Peitsche. Polizei im Hörsaal, Gewalt gegen junge Menschen in Strasbourg und Marseille… Die Ration Zuckerbrot fällt eher mager aus“ – das ist die Einleitung von „Frankreich. Umkämpfte Arbeitsrechts-„Reform“ – Teil 9: Repression gegen die Proteste“ von Bernard Schmid am 21. März 2016.

Frankreich. Umkämpfte Arbeitsrechts-„Reform“.
Teil 9: Repression gegen die Proteste

Zuckerbrot & Peitsche: Wenig Zuckerbrot und etwas mehr Peitsche. Polizei im Hörsaal, Gewalt gegen junge Menschen in Strasbourg und Marseille… Die Ration Zuckerbrot fällt eher mager aus

Zum Umgang der Regierenden mit jedwedem Sozialprotest gehören Zuckerbrot und Peitsche, respektive – wie man in Frankreich sagt – „der Stock und die Karotte“. (Das Sprachbild soll eine/n wohl dazu zu bringen, sich einen Esel oder eine alte Mähre vorzustellen, der oder die vor einen Karren gespannt wird: Man ködert das arme Vieh mit einer Karotte, die – an einem Faden baumelt – vor seiner Schnauze hin- und hergeschwenkt wird…)

Auch anlässlich des Kampfs um die heftig umstrittene „Reform“ des Arbeitsrechts bewahrheitet sich dies einmal mehr. Der Konflikt um diese stärkste Regression im Arbeitsrecht seit einhundert Jahren, wie einige Stimmen meinen, weitet sich aus. 32 der prominentesten Wirtschaftswissenschaftler/innen des Landes unterschrieben eine Petition dafür (unter ihnen der neoliberale Wirtschafts-Nobelpreisträger Jean Tirol, frühere französische Chefökonomen bei IWF und Weltbank…), doch 33 ebenfalls prominente Wirtschaftswissenschaftler/innen unterschrieben ihrerseits zwei Petitionen dagegen. Zu ihnen zählt der eher sozialdemokratisch-keynesianisch orientierte Bestseller-Autor Thomas Piketty, aber auch Ökonomen wesentlich weiter links von ihm wie Thomas Coutrot (ATTAC) oder Michel Husson.

Repression

Nun also zunächst zur repressiven Behandlung der Proteste.

Ach, wie froh wären einige Regierungsmitglieder insgeheim (auch wenn sie dies nie laut zugeben würde), fände erneut ein größeres Attentat auf französischem Boden statt. Würde man dann doch über einen solch wunderschönen Vorwand verfügen, endlich, endlich einmal wieder diese grässlichen, lauten und unschönen Demonstrationen verbieten zu dürfen. Ähnlich wie aus Anlass der Klimakonferenz vom 29. November bis 12. Dezember 2015, unter dem Vorwand einer Berufung auf die geltende Notstandsgesetzgebung.

Auch ohne akutes Attentat geht es zur Not. Stellen im französischen Bildungsministerium senden derzeit etwa Formbriefe an einige schulische Verwaltungsstellen im Land, um daran zu erinnern, dass nach wie vor „Terrorgefahr“ bestehe. Und dass deswegen leider, leider jegliche Teilnahme von Oberschüler/inne/n an diesen grässlichen, pardon; an Demonstrationen verboten werden müsse. Denn solche Protestzüge könnten potenziell ein Ziel für Terroristen (nein, nicht solche in Uniform) abgeben. Deswegen sei jegliche unentschuldigte Abwesenheit von Schülerinnen oder Schülern während der Demonstrations-, ähm, Unterrichtszeit rücksichtslos zu sanktionieren. Vgl. im Originaldokument: „Voici ce que l’administration de l’éducation nationale envoie dans certains lycées aux professeursexterner Link .

Unterdessen fanden in manchen Unterrichtsräumen, in diesem Falle in universitären Gebäuden, bereits Polizeifestspiele statt. An der Hochschule Lyon-II lud sich die Polizei – die leider keine schriftliche Einladung erhalten hatte – selbst zu einer studentischen Vollversammlung ein, begleitet von universitätseigenem Wachpersonel. Ein Studierender wurde während der laufenden VV festgenommen, unter dem Vorwurf, er habe angeblich in den Toiletten ein Graffity hinterlassen und dadurch diesen so schönen und ästhetisch gehaltenen Ort verschandelt. Vgl. „Des flics débarquent à Lyon 2 et arrêtent un étudiant en pleine AGexterner Link  und die Stellungnahme der Vollversammlung dazu: „Communiqué de l’assemblée générale de Lyon 2 suite à l’interpellation d’un de nos camaradesexterner Link

In Asnières-sur-Seine, einem nordwestlichen Vorort von Paris, luden sich die Uniformträger wiederum zu einer gewerkschaftlichen Informationsveranstaltung für das Personal bei der Post ein. Bei ihr ging es darum, die Beschäftigten über die Mobilisierung der Studierenden an der nahen Universität von Nanterre – aktuell eine Hochburg der Proteste – gegen die geplante „Reform“ im Arbeitsrecht zu informieren. Sechs Polizeibeamte mit als „Flash-ball“ bezeichneten Gummiwummen nahmen als Zaungäste bei der Versammlung Aufstellung. Vgl. „A Asnières-sur-Seine, la police s’invite à une prise de parole syndicale à La Posteexterner Link

In der südfranzösischen Metropole Marseille kam es zu polizeilichem Gewalteinsatz gegen einen Protestzug von Oberschüler/innen. Gegen ihn richtete sich eine Protestnote der Schüler/innen an der Victor-Hugo-Oberschule, welche auch durch die CGT weiterverbreitet wird . Zwei mal kam es zu Tränengaseinsatz. Und ein sechszehnjähriger Schüler wurde – als angeblicher „Gewalttäter“ – durch sechs, natürlich völlig gewaltlose Beamte zu Boden gedrückt und auf die Polizeiwache verbracht. (Vgl.“Communiqué suite aux violences policières à l’encontre du cortège lycéens le 17 mars à Marseilleexterner Link oder „Répression policière sur le mouvement de la jeunesseexterner Link)

Und im ostfranzösischen Strasbourg wurden fünf Menschen, darunter eine Schülerin, bei den Demonstrationen am vorigen Donnerstag, den 17. März verletzt. (Vgl. „

Die französische KP in Strasbourg reagierte mit einer scharfen Erklärung, wonach „François Hollande und Manuel Valls politisch mit dem Rücken zur Wand stehen“ und sich dafür an der Jugend gewalttätig abreagieren. (Vgl.“Acculés, Valls et Hollande choisissent la violence contre les jeunesexterner Link)

Über die präventive Schließung der Pariser Sorbonne (vgl.“La Sorbonne fermée par le gouvernement. Folle journée pour les étudiants et lycéens au Quartier latinexterner Link) und das rigorose Durchgreifen der Polizei, um Vollversammlungen in ihrer Filiale in der rue Tolbiac zu verhindern (vgl. „) , berichteten wir an dieser Stelle bereits.

Ergibt das ganze politisch irgendeinen Sinn? Natürlich geht es der Regierung auch darum, Neue und bislang Außenstehende abzuschrecken – sowie für das passive Publikum in den Medien den Eindruck „gewalttätiger“ Proteste zu erwecken. (Vgl. dazu die Ausführungen in einem aktuellen Video: https://www.facebook.com/painplanche/videos/1572564676393016/ ) Dennoch stellt sich die Frage danach, welchen politischen Sinn das Ganze ergibt – weil erfahrungsgemäß gewaltförmige Repression gegen Jugendbewegungen eher eine „eskalierende“ Wirkung ausübt (vgl. die ersten Maitage 1968, vgl. auch später den Tod des Studenten Malik Oussekine im Dezember 1986 in Paris). Rein repressiv niederhalten lässt sich ein Sozial- und Jugendprotest in alle Regel nicht.

Doch neben der notorischen Selbstüberschätzung seitens von Manuel Valls – des rechten Spinners im Amt des Premierministers -, der vielleicht Alles im Griff zu haben glaubt, kommt ein weiters Element hinzu. Es ist eher auf der Ebene der immanenten Funktionsmechanismen des Polizeiapparats angelegt. Infolge der Attentate vom Januar 2015 sowie November 2015 ist der Apparat, den die Regierung zu starker und sichtbarer Präsenz in der Öffentlichkeit (und im November/Dezember 2015 zeitweilig auch zur Unterbindung sämtlicher Demonstrationen) auffordert, gehörig „überhitzt“. Viele Beamte leiden ihrerseits unter zahlreichen Überstunden, Urlaubssperre, Stress und Überarbeitung.

In dieser Situation entschied sich Innenminister Bernard Cazeneuve offensichtlich dafür, den Führungsleuten im Apparat „die Zügel locker zu lassen“. Das bedeutet: Es gibt wahrscheinlich keine Anordnung von oben, die darin besteht, unbedingt und auf-Teufel-komm-raus mit repressiven Mitteln in die Proteste hineinzugrätschen (was auch politisch eher widersinnig bis irrsinnig wäre). Doch der Minister signalisiert den oberen Polizeichargen, dass sie je nach Gusto breite Spielräume nutzen können und dafür, in gewissen Grenzen natürlich, carte blanche bekommen.

Daraus ergibt sich frankreichweit ein uneinheitliches Bild im staatlichen Umgang mit den Protesten, und mancherorts schlägt die polizeiliche Nervosität in Aggressivität und (potenziell vielleicht kontraproduktive?) Repression um. Wie es in dieser Hinsicht weiter geht, und welches „Eskalationsrisiko“ darin vielleicht liegen könnte, bleibt im Augenblick noch abzuwarten.

Zuckerbrot

Nun noch zum Zuckerbrot. Letzeres hat, nach jetzigem Stand, zum Großteil bereits die Führung der CFDT (zweitstärker Gewerkschaftsdachverband in Frankreich, rechtssozialdemokratische geführt) weggefressen. Ihre Leitung hat am 14. März – wie wir berichteten – beschlossen, die seitens der Regierung geplante „Reform“ offiziell zu unterstützen. Die mageren „Zugeständnisse“ stellten wir in Teil 6 und 7 bereits vor.  (Vgl. auch „Loi travail : des modifications très inspirées par les demandes de la CFDTexterner Link)

Ansonsten fällt die Ration Zuckerbrot in diesem Jahr, bei diesem Konflikt eher mager aus. Was gibt es neben den offiziell an die CFDT gemachten Zugeständnisse (Umwandlung der Obergrenzen für Abfindungszahlungen bei ungerechtfertigter Kündigung von einer Verpflichtung für die Richter in einen „Hinweis“ an dieselben, …) an Zuckerbrot? Ein paar mehr Zugeständnisse waren noch geplant. Das meiste davon hat sich inzwischen jedoch verflüssigt:

  • Geplant war, dem Code du travail – dem französischen Arbeitsgesetzbuch – sechzig eher symbolische Paragraphen als Vorspann vorauszustellen, in dem die allgemeingültigen Grundrechte aufgelistet werden. Als Erinnerung daran, dass auch die Lohnabhängigen Grundrechtsschutz genießen. Allerdings gilt dieses Prinzip bereits heute, ein (einzelner) Artikel zu Beginn des derzeit gültigen Arbeitsgesetzbuch verweist auf die u.a. in der Verfassung (und in internationalen Rechtsnormen) enthaltenen Grundrecht. Ferner wird dieser Vorspann mit den Grundrechten nun, nach den derzeitigen Plänen, doch nicht in das Arbeitsgesetzbuch aufgenommen. Vielmehr wird die Sache auf 2018 verwiesen, wenn das gesamte Gesetzbuch (über die jetzt geplanten Änderungen hinaus) neu formuliert werden soll.

Nur wird es keine Vorschrift dazu im Zusammenhang mit der geplanten Arbeitsrechts-„Reform“ geben: Die Regierung kam zu dem Schluss, sie habe ihren Platz nicht in dieser Reform, sondern in der geplanten Neufassung der Vorschriften für die Arbeitslosenversicherung (UNEDIC). Diese werden alle zwei Jahre zwischen den „Sozialpartnern“ im Frühjahr ausgehandelt und im Anschluss durch die Regierung genehmigt. In diesem Jahr deutet sich an, dass das neue Abkommen zur, tripartistisch verwalteten, Arbeitslosenkasse UNEDIC ausgesprochen regressiv ausfallen dürfte. Die Verhandlungen dazu sind z.Zt. in vollem Gange.

Es gibt derzeit noch zwei Zuckerl: Das erste ist das so genannte „Compte d’activité personnelle“ (CPA, ungefähr: „Persönliches Arbeitskonto“). Auf dieses ,Konto’ sollen bestimmte Rechtsansprüche eingespeist werden, welche die Lohnabhängigen auch bei einem Arbeitgeberwechsel oder bei Arbeitslosigkeitsperioden „mitnehmen“ dürfen. Dazu zählt insbesondere der Anspruch auf berufliche Fortbildung. Bislang ist das CPA, das einem Wahlkampfversprechen François Hollandes aus dem Jahr 2012 entspricht, noch weitgehend eine leere Hülse. Nun ist geplant, es mit ein bisschen mehr Substanz auszustatten. Dazu gehört voraussichtlich, ein Anrecht auf berufliche Fortbildung von 40 Stunden jährlich (statt bislang geplanten 15 Stunden pro Jahr) einzubauen. Es soll vor allem „Geringqualifizierten“ zugute kommen. Allerdings ist es nur im Interesse der Unternehmen, wenn die Lohnabhängigen über gewisse, auf aktuellen Stand gebrachte Kenntnisse verfügen. Und Präsident Hollande kündigte Anfang 2016 als neuen, verzweifelten Versuch zur Verringerung der Arbeitslosenzahlen – welch Letztere bislang das Haupthindernis für eine erneute Kandidatur zur Präsidentschaftswahl 2017 darstellen – eine „Ausbildungsoffensive“ an: Bis zu 500.000 Erwerbslose sollen demnach in alle möglichen Fortbildungen gesteckt werden.

Ein zweites Zuckerl ist die so genannte „garantie jeunes“ für die Jüngeren. Dabei geht es darum, jungen Menschen – wie nunmehr angekündigt wird, bis zu 100.000 jungen Leuten ohne Ausbildungs- oder Arbeitsverhältnis – eine Zahlung auf Sozialhilfeniveau (!) zu gewährleisten, um sie für ein Jahr lang irgendwelche Aus- oder Fortbildungen machen zu lassen.

Letzteres Zugeständnis war es, das die vordergründig „unpolitisch“ und eher bürgerlich-rechte Studierendengewerkschaft FAGE zur offiziellen Zustimmung zu den Regierungsplänen bewegte/verleitete. Die FAGE ging aus überwiegend „unpolitischen“ Fachschaften hervor und ist heute die zweitstärkste Studierendengewerkschaft hinter der (linkssozialdemokratisch geführten) UNEF. Die UNEF ihrerseits lehnt nach wie vor die Regierungspläne zur „Reform“ des Arbeitsrechts ab, fordert ihren Rückzug und unterstützt die Proteste dagegen.

Wie nun viele Beobachter/innen ungefähr gleichlautend feststellen und aufschreiben: „Die FAGE ist unter den Studierendengewerkschaften, was die CFDT unter den Gewerkschaften der abhängig Beschäftigten darstellt.“ Also ungefähr das, was Josef Stalin für den Kommunismus oder Dieter Bohlen für die Musik bedeutete.

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=95507
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