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Frankreichs umkämpfte Arbeitsrechts-„Reform“: Teil 6: Und was sagt eigentlich die extreme Rechte dazu? Bei aller sonst triefenden sozialen Demagogie..?

Artikel von Bernard Schmid vom 14.3.2016

Frankreich 2016: Loi travail: non, merci!Der Streit um die geplante regressive „Reform“ im französischen Arbeitsrecht geht munter weiter. Am heutigen Montag Abend (14. März 16) will Premierminister Manuel Valls nun im französischen Fernsehen auftreten, um die durch die Regierung vorgenommenen Abänderungen am Text bekannt zu geben. (Vgl. http://www.francetvinfo.fr/economie/emploi/carriere/vie-professionnelle/droit-du-travail/direct-loi-travail-apres-une-semaine-de-negociations-manuel-valls-doit-devoiler-une-nouvelle-version-du-texte_1358835.html externer Link) Eine teilweise Entschärfung von dessen Bestimmungen, die darauf abzielen, insbesondere die CFDT einzubinden, ist geplant. Die neue Fassung soll im Laufe des heutigen Montag bekannt gegeben werden. Labournet wird selbstverständlich am Ball bleiben und darüber berichten.

Lustig ist unterdessen, wie der Arbeitgeberverband Merdef, pardon: MEDEF unterdessen seinerseits mobil macht, um Text in der bisherigen Fassung zu „retten“.

Nachdem ein Vertreter des MEDEF in einem Gastbeitrag für die liberale Pariser Abendzeitung,Le Monde’ herum greinte und flennte, „Hunderttausende von Arbeitsplätzen“ würden leider-leider-leider „nicht geschaffen“ werden (können), falls der Gesetzentwurf entschärft oder gar zurückgezogen würde, versucht man es nun mit direkterer Erpressung. In zwei SMS an die Vorsitzende der Gewerkschaft höherer und leitender Angestellter (CFD-CGC), Carole Couvert, wurde MEDEF-Boss Pierre Gattaz überdeutlich: Wenn diese Gewerkschaft dazu beitrage, dass der Gesetzentwurf scheitere, drohte Gattaz, dann könne sie sich künftig eine Unterstützung des Arbeitgerverbands für (Sonder)interessen ihrer Angestelltenklientel gefälligst abschminken. Bei der CFE-CGC scheint man über dieses Vorgehen nicht sonderlich amüsiert. (Vgl. http://www.lefigaro.fr/social/2016/03/12/09010-20160312ARTFIG00075-loi-el-khomri-le-medef-tente-de-faire-pression-sur-la-cfe-cgc.php externer Link und http://bfmbusiness.bfmtv.com/emploi/loi-el-khomri-le-cinglant-ultimatum-du-medef-a-la-cgc-958482.html externer Link oder http://www.rtl.fr/actu/politique/loi-travail-comment-pierre-gattaz-et-le-medef-menacent-le-syndicat-des-cadres-7782338148 externer Link)

Aber es stellt sich noch eine wichtige politische Frage. Denn Frankreich weist im europäischen Vergleich derzeit eine besonders starke extreme Rechte auf, welche auch bis in die Arbeiterschaft und in gewerkschaftsnahe Kreise hinein einen gewissen Einfluss ausübt; vgl. dazu nebenstehenden Artikel. Aber was sagen eigentlich die Kräfte der extremen Rechten zu dem Entwurf, und zur sozialpolitischen Auseinandersetzung darum?

FN-Prosa zum Thema

Verbal geriert die Hauptpartei der französischen extremen Rechten, der Front National (FN), sich zunächst einmal oppositionell und wortradikal. Opposition zählt für die neofaschistische Partei, die seit ihrer Gründung im Oktober 1972 jedenfalls auf nationaler Ebene nie an einer Regierung beteiligt war (anders auf lokaler und teilweise regionaler Ebene), nun einmal bislang zu ihrem politischen Kerngeschäft. Liest man ihre Kommuniqués dazu ausführlicher durch, fällt allerdings eine gewisse Doppelbödigkeit auf. (Vgl. etwa die Erklärung von Marine Le Pen unter dem Titel,Projet de loi El Khomri: La régression pour tous’; wir hatten an dieser Stelle keine Lust, rechtsextreme Propaganda im Originalton auf deren Webseite zu verlinken…)

In der ausführlichsten Erklärung der Partei zum Thema – also zu dem Gesetzentwurf, der formal den Namen der zuständigen Arbeitsministerin Myriam El Khomri trägt, aber in Wirklichkeit direkt durch Premierminister Manuel Valls diktiert wurde – wird der Entwurf in der Einleitung zunächst als negativ für die abhängig Beschäftigten bezeichnet. Bei fortschreitender Lektüre fällt allerdings auf, dass danach plötzlich von Beschäftigteninteressen überhaupt nicht mehr die Rede ist. Vielmehr wird in den folgenden Absätzen kritisiert, dass die geplante Reform überwiegend Großunternehmen begünstige. (Dazu gehört tatsächlich die geplante Erleichterung von betriebsbedingten Kündigungen. Bislang muss ein Konzern, der in Frankreich Massenentlassungen plant, nachweisen, dass er in der betreffenden Sparte wirtschaftliche Schwierigkeiten aufweist, und zwar auf nationaler wie internationaler Ebene. Der Entwurf möchte die Analyse dazu auf die nationale Ebene beschränken, multinationale Unternehmen könnten also ungestört Gewinne und vorgebliche Verluste je nach Bedarf zwischen ihren Filialen verteilen und eventuell damit Massenkündigungen begründen.)

Während also größeren und multinationalen Unternehmen in mehreren Bestimmungen des Entwurfs Vergünstigungen verschafft würden, fährt der FN in seiner Erklärung fort, sei für kleinere und so genannt mittelständische Unternehmen keine vergleichbare Begünstigung vorgesehen. Was wiederum in Wirklichkeit nicht stimmt: Man denke nur an die geplante Bestimmung, wonach der Arbeitgeber in kleinen und mittleren Unternehmen bis zu fünfzig Beschäftigten allein entscheiden soll, welche Lohnabhängigen nach „Arbeitszeitpauschalen“ arbeiten. Bei ihnen werden Überstunden nicht gemessen, sondern alle Arbeitsstunden bis zu einem gesetzlichen Maximum von 13 Stunden pro Tag gelten als mit dem Lohn abgegolten. (Allerdings düfte diese geplante Bestimmung wohl noch gekippt werden, nachdem die Regierung sich nunmehr nach ersten Protesten auf Zugeständnisse einstellt. Auch die CFDT findet dies nicht gut, denn einseitig vom Arbeitgeber beschlossene soziale Grausamkeiten lehnt sie ab – diese müssen schon mit ihren Mitgliedsgewerkschaften ausgehandelt worden sein.)

Ansonsten hebt der FN stark auf Nebenaspekte in dem Entwurf ab. So will die Gesetzesvorlage stärker regulieren, in welcher Weise und in welchem Ausmaß konfessionelle Belange in Unternehmen – etwa nach Kantinenspeisung ohne Schweinefleisch, nach Urlaubsrechten an religiösen Feiertagen u.ä. – zum Ausdruck kommen dürfen und Berücksichtigung finden sollen, oder eben nicht. Diese Passagen wählt der Front National zum Ansatzpunkt für seinen Hauptangriff. Unter dem Motto „Ein verschärfter Kommunitarismus“ behauptet die rechtsextreme Partei, die französischen Unternehmen würden hier religiösen Sonderinteressen (drei mal darf man raten, welchen…) ausgeliefert würden. (Vgl. dazu die Erklärung des FN unter dem Titel: ,Loi El Khomri: communautarisme exacerbé, des salariés fragilisés, des TPE-PME oubliés’, übrigens mit französischem Rechtschreibfehler im Originaltitel. Wie die vorgenannte im Internet leicht aufzufinden, aber wir wollten an dieser Stelle nicht auf die Webseite der französischen Neofaschisten verlinken.)

FN demonstriert nicht mit – will aber eigene Veranstaltungen abhalten

Die Präsenz des FN auf gewerkschaftlichen und Sozialprotest-Demos blieb den Teilnehmer/inne/n erspart. So erklärte der Vizevorsitzende der Partei, Florian Philippot, er ist normalerweise am ehesten für das sozialdemagogische Profil zuständig, er werde „am Mittwoch (den 09. März) nicht mit demonstieren“, überlasse aber den Parteimitgliedern ihre „freie Entscheidung“ bezüglich einer Beteiligung oder Nichtteilnahme. Doch „die Lösung kommt nicht von der Straße, sondern von den (Wahl-)Urnen“, wie sich ja vielleicht bereits im kommenden Jahr 2017 „bei den Präsidentschafts- und Parlamentswahlen“ erweisen werde. (Vgl. http://www.lefigaro.fr/flash-eco/2016/03/06/97002-20160306FILWWW00035-philippot-je-n-irai-pas-manifester-mercredi.php externer Link)

Die, nicht unbedingt für ihre sensible Gewaltlosigkeit bekannte, Jugendorganisation der Partei (der FNJ) erklärte ihrerseits, nicht an den Demonstrationen teilzunehmen – wo die organisierte extreme Rechte auch definitiv unerwünscht wäre. Allerdings kündigte sie zugleich an, eigene Veranstaltungen abzuhalten, so ist eine öffentliche Veranstaltung in Marseille zum Thema geplant. (Vgl. Erklärung des FNJ unter dem Titel:,Contre la loi El Khomri, le FNJ ne manifestera pas le 9 mars avec le MJS et l’UNEF, mais lance une vaste campagne de terrain contre cette loi!’)

Angesichts der Tatsache, dass die auf starker sozialer Demagogie beruhende aktuelle Linie der Partei seit dem Vorjahr 2015 unter massiven innerparteilichen Druck geriet (vgl. https://www.labournet.de/wp-content/uploads/2016/02/schmid_fn_trump.pdf pdf), gingen auch die Anhänger wirtschaftsliberaler Positionen auf der extremen Rechten gegen die aktuelle ablehnende Position des FN zum Gesetzentwurf in die Offensive. Namentlich der eher national-wirtschaftsliberal ausgerichtete Bürgermeister von Béziers, Robert Ménard, der den Gesetzentwurf der Regierung als kleinen positiven Schritt in die „richtige Richtung“ hinstellte. (Vgl. http://www.lefigaro.fr/politique/le-scan/citations/2016/03/02/25002-20160302ARTFIG00129-pour-menard-le-pen-se-trompe-en-s-opposant-a-la-loi-el-khomri.php externer Link) Ihm zufolge vertritt die Partei mit ihrer offiziellen Position, die er als schweren Irrtum betrachtet, gar „alte CGT-Positionen von vor zwanzig Jahren“ (vgl. http://lelab.europe1.fr/robert-menard-compare-la-position-du-fn-sur-la-loi-el-khomri-a-un-discours-cegetiste-il-y-a-vingt-ans-2689066 externer Link).

Hingegen bezeichnete der für organisatorische Fragen zuständige Partei-Generalsekretär Nicolas Bay den Gesetzentwurf der Regierung als „Geschenk an den MEDEF“. (Vgl. http://www.francetvinfo.fr/economie/emploi/carriere/vie-professionnelle/droit-du-travail/loi-travail-un-cadeau-fait-au-medef-selon-nicolas-bay_1358985.html externer Link) Darum ist nun der Konflikt um die sozial- und wirtschaftspolitische Ausrichtung der extremen Rechten erneut voll und in neuer Härte entbrannt. (Vgl. http://www.lefigaro.fr/politique/2016/03/09/01002-20160309ARTFIG00324-au-fn-la-loi-travail-revele-des-approches-divergentes.php externer Link sowie http://www.europe1.fr/politique/la-loi-el-khomri-divise-le-front-national-2690446 externer Link) Diese Streitigkeiten erinneren an jene, die den FN und dessen Umfeld etwa anlässlich der Herbststreiks im November und Dezember 1995 durchzogen.

Ihre Chefin, Marine Le Pen, versucht sich in der Öffentlichkeit ihrerseits durch eine Pirouette aus der Affâre zu ziehen, und zugleich in offensivem Tonfall die soziale Opposition gegen den Regierungsentwurf verbal zu übertrumpfen. Die FN-Vorsitzende erklärt etwa, es sei widersprüchlich-widersinnig, wenn man einerseits diesen Entwurf ablehne, andererseits jedoch die Existenz der (oder die französische Zugehörigkeit zur) EU befürworte. (Vgl. http://actu.orange.fr/politique/le-pen-cible-ceux-qui-critiquent-la-loi-el-khomri-et-valident-l-ue-afp_CNT000000l3p1B.html externer Link) Wodurch die angebliche nationale Frage erneut der sozialen den Rang ablaufen soll: Letztere soll angeblich in der Erstgenannten enthalten sein…

Stiefelfaschisten

Es bleibt die außerparlamentarische, d.h. tendenziell stiefelfaschistische, extreme Rechte. Diese stellt sich den Mobilisierungen der sozialen Opposition dezidiert entgegen, wie sie es bereits bspw. anlässlich des Sozialprotests gegen den CPE (d.h. Angriff auf den Kündigungsschutz) im Februar/März/April 2006, als sie damals auch Besetzer/innen von Hörsäalen und Universitätsräumen während der Anti-CPE-Bewegung militant angriff. (Wir berichteten damals) Heute tut sie dies jedoch mit erheblich schwächeren Kräften.

In Lyon verbreitete die stiefelfaschistische Studentengruppe GUD (Groupe Union Défense) etwa in der zweiten Märzwoche 2016 angeblich Flugblätter – ausweislich ihrer Facebookseite -, auf denen sie ankündigte, sich einer Blockade von Hochschulräumen mit allen Mitteln zu widersetzen. Allerdings war zum fraglichen Zeitpunkt überhaupt keine solche Blockade oder Besetzung geplant. In Amiens attackierte die neofaschistische Jugendgruppe der „identitären“ Bewegung – Génération identitaire – am 08. März 16 mit Tränengas das örtliche Parteibüro der französischen KP, wo zu dem Zeitpunkt das Mobilisierungstreffen für die Demonstration am folgenden Tag stattfand.

Insgesamt handelt es sich jedoch um relativ kleine Kaspereien, verglichen mit der neofaschistischen Hilfspolizei-Mobilisierung im Frühjahr 2006 während der Anti-CPE-Bewegung. Der GUD ist heute nicht mehr so stark in bestimmten (besonders juristischen) Fakultäten verankert wie noch besonders in den 1990er Jahren. Viele älteren Herren aus den Reihen des GUD zählen heute allerdings zu den – eher informellen – Beratern von Marine Le Pen, wie Frédéric Chatillon und Philippe Péninque.

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=95081
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