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Demokratie als Brückentechnologie? Erdogans Türkei: Mehr rechts als Staat

Protest in Diyarbakir (27.02.2016, sendika.org)Demokratie ist wie ein Zug, soll Erdogan einmal gesagt haben: Man steigt aus, wenn man sein Ziel erreicht hat. Besonders weit scheint der Weg nicht mehr zu sein: Am Freitag (26.2.) waren die Journalisten Cem Dündar und Erdem Gül nach 92 Tagen Gefängnis entlassen worden (dort waren sie gelandet, weil ihre Berichterstattung über türkischen Waffenhandel mit Islamisten in Syrien nicht als Journalismus, sondern als Verrat von Staatsgeheimnissen gewertet wurde) – das oberste türkische Verfassungsgericht hatte auf Verletzung der Pressefreiheit geurteilt. Erdogan sagte daraufhin erst einmal eine Weile nichts, um dann mit folgender Rechtsauffassung an die Öffentlichkeit zu treten: Er repektiere das Urteil nicht, und er werde sich diesem auch nicht beugen. Welchen konkreten Effekt diese Ansage haben soll – außer einer weiteren Polarisierung der Gesellschaft – bleibt unklar. Klar ist dagegen, dass die Freilassung der beiden Journalisten nur ein Etappenerfolg ist: Die Staatsanwaltschaft fordert weiterhin eine lebenslängliche Gefängnisstrafe für beide, dutzende weitere Journalisten sitzen auch weiterhin in türkischen Gefängnissen – und die Lage im Südosten des Landes bleibt prekär, am Wochenende erst wurden Proteste in Diyarbakir zugunsten des belagerten Stadtteils Sur gewaltsam aufgelöst. Siehe dazu unsere Materialsammlung vom 29. Februar 2016

  • Türkei: Dramatische Szenen in Diyarbakir – Bericht  von Kirsten Ripper  bei den euronews vom 28. Februar 2016 externer Link, wo es heißt: „Am Samstag (27.2.) haben in Diyarbakir im Südosten der Türkei wieder Tausende gegen die Ausgangssperre im historischen Stadtteil Sur protestiert. Sicherheitskräfte gingen mit Wasserwerfern gegen die Demonstranten vor. Zahlreiche Menschen wurden festgenommen. Gewaltsam endende Solidaritätsdemonstrationen gibt es in der Kurdenmetropole Diyarbakir inzwischen an vielen Wochenenden. Wegen der andauernden Militäroperation gegen die PKK dürfen die Bewohner von Sur ihre Häuser schon seit Anfang Dezember nicht verlassen...“
  • Diyarbakır Sur için ayağa kalktı, polis bir genci katletti – Bericht bei sendika.org vom 27.02.2016 externer Link zum Protest in Diyarbakir – hier wird auch von einem beim Protest durch die Polizei erschossenen Jugendlichen berichtet
  • European Parliament Turkey Rapporteur Kati Piri: ‘A Glimmer of Hope’ – My Report From Diyarbakır – Beitrag bei Bianet vom 22. Februar 2016 externer Link über die Einschätzung der Türkei-Berichterstatterin des EU-Parlaments, die unübersehbare Menschenrechtsverletzungen in Sur konstatiert – und daraufhin vom Türkischen Minister für EU-Fragen zu hören bekommmt, sie hätte ihre Unparteilichkeit verloren
  • Freilassung von Can Dündar und Erdem Gül: Erfolg für türkische Gewerkschaften. Beitrag der ETUC vom 26. Februar 2016 externer Link (englisch), über die Freilassung der beiden Journalisten – und die Rolle der DISK, die sich unermüdlich für die beiden eingesetzt hat
  • Celebrate Dündar and Gül’s release, but recognize broader attack on press freedoms – Beitrag bei humanrightsturkey.org vom 26. Februar 2016 externer Link über den mit der Freilassung der Journalisten verbundenen Etappenerfolg – und den dennoch breiten Angriff auf die Pressefreiheit in der Türkei
  • Erdoğan says he ‚does not respect, will not obey’ top court ruling on arrested journalists – Beitrag bei der Hürriyet online vom 28. Februar 2016 externer Link über Erdogan, der das Gerichtsurteil zugunsten von Dündar und Gül weder respektieren noch akzeptieren will
  • Davutoğlu Reacts Against Freedom of Press Question – Beitrag bei bianet vom 8. Februar 2016 externer Link. Thema: Zum Merkel-Besuch in Ankara gab es eine gemeinsame Pressekonferenz. Welt-Türkei-Korrespondent Deniz Yücel war auch dort und fragte Frau Merkel – auf deutsch, warum sie zu den beiden inhaftierten Journalisten und auch sonst zu Problemen mit der Pressefreiheit in der Türkei nichts sagt. PM Davutoğlu fand erst später heraus, dass Yücel gar kein „biodeutscher“ Journalist ist, und fühlte sich jedenfalls bemüßigt, nochmal eine eigene Stellungsnahme abzugeben. Tenor: Kein Journalist sitzt in der Türkei wegen journalistischer Arbeit im Gefängnis – kann man natürlich einfach behaupten, wenn Berichterstattung als Geheimnisverrat – oder wahlweiese als Terrorismus-Unterstützung gewertet wird
Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=94159
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