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Neues von der Mobilisierung gegen umstrittene Arbeitsrechts-„Reform“ – Teil 3: Aufschub zwecks Sondierungen mit der CFDT?

Artikel von Bernard Schmid vom 29.2.2016

Frankreich 2016: Loi travail: non, merci!

Wird die Vorlage des heftig umstrittenen Entwurfs zu einer „Reform“ des französischen Arbeitsrechts im Kabinett verschoben? Das könnte passieren. Die Nachrichtenagentur AFP kündigte jedenfalls eine „eventuelle Aufschiebung“ an (vgl. http://www.lefigaro.fr/flash-actu/2016/02/26/97001-20160226FILWWW00299-loi-travail-vers-un-eventuel-report.php externer Link), die den Zweck verfolge, in einer „zweiten Runde“ nochmals „die Sozialpartner anzuhören“. [Das Fragezeichen war überflüssig, die Vorlage des Arbeitsgesetz-Entwurfs im Kabinett wird tatsächlich verschoben!]

In Wirklichkeit wird es dabei wohl vor allem darum gehen, zu erörtern, welchen Preis eine Zustimmung insbesondere durch die CFDT kosten wird. Dieser zweitstärkste Gewerkschaftsdachverband in Frankreich – zwischen 1968 und 1978 einmal der linkeste Dachverband, doch heute an der Spitze knallhart rechtssozialdemokratisch und pro-neoliberal geführt – protestiert gegen manche der Bestimmungen in dem Vorentwurf. Insbesondere gegen das Vorhaben, die Abfindungzahlungen, welche ein Arbeitsgericht im Falle einer ungerechtfertigten Entlassung (aus betrieblichen Gründen) verhängen „darf“, durch die Einführung gesetzlicher Obergrenzen zu „deckeln“. Andere Bestimmungen wiederum gefallen der CFDT und kommen ihr, also ihren Sonderinteressen als Apparat, weit entgegen. Dies gilt insbesondere für das Vorhaben, den Minderheitsgewerkschaften im Unternehmen zu erlauben, die Ablehnung eines (aus ihrer Sicht schlechten) Abkommens durch die Mehrheitsgewerkschaften zu umschiffen, indem sie eine „Abstimmung“ im Unternehmen anberaumen. Bislang konnten die Mehrheitsgewerkschaften eine schlechte Kollektivvereinbarung (convention collective oder accord collectif, Entsprechung zum deutschen Tarifabkommen) zu Fall bringen, indem sie ein gesetzlich anerkanntes „Vetorecht“ oder droit d’opposition ausüben. In seinem Interview mit der linksliberalen Pariser Abendzeitung Le Monde kündigte CFDT-Generalsekretär Laurent Berger – bei aller sonstigen verbalen Kritik an dem Entwurf – bereits an, diese neue Vorschrift dürfe auf keinen Fall zum Scheitern gebracht werden. (Vgl. http://www.lemonde.fr/emploi/article/2016/02/19/droit-du-travail-la-cfdt-denonce-de-mauvaises-reponses-a-des-revendications-patronales_4868294_1698637.html externer Link )

Unterdessen kommt die Regierungsoffensive gegen bisherige arbeitsrechtliche Vorschriften – gegen Schutzbestimmungen zugunsten der Lohnabhängigen – nicht richtig voran. Eine vor nunmehr zehn Tagen veröffentlichte Petition gegen den Gesetzentwurf erhielt bis zum Wochenende täglich im Durchschnitt knapp 100.000 Unterschriften und liegt inzwischen bei 768.000 Unterzeichner/inne/n, am Montag früh. (Vgl. https://www.change.org/p/loi-travail-non-merci-myriamelkhomri-loitravailnonmerci externer Link) Eine unfreiwillig witzige Gegenpetition wurde vergangene Woche unter dem Titel „Ja zum Arbeitsgesetz, nein zur Arbeitslosigkeit!“ publiziert. (Vgl. die Ankündigung von AFP dazu: http://www.lefigaro.fr/flash-actu/2016/02/26/97001-20160226FILWWW00365-une-contre-petition-favorable-a-la-loi-el-khomri.php externer Link) Ihr einziger Erstunterzeichner war der Pariser Politikwissenschaftler Dominique Reynié, ein arroganter Sack, der im Dezembr 2015 (erfolglos) als Spitzenkandidat für die Konservativ-Wirtschaftsliberalen zu den Regionalparlamentswahlen im Raum Toulouse antrat. Seine Petition liegt mittlerweile bei stolzen 7.898 Unterschriften. (Vgl. https://www.change.org/p/oui-à-la-loi-travail-non-au-chômage externer Link) Doch so viele! Also glatt ein Prozent so viel wie die Petition der Kritiker/innen!

Die Regierung scheint sich dabei taktisch ein bisschen selbst taktisch einen Fuß gestellt zu haben. Inzwischen ist es auch etwas klarer geworden, wie der Entwurf zustande kam. Die erst seit Anfang September 2015 amtierende, und bis dahin in Sachen Arbeits- und Sozialrecht eher ahnungslose (stattdessen auf Diskriminierungsbekämpfung sowie „Innere Sicherheit“ spezialisierte), Arbeitsministerin Myriam El-Khomri wurde dabei offenkundig selbst überrollt. Ihr wurden die im Zentrum der jetzigen Kontroverse stehenden Vorschriften direkt von Manuel Valls, dem rechten Spinner im Amt des Premierministers (als Rechtsaußen-Bewerber für die Präsidentschaftskandidatur der französischen Sozialdemokratie erhielt er bei der Urabstimmung im Oktober keine sechs Prozent), und seinem Umfeld in die Feder diktiert. Ansprechpartner Valls’ und seiner Combo war dabei Pierre-André Imbert, amtierender Chefberater im Arbeitsministerium, dessen Ernennung durch Valls durchgedrückt worden war. Imbert arbeitete zuvor für Raymond Soubie, der wiederum als Berater für Sozialpolitik… des konservativ-wirtschaftsliberalen Präsidenten Nicolas Sarkozy in den Jahren um 2008 firmierte. Myriam El-Khomris Ministerialberater für Arbeits- und Sozialrecht, Pierre Jacquemin, trat daraufhin am Freitag, den 09. Februar von seinem Posten zurück. Leider machte er in der Öffentlichkeit keinerlei Aufhebens darum, und sein Rücktritt wurde erst durch die Wochenzeitung ,Le Canard enchaîné’ vom 24. Februar überhaupt bekannt.

Sozialdemokratisches Urgestein ausmachende Politiker/innen wie die frühere Arbeitsministerin Martine Aubry – keinesfalls eine Linke! -, die am gestrigen Sonntag aus dem Parteivorstand der Sozialdemokratie zurücktrat und ihren möglichen Austritt aus der Partei ankündigte, opponieren mittlerweile offen gegen einen Teil der eingeschlagenen Orientierung. Aubry ist zwar die verkorkste Arbeitszeitreform von 2000 zu verdanken, die die schöne Idee der 35-Stunden-Woche nachhaltig diskreditiert hat, u.a. weil sie deren Einführung (als Arbeitszeitnorm IM MONATS- oder, falls ein Abkommen auch mit Minderheitsgewerkschaften dazu zustande kommt, auch IM JAHRESMITTEL) mit der Ausweitung variabler Arbeitswochen komibinierte. Doch dieser Rechtsruck in der Arbeitspolitik geht selbst ihr zu weit. Rund 70 Prozent der Befragten in einer Umfrage vom Wochenende rechnen derzeit damit, dass es die französische Sozialdemokratie sogar auseinanderhauen dürfte. (Vgl. http://www.lefigaro.fr/flash-actu/2016/02/26/97001-20160226FILWWW00387-pour-7-francais-sur-10-le-ps-risque-d-imploser.php externer Link) Um den Verein wäre es mitnichten schade, fraglich ist nur, was für eine Politik – und mit wem – die rechte Camarilla um Valls bis dahin durchsetzt.

Diese ist nun um Schadensbegrenzung bemüht, stellt sich dabei jedoch selbst noch ein Bein. Präsident François Hollande machte ihr zur Auflage, nunmehr an einigen Stellen zurückzurudern und eine Zustimmung jedenfalls in Teilen der Sozialdemokratie – und wohl bei der CFDT – einzuholen. Doch wie die Tageszeitung Libération am Wochenende (27./28. Februar) ist auch eine solche Operation nicht ungefährlich für die Regierung. Diese befürchtet nämlich, wenn nun in dier Diskussion mit den „Sozialpartnern“ nachgegeben werde, dann habe man die ohnehin im Voraus einberechneten „Zugeständnisse“ aufgebracht. Danach kämen aber noch die, teilweise sehr aufgebrachten, Abgeordneten der Sozialdemokratie an die Reihe, und die würden dann ihrerseits Kurskorrekturen einfordern. Nun kann die Regierung entweder gegenüber den Gewerkschaften (jedenfalls der CFDT) teilweise nachgeben, muss dann aber mit einer noch weiteren und stärkeren Korrektur am Entwurf rechnen; oder aber sie bleibt hart, dann bekommt sie es aber möglicherweise mit handfesten sozialen Protesten zu tun. Wenn denn die Führungen der Gewerkschaftsapparate dem nicht im Weg stehen…

Fortsetzung folgt!

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=94110
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