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Beobachtungen rund um den Klimagipfel im Notstandsgebiet Frankreich

„Mobilisierung rund um den Klimagipfel: Kritiker/Innen, Gewerkschaften, NGOs“ heißt der Beitrag von Bernard Schmid, ursprünglich erschienen am 10. Dezember 2015 in der jungle world, hier in ausführlicher Fassung, worin über verschiedenste Bestrebungen berichtet wird, Alternativen zur offiziellen Propagandashow zu realisieren.

Mobilisierung rund um den Klimagipfel: Kritiker/innen, Gewerkschaften, NGOs

Beobachtungen auf der „nicht offiziellen“ Seite. Ausführliche Fassung eines Beitrags, der gekürzt am 10. Dezember 15 in der Wochenzeitung ,Jungle World’ erschien, im Rahmen eines Wochenthemas mit mehreren anderen Beiträgen

Die Atmosphäre ist geschäftig, während draußen schon Dunkelheit heraufzieht. Bis deutlich über die geplant Zeit hinaus sitzen an diesem Sonntag (06. Dezember) am Spätnachmittag Menschen im Pariser Vorort Montreuil zusammen und diskutieren. Auf einem zentralen Platz, einige hundert Meter den Hügel hinunter, ist eine kleine Zeltstadt aufgebaut: das „Weltdorf der Alternativen“. Es handelt sich um eine Art kleinen Gegengipfel zur der Klimakonferenz der Staats- und Regierungschef COP21, die einige Kilometer weiter nördlich und westlich in der Pariser Vorstadt Le Bourget stattfindet.

Betont international will man auch in Montreuil sein. In einem überfüllten Saal, den eine örtliche Oberschule zur Verfügung stellte, drängen sich Dutzende von Menschen, um Aktivistinnen und Aktivisten aus Umwelt- und sozialen Bewegungen aus Tunesien, Mali und der Demokratischen Republik Kongo zuzuhören. Der menschengemachte Klimawandel, zu dem die ärmeren Länder des Planeten nur wenig beitragen – der gesamte afrikanische Kontinent mit mittlerweile 1,1 Milliarden Menschen ist nur für vier Prozent des globalen CO2-Ausstoßes verantwortlich -, wirkt sich dennoch auf diese erheblich stärker aus als auf die am stärksten industrialisierten Länder, die meist in der gemäßigten Klimazone liegen. In Tunesien etwa versalzt das Trinkwasser in fortschreitendem Maße, während die Vorräte zurückgehen, das Klima wärmer wird und Oasen im Süden des Landes schrumpfen. Die geringere Versorgungskapazität des öffentlichen Systems führt dazu, dass die Menschen in steigendem Ausmaß Mineralwasser aus Flaschen hinzukaufen müssen, zum Kochen und selbst zum Waschen. Dessen durchschnittlichen Verbrauch stieg von sieben Liter jährlich im Jahr 1987 auf 115 Liter. In der Sahelzone wird die fortschreitende Ausdürrung von Landstrichen zur Ursache der Zuspitzung von Konflikten etwa zwischen Viehzüchtern und Ackerbau betreibenden Bevölkerungsgruppen, die etwa im Sudan zu kriegerischen Zuspitzungen beitrugen. Und zu den Fluchtursachen für internationale Migranten.

Auch die Staats- und Regierungschefs erkennen diese besondere Betroffenheit des globalen Südens mit an. Verhandelt wird in Le Bourget über eine Summe von 1.000 Milliarden Dollar, die ab dem Jahr 2020 den Ländern des Südens im Namen der „Klimagerechtigkeit“ zur Verfügung gestellt werden soll. Doch was die Menschen hier im Saal in Montreuil empört, ist, dass Staat von Ausgleichzahlungen nunmehr, jedenfalls für einen Teil der Summe, vielmehr von Krediten die Rede ist. „Das wird dazu dienen, viele Länder des Südens noch tiefer in die Schuldenspirale zu stürzen“, empört sich Ariss* (*Vornamen redaktionell abgeändert), ein Aktivist vom tunesischen Forum für soziale und ökonomische Rechte (FDES).

Aspekte der internationalen Solidarität spielen eine große Rolle bei den Protesten und Begleitaktivitäten, die im Pariser Raum seit zwei Wochen rund um die offizielle Klimakonferenz stattfinden. Bei der Abschlusskundgebung kommt auch ein Vertreter einer noch immer bestehenden französischen de facto-Kolonie zu Wort, Französisch-Polynesien, das in naher Zukunft erstmals über seine mögliche Unabhängigkeit abstimmen soll. Nachdem einige der Inseln der Archipelgruppe durch Frankreich bereits mit den – 1995 beendeten – Atomwaffentests auf dem Muroroa-Atoll radioaktiv verseucht wurden, kommt nun noch die glänzende Perspektive eines Anstiegs des Meeresspiegels für die Inselbewohner hinzu. Zu dem Bündnis „Coalition Climat 21“, das die französischen Aktivitäten koordiniert, zählen neben internationalistischen Gruppen aber auch renommierte und institutionalisierte NGOs wie Greenpeace sowie Gewerkschaften.

Als Vertreterin des Internationalen Gewerkschaftsbunds (IGB), bei dem Umwelt- und Klimabeauftragte ist, spricht Anabella Rosenberg als eine der letzten Rednerinnen in Montreuil. Sie betont, auch aus spezifischer Perspektive von Lohnabhängigen werfe der Klimawandel besondere Frage auf. Entweder, die Arbeiterbewegung schaffe es, Druck zu entfalten, damit zu dessen Bewältigung oder – nach Möglichkeit – Verhinderung Arbeitsplätze mit gesellschaftlich sinnvollen Inhalten entstünden. Oder aber die Märkte bedienten diese neue Bedürfnisse, was dann aber mit einem Rückgang von Beschäftigtenrechten einherginge, „wie immer, wenn man ihnen die Initiative überlässt“.

Rückblick auf die Tage zuvor

International war auch die Perspektive jedenfalls bei einigen der Beteiligten an der Menschenkette, die am Vortag der Eröffnung der COP21 im Pariser Stadtzentrum stattfand. Sie reichte am letzten Novembersonntag die ganze Strecke zwischen der Place de la République und der Place de Voltaire entlang und führte damit auch, bewusst, an einigen der Orte der blutigen Attentate vom 13. November vorbei. Neben der Absage an Terrorismus, Gewalt und Krieg zählten zu den Forderungen, die auf zahllosen fantasiereich gestalteten Plakaten Ausdruck fanden, natürlich auch der Wunsch nach Bewahrung des Planeten. Ein internationalistischer Themenschwerpunkt wurde rund um die Metrostation Saint-Ambroise gebildet. Dort wurden die besonders gravierenden Folgen des Klimawandels für ärmere Länder wie Bangladesh oder die Staaten der Sahelzone ebenso thematisiert wie Klimaänderungen, Dürre und dadurch ausgelöste Verteilungskonflikte als Fluchtursache im Sudan und anderswo. „Klimatischer Notstand!“ proklamierten die Demonstrierenden.

Zu den Protestgegenständen zählten aber auch das Sponsoring der Konferenz COP21 durch französische Großkonzerne wie die Bank BNP, die zugleich über ihre Filialen in Steuerparadiesen in der Karibik auch in umweltschädliche Projekte wie Kohlekraftwerke investiert, oder den Ölkonzern TOTAL – das größte börsennotierte französische Unternehmen. (Vgl. dazu auch „Les désobéissants du climat : « On est des gentils, c’est notre meilleure arme »externer Link ) Ähnlich kritisch gewürdigt auch das „Greenwashing“ für die Atomenergie, das der französische Stromanbieter EDF und der Nuklearkonzern AREVA rund um die COP21 betreiben. Dort wird von ihrer Seite ernsthaft versucht, Atomenergie als umweltfreundliche Alternative zu fossilen Energiequellen anzupreisen, was natürlich nur funktioniert, wenn man beispielsweise den Uranabbau in den Herkunftsländern des Schwermetalls, wo auch die örtliche Bevölkerung massiv geschädigt wird, nicht in die Rechnung mit einbezieht. „Wir haben eine zu 98 Prozent CO2-freie Energie“, behauptet etwa die französische Region Elsass in ihrer Selbstdarstellung bei der COP21. Dabei wird das überalterte Atomkraftwerk in Fessenheim, das theoretisch durch François Hollande einer Abschaltung bis 2016 versprochen wurde, wahrscheinlich aber auch über dieses Stichjahr hinaus laufen wird, implizit als Alternative angepriesen.

Zivilgesellschaftliche Vereinigungen protestieren auch gegen die Anwesenheit von Diktatoren aus dem französischen Einflussbereich in Afrika wie Omar Bongo (Gabun) und Denis Sassou-Ngessou aus der Republik Kongo. François Hollande nutzt die COP21 als Anlass, um diesen diskreditierten Verbündeten den roten Teppich auszurollen – und sie zu diskreten Gesprächen am Rande zu empfangen. Weitgehend von Frankreich und insbesondere TOTAL abhängende Autokraten sollen auch in Le Bourget wieder an der Stelle ihrer Bevölkerungen, die dem Klimawandel besonders ausgesetzt sind, sprechen.

Zwar wurde die Menschenkette behördlich toleriert, doch alle anderen Menschenansammlungen unter freiem Himmel wurden verboten. Ein Versuch von überwiegend linken Gruppen, dennoch rund um die Place de la République zu demonstrieren, endete an jenem Sonntag mit insgesamt 346 Festnahmen und stundenlangen Tränengaseinsätzen. Ein allgemeines Demonstrationsverbot wurde zuvor unter Berufung auf die seit dem 14. November d.J. in Kraft gesetzten die Notstandsgesetze verhängt. Menschenansammlungen sind demnach potenziell von Attentätern gefährdet, was kurioserweise anscheinend für Einkaufszentren, Multiplex-Kinoketten und Weihnachtsmärkte nicht gilt. 24 Umweltaktivisten wurden zudem, unter Anwendung des Notstandsgesetzes, unter Hausarrest gestellt.

Demonstrationsrecht am 12. Dezember ?

Der harsche und brutale Polizeieinsatz hat unterdessen zu Kritik in zahlreichen Medien geführt. Die Regierung kündigte daraufhin mittlerweile eine Lockerung des Demonstrationsverbots an. Nur noch auf den Champs-Elysées in Paris sowie in Le Bourget gilt ein zentralstaatlich angeordnetes, allgemeines Demonstrierverbot. Ansonsten sollen die Präfekten – die Vertreter des Zentralstaats in den Bezirken, die auch die Polizei befehligen – selbst entscheiden. Innenminister Bernard Cazeneuve verkündete, in seinen Augen solle es rund um den Abschluss der COP21 am kommenden Samstag, den 12. Dezember 15 „einen zivilgesellschaftlichen Ausdruck“ geben dürfen. Die Nachrichtenagentur AFP meldete daraufhin etwas voreilig, er wolle eine Demonstration zulassen, was seinen Wortlaut jedoch ziemlich weit auslegt.

Real angekündigt sind nunmehr für diesen Sonnabend, den 12.12.15 eine sich nicht fortbewegende Kundgebung (also ohne Demonstration) unterhalb des Eifelturm, zu welcher die „Coalition Climat“ aufruft, sowie am Abend eine Kundgebung in einem Sportstadion – dem Stade Charlety – im Süden von Paris. Zu Letzterer ruft u.a. das Anti-Atomkraft-Netzwerk „Réseau Sortir du Nucléaire“ auf.

Zur Erinnerung, um nicht den Eindruck aufkommen zu lassen, die Anschläge seien ursächlich für die Verbote: Bereits zuvor war Ende Oktober 2015 durch einen Artikel der Zeitschrift Basta Magzine publik geworden, dass der französische Staat in zahlreichen Fällen Visaanträge von Personen aus Ländern des globalen Südens, die auf Diskussionsforen rund um die COP21 etwa über die Auswirkungen des Klimawandels auf Afrika Zeugnis ablegen sollten, ablehnte und ihnen damit die Reisemöglichkeit verweigerte. Um dieselbe Zeit hat der französische Staat die Wiedereinführung voN Grenzkontrollen rund um die COP21 angekündigt, und mittlerweile wurde auch publik, 1.000 Personen seien in diesem Zusammenhang effektiv an der Einreise gehindert worden. Am Morgen vor den Attentaten wurde zudem angekündigt, 30.000 Polizisten sollten an den nationalen Grenzen Kontrollen vornehmen, unter Aussetzung des Schengen-Abkommens. Die Anschläge erfolgten erst danach, lieferten jedoch eine wunderbare offizielle Rechtfertigung.

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=90444
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