(Offener Brief gegen) Abmahnungen wegen Streikteilnahme im Bremer Daimler-Werk auf dem Gewerkschaftstag der IG Metall

Dossier

Delegation des Sindelfinger Vereins "Freunde der internationalen Automobilarbeiterkonferenz Sindelfingen" solidarisiert sich praktisch mit den 761 Abgemahnten bei Daimler Bremen beim Gewerkschaftstag der IG MetallDas Auftreten von Bremer Mercedes-Kollegen am Freitag, 23. Oktober 2015, vor dem IG Metall Gewerkschaftstag hat zu heißen Diskussionen geführt. Das ist gut so und das war Sinn der Aktion. Denn bisher ist der Streik bei Mercedes innerhalb der IG Metall totgeschwiegen worden. (…) Immerhin, der 1. Bevollmächtigte der Bremer IG Metall, Volker Stahmann, sah sich gezwungen, auf dem Gewerkschaftstag (siehe S. 89 bis 91 des Tagesprotokolls vom Freitag, 23. Oktober) zu unserem Streik, den er nicht so nennen will, zu sprechen. Das ist gut so. Was schlecht daran ist, ist die Tatsache, dass den Kollegen, über die er spricht, nämlich die Abgemahnten und die Kläger, das Rederecht vor den Delegierten verweigert wurde…“ (Aus: Bremer Mercedes-Kollegen beim Gewerkschaftstag der IG Metall: Einige Richtigstellungen. Erklärung von Gerhard Kupfer, Bremen, vom 26.10.2015, s.u.) Die darin ziterten Äußerungen führten zum Rückzug eines der Erstunterzeichner des Offenen Briefes an den Bundesvorstand der IG Metall in Frankfurt und den Ortsvorstand in Bremen. Wir dokumentieren die Rückzugserklärung der Unterschrift sowie die Stellungnahmen von RA Benedikt Hopmann, eines der Anwälte, und die o.g. des Vertreters der Bremer Kollegen ebenso wie weitere Dokumente:

  • Brief von Günter Triebe an Kollegen Volker Stahmann (IG Metall Bremen)
    Werter Kollege Stahmann, deine Rede über den Streik bei Daimler auf dem Gewerkschaftstag ist leider unwidersprochen geblieben, weil niemand von den Betroffenen dort reden durfte. Ich war selbst als Delegierter aus Berlin Teilnehmer an diesem Gewerkschaftstag und habe deine Rede verfolgt. Nachdem ich mich nochmals umfassend über die Angelegenheit informiert habe, möchte ich zu einigen Ausführungen von dir Stellung nehmen…“ Brief vom 03. November 2015 , auf den Günter Triebe bis heute keine Antwort bekommen und er Volker Stahmann ausdrücklich auf die geplante Veröffentlichung im LabourNet Germany hingewiesen hat, wenn er weiter zu einer Stellungnahme bereit ist. Siehe für den Hintergrund das Dossier: Druck bei Daimler – Personalgespräche [und Abmahnungen] im Bremer Werk wegen Streikteilnahme


e-mail von Günter Triebe an die LabourNet-Redaktion am 26.10.2015

Liebe KollegInnen,
ich bin einer von den Erstunterzeichnern unter dem Brief wegen der Abmahnungen in Bremen. Auf dem Gewerkschaftstag, an dem ich als Delegierter teilgenommen habe, habe ich zur Kenntnis nehmen müssen, dass die betroffenen Kollegen Anwälte mit ihrer Klage beauftragt hatten, bevor sie Rechtsschutz bei der IGM beantragt hatten, und diesen Rechtsschutz dann nachträglich haben wollten. Das lässt die Verfahrensweise bei der IGM überhaupt nicht zu. Man muss zuerst Rechtsschutz bei der IGM beantragen, der dann in der Regel den DGB-Rechtsschutz mit der Durchführung der Verfahren beauftragt. Nur im Ausnahmefall kann der Ortsvorstand beim Vorstand beantragen, dass private Anwälte beauftragt werden. An dieses Verfahren haben sich die Kollegen nicht gehalten. Außerdem sind noch nicht einmal alle Mitglieder der IG Metall. Ich ziehe deshalb mein Unterschrift unter den offenen Brief zurück. Das bedeutet nicht, dass ich die Kollegen nicht voll inhaltlich in ihrer Klage unterstütze. Das Streikrecht muss uneingeschränkt für jeden einzelnen gelten. Aber trotzdem müssen in einer Organisation bestimmt Regeln und Prozeduren eingehalten werden.
Mit freundlichen Grüßen
Günter Triebe, Mitglied im Ortsvorstand der IGM Berlin


Stellungnahme von RA Benedikt Hopmann vom 27.10.2015

Ich bedauere sehr, dass Günter Triebe nicht mehr den Aufruf unterstützten will.

Die IG Metall in Bremen ist nicht bereit, ihren Mitgliedern Rechtsschutz zu gewähren.

Der Grund für die Ablehnung liegt nicht in Verstößen gegen Verfahrensvorschriften, etwa dass nur im Ausnahmefall private Anwälte beauftragt werden. Auch verdi hätte im Fall der Kassiererin „Emmely“ oder im Fall der Altenpflegerin Heinisch, die als „whistleblowerin“ erst vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg Erfolg hatte, allen Grund gehabt, sich auf solche Verstöße zu berufen. So wurde Brigitte Heinisch erst nach Prozessbeginn Mitglied der Gewerkschaft. Die Rechtsabteilung von Verdi sah die große Bedeutung dieser Prozesse und gewährte trotzdem Rechtsschutz. Ich glaube, verdi hat das nicht bereut.

Ich habe bisher nicht den Eindruck, dass die Brisanz der Abmahnungen, die gegen 761 Daimler Kollegen erteilt wurden, aber auch die Chancen, die in einer Klage gegen diese Abmahnungen liegen, von denjenigen erkannt werden, die bisher über den Rechtsschutz entschieden haben. Es geht um Arbeitsniederlegungen aus Protest. Es geht um die Rechtmäßigkeit aller Arbeitsniederlegungen im Herbst 2015 im Daimler-Werk Bremen. Zu keiner dieser Arbeitsniederlegungen hatte die IG Metall aufgerufen. Aber gerade deswegen muss die Gewerkschaft ein elementares Interesse daran haben, die Rechtmäßigkeit solcher Arbeitsniederlegungen feststellen zu lassen. Oder soll zur Regel werden, dass die Gewerkschaft solche Aktionen nur durchführt, wenn Daimler zustimmt? Es wird Zeit, dass das Bundesarbeitsgericht, seine Rechtsprechung ändert, die Rechtmäßigkeit solcher Arbeitsniederlegungen erkennt und endlich die Mindeststandards der Europäischen Sozialcharta in deutsches Arbeitskampfrecht umgesetzt werden.

Die IG Metall hat von Anfang an nicht zu erkennen gegeben, dass sie ein Interesse an einer Klage gegen diese Abmahnungen hat. Im Gegenteil: Sie empfahl stattdessen eine Gegendarstellung für die Personalakten. Sie erklärte im April 2015 in der der Zeitung ‚Kopfstütze’ der Vertrauenskörperleitung der IG Metall: „Da etwaige Klagen gegen die Abmahnungen an sich leider keinen Erfolg haben, wird die IG Metall auch keinen Rechtsschutz gewähren“. Über 550 Kolleginnen und Kollegen haben Daimler schriftlich aufgefordert, ihre Abmahnung aus den Personalakten zu entfernen. Daimler lehnte das ab. Der logische Weg ist dann, sein Recht einzuklagen. Oder soll gewartet werden, bis dem ersten Kollegen wegen eines „gleichartigen Fehlverhaltens“ gekündigt wird? Hätten alle Kollegen es bei einer Gegendarstellung belassen, würde die entscheidende Frage nach der Rechtmäßigkeit dieser Aktionen offen bleiben.

Warum hat die IG Metall nach ihren erfolglosen außergerichtlichen Bemühungen ihren Mitgliedern nicht empfohlen, gegen diese Abmahnung zu klagen? Die 30 Kollegen, die jetzt gemeinsam klagen, sind die einzigen, die sich nicht haben beirren lassen. Was sollten sie anderes tun, als sich selbst Anwälte zu suchen und sie mit der Klage zu beauftragen?

Aber die Kollegen wollten die IG Metall nicht aus der Verantwortung lassen. Die Vertrauensleute im Bremer Werk forderten die IG Metall auf, den 30 klagenden Kollegen Rechtsschutz zu gewähren. Der Bezirk Küste soll die Sache dem Vorstand zur Entscheidung vorgelegt haben. Der Vorstand kann den klagenden Kollegen Rechtsschutz gewähren. Die klagenden Kollegen sind bisher nicht davon unterrichtet worden, ob und wie der Vorstand entschieden hat. Helmut Platow, der zusammen mit drei weiteren Anwälten die klagenden Kollegen vertritt, hatte schon im Frühjahr in Frankfurt angefragt, ob die IG Metall Rechtsschutz geben will. Er hat bis heute keine Antwort erhalten.


Bremer Mercedes-Kollegen beim Gewerkschaftstag der IG Metall: Einige Richtigstellungen.

Das Auftreten von Bremer Mercedes-Kollegen am Freitag, 23. Oktober 2015, vor dem IG Metall Gewerkschaftstag hat zu heißen Diskussionen geführt. Das ist gut so und das war Sinn der Aktion. Denn bisher ist der Streik bei Mercedes innerhalb der IG Metall totgeschwiegen worden. Solidaritätsadressen kamen aus der ganzen Welt (ca. 100, von Gewerkschaften aus Uruguay bis Pakistan, von Griechenland bis Südafrika). Aber nicht ein Wort war zu lesen in der Zeitung „metall“ der IG Metall. Nicht ein Wort der Solidarität, geschweige denn irgendwelche Unterstützung.

Immerhin, der 1. Bevollmächtigte der Bremer IG Metall, Volker Stahmann, sah sich gezwungen, auf dem Gewerkschaftstag (siehe S. 89 bis 91 des Tagesprotokolls vom Freitag, 23. Oktober) zu unserem Streik, den er nicht so nennen will, zu sprechen. Das ist gut so. Was schlecht daran ist, ist die Tatsache, dass den Kollegen, über die er spricht, nämlich die Abgemahnten und die Kläger, das Rederecht vor den Delegierten verweigert wurde. Deshalb sind seine falschen und fehlerhaften Darstellungen dort unwidersprochen stehen geblieben, ebenso, wie seine spalterische Diffamierung der über 1.000 Streikenden, die „diese Splittergruppe … aus dem Tor geführt hat“ (siehe Redebeitrag Stahmann; das stelle man sich mal bildlich vor: Eine „Splittergruppe“ nimmt über 1.000 Kollegen am Händchen und führt sie vor`s Tor! Heilige Einfalt…).

Nun zu den falschen und fehlerhaften Darstellungen im Redebeitrag des Volker Stahmann:

1. „Das Wort Streik haben wir immer vermieden“ (Volker Stahmann auf dem Gewerkschaftstag)
Hier lassen wir Kollegen Stahmann in einem Interview mit der taz vom 3. Januar 2015 sprechen: „Streik ist die falsche Strategie“, sagt er der taz. Es gebe keine arbeitsrechtliche Grundlage, die Einführung von Leiharbeit durch Arbeitskampf zu verhindern. Sie politisch abzuschaffen, wertet Stahmann als ehrenwertes, aber unrealistisches Ziel. Letztlich liefe das auf die Forderung nach einem Generalstreik und er sei kein Freund „französischer Verhältnisse.“ Der Streik für politische Ziele ist in Deutschland verboten…“ (taz 3.1.2015).

2. Die Klage der 33 Kollegen sei eingereicht worden – „ohne Information der Verwaltungsstelle, ohne dass wir eingebunden waren“ (Volker Stahmann auf dem Gewerkschaftstag).
Fakt ist: Bereits im Januar erhielt ein Kollege mündlich den Bescheid von der Rechtsschutzstelle, dass eine Klage keine Aussicht auf Erfolg habe. Dies wurde in der Vertrauensleute-Zeitung „Kopfstütze“ dann im April schriftlich und öffentlich bestätigt. Dort heißt es:“Schon Anfang des Jahres haben die Anwälte der IG Metall die Möglichkeit geprüft, mit Klagen vor dem Arbeitsgericht die Abmahnungen „weg“ zu bekommen. Auch viele andere Anwälte sind leider zu der Auffassung gekommen, dass die Abmahnungen auf dem gerichtlichen Weg nicht „weg“ zu bekommen sind…Da etwaige Klagen gegen die Abmahnungen an sich leider keinen Aussicht auf Erfolg haben, wird die IG Metall auch keinen Rechtsschutz gewähren, da wir nach Satzung Rechtsschutz nur bei Erfolgsaussichten gewährt werden dürfen“ (Kopfstütze vom April 2015 , V.i.S.d.P.: Volker Stahmann, 1. Bevollmächtigter der IG Metall Bremen, Unterstreichung von uns).
Zweimal also wurde den Kollegen zu verstehen gegeben, lange, bevor sie Klage eingereicht haben, lange, bevor sie Rechtsschutz beantragt haben, dass sie keinen Rechtsschutz der IG Metall bekommen würden. Erst Mitte Mai haben sie daraufhin dann über die 4 Rechtsanwälte (Benedikt Hopmann, Reinhold Niemerg, Helmut Platow und Gabriele Heinecke) Klage beim Arbeitgericht Bremen eingereicht und der Ausschuss §102 des Betriebsrats hat trotzdem Rechtsschutz bei der IG Metall für die Kläger beantragt. Warum also verdreht Volker Stahmann diese Tatsachen? Die Antwort dürfte im Interview mit der taz (siehe oben) liegen.

3. Die formale Ablehnung des Rechtsschutzes wird begründet damit, das einige wenige Kollegen nicht Mitglied der IGM sind, bzw. nicht satzungsgemäß bezahlen. Weiter: Weil die Kläger bereits ihre eigenen Anwälte nach der Absage der IG Metall (siehe oben) eingeschaltet hätten.
Unsere Frage: Ist unsere Gewerkschaft ein Zusammenschluss von hoch bezahlten Bürokraten oder gegen die Verbrechen des Kapitals, wie z.B. Fremdvergabe in Werkverträge und Leiharbeit? Wer angesichts der 761 Abmahnungen nichts anderes zu tun hat, als mit der Satzung zu wedeln und damit alle Abgemahnten, also Hunderte von Kollegen, in den Hintern zu treten, der ist falsch auf diesem Posten.

4. „Denn … die Klage fordert ein Streikrecht, ein erweitertes Streikrecht ohne Aufruf von Gewerkschaften.“ (Volker Stahmann auf dem Gewerkschaftstag).
Das ist eine bewusste Entstellung der Klageschrift (die Volker Stahmann angeblich „bis heute“ nicht hat). Mit der Klage soll fest gestellt werden, dass eine derartige „ad hoc-Koalition“, also der spontane Streik, durch Grundgesetz und internationales Recht abgesichert sind (siehe dazu auch die Themenseite in der jungen welt vom 19. Oktober, geschrieben von den 4 Anwälten der Kläger externer Link und verteilt auch an die Delegierten des IG Metall-Gewerkschaftstages). Hat Volker Stahmann es wirklich nötig, den Klägern und den Anwälten indirekt Gewerkschaftsfeindlichkeit unter zu schieben?

5. Volker Stahmann behauptet in seinem unsäglichen Redebeitrag, dass unser Flugblatt, das wir an die Delegierten verteilt haben , „die Aufforderung (enthält) die IG Metall soll sich mit diesem Thema (gemeint sind Werkverträge und Leiharbeit) überhaupt nicht mehr befassen…“. Ja, wir sind für ein Verbot von Werkverträgen und Leiharbeit; ja, wir sind gegen alle Versuche, diese Verbrechen durch irgendwelche „Regulierungen“ zu legalisieren. Offenbar hat Volker Stahmann unser Transparent im Foyer nicht gelesen, wo neben der Forderung nach Verbot von Werkverträgen+Leiharbeit wörtlich zu lesen stand: „Die IGM Metall muss den Kampf organisieren“. Die absolute Mehrheit der Delegierten hat das verstanden – der 1. Bevollmächtigte aus Bremen offenbar nicht.

6. „Nach der Ablehnung der Gewährung von Rechtsschutz gab es weitere Anträge an die Verwaltungsstelle Bremen“ (Volker Stahmann auf dem Gewerkschaftstag). Richtig. Was er aber geflissentlich verschweigt, ist die Tatsache, dass ein entsprechender Antrag von der Vertrauensleutevollversammlung des Werkes Bremen gekommen ist.

7. Zur weiteren Information: Auf der Betriebsversammlung ist Volker Stahmann den streikenden Kollegen vor der Werkleitung in den Rücken gefallen, indem er sagte, diese Aktionen würden nichts bringen. Die betroffene Nachtschicht quittierte das mit heftigen Protesten. Wir vermögen heute noch nicht zu sagen, wie die Kollegen reagieren werden, wenn sie hören, dass er nunmehr zum ehrenamtlichen Vorstandmitglied gewählt wurde.

Gerhard Kupfer
Nähere Informationen: g.kupfer@arcor.de
Bremen, 26.10.2015
(Siehe die Erklärung von Gerhard Kupfer, Bremen, vom 26.10.2015 alternativ als pdf-Datei )


Siehe weitere Dokumente

  • Der LabourNet-Redaktion liegt zudem das Schreiben des Bremer IG-Metall-Ortsvorstandes vom 3.7.2015 vor, in dem die Ablehnung des Rechtsschutzes begründet und Weiterleitung an den Vorstand mitgeteilt wird. Aus datenschutzrechtlichen Gründen sehen wir von der Veröffentlichung ab
Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=88293
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