BVerfG zu Filmaufnahmen auf Demos: Wer filmt, darf gefilmt werden

Dossier

Bündnis “Go Film The Police”… Fertigt die Polizei Filmaufnahmen von einer Versammlung an, ist sie nicht ohne Weiteres berechtigt, die Identität von Versammlungsteilnehmern festzustellen, die die Polizeikräfte ihrerseits filmen. Dies hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) entschieden und hierzu ergangene verwaltungsgerichtliche Entscheidungen mangels ausreichender Begründung aufgehoben (Beschl. v. 24.07.2015, Az. 1 BvR 2501/13). Die Identitätsfeststellung sei nur bei konkreter Gefahr für ein polizeiliches Schutzgut zulässig…Meldung bei der Legal Tribune Online vom 8. Oktober 2015 externer Link, siehe weitere Urteile und Informationen zu Bild- und Filmrechten:

  • Landgericht Hanau zu aktivierter Body-Cam: Smartphone-Aufnahme von Polizeieinsatz nicht strafbar New
    „… Muss man damit rechnen, strafrechtlich verfolgt zu werden, wenn man einen Polizeieinsatz mit dem Smartphone in Bild und Ton aufnimmt? Zu dieser Frage gibt es mittlerweile rund ein Dutzend Gerichtsentscheidungen von Amtsgerichten, Landgerichten, zuletzt sogar von zwei Oberlandesgerichten. Die Rechtslage ist aber noch nicht verlässlich geklärt. Unterm Strich bleibt vor allem eins: Unsicherheit bei den Betroffen und bei der Polizei. (…) Das neueste Puzzlestück hat nun das Landgericht (LG) Hanau geliefert. Es traf Aussagen zu einem Aspekt, der bisher noch nicht gerichtlich entschieden wurde, in der Praxis aber eine große Rolle spielt: Wenn bei einem Polizeieinsatz die Bodycam eines Polizeibeamten eingeschaltet ist, dann macht sich nicht strafbar, wer auf der anderen Seite mit seinem Smartphone filmt und den Ton aufnimmt. Die Aufzeichnung mit der Body-Cam sorgt nach Ansicht der 1. Großen Kammer des LG nämlich dafür, dass Äußerungen von Polizeibeamten nicht mehr als „nichtöffentlich“ im Sinne der Strafvorschrift § 201 Strafgesetzbuch (Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes) angesehen werden können. Der zehnseitige Beschluss liegt LTO vor (Beschl. v. 20.04.2023 Az. 1 Qs 23/22). In dem Moment, in dem die Polizei zum Zweck der Beweissicherung aufzeichnet, dürfen es – und zwar straffrei – auch Betroffene auf der anderen Seite. Das LG statuiert sozusagen ein Prinzip der Waffengleichheit beim (Ton-)Filmen von Einsätzen. (…) Die Richterinnen und Richter arbeiten in ihrem Beschluss heraus, dass § 201 StGB ursprünglich – die Norm stammt aus dem Jahr 1967 – eingeführt wurde, um die damals noch neuen und deshalb oft unbemerkten technischen Möglichkeiten der Tonaufnahme einzuhegen und dazu die heimliche Aufnahme vertraulicher Worte im engen Kreis „als wesentliches Merkmal von Freiheitsstandards demokratischer Staaten verhindern wollte“. Hintergrund waren damals spektakuläre „Lauschangriffe“ auf Politiker und einen deutschen Atomphysiker. Alles Fälle, die vom nicht heimlichen Filmen in der Öffentlichkeit ziemlich weit entfernt sind. Tatsächlich kommt der § 201 StGB erst so richtig zum Einsatz, nachdem 2015 das Bundesverfassungsgericht abgeräumt hatte, dass Aufnahmen von Polizeieinsätzen über § 22 und § 33 KunstUrhG strafbar sein sollten, auch wenn die Aufnahmen gar nicht veröffentlicht werden sollen, sondern nur zur Dokumentation angefertigt werden. Staatsanwaltschaften hatten dann den § 201 StGB für die Aufnahmefälle entdeckt. Das LG betont, die Polizeibeamten bei der Kontrolle sprächen im hoheitlichen Kontext und fertigten Aufnahmen an, wozu sie gesetzlich ermächtigt seien. Polizeibeamte würden dann nicht mehr unbefangen sprechen. Vielmehr sei ihr Sprechen gekennzeichnet durch „das Bemühen um höchst konzentrierte, präzise auf die Ausfüllung des rechtlichen Rahmens abgestimmte Kommunikation.“ Die Richterinnen und Richter fassen zusammen: „Eine solche Gesprächssituation nimmt nach Auffassung der Kammer gemessen an Wortlaut, Entstehungsgeschichte und insbesondere dem Strafzweck des § 201 StGB nicht mehr an dessen Schutz teil…“ Beitrag von Markus Sehl vom 9. Juni 2023 bei LTO online externer Link
  • [“Go Film The Police”] Filmt die Polizei: »Alle Polizeieinsätze sind öffentlich« 
    Ein Bündnis will Menschen motivieren, Polizeigewalt zu filmen. Sie fordern, Videos als Beweismaterial vor Gericht zuzulassen (…)Zum Internationalen Tag gegen Polizeigewalt am 15. März ruft deshalb ein Bündnis dazu auf, die Polizei zu filmen: »Go Film The Police«. Und veröffentlicht parallel dazu einen Leitfaden zur Dokumentation von polizeilichen Maßnahmen. Gestartet wurde diese Kampagne bereits im November 2021 von Kop – Kampagne für Opfer rassistischer Polizeigewalt, seit etwa fünf Monaten steht sie nun auf breiteren Schultern und wird von verschiedenen Gruppen getragen, darunter die Initiative Schwarze Menschen in Deutschland, die Zeitschrift »Cilip«, die Gruppe Facq Berlin und das Netzwerk »Ihr seid keine Sicherheit«. Sie fordern, Videoaufnahmen von Polizeieinsätzen zu entkriminalisieren, die Konfiszierung von Handys und das Löschen von Videoaufnahmen durch die Polizei zu verbieten sowie Videoaufnahmen als sichere Beweismittel vor Gericht zuzulassen und verdächtige Polizeibeamt*innen zu identifizieren und zu verurteilen. (…) Wer Polizeigewalt filmen will, wird von den Beamt*innen häufig mit dem Vorwurf konfrontiert, dies verstoße gegen den sogenannten Abhörparagrafen (§201 Strafgesetzbuch). Er verbietet Tonaufnahmen des »vertraulich gesprochenen Wortes«. Das Bündnis kritisiert die missbräuchliche Anwendung dieses Paragrafen als »klaren Versuch, eine kritische Öffentlichkeit und Zeug*innenschaft zu kriminalisieren«. Tavangar von Kop sagt: »Alle Polizeieinsätze sind öffentlich.« Viele Menschen seien sich unsicher, was sie dürfen. »Die Polizist*innen nutzen das aus, um Augenzeug*innen einzuschüchtern und zu verunsichern«, ergänzt Kim (Name geändert) von der Gruppe Facq, die sich als »Front der antikolonialen, antikapitalistischen, anticistemischen Queers« bezeichnet. Auch queere und insbesondere trans Personen sind von Polizeigewalt betroffen. Im August 2021 wurde eine trans Frau in Berlin von der Polizei verhaftet, die sie zuvor selbst zu Hilfe gerufen hatte und anfing zu filmen, nachdem sie ihre Aussage nicht aufnehmen wollten. »Vor Gericht werden die Aussagen von Polizist*innen oft als neutral und glaubhaft gewertet, jene von Betroffenen und Augenzeug*innen als parteiisch und unglaubwürdig«, sagt Kim. Videos könnten eine Möglichkeit sein, Tathergänge im Nachhinein aufzuklären – und perspektivisch für weniger Polizeigewalt sorgen.“ Artikel von Ulrike Wagener vom 14.03.2023 im ND online externer Link

  • BGH: Zulässige Bildberichterstattung über Aufnäher an Polizeiuniform 
    „Das Foto eines Bundesbeamten, der beim Einsatz auf einer Gegenveranstaltung zu einem Neonazifestival umstrittene Aufnäher an seiner Uniform trug, darf ohne seine Einwilligung veröffentlicht werden. Entscheidend ist dabei die öffentliche Rolle des Betroffenen, so der Bundesgerichtshof. Gerade in der Debatte um rechtsradikale Sicherheitsorgane müsse dieser bei aufkommenden Zweifeln an seiner Neutralität kritikfähiger sein als Privatpersonen. (…) Ein Beamter der Bundespolizei verklagte den Fernsehnachrichtensender ntv auf Unterlassung einer Bildberichterstattung. Er hatte die Landespolizei Sachsen bei der Veranstaltung „Rechts rockt nicht“ am 22.06.2019 in Ostritz unterstützt. Die Veranstaltung richtete sich gegen ein gleichzeitig dort stattfindendes „Schild- und Schwertfestival“ von Neonazis. Am 24.06.2019 veröffentlichte der Sender auf seiner Internetseite in der Rubrik Politik einen Artikel mit folgendem Wortlaut: „(…) Viele Polizisten sympathisieren mit AfD. (…) Während eines Einsatzes bei einem Rechtsrockfestival fällt ein Bundespolizist mit fragwürdigen Abzeichen auf seiner Uniform auf.“ Unter der Meldung befand sich eine Kurznachricht aus dem Internetportal Twitter mit einem unverpixelten Foto des Klägers in voller Montur sowie zwei Aufnähern unterhalb der Brust. Der eine zeigte ein Schild mit Schwert und Flügeln und einer lateinischen Inschrift (übersetzt: „Tue Recht und scheue niemand“). Die zweite Verzierung bildete einen Spartanerhelm, ein griechisches Omegon mit gekreuzten Schwertern und eine griechische Unterschrift („Komm und hol sie dir“) ab. (…) Während das LG Dessau-Roßlau den TV-Sender antragsgemäß verurteilte, verneinte das OLG Naumburg einen Anspruch des Polizisten auf Unterlassung der Veröffentlichung, Verbreitung oder Verlinkung seines Bildnisses im Kontext der Berichterstattungen der Beklagten (…) Der VI. Zivilsenat stimmte dem OLG zu. Der Berichterstattung komme erheblicher Informationswert zu. Treten bei einem dienstlichen Einsatz wie hier aufgrund an der Uniform getragener Symbole Zweifel an der Haltung von Polizeibeamten – die durch Neutralität, Distanz und Objektivität geprägt ist – auf, liegt dem BGH zufolge eine Auseinandersetzung mit der Bedeutung dieser Symbole und der dadurch möglicherweise zum Ausdruck kommenden Haltung im gesellschaftlichen Interesse. Die schutzwürdigen Interessen des Klägers müssten dann zurücktreten. Hier handele es sich im Ergebnis der Abwägung um ein Bildnis der Zeitgeschichte nach § 23 KUG. Dabei sei zu berücksichtigen, dass er in einer Situation, in der mit einer intensiven Beobachtung durch die Presse und Dritte zu rechnen war, gewollt Aufmerksamkeit erregte. Er hinterlasse den Eindruck, eine Botschaft, eine private Meinung, kundtun zu wollen. Dadurch habe er den Anlass für die Fragen der Initiative „Rechts rockt nicht!“ an die Polizei nach der Bedeutung seiner Aufnäher und seiner Gesinnung über das soziale Netzwerk Twitter selbst geschaffen.“ Beitrag der Redaktion von beck-aktuell vom 6. Dezember 2022 externer Link zu BGH, Urteil vom 08. November 2022 – VI ZR 1319/20
  • OLG Düsseldorf: Wann Aufnahmen von Polizeieinsätzen nicht strafbar sind 
    „Ob Polizeieinsätze in Bild und Ton aufgenommen werden dürfen, haben Amts- und Landgerichte bislang unterschiedlich gesehen. Mit dem OLG Düsseldorf hat nun zum zweiten Mal ein OLG entschieden – mit anderer Stoßrichtung. (…) Das OLG Düsseldorf verwarf (…) eine Revision der Generalstaatsanwaltschaft und bestätigte ein Urteil des Amtsgerichts Wuppertal (Urt. v. 04.11.2022, Az. 3 RVs 28/22). Das OLG stellte einige grundsätzliche Erwägungen an – sparte aber auch einige Aspekte der Diskussion aus. (…) Zusammengefasst wird die Kritik unter dem Schlagwort „faktische Öffentlichkeit“, also einer Situation, in der beliebige weitere Personen von einem öffentlichen Ort aus die Aktion hätten wahrnehmen können. Gespräche, die in einer solchen Umgebung geführt werden, fallen nicht unter die Strafvorschrift. So formulierte es zuletzt 2021 auch das Landgericht (LG) Osnabrück in einem Beschluss mit grundsätzlichen Aussagen noch einmal. In dem Fall aus Wuppertal hatte die Generalsstaatsanwaltschaft laut dem OLG-Beschluss eine besonders ausgedehnte Anwendbarkeit des § 201 StGB vertreten. Sie wollte bei der Frage des öffentlichen bzw. nicht-öffentlichen Charakters vor allem auf den Willen der Sprechenden, also der Polizeibeamten, abstellen. Dieser Auslegung erteilt das OLG eine Absage: „Der Senat vermag sich dieser erweiternden Auslegung des Begriffs des „nicht öffentlich gesprochenen Wortes“ nicht anzuschließen.“ Sie führe sonst zu einer wesentlichen Erweiterung der Strafbarkeit, lasse den Schutzzweck der Vorschrift außer Betracht und finde in deren Wortlaut keine Stütze. Vielmehr habe die Polizeikontrolle in „faktischer Öffentlichkeit“ stattgefunden. (…) Das OLG stellt in seiner Revisionsentscheidung einige grundsätzliche Erwägungen an, und schließt an bisherige Rechtsprechung und Literaturstimmen an: Wer als Sprecher damit rechnen muss, dass seine Worte zur Kenntnis der Öffentlichkeit gelangen, mache seine Worte zu „öffentlichen“, und zwar selbst dann, wenn er sich nur an einen begrenzten Kreis wendet. (…) Einige Aspekte blieben aber ausgespart, mit denen sich Amts- und Landgerichte auseinandergesetzt haben. Bisher haben Gerichte wie schließlich auch das OLG Zweibrücken zumindest danach unterscheiden wollen, ob Polizeibeamte Betroffene bewusst zur Seite nehmen und eine abgeschirmte Gesprächssituation erzeugen wollten. Dann sollen Aufnahmen strafbar sein. Dafür hätte es laut dem Beschluss jedenfalls Anhaltspunkte gegeben. Wenn sich aus dem Zur-Seite-Nehmen aber faktisch keine neue abgeschirmte Situation ergibt, wird die Lage wieder anders zu beurteilen sein. Ob das OLG Düsseldorf nun eine ähnlich pauschale Auffassung für den öffentlichen Raum teilt wie das LG Osnabrück, lässt sich aus der Entscheidung nicht ablesen. Das LG Osnabrück hatte 2021 ausgeführt: „Das im Zuge einer im öffentlichen Verkehrsraum vorgenommenen Diensthandlung geäußerte Wort ist in faktischer Öffentlichkeit gesprochen, wenn dieser Ort […] frei zugänglich war.“ Eine weniger enge, den Bereich der Strafbarkeit erweiternde Auslegung sei nicht angezeigt. Und speziell für Polizeibeamte als Grundrechtsverpflichtete: „Eines Schutzes der Unbefangenheit bedarf ein Amtsträger, dessen Handeln rechtlich gebunden ist und als solches der rechtlichen Überprüfung unterliegt, indes nicht.“ Das Amtsgericht Wuppertal hatte sich in seiner Entscheidung (14 Cs 84/21 vom 22.12.2021), deren einschlägigen Passagen LTO vorliegen, ausdrücklich auf das LG Osnabrück bezogen…“ Beitrag von Markus Sehl vom 22. November 2022 bei Legal Tribune Online externer Link
  • Aktion „Go Film the Police“: Der Dreh gegen Polizeigewalt. Eine Initiative will mit Videos die Beweislage bei Polizeiübergriffen verbessern. Beamte nehmen filmenden Zeugen gern das Handy ab – zu Unrecht 
    Spätestens seit dem Mord an George Floyd im Frühjahr 2020 ist es offenkundig: Vorfälle von rassistischer Polizeigewalt werden oftmals nur durch „Bürger*innen-Videos“ öffentlich bekannt und juristisch verfolgt. Das ist auch die Erfahrung der Berliner Kampagne für Opfer rassistischer Polizeigewalt externer Link (KOP), die seit Jahren ihr bekannt werdende Fälle dokumentiert und Betroffenen zur Seite steht. Allerdings erlebten filmende Zeug*innen oder Betroffene immer wieder, dass Polizist*innen versuchen, Handys zu beschlagnahmen oder die Filmenden zu zwingen, Videos direkt zu löschen. „Es kommt dabei oft zu brutaler Gewalt. Und im Nachgang werden die Filmenden häufig mit dem Vorwurf des Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte vor Gericht gebracht“, erklärt KOP-Mitbegründer Biplab Basu. (…) Trotz solcher Erfahrungen – oder gerade deswegen – will die KOP Betroffene und Zeug*innen ermuntern, eskalierende Polizeieinsätze zu filmen. Mit ihrer neuen Kampagne „Go Film the Police“ fordert sie außerdem, dass die Wegnahme von Handys oder das Löschen von Filmen durch die Polizei verboten wird. Solche Aufnahmen seien „essenziell für die Beweisführung vor Gericht, insbesondere weil den Aussagen von Polizeibeamt*innen immense Bedeutung zugemessen wird, während den Betroffenen oft nicht geglaubt wird“, sagt Rechtsanwaltin Maren Burkhardt…“ Artikel von Susanne Memarnia vom 26.11.2021 in der taz online externer Link
  • Darf man Polizeieinsätze filmen? 
    Wer Polizeibeamte bei Einsätzen filmt, dem droht Strafverfolgung. (…) Polizei und Staatsanwaltschaft stützen sich dabei seit noch nicht allzu langer Zeit auf § 201 des Strafgesetzbuchs (StGB). Die Vorschrift bestraft denjenigen, der vertrauliche Gespräche ohne Zustimmung aufzeichnet. Dem Paragrafen geht es um die Tonaufzeichnung, nicht um das Bild. (…) Für einige Zeit griffen Polizei und Staatsanwaltschaft in diesen Fällen aber nicht auf das StGB zurück, sondern auf einen Straftatbestand im Kunsturhebergesetz (KunstUrhG). Die § 22 und § 33 KunstUrhG bestrafen denjenigen mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr, der ein Bildnis von jemanden ohne dessen Einwilligung verbreitet. Die Strafbarkeit knüpft also nicht an die Aufnahme an, sondern erst an ein späteres Verbreiten. Strafbar war das Aufnehmen, wenn die Aufnahme anschließend etwa im Internet hochgeladen wurde. 2015 markierte eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) eine Zäsur. (…) “ Die Annahme, dass eine Aufzeichnung einer späteren Veröffentlichung dienen solle, reiche für einen Strafbarkeitsvorwurf nun nicht mehr aus. Prof. Dr. Fredrik Roggan von der Hochschule der Polizei Brandenburg beobachtete in der Folge eine „Ausweichbewegung“. Plötzlich beriefen sich Polizei und Staatsanwaltschaften nicht mehr auf das KunstUrhG, sondern auf den § 201 StGB. (…) Ein erstaunlicher Vorgang, findet auch Prof. Dr. Tobias Singelnstein, Kriminologe von der Ruhr-Universität Bochum. Er fragt sich: „Warum hat vor der Entscheidung des BVerfG der § 201 StGB in solchen Fällen nie eine Rolle gespielt? Warum kommen die Staatsanwaltschaften dann plötzlich auf die Idee diesen Paragraphen zu aktivieren?“ Singelnstein ist überzeugt, dass die Videoaufnahmefälle in einen Straftatbestand gepresst werden, für den die Vorschrift gar nicht vorgesehen ist. „Die Polizei sucht einen Hebel, um in der Praxis gegen das Filmen ihrer Einsätze vorgehen zu können.“ Roggan hält von vornherein § 201 StGB bei Filmaufnahmen von Polizeieinsätzen für grundsätzlich nicht anwendbar. „Die Vorschrift will offensichtlich die Unbefangenheit des Gesprächs schützen, die Flüchtigkeit von Worten. Dafür sehe ich in der polizeilichen Kommunikation aber keinen Raum.“ Was Polizistinnen und Polizisten im Dienst tun, sei immer schon auf Kontrollierbarkeit ausgerichtet. Ihre Handlungen könnten später vor einem Verwaltungsgericht überprüft werden, viele Maßnahmen wie Personenfeststellungen seien streng formalisierte Vorgänge, Belehrungen im Übrigen formelhaft. Dienstgespräche der Polizei passten, so Roggan, nicht in das System der Strafnormen unter dem Abschnittstitel „Verletzung des persönlichen Lebens- und Geheimbereichs“. Außerdem weist Roggan darauf hin, dass der Gesetzgeber der Polizei – in NRW etwa über § 15 c Polizeigesetz – die Möglichkeit verschafft habe, an öffentlichen Orten ihre Body-Cam einzusetzen. Das bestätige, dass es sich bei dienstlich gesprochenen Worten von Polizeibeamten mit einem Bürger niemals um nichtöffentlich gesprochene Worte handeln könne…“ Beitrag von Markus Sehl vom 26. Oktober 2021 bei Legal Tribune Online externer Link – eigentlich ist (bisher zumindest) die Rechtslage klar: Die von § 201 StGB gefordert „Vertraulichkeit“ ist bei polizeilichen hoheitlichen Vorgehen nie vorhanden. Bedeutsam ist nur der Versuch, polizeiliches Verhalten jeglicher Strafbarkeit zu entziehen…
  • Recht am eigenen Bild: Wer Videos von Routine-Polizeieinsätzen veröffentlicht, muss Gesichter verpixeln 
    Filmen von Polizeieinsätzen ist grundsätzlich erlaubt. Wer die Videos anschließend hochladen will, muss die Gesichter der Beamt:innen normalerweise verpixeln. Doch es gibt Ausnahmen, macht das Kölner Oberlandesgericht klar. Wer Polizist:innen bei Routineeinsätzen filmt und die Videos im Internet hochlädt, muss ihre Gesichter verpixeln. Das Oberlandesgericht Köln externer Link hat ein Urteil des Landgerichts Bonn aus dem Juni bestätigt. Der angeklagte YouTuber muss nun eine Geldstrafe von 70 Tagessätzen je 40 Euro zahlen. Die insgesamt 2.800 Euro Strafe fallen wegen Verstößen gegen das Recht am eigenen Bild im Kunsturhebergesetz an. In den Videos gezeigte Polizist:innen hatten Strafantrag gestellt. Für Polizist:innen gelte zwar nicht der gleiche Schutz ihres Persönlichkeitsrechtes wie für Privatpersonen, so das Oberlandesgericht, jedoch würde bei Routineeinsätzen das Persönlichkeitsrecht überwiegen. Es handele sich beispielsweise nicht um eine Darstellung eines zeitgeschichtliches Ereignisses. Die beiden Videos, um die es ging, zeigten einen Polizeieinsatz im Rahmen eines Verkehrsunfalls bei einem gestoppten Hochzeitskorso. Zu beiden Fällen sagte das Landgericht Bonn externer Link: „Insgesamt gibt das Video einen Routineeinsatz der Polizei wieder, bei dem weder Polizeigewalt noch spektakuläre Bilder von einer besonderen Örtlichkeit oder Unfallsituation zu sehen sind. Auch sind keine bekannte oder prominente Personen des öffentlichen Lebens abgebildet.“…“ Artikel von Anna Biselli vom 22.10.2021 bei Netzpolitik externer Link
  • Gerichtsbeschluss: Polizei darf bei Einsätzen im öffentlichen Raum gefilmt werden 
    Wer Polizist:innen beim Einsatz filmt, kann Ärger bekommen. Jetzt bekräftigt ein Gerichtsbeschluss: Filmen ist erlaubt.
    Das Landgericht Osnabrück hat entschieden, dass Ton- und Filmaufnahmen eines Polizeieinsatzes im öffentlichen Raum nicht strafbar sind, sondern zulässig. Auch hätte die Polizei in einem konkreten Fall das Handy des Filmenden nicht beschlagnahmen dürfen. Hintergrund des Urteils ist ein Polizeieinsatz Mitte Juni 2021 in der Osnabrücker Innenstadt. (…) Zunächst bestätigte das Amtsgericht Osnabrück Mitte Juli die Beschlagnahme des Handys. Die filmende Person wehrte sich dagegen und zog vor das Landgericht. Dieses hob die Entscheidung nun auf (Az. 10 Qs 49/21) und gab dem Beschwerdeführer recht.
    In der Pressemitteilung des Gerichtes externer Link heißt es sinngemäß, die Worte der Beamt:innen seien dienstlich und „in faktischer Öffentlichkeit“ gesprochen worden – und durften daher aufgezeichnet werden. Das bedeutet: Die Aufnahme war erlaubt, weil die Beamt:innen öffentlich in ihrer Rolle als Beamt:innen gesprochen haben – und nicht privat. Auch Bildaufnahmen aus dem öffentlichen Raum seien, von Ausnahmen abgesehen, erlaubt. Es kommt regelmäßig vor, dass Polizist:innen Smartphones von filmenden Personen beschlagnahmen und diese Maßnahmen dann vor Gericht als rechtswidrig eingestuft werden. So wurde einer Frau in Kassel recht gegeben externer Link, die bei einer Demonstration die Kontrolle ihres Freundes durch Polizeibeamte filmte.
    Wenn Polizeibeamt:innen gegen filmende oder fotografierende Personen vorgehen, rechtfertigen sie die Maßnahme oft mit einer „Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes“ oder mit dem „Recht am eigenen Bild“ und dem Kunsturhebergesetz. Letzteres regelt aber nicht das Anfertigen einer Aufnahme, sondern die Veröffentlichung. Das Anfertigen ist insofern also nicht strafbar und liefert keine rechtliche Grundlage, auf der Polizist:innen das Filmen verbieten oder gar Smartphones beschlagnahmen dürfen. Das Filmen von Polizeimaßnahmen im öffentlichen Raum ist grundsätzlich erlaubt externer Link, nicht gefilmt oder aufgenommen werden dürfen jedoch Beamt:innen, die sich erkennbar leise besprechen, schreibt Buzzfeed.de in einem Artikel zum Thema externer Link. Fredrik Roggan, der an der Hochschule der Polizei in Brandenburg über Strafrecht lehrt, sagte zuletzt gegenüber dem NDR-Magazin Panorama externer Link, dass das dienstlich gesprochene Wort eines Polizisten gegenüber einem Bürger grundsätzlich und immer ein öffentlich gesprochenes Wort sei – und damit gar nicht vom „Abhörparagrafen“ erfasst. Der Polizist agiere ja nicht als Person, sondern als Amtsträger. Es gehe dabei nicht um intime Gespräche, sondern um einen Polizeieinsatz…“ Beitrag von Markus Reuter vom 05.10.2021 bei Netzpolitik externer Link
  • Verwaltungsgericht Gelsenkirchen: Presseteam der Polizei darf bei Demos nicht fotografieren
    Zwei Teilnehmer einer Demo hatten dagegen geklagt, dass sie abgelichtet worden waren. Vor Gericht bekamen sie nun Recht. Die Polizei darf bei Demonstrationen nicht zum Zweck der Öffentlichkeitsarbeit Fotos von Teilnehmern machen. Das stellte das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen am Dienstag in einem Streit über Fotos eines Demonstrationszuges klar, die die Polizei Essen während einer Kundgebung eines linken Bündnisses im Mai gemacht und auf Facebook und Twitter veröffentlicht hatte. Zwei Teilnehmer hatten dagegen geklagt, dass sie abgelichtet worden waren – wenn auch in größerer Gruppe. Schon dass die Polizei bei der Demo für die Demonstranten wahrnehmbar fotografiert hatte, sei rechtswidrig, urteilten die Richter. Es dürfe bei Kundgebungen erst gar nicht der Eindruck von staatlicher Überwachung entstehen. (…)Daran ändere auch eine Weste mit der Aufschrift “Social-Media-Team” nichts, wie der Klägeranwalt Jasper Prigge auf Twitter schreibt. Das Gericht habe zudem auf Verfahren in Asylsachen hingewiesen, in denen Betroffene in ihren Herkunftsstaaten eine polizeiliche Registrierung der Teilnahme an Versammlungen befürchten müssten. Dem stehe die Versammlungsfreiheit entgegen…” Meldung vom 23.10.2018 bei heise news externer Link
  • Siehe zuvor im Februar 2015: OVG Rheinland-Pfalz zu Übersichtsaufnahmen bei Demos: Eingriff in das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit
    Das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz hat mit Urteil vom 5. Februar 2015 die Anfertigung von Übersichtsaufnahmen im Kamera-Monitor-Prinzip durch die Polizei bei einer antifaschistischen Versammlung am 24. März 2012 in Bad-Neuenahr-Ahrweiler für rechtswidrig erklärt. (…) Da das OVG unter den heutigen technischen Bedingungen in Übersichtsaufnahmen einen Eingriff in das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit sieht, bedarf es gemäß Art. 8 Abs. 2 Grundgesetz einer gesetzlichen Ermächtigung für staatliche Behörden. (…)Das Urteil hat Bedeutung für Versammlungen in allen Bundesländern, die noch keine eigenen Regelungen zu Übersichtsaufnahmen per Landesgesetz geschaffen haben. Dazu gehört auch Nordrhein-Westfalen. Hier darf die Polizei nun nur noch dann Übersichtsaufnahmen fertigen – auch wenn sie nicht gespeichert werden -, wenn (…) eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung von der Versammlung ausgeht…Beitrag vom und beim Ermittlungsausschuss Köln vom 24. Februar 2015 externer Link.  Das Urteil des OVG Rheinland-Pfalz externer Link
  • vom 10. Juli 2014: Mit Auge und Ohr gegen den kommenden Aufstand
    Das Bundesinnenministerium hat 76 neue “Beweissicherungs- und Dokumentationskraftwagen” gekauft. Deren Hersteller wirbt mit dem Slogan “Entdecken, identifizieren und stören”
    Um Personen und Versammlungen aus der Distanz besser überwachen und kontrollieren zu können, haben sich die Bereitschaftspolizeien der Länder 52 neue “Beweissicherungs- und Dokumentationskraftwagen” (BeDoKw) beschafft. Sie sind mit einem bis zu 4 Meter hoch ausfahrbaren Kameramast ausgestattet, auf dem eine bewegliche Einheit aus Videokamera mit Zoomfunktion, aber auch ein Richtmikrofon fixiert ist. Auch die Bundespolizei hat eine Bestellung über weitere 24 Fahrzeuge aufgegeben. Die Beschaffung ist Teil der Aufrüstung des Fuhrparks deutscher Polizeibrhörden, denn zeitgleich wurden 78 neue Wasserwerfer beschafft
    …” Artikel von Matthias Monroy in telepolis vom 09.07.2014 externer Link
Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=87526
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