Fähren statt Frontex! Bleiberecht statt Grenzkontrollen! Flüchtlingshilfe aus den Gewinnen der Rüstungskonzerne bezahlen!

Auf dem Weg von Budapest nach Wien erstes Septemberwochenende 2015Kommentar von Susanne Rohland fürs LabourNet Germany vom 14. September 2015

Pünktlich sechs Tage vorm Start des Münchener Oktoberfest macht die Bundesrepublik die Grenze zu Österreich dich.[1] Vorausschauend hatte das Satiremagazin Postillon schon drei Tage vor der Grenzschließung mit Blick auf das Oktoberfest getitelt: „München: Zeltstadt auf Theresienwiese soll 6 Millionen Realitätsflüchtlingen Asyl bieten“.[2] Was das für die angekündigten privat organisierten Konvois [3] heißt, die eigentlich das Zeitfenster noch nutzen wollten, bis Ungarn die Grenze zu Serbien komplett abriegelt und illegale Einreise mit Gefängnis bestraft, ist bisher noch nicht abzusehen. Vielleicht sollten sie massenhaft leer fahren, damit die Grenzbeamten wenigstens genug zu tun haben? Jedenfalls sprechen die Ereignisse der letzten Wochen gerade nicht dafür, dass blockierte Grenzen an der Flüchtlingsfrage etwas ändern würden. Nicht nur waren es die Flüchtlinge selbst, die den Weg von Ungarn nach Österreich frei gemacht haben.[4] Sie haben auch nach nur kurzer Zeit die Zugblockade über die Grenze nach Dänemark überwunden und können, trotz gegenteiliger Bekundungen, augenscheinlich auch nach Schweden weiterreisen.[5] So gesehen stehen die Chancen nicht schlecht, dass auch die deutsche Grenzschließung nur von überschaubarer Dauer sein wird. Natürlich nicht einfach so, sondern auf der Grundlage von – hoffentlich – massivem Protest – und der gründlichen Unterwanderung eben jenes Grenzsystems. Das Leiden, der Horror sind real. Der Aufschrei, den das Bild des ertrunkenen Aylan immerhin hervorgerufen hatte, ist lange abgeklungen. Auf dem Weg nach Griechenland ertrinken die Menschen weiter.[6]

Bisher kaum thematisiert wird die Tatsache, dass den dramatischen Bildern von heute ganz absehbar die dramatischen Szenen von „übermorgen“ folgen werden: Wenn nämlich in fünf, zehn, 15 Jahren Syrien zum sicheren Herkunftsstaat erklärt wird, wird auffallen, dass die „Asylbewerber“ hierzulande gerade nicht als asylberechtigt anerkannt wurden, sondern als Bürgerkriegsflüchtlinge – für die Zeit des Bürgerkriegs. Im Sommer erst waren Neuregelungen zum Bleiberecht beschlossen worden.[7] Zwar ist dort ein Bleiberecht für Langzeitgeduldete vorgesehen – nach 8 Jahren, bei Familien mit minderjährigen Kindern nach 6 Jahren. Allerdings gilt das nur bei Rechtstreue. Wer etwa Geld an Schlepper gezahlt hat – und wie soll man aus Syrien bitte sonst in die EU gelangen? -, gilt aber gerade nicht als rechtstreu. Menschen, die sich ein Leben eingerichtet haben, Kinder, die hier zur Schule gehen, zum Teil hier geboren sind, werden nachts aus dem Schlaf gerissen und in ein Land zurückgeflogen, mit dem sie – wenn überhaupt – kaum noch etwas verbindet (denn den Rückflug organisieren, das kriegen die Behörden schon noch hin). So ist es tausenden von Bürgerkriegsflüchtlingen aus dem ehemaligen Jugoslawien ergangen, so ist es – wenn auch erst in einiger Zukunft – für zehntausende syrische Flüchtlinge zu befürchten.

Nun sind Prognosen immer schwierig, sobald sie sich auf die Zukunft beziehen. Nicht nur überforderte Behörden, auch überforderte Hilfsorganisationen – und nicht zuletzt abgewiesene Spendenwillige können davon derzeit ein Lied singen. Wann hat man schonmal gelesen, der Bedarf an Plüschtieren sei gedeckt? Vielleicht kann man die massive Solidarität dieser Tage ein Stück weit erhalten und jetzt, gerade jetzt, die Weichen etwas mehr in Richtung bessere Welt bewegen. Immerhin gilt immer noch: Geschichte wird gemacht, Regeln können geändert werden. 1989 wurden übrigens kurz vor der endgültigen Grenzöffnung am Ende Botschaften besetzt, bis die Ausreise (und damit die Einreise in die BRD) möglich war.

Siehe dazu:

[1] Die Bundesregierung führt an bayerischen Binnengrenzen wieder Kontrollen ein. Beitrag von Matthias Monroy bei telepolis vom 13.09.2015
http://www.heise.de/tp/artikel/45/45971/1.html externer Link

[2] München: Zeltstadt auf Theresienwiese soll 6 Millionen Realitätsflüchtlingen Asyl bieten. Beitrag beim Postillon vom 10. September 2015
http://www.der-postillon.com/2015/09/munchen-zeltstadt-auf-theresienwiese.html externer Link

[3] Refugee Convoy Leipzig – Ungarn – Wien. Beitrag bei Indymedia linksunten vom 12.09.2015
https://linksunten.indymedia.org/de/node/152897 externer Link

[4] Days of Hope: Marsch der syrischen Revolution nach Europa. Beitrag von Ferdinand Dürr bei Adopt a Revolution vom 7. September 2015
https://www.adoptrevolution.org/march-of-hope-erlebnisse/?pk_campaign=150907 externer Link

[5] Flüchtlinge haben dänische Zugblockade überwunden. LabourNet-Materialsammlung vom 11. September 2015
https://www.labournet.de/?p=86280

[6] Mindestens 28 Tote bei Bootsunglück vor Farmakonisi. Kurzübersetzung einer Meldung aus der Kathimerini vom 13.09.2015 von und bei borderline-europe
http://www.borderline-europe.de/dramen/mindestens-28-tote-bei-bootsungl%C3%BCck-vor-farmakonisi externer Link

[7] Gesetzentwurf des Innenministeriums: Schärfere Regeln für Asylbewerber. LabourNet-Dossier, zuletzt aktualisiert am 3. Juli 2015
https://www.labournet.de/?p=58177

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=86421
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