»
China »
»

Streik in chinesischer Fahrradlampenfabrik: Polizei als Streikbrecher, deutsche Unternehmen als Kunden

Polizeieinsatz in China im Mai 2015Einmal mehr waren nicht bezahlte Löhne der Grund für einen Streik, diesmal in einer Fahrradlampenfabrik. „Die Fabrik gehört der Firma New An Lun Lamp aus Taiwan und produziert Fahrradlampen für Marken wie die deutschen Messingschlager und Büchel sowie die niederländische AXA. Die Fabrik hatte etwa 100 Beschäftigte, die meisten Frauen mittleren Alters, einige davon kurz vor der Rente. Obwohl sie friedlich vorgingen, wurden bisher dreizehn Arbeiter_innen entlassen und neun Arbeiter_innen von der Polizei wegen „Störung der öffentlichen Ordnung“ verhaftet“ – dies ist aus dem Bericht „Nach der Besetzung einer Fahrradlampenfabrik in China durch Streikende werden diese entlassen und verhaftet“ von Elaine Hui am 20. Mai 2015 in den Labornotes erschienen und uns am 01. Juni 2015 in deutscher Übersetzung zugesandt (wofür sich LabourNet Germany bedankt) – eben vor allem aus dem Grund um zu sehen, was eventuell in den deutschen Unternehmen an gewerkschaftlicher Solidarität zu machen ist

Nach der Besetzung einer Fahrradlampenfabrik in China durch Streikende werden diese entlassen und verhaftet

 von Elaine Hui am 20. Mai 2015

Arbeiter_innen, die in einer Fabrik in Shenzhen Fahrradlichter herstellten, traten am 30. April 2015 in den Streik und forderten, dass die Firma ihnen das Geld auszahlt, das sie ihnen noch schuldete. Die Streikenden blieben über Nacht in der Fabrik und blockierten zwei Wochen lang Produktion wie Auslieferung – bis die Polizei am 13. Mai kam, die Streikenden abräumte und die Arbeiteranführer_innen verhaftete.

Die Fabrik gehört der Firma New An Lun Lamp aus Taiwan und produziert Fahrradlampen für Marken wie die deutschen Messingschlager und Büchel sowie die niederländische AXA. Die Fabrik hatte etwa 100 Beschäftigte, die meisten Frauen mittleren Alters, einige davon kurz vor der Rente. Obwohl sie friedlich vorgingen, wurden bisher dreizehn Arbeiter_innen entlassen und neun Arbeiter_innen von der Polizei wegen „Störung der öffentlichen Ordnung“ verhaftet.

Sieben der neun verhafteten Arbeiter_innen wurden innerhalb von 24 Stunden freigelassen. Die anderen beiden – darunter eine der gewählten Arbeitervertreter_innen – bleiben sieben Tage lang in Polizeigewahrsam. Während der Polizeirazzia am 13. Mai hatten diese beiden die Beine des Geschäftsführers und seines Sohnes gepackt und weinend gebeten, dass die fertiggestellten Produkte nicht abtransportiert werden.

Im letzten Jahr hat es, nach einer konservativen Schätzung des China Labour Bulletin, in China mehr als 1.379 Streiks und Arbeiterproteste gegeben, eine deutliche Steigerung nach 185 im Jahr 2011. Einer der größten Streiks war der von 48.000 Arbeiter_innen der Schuhfabriken von Yue Yuen, dem weltgrößten Hersteller von Sportschuhen, der auch für Nike und Adidas produziert.

Den Arbeiter_innen geschuldetes Geld

Die Firma New An Lun Lamp hat die chinesischen Arbeits- und Sozialversicherungsgesetze gebrochen, indem sie es versäumte, sowohl in die Rentenkasse als auch den Wohnungsfonds einzuzahlen. Letzterer soll Arbeiter_innen beim Kaufen oder Mieten von Wohnungen helfen. Die Arbeiter_innen bekamen zudem kein Geld für Abwesenheit im Krankheitsfall, Mutterschaftsurlaub, Arbeitsunfähigkeit nach Arbeitsunfällen und die freien Tage für ihre Hochzeit – auf all das haben sie legal Anspruch. Es wurde von ihnen verlangt, morgens und vor der Mittagspause jeweils zehn Minuten vor Arbeitsbeginn am Arbeitsplatz zu sein, ohne dass sie für diese Überstunden bezahlt worden wären. Außerdem hat es die Firma versäumt, ihnen die gesetzlich vorgeschriebene Zulage für Arbeitsplätze mit hohen Temperaturen zu zahlen. Der Zugang zu den Toiletten ist ein weiterer Streitpunkt. Diese werden in den Morgenstunden abgeschlossen, sodass mehr als siebzig Frauen sich in der Pause die acht Frauentoiletten teilen müssen.

Die Firma setzt auf diktatorische Managementpraktiken, darunter die Bestrafung von Arbeiter_innen, welche die Produktionsziele nicht erreichen oder als Störenfriede gesehen werden und deswegen isoliert und eingeschlossen werden. Der Streik wurde auch dadurch ausgelöst, dass eine Arbeiterin bewusstlos zusammenbrach und ins Krankenhaus gebracht werden musste, nachdem sie einen ganzen Tag isoliert und eingeschlossen war.

Im April schrieben die Arbeiter_innen einen Petition, in der sie die Betriebsleitung aufforderten, die Probleme abzustellen. Die Betriebsleitung forderte die Arbeiter_innen im Gegenzug auf, Vertreter_innen zu wählen, und verhandelte ein Mal mit diesen. Als die Arbeiter_innen keine zufriedenstellenden Antworten bekamen, traten sie am 28. April in den Streik und besetzten am nächsten Tag die Fabrik.

Die Betriebsleitung schickt Schläger

Nachdem der Streik begonnen hatte, drängten die Betriebsleitung und die Vertreter verschiedener Behörden auf Bezirksebene die Arbeiter_innen, weiter zu verhandeln. Die Betriebsleitung hat sich bisher jedoch geweigert, auf die Forderungen der Arbeiter_innen einzugehen. So schuldet die Firma vielen Arbeiter_innen zum Beispiel Einzahlungen in die Pensionskasse für sieben bis zwölf Jahre. Die Betriebsleitung bietet an, für zwei Jahre nachzuzahlen, und behauptet, dass würde den Vorgaben der Regierung entsprechen. Die Betriebsleitung wendet schmutzige Tricks an. Am 11. Mai schickte sie eine Gruppe von Schlägern, welche die Arbeiter_innen angriff und versuchte, fertiggestellte Fahrradlampen aus der besetzten Fabrik zu bringen. Die Arbeiter_innen konnten die Schläger daran hindern, die Kisten mit den Lampen hinauszutragen, aber einige Arbeiter_innen wurden dabei verletzt.

Am 13. Mai feuerte die Firma sechs der Arbeitervertreter_innen, ohne dabei das Procedere einzuhalten, das die Arbeitsgesetze der Zentrale und der Provinzen vorschreiben. Demnach muss die Firma die Gewerkschaften über jede Entlassung informieren und sofort auf etwaige Einsprüche der Gewerkschaft eingehen. Zudem ignoriert die Betriebsleitung die neuen Vorschriften über betriebliche Tarifverträge der Provinz Guangdong, nach denen Firmen Arbeitervertreter_innen nicht kündigen dürfen, solange sie ihrer Aufgabe, an Verhandlungen teilzunehmen, nachkommen. Nach den neuen Vorschriften in Guangdong (wo sich die Fabrik von New An Lun Lamp befindet) ist es auch illegal, während Verhandlungen zu streiken – das erste Gesetz, dass offiziell Streiks verbietet. Fürsprecher der Arbeiter_innen befürchten, dass dieses Gesetz eingesetzt werden wird, um gegen die zunehmenden Streiks vorzugehen und Arbeiteranführer_innen zu langen Haftstrafen zu verurteilen. Bisher hat die chinesischen Regierung in den meisten Fällen noch gezögert, so zu verfahren.

Polizeirazzia

Schlimmer noch, am selben Tag, als die Arbeiter_innen entlassen wurden, schickte die örtliche Polizei einhundert Polizisten in die Fabrik, um die Betriebsleitung beim Abtransport der fertiggestellten Fahrradlampen zu unterstützen. Die Polizei verhaftete neun Arbeiter_innen, darunter vier der entlassenen Streikvertreter_innen. Die neun wurden beschuldigt, die „öffentliche Ordnung“ gestört zu haben, obwohl der Streik vollkommen friedlich abgelaufen war. In China lässt die Regierung selten Arbeiter_innen aufgrund eines Streiks verhaften. Stattdessen wird ihnen auf unterschiedliche Weise die Störung der öffentlichen Ordnung vorgeworfen, wenn sie außerhalb der Fabrik demonstrieren oder die Auslieferung von Fertigprodukten verhindern. Am 18. Mai feuerte die Firma weitere sieben Arbeiter_innen wegen Nichterfüllung ihrer Arbeitspflichten. Eine davon war eine Arbeitervertreter_in, fünf weitere gehörten zu denen, die vorher von der Polizei verhaftet worden waren.

Gewerkschaften und andere Arbeitsorganisationen in Taiwan haben eine Petition gestartet, um Druck auf den taiwanesischen Chef auszuüben und ihn dazu zu bringen, die Rechte der Arbeiter_innen von New An Lun Lamp zu respektieren. Auf einer Pressekonferenz am 15. Mai verurteilten sie das illegale Vorgehen der Firma. Am selben Tag besuchten Gewerkschaften und andere Arbeitsorganisationen in Hongkong das Taipei Wirtschafts- und Kulturbüro und die Taiwan Wirtschaftsvereinigung und forderten von beiden, taiwanesische Firmen in China genauer zu überwachen. In China unterschrieben vierzehn Organisationen einen gemeinsamen Brief an New An Lun Lamp und ihre wichtigsten Kunden in Europa. Die Arbeitsorganisationen, welche die Streikenden unterstützen, versuchen auch, Gewerkschaften in Deutschland und den Niederlanden zu Solidaritätsaktionen zu bewegen.

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=81282
nach oben