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Wohin werden Griechenland und Europa getrieben?

Sich auf die Griechen mit Varoufakis einlassen, um Europa zu gewinnen – oder mit Pegida das „Abendland“ retten, um im Sumpf der Nationalismen zu landen? Kommentierte Presseschau von Volker Bahl vom 1.2.2015

Yanis Varoufakis – ein Popstar unter den Ökonomen – oder wie es mit Griechenland weiter gehen kann (http://yanisvaroufakis.eu/ externer Link) – jedoch viel plastischer noch als auf seinem Blog kommt das in einem Interview mit Yanis Varoufakis zur Geltung, das Roger Strassburg und Jens Berger mit ihm im Jahr 2013 auf einer Konferenz in Austin (USA) hielten. (http://www.nachdenkseiten.de/?p=21256 externer Link (erster Teil) sowie http://www.nachdenkseiten.de/?p=21258 externer Link (zweiter Teil))

Dies schreibt ziemlich respektvoll die Süddeutsche am Freitag, 30. Januar 2015 unter der Überschrift: „Rebellischer Diplomat“. Seit Beginn der Eurokrise meldet sich Yanis Varoufakis regelmäßig zu Wort. Er ist ein Ökonom, der polarisiert und Aufmerksamkeit erregt. Etwa mit der Ansicht, die Sparmaßnahmen, die Griechenland auferlegt wurden, glichen fiskalischem Waterboarding.

Nach dem Erscheinen des „CIA-Folter-Report“ auch auf deutsch (http://www.nachdenkseiten.de/?p=24645 externer Link) kann es auch hier einem jedem geläufig sein, wie mit „Waterboarding“ gefoltert wird. („verursacht Krampfanfälle und Erbrechen“)

Zurück zu Varoufakis: Immer wieder wird Varoufakis als Popstar der Ökonomen-Szene bezeichnet. Gekonnt spielt er mit seinem Image als Rebell. In der Öffentlichkeit trägt der Hobby-Sportler gerne eine schwere Lederjacke und aufgeknöpfte Hemden. Auch seine Leidenschaft für Motorräder ist kein Geheimnis.

Zugleich aber blickt Varoufakis auf eine internationale akademische Karriere zurück. Als Wirtschaftswissenschaftler lehrte er in Großbritannien, Grioechenland und den Vereinigten Staaten. Er besitzt neben der griechischen auch die australische Staatsbürgerschaft. Zuletzt arbeitete er als Chefökonom für die US-Firma Valve, die Computerspiele entwickelt.

Unter den Wirtschaftswissenschaftlern gilt Varoufakis Stil als gewöhnungsbedürftig. Doch gerade sein Habitus dürfte Varoufakis im Wahlkampf für die Syriza-Partei geholfen haben. Kein Anzug, keine Krawatte – schon äußerlich zeige Varoufakis,, dass er nicht Teil der jahrzehntelang etablierten griechischen Eliten ist, sagt der Athener Ökonom und Wirtschaftsberater Jens Bastian. „Varoufakis hat verstanden, dass Politik auch heißt, ein Image aufzubauen.“ Obwohl Varoufakis nicht einmal Syriza-Mitglied ist, war diese Strategie bei den griechischen Wählern erfolgreich: Im Wahlkreis Athen B errang er als Politikneuling auf Anhieb die meisten Wählerstimmen.

Seinem neuen Chef, Premier Alexis Tsipras, ist Varoufakis seit längerem freundschaftlich verbunden. Varufakis großes internationales Netzwerk dürfte dem Syriza-Vorsitzenden Tsipras bei seinem rasantem Aufstieg geholfen haben. (wie stark sein Präsenz im angelsächsischen Raum wirkt, kann man an der Resonanz gerade auch aus den USA sehen: zum Beispiel Jeffrey Sachs, James Galbraith und auch Paul Krugman (= siehe weiter unten noch)

Seit Anfang der Woche ist nun Varoufakis griechischer Finanzminister.

Dass ausgerechnet ein verbaler Haudrauf wie Varoufakis die Verhandlungen mit den Geldgebern (für die griechischen Schulden) führen soll, ist dennoch nur auf den ersten Blick ein Widerspruch. So schätzt etwa der Ökonom Jens Bastian, dass Varoufakis viel Fähigkeiten für solche diplomatischen Drahtseilakte mitbringe.

(na, wie hieß doch der deutsche Banker, der damals 1953 das Londoner Schuldenabkommen für Deutschland zustandebrachte: Hermann Josef Abs, der auch diese „heiße Kartoffeln“ der deutschen Schulden für Adenauer aus dem Feuer holte – und er scheint auch für Varoufakis ein „Vorbild“ zu sein, wie diese ganze Londoner Konferenz von 1953)

„Er ist ein erfahrener Akademiker, der im Ausland gelebt und gearbeitet hat. Er dürfte es ausgezeichnet verstehen, auf dem internationale Parkett mitzuspielen,“ sagt Bastian. Hilfreich dürfte auch sein, dass Varoufakis exzellent Englisch spricht (er hat in dieser Sprache gelehrt!) Außerdem, so Ökonom Bastian, habe der neue Finanzminister ein gutes Gespür dafür, wie Äußerungen aus der griechischen Politik bei internationalen politischen Akteuren ankommen. (soweit Jakob Schulz in der SZ: http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/griechischer-finanzminister-varoufakis-rebellischer-diplomat-1.2326601 externer Link)

Und so versteht Varoufakis die so abstrakt scheinenden „Finanzdinge“ immer wieder doch auch auf einen einfachen Nenner bringen zu können – wie z.B. dieses „Fiscal Waterboarding“ von Varoufakis (http://blogs.taz.de/wortistik/2015/01/29/fiscal-waterboarding/ externer Link).

Jetzt wird zuerst über die Schulden gestritten

Jedoch das ist längst nicht alles, was dieser kluge Kopf zu wege bringt. Schon James Galbraith hatte in einem Interview in herrlich pragmatischer Weise die Möglichkeiten und Schritte für Syriza in Umrissen skizziert: Wenden wir uns der Frage, ob sich die Dinge ändern können – wie im richtigen Leben auch – erst ein wenig später zu. Man verhandelt immer mit Leuten, mit denen man nicht übereinstimmt – denn, wenn man übereinstimmt, braucht man nicht zu verhandeln. Und nun zum Start der Verhandlungen erklären die Griechen, dass sie das bisherige Spiel von angeblichen Wachstums- „Erholungs“- und „Reform“maßnahmen nicht mehr mitspielen, weil deren Versprechen als Finanzpolitik schlicht und einfach nur eine Verlängerunmg einer Heuchelei wäre. – Und der Druck, der auf Griechenland ausgeübt werden könnte, ist bei nur noch 65 Milliarden, die bei den Privaten (Hedgefonds und Banken) liegen, nicht mehr sehr groß. (Vgl.das Interview mit James Galbraith: http://www.nachdenkseiten.de/?p=24704 externer Link)

Aber auch sonst macht sich Varoufakis die Sorgen seiner Verhandlungspartner zu eigen: „Wir müssen jedoch auch die Einschränkungen unserer Gesprächspartner berücksichtigen, wie zum Beispiel die des Herrn Schäuble.“ Der deutsche Finanzminister verspreche doch seinen Abgeordneten seit fünf Jahren, dass sie für Griechenland nicht mehr zahlen müssten. Der „Schuldenschnitt müsse daher so verpackt sein, dass er für den Bundestag leicht verdaulich sei“.

Sehr präzise ist jetzt (31. Januar) noch Ulrike Herrmann auf die Vorstellungen des neuen Finanzministers eingegangen (http://www.taz.de/!153845/ externer Link): Ende 2013 beliefen sich die griechischen Staatsschulden auf 320 Milliarden Euro. Das entspricht etwa 175 Prozent der Wirtschaftsleistung. Auch unabhängige Experten sind überzeugt, dass Griechenland diese Schuldenlast niemals wird abtragen können – womit wir bei diesem „Fiscal-Waterboarding“ wären.

Aber nur ein Bruchteil dieser Kredite ist noch im Besitz von privaten Investoren wie Banken und Hedgefonds: nämlich gerade einmal 65 Milliarden. Varoufakis muss sich also vor allem mit den anderen EU-Staaten einigen, wenn er die Schulden reduzieren will, denn öffentliche Institutionen halten inzwischen 80 Prozent der griechischen Staatsanleihen. Die Europäische Zentralbank (EZB) und der Internationale Währungsfonds (IWF) besitzen zusammen 65 Milliarden, während die verbleibenden 190 Milliarden bei der EU und europäischen Rettungsschirmen liegen. Der Plan von Varoufakis geht auf all diese verschiedenen Institutionen im einzelnen ein… (siehe Text)

Gegenüber der EZB hat er ein spezielles eigenes Verfahren entwickelt…

Unter dem Strich wird hier wieder das „extraordinäre“ Modell, das Deutschland für sich in der Eurozone als „Exportüberschuss-Lohndumping-Land“ entwickelt hat, deutlich: Deutschland exportierte dadurch viel (zu viel für ein ökonomisches „Gleichgeicht“ in der Eurozone) und die anderen haben sich „verschuldet“, ohne es eben je zurückzahlen zu können. (wie die Bilanz dieser gegen die ökonomische Währungszonenvernunft für die Deutschen mit ihrem „hybriden“ Exportüberschuss aussieht: Zwischen 2006 und 2012 haben sie 600 Milliarden im Ausland verloren – wie das DIW vorgerechnet hatte (siehe den Abschnitt „Die so schreckliche Anhänglichkeit des „deutschen Michel“ am Ideal der „schwäbischen Hausfrau“ – und wie er sich damit ins eigene Fleisch schneidet“ auf er Seite 4 f. bei https://www.labournet.de/?p=67621 – oder auch noch „Hat Europa versagt?“: https://www.labournet.de/?p=69391 – im Streit mit den USA)

Aber wenn das Schuldenproblem einmal „gelöst“ sein wird – ist erst nur die große Pein beseitigt…

Wie jüngst jetzt Jeffrey Sachs betont hat (http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/griechenland-schuldenerlass-oder-es-knallt-1.2326307 externer Link), kann die Reduzierung der Schuldenlast nur der erste Schritt sein. Nur das allein wird Griechenlands Probleme noch nicht lösen.

Die eigentliche Lösung bedarf der harten Arbeit junger Griechen, die neue Unternehmen gründen und Exportmärkte finden müssen. Für Europa insgesamt bedeutet es, einen von Investitionen getriebene Aufschwung (vgl. siehe dazu auch oben schon James Galbraith (Interview Seite 4) mit dem Problem zwischen George Bernard Shaw und Lady Astor) in Gang zu setzen, zum Beispiel durch den Ausbau einer intelligenten Infrastruktur für das 21. Jahrhundert, wobei Griechenlands Sonne und Wind genutzt werden könnten.

In das gleiche Horn stößt auch Paul Krugman in der New York Times („Ending Greece`s Nightmare“: http://nyti.ms/15JXndc externer Link). Bei Heiner Flassbeck heißt das dann „Produktivität“ (http://www.flassbeck-economics.de/alle-sind-wieder-griechenland-experten-und-sollten-doch-besser-schweigen/ externer Link)

Der Streit kehrt wieder zurück auf die Politische Bühne.

Hoffentlich wird die Zukunft des „Abdendlandes“ nicht über „Pegida“ entschieden. Aber zu welchen Alternativen uns das hintreiben kann, skizziert Steffen Vogel in der TAZ (http://www.taz.de/Polarisierung-in-Europa/!153816/ externer Link).

Scheitern Kräfte wie Syriza oder Podemos (Spanien), debattieren wir in den kommenden Jahren nicht über Krise und Kapitalismus, sondern über Asyl und Abendland. Die überall schwelende Wut muss ihr zuhause nicht bei demokratischen, europäischen Kräften finden, sondern kann auch von Autoritären jeder Spielart bedient werden. (siehe auch „Und als Nachwort..noch ein wenig John Galbraith (= den Vater): die deutsche faschistische Alternative zu mehr Beschäftigung“ auf der Seite 3 bei https://www.labournet.de/?p=70280 – oder auch http://www.nachdenkseiten.de/?p=24105#h09 externer Link). Und weiter mit Steffen Vogel: „Doch während der Rassismus auch aus liberalem Milieu Gegenwind bekommt, verlangt die krasse soziale Spaltung in Europa (vgl. dazu auch Stephan Hebel (http://www.fr-online.de/leitartikel/leitartikel-die-europaeische-frage,29607566,29650932.html externer Link) eine linke Antwort.

Das europäische Superwahljahr 2015 mit seinen Auseinandersetzungen einmal um diese relevanten Fragen könnte die Chance eröffnen, einen nationalistischen Backlash zu verhindern.“
Anlage: Beachte zu diesem Komplex noch tiefergehend Reinhard Crusius „Rettet Europa – und nicht die Banken“: „Wenn die EU jetzt Tsipras dämonisiert, fliegt uns der Euro um die Ohren“ (http://deutsche-wirtschafts-nachrichten.de/2015/01/28/tsipras-nicht-daemonisieren-sonst-fliegt-uns-der-euro-um-die-ohren/ externer Link)

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=74377
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