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Neuwahlen in Griechenland: Die Panik der Bankenretter…

Fahne der Syriza-Partei… (und die Wiederauferstehung von Walter Ulbricht): Kaum war der Herr Dimas zum dritten Mal nicht zum Präsidenten gewählt worden, machten sich die Anleger Sorgen und die Börsenkurse stürzten ab – Neuwahlen. Sogar mit einer Alternative namens Syriza: Nicht unumstritten, aber eben in Umfragen vorne. Die Münder schäumen, ein Rollstuhlfahrer droht, und aus Brüssel verlautet: Die Griechinnen und Griechen müssen jetzt zeigen, dass sie „Reformen“ wollen. Reformen? Das Gleiche, wie schon immer – Kohle für die Banken. Sonst verlieren „die Griechen“ das Vertrauen Brüssels. Walter Ulbricht sagte das 1953: das Volk habe das Vertrauen der Regierung verloren. Der alte Satz von Brecht, dass sich die Regierung dann halt ein neues Volk wählen solle, gilt auch heute noch – warum wählen sich die Merkel und Co nicht andere Diener des kapitalistischen Investors? Ein möglicher Wahlsieg Syrizas und die damit verbundenen Reaktionen und Hoffnungen, das ist Gegenstand der kommentierten Materialsammlung Neuwahlen in Griechenland vom 31. Dezember 2014, zusammengestellt von Helmut Weiss:

Jahre der Austerität – das Ergebnis heisst Armut

Wovon zuerst zu reden ist: Wie die Menschen in Griechenland heute leben müssen. Von den vielen möglichen nur zwei Beispiele – und ein Verweis auf die zahlreichen Materialien usw dazu, die unter anderem auch im LabourNet Germany zu finden sind:
Beunruhigend sind die Ergebnisse einer Untersuchung des Ombudsmann für die Rechte des Kindes, die zeigt, dass der Anteil der Kinder in Griechenland, die von Armut und sozialer Ausgrenzung bedroht sind, 40% tangiert. Weiter zeigt die Untersuchung, dass immer mehr Familien für die Ernährung ihrer Kinder Zuflucht bei Heimstrukturen suchen“  – aus dem Beitrag Kinderarmut in Griechenland bei 40 Prozent in den Greek Independent News am 23. Dezember 2014 externer Link worin unter anderem auch noch darauf verwiesen wird, dass viele Kinder aus Geldmangel nicht mehr geimpft werden.

Bereits im Mai 2014 sagt der Generalsekretär des Gewerkschaftsbundes GSEE Ioannis Panagopoulos im Interview „Haushaltsüberschuss mit Schweiß und Blut erkauft“ mit Zacharias Zacharakis am 22. Mai 2014 in Zeit – Online externer LinkDie Arbeitslosigkeit liegt weiterhin bei unglaublichen 28 Prozent, unter Jugendlichen bei 60 Prozent. Noch eindrücklicher beschreibt aber der Armutsindex die Lage der Menschen in Griechenland. Etwa 2,5 Millionen Menschen leben unterhalb der Armutsgrenze, also knapp ein Viertel der Bevölkerung“.

Das ist eine mehr als knappe Skizze des realen sozialen Hintergrunds vor dem nun die anstehenden Neuwahlen stattfinden werden. Die gesamte Propaganda der konservativen griechischen Regierung, man habe wirtschaftliche Erfolge (für wen eigentlich?) errungen erweits sich bereits bei einem Blick auf Statistiken als mehr als fragwürdig. Griechenland: Staatsverschuldung von 2004 bis 2014 in Relation zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) heisst eine aufschlussreiche Zahlensammlung beim Statistikportal statista externer Link – 2009 etwa 130%, 2014 rund 175% auch aufgrund statistisch erfassbarer rückgängiger Wirtschaftstätigkeit aber jedenfalls kein echter Fortschrittsbeweis

Und die Aussichten sehen für Nichtbanker so aus: Steuerschock für Vermieter, Arbeitslose und Studenten in Griechenland heisst die Meldung im Griechenland-Blog vom 31. Dezember 2014 externer Link worin es heisst „Zehntausende Eigentümer vermieteter Immobilien und Arbeitnehmer mit “Quittungsblock”, die in diesem Jahr sehr geringe Einkommen erzielten, sowie ebenfalls auch zigtausende Studenten und nicht bei dem Arbeitsamt (OAED) registrierte Arbeitslose, die 2014 gelegentlich mit irgend einer Aktivität beschäftigt waren und ärmliche Vergütungsbeträge bezogen, werden dafür im Jahr 2015 utopische Steuerbeträge zu zahlen aufgefordert sein. Ihre Einnahmen werden als Einkommen aus einer unternehmerischen Tätigkeit eingestuft und entsprechend besteuert werden

Panik auf der Titanic

Heute Mittag gelang es den von Ministerpräsident Antonis Samaras als Präsidentschaftskandidaten aufgestellten ehemaligen EU-Umweltkommissar Stavros Dimas zum dritten Mal nicht, die von der Verfassung vorgeschriebene Mehrheit von 180 Abgeordnetenstimmen im Athener Parlament zu erreichen. Stattdessen kam er – wie in der letzten Abstimmung am 23. Dezember – lediglich auf 168. Nun wird das Parlament aufgelöst und es kommt am 25. Januar zu Neuwahlen“ – aus dem Artikel Ex-EU-Kommissar Dimas scheitert auch im dritten Wahlgang von Peter Mühlbauer am 29. Dezember 2014 bei telepolis externer Link , worin Syrizas Wahlprogramm zusammengefasst wird mit der Aussetzung der Zahlungen für Zins und Tilgung.

Unter der Überschrift Medien propagieren Entgleisung der Wirtschaft in Griechenland dokumentiert der Griechenland-Blog am 30. Dezember 2014 externer Link die Reaktionen europäischen und US-Medien – die in der Regel zwischen Weltuntergang und Drohungen hin und herschwanken „Associated Press schreibt charakteristisch: “Das Rettungsprogramm Griechenlands ist in Gefahr.” Die Zeitung “Guardian” berichtet, Griechenland begebe sich zu Neuwahlen und desorganisiere dabei das Rettungsprogramm“.

Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble warnte Griechenland vor einer Abkehr vom Reformkurs. „Die harten Reformen tragen Früchte, sie sind ohne jede Alternative“, sagte er. „Jede neue Regierung muss die vertraglichen Vereinbarungen der Vorgänger einhalten. Wenn Griechenland einen anderen Weg einschlägt, wird es schwierig.““ – aus dem redaktionellen Bericht Schäuble warnt Athen vor Abkehr vom Reformkurs am 29. Dezember 2014 bei Stern-Online externer Link – wo sich eigentlich nur die Frage aufdrängt, wie man eine solch unverhüllte Drohung als Warnung schönschreiben kann

Diese Kampagne und die Drohungen richten sich gegen eine Politik, die sich zunächst einmal so präsentiert: „Syriza-Chef Alexis Tsipras sagte am Montag, er wolle die Sparprogramme beenden. »In ein paar Tagen werden die Vereinbarungen über Einsparungen Geschichte sein«, sagte Tsipras. Sichtlich zufrieden erklärte er: »Heute ist ein historischer Tag für die Hellenische Republik.« Die Entscheidung des Parlaments signalisiere das Ende der Sparpolitik, die zur »Plünderung des Volkes« durch die Sparvorgaben der Regierung geführt habe. Diese Wende werde das griechische Volk auch bald bei den Wahlen besiegeln, gab sich Tsipras zuversichtlich“ – aus Neue Wahl, neue Chance am 29. Dezember 2014 in neues deutschland externer Link , worin aber auch vermeldet wird, dass der Internationale Währungsfonds bekannt gab, bis zur Bildung einer neuen Regierung keine weiteren Notkredite auszuzahlen.

Im Augenblick ist die deutsche Regierung in weihnachtliche Schreckstarre verfallen. Aber es ist zu erwarten, dass in dem einen Monat, der noch bleibt, sich eine Serie von Lügen ausbreiten wird, gefolgt von Nötigungen und Erpressung. Die griechische Börse ist gleich mal um zehn Prozent abgestürzt. Die deutsche muss sich noch in Grenzen halten. Aber es muss damit gerechnet werden, dass die Medien jetzt jeden Tag berichten werden, wie sehr sich Griechenland jetzt schon erholt hat. Und wieviel Undank die Gesamtheit dem Staatschef entgegenbringt, der doch alles so trefflich eingerichtet hat“ so kommentiert es Fritz Güde in Griechenland: Gemeinsam gegen Lügen, Erpressung, Nötigung am 29. Dezember 2014 im Truetenblog externer Link

Klar, dass da internationale Vorkämpfer für Steuergerechtigkeit laut werden müssen: „Doch in Brüssel traut man Tsipras nicht über den Weg. Kommissionschef Juncker, der mit Tsipras im Wahlkampf sogar Fernsehdebatten geführt hatte, versucht nun, ihn als Radikalen abzustempeln. Die Griechen sollten sich vor einer „falschen Wahl“ hüten und keinen „extremen Kräften“ ihre Stimme geben, gab Juncker bei einer Debatte in Brüssel zum Besten. Bei der Präsidentschaftswahl in Griechenland, die am 17. Dezember beginnt, würde er „bekannte Gesichter“ bevorzugen. Selten hat sich ein Kommissionschef so direkt und so dreist in eine Wahl in einem EU-Land eingemischt“ – aus dem Beitrag Juncker gegen Tsipras von Eric Bonse am 13. Dezember 2014 bei telepolis externer Link , wobei das bekannte Gesicht, das sich der sehr ehrenwerte Herr Juncker wünschte eben gerade durchgefallen ist.

Auch führende deutsche Regierungspolitiker und die Mehrzahl der Medien beteiligen sich, wie schon während des Wahlkampfes im Frühsommer 2012, an dieser Kampagne. Ihre Botschaft an die griechischen Wähler lautet: Ihr werdet einen hohen Preis für die Wahlentscheidung zu Gunsten der Linken zu zahlen haben. Die Märkte und das übrige Europa – darunter verstehen sie deren Regierungen – werden euch das Vertrauen entziehen und Griechenland in eine noch größere wirtschaftliche Depression stürzen. Die Drohkulisse ist aufgebaut; ob sie die beabsichtigte Wirkung bei den Wählern hervorruft, bleibt offen.“ – aus der Erklärung Gegen die Wahlkampfhilfe für die Regierung Samaras aus Brüssel und Berlin am 23. Dezember 2014 bei attac dokumentiert externer Link , inklusive der Liste der ErstunterzeichnerInnen

Und die Aussichten – wie kosequent gegen Austerität?

Ein Blick in das Syriza-Programm lässt erahnen, was eine linke Regierung für Griechenland bedeuten könnte. Eines fehlt auf keinen Fall: radikale Ideen. Syriza-Vertreter erklärten SPIEGEL ONLINE, dass als erstes die „humanitäre Krise“ im Land angegangen werden sollte. Für die linke Partei bedeutet das: Ein Maßnahmenpaket von Gratis-Strom und Lebensmittelmarken für die Armen bis hin zu 300.000 neuen Jobs. Nebenbei sollen noch alle Gesetze gekippt werden, die das Parlament seit 2010 beschlossen hat. Kritiker haben vor allem eine Frage: Wer soll das bezahlen? Syriza selbst geht von Kosten um 13,5 Milliarden Euro aus. Das griechische Finanzministerium beziffert den Finanzbedarf hingegen auf 27,2 Milliarden“ – aus dem Artikel Polit-Aufsteiger Tsipras: Griechenlands charmanter Brandstifter von Giorgos Christides am 29. Dezember 2014 bei Spiegel-Online externer Link , worin nicht nur die bekannte Form von Überschriften bemerkenswert ist, sondern vor allem auch der Verweis darauf, dass die „Hardliner innerhalb der Partei“ Druck machen würden, sofern „moderatere“ Maßnahmen von einem Regierungschef Tsipras getroffen würden…

Die internen Streitigkeiten in der Syriza sind symbolträchtig für die über hundert Jahre alte Diskussion darüber, ob die Linke über Reformen innerhalb der Institutionen oder durch eine Revolution (ausgelöst durch einen Generalstreik) versuchen sollte, an die Macht zu gelangen. Viele Parlamentarismus-Kritiker*innen, die den zweiten Weg bevorzugen, leitet dabei wieder dieses Gefühl der Ausweglosigkeit. Was bringt eine Unterstützung auf parlamentarischer Ebene, denken sie sich, wenn einem dort nur aufgrund des kapitalistischen Unrechtssystems Notwendigkeiten aufgezwungen werden, die einen in seinen radikalen Positionen soweit einbüßen lassen, dass man im Einheitsbrei der anderen Parteien untergeht (ein alarmierendes Beispiel dafür ist der Werdegang der Grünen in der BRD). Doch die Kritiker*innen dieser skeptischen Haltung liegen nicht verkehrt, wenn sie darauf erwidern, dass das Fordern von radikaler Veränderung, also Revolution, völlig leer ist, wenn es sich nicht in einer politischen Gruppe wie einer Partei oder einer Gewerkschaft gesellschaftlich realisiert“ – so schreibt es Jäger in Sieg der Syriza in Griechenland am 04. Juni 2014 bei 10plus5 externer Link nach der Europawahl

Der bekannte Ökonom Yanis Varoufakis macht in dem Gespräch Ten questions on Greece & SYRIZA, with ten answers – Q&A with Jorge N. Rodrigues am 11. Dezember 2014 auf seinem Blog externer Link seine Position deutlich, Syriza könne, auch mit Brüssel, zahlreiche Kompromisse finden, nur eine Grundbedingung existiere – dass die Lage der Menschen, die zugunsten der Banken in die Armut getrieben wurden, schnell und gründlich verbessert werde

Die Bundesregierung hat jedoch auch einen Plan B für den Fall, dass die griechische Regierung für ihren Kandidaten, den ehemaligen EU-Umweltkommissar Stavros Dimas, nicht die erforderliche Mehrheit erhält und in den dann unumgänglichen Neuwahlen der Linkspartei Syriza unterliegt. Über den Staatssekretär im Bundesministerium für Arbeit und Soziales, Jörg Asmussen, hält Berlin seit Längerem Kontakte zum Syriza-Vorsitzenden Alexis Tsipras. Als ehemaliges EZB-Direktoriumsmitglied mit der Lage in Griechenland vertraut, kam der SPD-Politiker in den letzten Jahren dreimal mit Tsipras zusammen. Als „Geheimtreffen“ mochte Asmussens Pressesprecher die Meetings in der Bundespressekonferenz am 6. Oktober allerdings nicht bezeichnen“ – aus dem Beitrag Plan B für Griechenland am 17. Dezember 2014 bei German Foreign Policy externer Link , worin aber auch darauf verwiesen wird, dass es Vorstellungen in Syriza gibt, die besser mit jenen etwa des IWF kompatibel seien, als mit jenen Berlins

In dem Beitrag Greece’s radical left could kill off austerity in the EU von Owen Jones am 22. Dezember 2014 in der Greek Left Review externer Link hebt der Autor in erster Linie darauf ab, dass ein möglicher Wahlsieg von Syriza in nahezu jedem Falle einen Aufschwung der Anti-Austeritäts-Bewegung in der EU mit sich bringen würde

In dem Beitrag Vowing to End ‚Neoliberal Experiment,‘ Greek Left Rises as Snap Elections Called von John Queally am 29. Dezember 2014 in common dreams externer Link wird dagegen nochmals vor allem die innere Bedeutung eines möglichen Wahlsiegs unterstrichen und das Sofortprogramm Syrizas wiedergegeben – von Lebensmittelmarken bis hin zur Wiedereinführung des im Zuge der Troika-Diktate abgeschafften Mindestlohns von 750 Euro/Monat.

In dem Kommentar Kommunismus fällt aus von Klaus Hillenbrand am 29. Dezember 2014 in der taz externer Link drückt der Autor zu der eigenen Aussage „Parteichef Alexis Tsipras ist weder ein Heilsbringer von Utopia noch der Gottseibeiuns aller Christenmenschen. Er will die Steuern für Reiche erhöhen, den Militärhaushalt schrumpfen und einen bescheidenen Mindestlohn einführen. Das ist gut sozialdemokratisch, mehr aber auch nicht“ seine Befriedigung über diese Entwicklung aus

Die heftigste Kritik an Syriza kommt von der wesentlich kleineren Konkurrenz um linke Stimmen, der KKE, die in der Stellungnahme SYRIZA: „Die linke Reserve“ des Kapitalismus des Leiters der Internationalen Abteilung der KKE aus Anlass der Europawahlen im Mai 2014 externer Link worin es unter vielem anderen kurz und bündig heisst „SYRIZA hat angesichts ihrer Stellung als stärkste Oppositionskraft einen wichtigen Anteil bei dem bewussten Betrug, dass die EU angeblich „demokratisiert“ und „humanisiert“ werden kann

Die deutlichste Unterstützung kommt hier zum Ausdruck: „Der mögliche Erfolg von SYRIZA bei den nächsten griechischen Parlamentswahlen sollte im Zentrum der Aufmerksamkeit der sozialen Bewegungen, Gewerkschaften und politischen Kräfte in allen europäischen Staaten stehen. Er kann ein erster Schritt in Richtung eines grundlegenden sozialen und politischen Wandels auf unserem Kontinent sein“ – aus der Erklärung SYRIZAs Sache ist auch unsere von transform! europe am 26. November 2014 auf der eigenen Webseite
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Ein Wahlsieg von Syriza wäre erst einmal eine politische Niederlage für Berlin, Brüssel – und das bisherige Athen. Was daraus in bezug auf die Erfüllung der Hoffnungen der WählerInnen wird, hängt nicht nur von europäischen politischen Konstellationen – bis hin zu inneren Debatten in Syriza selbst – ab, sondern auch und erst recht von den Reaktionen der Bewegungen gegen neoliberale Austerität sowohl in Griechenland als auch in den EU Ländern.

Zusammengestellt von Helmut Weiss
31. Dezember 2014

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=72392
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