Fressen & wachsen: Die Konzentration im Lebensmitteleinzelhandel schreitet voran – auf Kosten der Beschäftigten

ak – analyse & kritik. Zeitung für linke Debatte und PraxisArtikel von Jens Benicke, zuerst erschienen im ak – analyse & kritik. Zeitung für linke Debatte und Praxis vom 18.11.2014 – wir danken der Redaktion!

Wer in den letzten Jahren die Entwicklungen im deutschen Lebensmitteleinzelhandel verfolgt hat, fühlt sich möglicherweise an den Film »Highlander« erinnert. In diesem US-Fantasyfilm gibt es eine kleine Anzahl »Unsterblicher«, die über die Jahrhunderte immer wieder aufeinandertreffen und die als einzige in der Lage sind, eineN der ihrigen zu töten. So bleiben im Laufe der Zeit immer weniger Angehörige dieser seltsamen Spezies übrig. Der Unterschied zum deutschen Lebensmitteleinzelhandel liegt darin, dass die Entwicklung hier keine Jahrhunderte dauert.

So war Anfang Oktober zu lesen, dass der Branchenprimus Edeka alle 451 Filialen des Konkurrenten Kaiser’s Tengelmann übernimmt. Die Supermärkte hatten auf dem hart umkämpften deutschen Markt nur noch einen Anteil von 0,6 Prozent. Der Konzern habe schon seit 15 Jahren kein Geld mehr mit ihnen verdient, hieß es aus der Mülheimer Zentrale. Tengelmann wolle sich nun auf seine Baumarktkette Obi und den Billigtextilladen Kik konzentrieren. Die 16.000 MitarbeiterInnen der Kaisers und Tengelmann Supermärkte sehen einer unsicheren Zukunft entgegen.

Mit diesem Zukauf setzt die Edekagruppe ihre Einkaufstour der vergangenen Jahre fort. Bereits 2007 hatte der Hamburger Konzern von Tengelmann die Discounterkette Plus übernommen (siehe ak 523), schon 2005 die Marken Spar und Netto vom französischen Konkurrenten Intermaché. Mit diesen Erwerbungen konnte sich Edeka an die Spitze der deutschen LebensmitteleinzelhändlerInnen setzten. Nach Angaben der Supermarkt-Initiative, eines Zusammenschlusses von 26 Nichtregierungsorganisationen und Gewerkschaften, hat sich die Konzentration in diesem Wirtschaftsbereich extrem beschleunigt. 1999 gab es noch acht große Handelsketten in Deutschland, die gemeinsam über einen Marktanteil von 70 Prozent verfügten. Heute teilen sich die fünf führenden Supermarktketten Edeka, Rewe, Aldi, Lidl und Metro rund 90 Prozent des Marktes. Dabei beträgt der Marktanteil der Discounter am gesamten Lebensmitteleinzelhandel insgesamt 45 Prozent.

Deutschland ist der härteste Markt

Ausländische KonkurrentInnen haben die deutschen Unternehmen nicht mehr zu fürchten. Neben dem französischen Intermaché-Konzern hat sich auch der US-Weltmarktführer Wal-Mart schon vor Jahren aus dem deutschen Markt zurückgezogen und seine Filialen an Metro verkauft. 2013 beendete auch die Schweizer Migros ihr »Deutschland-Abenteuer«, wie die Badische Zeitung titelte. In kaum einem anderen Land wird die Konkurrenz so hart ausgefochten wie hierzulande. Nach Angaben der FAZ liegen die Umsatzrenditen im Lebensmitteleinzelhandel in England zwischen drei und vier Prozent, in Frankreich zwischen 1,5 und 2,5 Prozent, während in Deutschland nicht einmal ein Prozent des Umsatzes als Nettogewinn übrig bleibt. Aus diesem Grund meiden die meisten ausländischen Handelskonzerne inzwischen den deutschen Markt. Für die Verbraucherinnen und Verbraucher führt diese Entwicklung zu dem erfreulichen Effekt, das Lebensmittel hierzulande so billig sind wie sonst fast nirgendwo.

Die Entwicklung im Einzelhandel ist aber kein Einzelfall. Fast alle Wirtschaftsbereiche sind heute in hohem Maße durch die Konzentration auf einige wenige große Konzerne geprägt. Am extremsten lässt sich dies bei der Produktion von Großflugzeugen ablesen. Dort gibt es weltweit mit Boeing und Airbus nur noch zwei Hersteller, die mit der Unterstützung ihrer Regierungen um Absatzmärkte kämpfen. In den meisten anderen Sparten teilen sich höchstens ein Dutzend Konzerne den überwiegenden Teil des weltweiten Marktes. Doch ist dies keine Abnormität eines ansonsten funktionierenden Systems, die der Staat etwas durch Kartellgesetze in den Griff bekommen kann. Denn dass diese Zentralisation des Kapitals in der Logik der Kapitalakkumulation selbst zu finden ist, hatte bereits Karl Marx im 19. Jahrhundert analysiert.

Zentralisation auf Kosten der ArbeiterInnen

Doch während sich die KundInnen noch über niedrige Preise freuen können, gibt es natürlich auch VerliererInnen in diesem Spiel. Da wären zum einen die ProduzentInnen der Lebensmittel, die sich einer fast monolithischen Marktmacht gegenübersehen. Der regelmäßige Protest der Milchbäuerinnen und -bauern brachte diesen Umstand in den letzten Jahren immer wieder ins Bewusstsein. Und dann wären da natürlich noch die Beschäftigten der Lebensmittelkonzerne, der LieferantenInnen und der ProduzentInnen, die die niedrigen Preise mit einer immer weiteren Verschlechterung ihrer Arbeitsbedingungen bezahlen müssen.

Gerade der Einzelhandelsbereich war schon immer ein Vorreiter für prekäre Beschäftigungsverhältnisse. So ging es in den Tarifrunden der letzten Jahre immer nur um weitere Absenkungen der Lohn- und Arbeitsstandards. 2013 kündigte der Arbeitergeberverband den Manteltarifvertrag, um die Arbeitsbedingungen auf breiter Front abzusenken (siehe ak 584 und 588). Zwar konnte der Manteltarifvertrag durch Streiks, die auch durch externe linke UnterstützerInnen verstärkt wurden, wieder unverändert eingesetzt werden. Trotzdem setzten die Unternehmen eine neue Lohngruppe für Beschäftigte, die Waren einräumen, durch. Diese erhalten einen niedrigeren Stundenlohn als die übrigen Angestellten.

Auch im Internet sind die Bedingungen nicht besser

Als neueste Idee fordert der Präsident des Einzelhandelsverbandes HDE, Josef Sanktjohanser in einem Interview mit der Bildzeitung, die Ladenöffnungszeiten noch weiter zu liberalisieren. Läden sollten, mit Ausnahme von Sonn- und Feiertagen, 24 Stunden am Tag geöffnet sein. Er begründet diesen Vorstoß mit der Konkurrenz durch den Onlinehandel, der eben keine Ladenöffnungszeiten kenne und damit einen Wettbewerbsvorteil gegenüber dem stationären Handel genieße.

Dies betrifft nicht mehr nur Bücher und Musik, auch Lebensmittel werden inzwischen immer häufiger online eingekauft. Die Lebensmittelkonzerne treffen dort aber auf eine starke Konkurrenz, denn neben speziellen Lebensmittelportalen verkaufen auch die Deutsche Post und der Internetgigant Amazon Nahrungsmittel über das Netz. Sie alle hoffen auf Markprognosen, die bis zum Jahr 2020 einen Marktanteil von bis zu 15 Prozent für Lebensmittelkäufe aus dem Internet vorhersagen. Dass auch diese Entwicklung nicht zu einer Verbesserung der Arbeitsbedingungen führt, zeigt sich am zähen Kampf von ver.di gegen Amazon. Seit Frühjahr 2013 versucht die Dienstleistungsgewerkschaft mit immer wiederkehrenden kurzen Streiks für die Amazon-Beschäftigten die Einführung des Tarifvertrages für den Einzel- und Versandhandel durchzusetzen, beißt damit bisher aber auf Granit. Amazon besteht darauf, sich an den Bedingungen der Logistikbranche zu orientieren und zahlt die dort üblichen niedrigeren Löhne.

Während sich der Highlander im Film im finalen Kampf durchsetzt und seine durch den Sieg gewonnenen Superkräfte nun zum Wohle der Menschheit einsetzen kann, werden die Beschäftigten im deutschen Lebensmitteleinzelhandel sich nur auf ihre eigene Kampfkraft verlassen können.

Jens Benicke schrieb bereits in ak 523 über die Konzentrationsprozesse im Lebensmittelhandel.


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