Europa auf ewig gefangen in einer realitätsfernen Aufarbeitung der Weltwirtschaftskrise 1929 ff.?

Kommentierte Presseschau von Volker Bahl vom 26.11.2014

Nur ein Versuch zur “Einordnung” einer wunderbaren großen ökonomischen Erzählung zur großen Weltwirtschaftskrise 1929 ff. und ihre Bearbeitung durch Roosevelt in den USA sowie ihre nachträgliche “theoretische” Bewältigung, um einen durchgehenden Erfolg der Reichen zu gewährleisten – wie es die Realität uns zeigt! (siehe den Link am Ende des dritten Absatzes “Ein uralter europäischer Mythos…)

Zunächst der Versuch eines Vorwortes zu Stephan Schulmeister: Die Große Depression, der New Deal und ihre Bewertung durch den ökonomischen Mainstream – sowie die jetzige Situation der Krise in Europa….

Es geht nicht darum diesen wunderbaren Beitrag für den Sammelband “Für eine bessere gesamteuropäische Wirtschaftspolitik”, herausgegeben von H. Hagemann und J. Kromphardt (Marburg 2014) zu kritisieren, sondern ihn durch ein Weiterspannen der gedanklichen Bezüge – gerade auch im europäischen Kontext – zu erweitern. (nebst einem “Nach”wort noch)

Die “Troika” in der EU – und Don Quijote, der Ritter von der traurigen Gestalt – Ein Kampf gegen realitätsnahes Denken –

Gerade Schulmeister betont in diesem Papier den festen Glauben der sog. Neoklassik an die Wahrheit des neoliberalen Modells als eine Grundkonstante bei der Erklärung der Weltwirtschaftskrise von 1929 ff. – als Teil des “antikeynesianischen Säuberungsprozesses” (Schulmeister) der letzten 40 Jahre bei den Ökonomen. (vgl. z.B. “Eine Änderung der Diskursordnung? – Und das große Thema in der SZ (= “Süddeutschen”): Hat Europa versagt?” https://www.labournet.de/?p=69391 – vor allem auch dort den Link in der Mitte “Theoriebildung als Krieg” – auch in der “Süddeutschen”) “Beeindruckend ist – z.B. – der feste Glaube der RBC-Theoretiker – für Schulmeister ein Höhepunkt des realitätsfernen Denkens – an die Wahrheit ihres Modells.

Rauskommen musste ja, dass der Staat in Gestalt der Zentralbank mit seiner restriktiven Geldpolitik die konkret vorliegende Wirtschaftskrise “verursacht” hatte. Deshalb ist der Kampf gegen das keynesianische Denken auch immer ein Kampf gegen realitätsnahes Denken, das als Tarnung gegen die Interessenbezogenheit (für das Finanzkapital) auch einen immer höheren Abstraktionsgrad seiner Modelle bevorzugte. Nur das paradoxe Ergebnis dieser 40 Jahre Theorie und Ideologiebildung immer nach diesem Muster: Je realitätsferner die Annahmen der Modelle, desto stärker musste der Glaube an ihre Wahrheit werden. Und es erscheint schwer diese Festlegungen jetzt wieder zu überwinden – obwohl sich einiges rührt und die bisher herrschende Dogmatik nicht unangetastet bleibt (zur Fortsetzung der Ökonomie-Debatte vgl. auch die drei Vertreter für eine “Plurale Ökonomik” auch wieder in der Süddeutschen “Welcher Irrtum, bitte, Herr Sinn?”  externer Link)

“Durch die einseitige und auf den Markt focussierte Betrachtungsweise der Ökonomik gehen wichtige Erkenntnisse über unsere Wirtschaft verloren. Ein Bild des Ökonomen als Arzt (so Sinn) ist sehr problematisch. Verborgen bleibt hierbei, dass die Wirtschaft mit dem Markt gleichgesetzt wird, der als prinzipieller gesunder Organismus und Ideal gesellschaftlicher Gesundheit verstanden wird. Komplexe wirtschaftliche Realitäten wie die Finanzkrise, in denen ein Zusammenspiel verschiedenster Faktoren beinahe zum Zusammenbruch geführt hätte, werden dann auf einzelne Teilaspekte reduziert…. Auch eine grundsätzliche Kritik unterbleibt (um nicht den Gesamtzusammenhang zu verstehen). Wenn Ökonomen dennoch, wie Ärzte, nur eine einzige Art von Lösung als “alternativlos” verschreiben, wird ersichtlich, wie problematisch die Einseitigkeit der aktuellen Wirtschaftswissenschaft ist (vgl. http://www.plurale-oekonomik.de externer Link): Deutlich wird das im Falle der Austerität in Südeuropa, wo man menschliches Leid als Nebenwirkung einer bitteren Pille beschreibt, die dem Patienten – notfalls auch gegen seinen Willen – verabreicht werden muss.

Ein uralter europäischer Mythos in einer europäischen Umbruchphase – dargestellt am Beispiel des Don Quijote, dem Ritter von der traurigen Gestalt

Und an diesem Punkt kann “unser” Don Quijote in der “tiefen” Umbruchphase zur Neuzeit (Erschienen 1606) ins Spiel des europäischen Denkens kommen: Wie sagte doch einer, der dieses Phänomen Don Quijote als reale Person verstehen wollte: “Sieht man von diesen Albernheiten ab, die dieser wackere Juncker vorbringt, wenn es sich um seine närrischen Albernheiten handelt, so sind seine Äußerungen höchst vernünftig, sobald man mit ihm über andere Dinge redet, und bewähren ihm einen hellen und heiteren Geist, so dass ein jeder ihn, vorausgesetzt, dass man nicht an seinem Ritterwesen rührt, für einen Mann von durchaus gesundem Verstande halten muss.”

Nur werden bei diesem Zitat nur die Denkschablonen des Don Quijote auf ihn isoliert betrachtet, deshalb sei noch ein Zitat angefügt, von einem, der unter der Don Quijote`s eigenen Gedankenwelt und ihren Folgen heftig leiden musste – die jungen Menschen in Südeuropa, die unter den Folgen der Troika-Politik heftigst leiden, könnten es heute ähnlich gegenüber deren Gedankengebäuden vorbringen: “Ich bitt` euch um Gottes willen, fahrender Ritter, wenn ihr mich wieder einmal irgendwo antrefft, und solltet ihr auch sehen, dass man mich in Stücke haut, so kommt mir nicht zu Hilfe und steht mir nicht bei, sondern lasst mich in meinem Unglück. Denn dieses kann doch nie so groß sein, dass das Pech nicht noch größer wäre, das mir von eurem Beistand kommen würde, Herr Ritter, den Gott verdammen wolle – samt allen fahrenden Rittern, so viel ihrer je zur Welt gekommen.” (d.h. bei uns eben aller in der Dogmatik des Neoliberalismus “gefangenen” Wissenschaftler und Politiker, die diesen ökonomischen und politischen Prozess bei uns in Europa noch immer bestimmen.) Dieser Mensch lehnt jedoch das Weltbild des “Ritters” vollkommen ab – und möchte mit ihm gar nichts mehr zu tun haben….

Ergänzt werden diese verschiedenen “Weltbilder” noch durch Sancho Pansa, den getreuen Knappen des Don Quijote. Vielleicht ist gerade er vom Typ her auch die wahrscheinlichste Variante in unserem heutigen Szenario: natürlich hält er vieles für Quatsch, was sein Herr da so sagt und treibt – und äußert es auch – oft im Streit – immer wieder, aber sozusagen “systemisch” bleibt er ihm dennoch treu verbunden – und weil er sich irgendwie doch erhofft, dass der gute Don Quijote in seinem ganzen “Wahn” doch auch “Kaiser” werden könnte – und dieser ihn dann mit einer Grafschaft belohnen wird. (Jetzt überlasse ich es der freien Phantasie des geneigten Lesers, diese Rolle von Sancho Pansa in die heutigen finanzkapitalistischen Verhältnisse in unsere Zeit “übersetzt” zu verteilen!) Die Zitate sind Original-Zitate aus dem “Don Quijote” von Miguel Cervantes.

Ja, was kann uns Don Quijote, dieser Ritter von der traurigen Gestalt, heute noch sagen? Ein systematische Blick auf Politik und Ökonomie in der Weltwirtschaftskrise 1929 ff. in den USA – und wie es heute in Europa “läuft”

Aber nun wieder ein paar Jahrhunderte weiter mitten hinein in unser Krisengeschehen – gesehen aus dem Blickwinkel der Überwindung der Weltwirtschaftskrise 1929 ff. durch Präsident Roosevelt in den USA – zusammen mit der Geschichte seiner dogmatischen “Verbiegung” im Interesse spezifischer Interessen: (Link des Textes von Stephan Schulmeister zur großen Depression und der Bewertung durch den Mainstream – zur eingehenden und erkenntnisreichen Lektüre dringend empfohlen: http://www.wifo.ac.at/jart/prj3/wifo/resources/person_dokument/person_dokument.jart?publikationsid=50685&mime_type=application/pdf externer Link ) Dieser Text kann am besten über und durch sich selbst “sprechen”.

Und als Nachwort zu dieser brillanten Studie dann noch ein wenig John Galbraith: die deutsche faschistische Alternative zu mehr Beschäftigung?

Für ein gründlicheres Lernen aus der Krise in Europa hält Schulmeister noch einen weiteren Krisenschub für erforderlich: “Wenn die Zahl der Arbeitslosen in der EU – obwohl sehr ungleich verteilt – gegen 40 Millionen steigt, wenn noch mehr Junge deklassiert werden und wenn sich – daher – der Vormarsch rechtspopulistischer Parteien beschleunigt, besteht eine Chance, dass auch die europäischen Eliten ihre – bisherige – Weltanschauung in Frage stellen.

Dazu möchte ich jetzt nicht nur auf den Weg des New Deal in den USA verweisen, sondern auf die keynesianischen Erfolge des Dritten Reiches bei uns. So sagt John K. Galbraith: “Als Hitler 1933 wenige Wochen vor Roosevelt an die Macht kam, war die deutsche Wirtschaft in einer beeindruckend schlechten Verfassung (durch die immer weiteren drastischen Sparmaßnahmen von Brüning & Co.) – aber die Depression in Deutschland war 1936 vorbei – und diese Tatsache bleibt bis zum heutigen Tag weitgehend außerhalb der allgemeinen historischen Betrachtung, (inzwischen aber z.B. die große Studie des britischen Historikers Adam Tooze, “Ökonomie der Zerstörung” – Die Geschichte der Wirtschaft im Nationalsozialismus – sowie weiter noch die allzu schräge Bearbeitung der nationalsozialistischen Ära durch die deutschen Ordo-Liberalen kann man gut bei Michel Foucault nachvollziehen: ders. in: “Geschichte der Gouvernementalität” – Band II – Vorlesung 4 bis 7 – insbesondere Vorlesung 5 (vom 7. Februar 1979) – insbesondere die Seite 167 ff., nebst den Anmerkungen 38 ff.)

Dass die wirtschaftliche Erholung unter einer Regierung gelang, die für Unterdrückung, Völkermord und schließlich militärischen Wahn stand, hat die wirtschaftlichen Erfolge häufig aus dem Blick geraten lassen.” (vgl. John Kenneth Galbraith, “Die Geschichte der Wirtschaft im 20. Jahrhundert” – vor allem die Seiten 132 ff.) Es gibt eben nicht nur den demokratischen Weg zu mehr Beschäftigung und sozialem Ausgleich. Beziehungsweise umgekehrt muss man gestehen, gerade die demokratischen Institutionen haben sich – und geben sich weiter – dafür hergegeben gegen die Interessen der Mehrheit der Bevölkerung vor allem den Interessen der Reichen zu “dienen” (vgl. dazu z.B. allein Thomas Piketty)

Und ein Brief von Keynes 1933

P.S.: Erwähnenswert aus dieser Wirtschafts-Geschichte von Galbraith ist auch noch der Hinweis, dass es nicht erst das Erscheinen der “General Theory” von Keynes im Jahre 1936 (!) war, die die Debatte angestoßen hat, sondern schon ein Brief von Keynes an Roosevelt am 31. Dezember 1933, der in der “New York Times” veröffentlicht war – und dann mit einem Treffen mit Keynes erst einmal fortgesetzt wurde. (Galbraith, S. 119 ff) Dort schrieb Keynes, der ja mit seiner Kritik am “Versailler Vertrag” und an der Rückkehr zum Goldstandard durch Churchill 1925 kein unbekannter Ökonom mehr war, dass die Regierung in Washington “besonderen Wert auf den Anstieg der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage” legen solle (die Regulierung der Finanzmärkte war mit dem “Glass-Steagall-Act” von der US-Regierung schon weitgehend erledigt!). Dieser Anstieg der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage sollte aus “staatlichen, kreditfinanzierten Ausgaben resultieren.”

Sein Vorstoß richtet sich an die, wie er fand, ökonomisch entscheidungsfreudigere und offenere amerikanische Regierungsform und Politik. Aber wie betont Galbraith dennoch weiter: Dieser Brief und die anschließenden Besuche bei F.D.R. waren weit davon entfernt, übersehen zu werden in der Geschichte des New Deal. Zu jener Zeit hatten sie in Wahrheit nur – erst einmal – eine geringe Wirkung. Die herrschende Meinung – und ihr Einfluss auf die Politik – konnte durch einen einzigen Brief kaum beeinflusst werden.

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=70280
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