Eine Änderung der Diskursordnung? Und das große Thema in der SZ: Hat Europa versagt?

Kommentierte Presseschau von Volker Bahl vom 14.11.2014

Heute (14. November 2014) vor dem G20-Gipfel in Australien wagt die Süddeutsche, die vom US-Finanzminister Jacob Lew angestoßene Diskussion “Droht Europa ein verlorenes Jahrzehnt?” kontrovers im Wirtschaftsteil auszutragen (http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/pro-kritik-an-eu-wirtschaftspolitik-europas-politik-hat-versagt-1.2219159 externer Link und http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/contra-kritik-an-wirtschaftspolitik-europas-weg-ist-richtig-1.2219161 externer Link). Zu dem Sachverhalt: Vor dem Treffen der 20 wichtigsten Volkswirtschaften der Welt am Wochenende im australischen Brisbane hat der US-Finanzminister scharfe Kritik an Europa geübt. Den EU-Staaten sei es nicht gelungen, für ein gesundes Wachstum zu sorgen.

Dazu die Fakten: Im 6. Jahr nach Ausbruch der Finanzkrise liegt das BIP im Euroraum unter dem Wert von 2008. In den USA um 10 % darüber. In Europa folgte die Politik dem neoliberalen Rezeptbuch: Gegen Staatsschulden hilft nur Sparen (besonders im Sozialbereich), gegen Arbeitslosigkeit die Senkung von Löhnen und Arbeitslosengeld. Anders in den USA: Die Staatsverschuldung wurde durch expansive Politik gezielt ausgeweitet und das Arbeitslosengeld massiv erhöht (durch eine verlängerte Bezugsdauer). Resultat: im Euroraum ist die Arbeitslosigkeit seit 2008 um ein Drittel gestiegen, in den USA um ein Drittel gesunken.

Deshalb meint der US-Finanzminister: Den EU-Staaten sei es nicht gelungen, für ein gesundes Wachstum zu sorgen – kurz: “Die Politik des Status quo in Europa hat nicht zu dem von den G20 vereinbarten Ziel von starkem, nachhaltigem und ausgeglichenen Wachstum geführt. Deshalb müsse in Europa die Haushaltspolitik geändert werden. Die Welt könne sich ein verlorenes Jahrzehnt in Europa nicht leisten.

Dazu nehmen einerseits positiv Jan Willmroth (Ja, die Politik versagt! – etwas den bisherigen “Mainstream” überwindend) Stellung – und Claus Hulverscheidt entgegnet mit den “regierungsamtlich” allseits bekannten Parolen (“Nein, der Weg ist richtig”) für die bisherige Sparpolitik hin zu größerer Arbeitslosigkeit und Verschuldung (natürlich ziemlich “deutschlandzentriert” (= Erfolg über Exportüberschuss durch Lohndumping usw.)

Dabei hatte die Süddeutsche just am letzten Samstag (8. 11. 2014) zum Hintergrund einer solchen ökonomischen Auseinandersetzung im “Samstags-Essay” “Theoriebildung als Krieg” von Stephan Schulmeister veröffentlicht, wo das “Prinzip” dieser unterschiedlichen “Weltdeutung” (mit mehr oder weniger Realitätsgehalt) dargestellt wird (http://stephan.schulmeister.wifo.ac.at/fileadmin/homepage_schulmeister/files/SZ_Theorien_als_Krieg_08_11_14.pdf externer Link pdf).

Es bewegt sich also etwas in den Medien – nur wohin? Ein Ende dieser “Diskurs-Ordnung” (Foucault) erscheint möglich?

Du siehst, wir werden in diesem schon bald hysterischen “Hin-und-Her”-Geschnatter – bei jeweils geringen Änderungen auf der politisch-ökonomischen Seite – noch weiterhin einiges erleben können – bis, ja bis vielleicht auch einmal etwas “Weitergehendes” passieren könnte…

Aber wie meinte schon der gute alte Michel Foucault: “Die Doktrin führt eine zweifache Unterwerfung herbei: die Unterwerfung der sprechenden Subjekte unter die Diskurse und die Unterwerfung der Diskurse unter die sprechenden Individuen” (Michel Foucault, “Die Ordnung des Diskurses” (1992), S. 29 ff.)

Ein wenig habe ich schon vor Jahren – die Krise hatte noch nicht diesen Reifegrad erreicht – diese Diskurs-Konstellation im Mai 2011 in Dresden versucht auszuführen (http://www.nachdenkseiten.de/?p=9425 externer Link) – siehe dort insbesondere die noch aktuellen Abschnitte:

  • Warum “Gegen”-Öffentlichkeit?
  • Eine Doktrin?
  • Beispiel: Sprechendes Subjekt des Diskurses
  • Das Phänomen der kontrafaktischen “Glaubwürdigkeit”
  • Die Kehrseite dieser Öffentlichkeit: Das Verschweigen und die Verantwortung für diese Krise
  • sowie – Alternativlos – oder wie der Diskurs abgeschottet wird.

P.S.: Die interessante Frage wird dann dabei auch sein, wie weit sich auch die USA schon aus der “alten” finanzkapitalistischen Diskursordnung hat lösen können?

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=69391
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