Die Bundeswehr neu erzählen. Von Ernst Jüngers zu von der Leyen: Kriegshandwerk als Job

Artikel von Winfried Wolf aus der Zeitung gegen den Krieg, Nr. 38, vom 01.08.2014

Zeitung gegen den KriegAls die Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen Kitas und Flachbildschirme in Kasernen, Teilzeit für Soldaten und die Umwandlung der Bundeswehr in „einen familienfreundlichen Konzern“ forderte, erntete sie Kritik aus dem soldatisch-reaktionären Lager. Die Soldaten würden „zu Weicheiern und Warmduschern“ degradiert, so wurde ein „hochrangiger Offizier“ im Blatt Focus zitiert. Der Ex-General Harald Kujat schäumte: „Da sind echte Laien am Werk.“

Kujat & Co. haben Unrecht. Ihre Kritik ist vor allem dumm. Ursula von der Leyen will dasselbe erreichen, was seit der Wende ein halbes Dutzend Verteidigungsminister nicht immer erfolgreich versucht hatten: Deutschlands neue aggressive Expansion auf den Weltmärkten soll durch mehr Auslandseinsätze und vor allem durch mehr Einsätze, die  primär deutschen Interessen dienen, begleitet werden.  Dazu sind neue Mittel und Methoden erforderlich. Um präzise zu sein: Dazu sollen alte Mittel mit neuem Anstrich versehen eingesetzt werden.

Von der Leyen will Bundeswehr „anders erzählen“, will diese als „modernen, global agierenden Konzern“ präsentieren, um ausreichend viele junge Leute für die Armee zu gewinnen. Letzten Endes sollen diese Leute gewonnen werden für das klassische „Kerngeschäft“ jeder Armee, der vom Kämpfen, Zerstören und Töten.

Von der Leyen zielt darauf, den Soldaten-Job als einen Normalo-Job zu präsentieren. Schöner Wohnen in Kasernen. Familienfreundliches Kriegshandwerk. Mit „Arbeitszeitkonten“. In den Kasernen endlich ausreichend viele Steckdosen und „optimaler WLAN-Empfang auch im Einsatzgebiet“. Techno-Krieg am Joystick: ferngesteuert und angeblich ungefährlich für den Hightech-Teilzeitkiller mit Rund-um-Versicherung.

Um dieses Bild der neuen Bundeswehr glaubhaft zu machen, werden immense Mittel und Verlockungen bereit gestellt. Es gibt inzwischen laut „Y – Magazin der Bundeswehr“, deutschlandweit  „110 Karrierebüros und damit ein flächendeckendes Netz der Personalgewinnung (3/2014).  Es existiert eine speziell auf junge Menschen zielende „infopost“, ein „kostenloses Magazin der Bundeswehr“, in dem das Soldatenhandwerk locker übern Hocker rübergebracht wird. Die Schulen werden eingedeckt mit Angeboten,  um in den Klassen zu werben. Auszug aus einem aktuellen Schreiben an die Schulen im Südwesten: „Sehr geehrte Damen und Herren, auch wir, die Jugendoffiziere in Württemberg starten in das neue Schuljahr und möchten Ihnen wieder unser lernplanabgestimmtes Programm anbieten. Mit unserem Angebot leisten wir eine fachspezifische Ergänzung zu den Themenbereichen Außen- und Sicherheitspolitik sowie der internationalen Friedenssicherung.“ Eines der Angebote –„Unterrichtsbesuch Jahrgangsstufe 9/10 bzw. Berufsschulklasse (90 Minuten): Das Leben in den Streitkräften: Dienstalltag, Frauen in der Bundeswehr, Staatsbürger in Uniform.“

Es geht um die Verführung Minderjähriger. Das Verteidigungsministerium veranstaltet seit 2014 Preisausschreiben, in denen Jugendlichen ab 14 Jahren (!) die Möglichkeiten geboten wird, die „Bundeswehr aktiv zu erleben“ und eine Woche lang „bei der Kampftruppe“ zu verbringen. Beispielsweise beim Fallschirmjägerbataillon 313 in Seedorf. Aus einem Bericht der Bremervörder Zeitung vom 28. April 2014: „Zum Höhepunkt des ersten Tages wurde das Anlegen des sogenannten Scharfschützen-Ghilli-Suits, einem Tarnanzug, bei dem der Teilnehmer Emanuel Esslinger förmlich mit der Natur verschmolz.“  Abgerundet wurde die Woche dann mit der „Karriereberaterin aus Stade, die die Fragen hinsichtlich der Berufs- und Laufbahnmöglichkeiten bei der Bundeswehr“ beantwortete. Für den, der sich heute für ein Studium an einer der beiden Bundeswehruniversitäten entscheidet, gibt es keinen Numerus Clausus und „mindestens 1500 Euro netto im Monat während des Studiums“.

In von der Leyens Erzählung von einer Bundeswehr als „Aktiv. Attraktiv. Anders.“ bleibt der dreckige Krieg außen vor. Der moderne Krieg ist clean. Ist auch was für Frauen. Oder für Schwule . Im Magazin „Y“ gab es jüngst ein „Fotoshooting Homosexuelle in der Truppe“. Dort heißt es, dass „die Rahmenbedingungen für Homosexuelle in der Bundeswehr noch nie so gut wie heute“ waren (03/2014, S. 78).

Gab es da was in Vietnam? Das Mädchen mit dem in Flammen stehenden Rücken? Agent Orange und Zehntausende verkrüppelt geborene Babys? Wie agierte – folterte – die moderne US-Armee in Abu Ghraib, Irak? Gab es da was in Afghanistan – das Bundeswehr-Tanklaster-Massaker?

In den Rückblicken auf 1914 fehlen nicht nur Darstellungen zu den Ursachen, die in diesen Weltkrieg führten (siehe Seite 2). Es fehlen auch fast immer die realistischen Schilderungen vom eigentlichen Kriegsgeschehen: Von der Front in Flandern. Vom Schlachtfeld in Verdun (siehe die Seiten 4/5) Von den Hunderttausenden Soldaten, die jahrelang in Schlamm, Dreck, Blut, Rotz, Pisse – und dann: GAS! GAS! Und nochmals GAS! – ausharrten oder dort elend krepierten. Wo bleiben die erschütternden Zitate aus dem Roman von  Erich Maria Remarque „Im Westen nichts Neues“: „Graben, Lazarett, Massengrab – mehr Möglichkeiten gab es nicht“?  Wo bleibt die ernüchternde Lyrik, die der damals 20-jährige Carl Zuckmeyer in einem Bunker an der Front schrieb: „Ich habe sieben Tage nichts gegessen / Und einem Manne in die Stirn geknallt / Mein Schienbein ist vom Läusebiss zerfressen / Bald werd´ ich einundzwanzig Jahre alt / […] So nehm ich meinen Samen in die Hände: / Europas Zukunft: schwarzgekörnter Laich / Ein Gott ersäuft im schlammigen Krötenteich!! / Und scheiße mein Vermächtnis an die Wände“? Wo bleiben Bilder von Otto Dix, der die Schlammwüste voller toter, im Irrsinn taumelnder und verwilderter Soldaten zeichnete? Kurt Tucholsky oder Erich Mühsam, Leute, die realistisch den Krieg und seine Brutalität beschrieben – sie werden heute als Zeitzeugen nicht zur Kenntnis genommen. Nicht weil man sie „vergessen“ hätte. Nein – weil in der „neuen Erzählung“ vom Soldatenhandwerk die Wirklichkeit des Kriegs ausgeblendet werden soll.

Eine solche „neue Erzählung“ des Soldatischen gab es auch nach dem Ersten Weltkrieg. Damals war es Ernst Jünger, der den dreckigen Krieg überhöhte und zu „Stahlgewittern“ umschrieb. Jünger schrieb vom alten Kriegshandwerk und vom modernen Soldatentum. In seinem Buch „Der Arbeiter“, das ein Jahr vor der NS-Machtübernahme erschien, wird das Soldat-Sein beschrieben als „Schule, in der Arbeit als Lebensstil, Arbeit als Macht dem Menschen sichtbar zu machen ist“. Er sah die „soldatische Uniform immer eindeutiger als Spezialfall der Arbeitsuniform.“ Vor dem Hintergrund der riesigen Arbeitslosenheere am Ende der Weimarer Republik erkannte er ähnlich wie Hitler-Göbbbels-Göring, dass die millionenfache Gleichsetzung von Arbeit und Soldat, von Job und Töten dann am ehesten umgesetzt werden kann, wenn massenhafte Arbeitslosigkeit die jungen Menschen der Armee zuführt. Jünger schrieb: „Der Zustand der Arbeitslosigkeit, richtig gesehen, ist zu bewerten als die Bildung einer Reservearmee. Es verbirgt sich hier eine andere Form des Reichtums. […] Millionen von Männer ohne Beschäftigung – diese reine Tatsache ist Macht, ist elementares Kapital.“ Er bereitete damit dem Faschismus und dem Zweiten Weltkrieg den Weg.

Nach dem Zweiten Weltkrieg, als in den 1960er Jahren die Bundeswehr mit dem „Bürger in Uniform“ warb, packte Jünger seine Sicht des Soldatentums in eine weitere „neue Erzählung“. Diese liest sich bereits wie das Neue Denken der von der Leyen und wie eine Kritik an den Kujats, den Vertretern der überholten „Kriegerkaste“. Jünger schrieb 1964: „Der Krieg ist Promotor von Technik und Wissenschaft. […] Der Kriegerkaste wurde er schon längst unheimlich. Ihre Entmachtung ist ein Sonderfall. Sie dürfen noch in Randgebieten ihren Stil pflegen. […]Der Arbeiter kämpft und stirbt in Apparaturen, nicht nur ohne ´höhere Ideen´, sondern auch in ihrer bewussten Ablehnung. Sein Ethos liegt in der <I>sauberen Bedienung des Apparats<I>. Er hat sich keine Gedanken zu machen; er überblickt nicht den Plan. Auf das Nationalethos wird zuweilen zurückgegriffen, doch nur als Vorspann, Konzession an die Leidenschaft. Die Zerstörung der Einzelbefugnisse durch den technischen Plan. Der Diplomat wird durch den Telegrafen zum Befehlsempfänger, das Schiff durch den Funk zur schwimmenden Außenstation. Der Kampfflieger mit Kopfhörer.“[1]

Der Krieg im Interesse des Kapitals erscheint in der Tarnung als „Ethos der sauberen Bedienung des Apparats“. Überhaupt die Kriegstechnik – das ist das Pendant zu von der Leyens Präsentation vom Soldatenhandwerk als handelsüblichem Job. Über diese mörderische Technik, die angeblich neutral ist, wird versucht, die Menschen von der Normalität des Krieges zu überzeugen. Siehe das Preisausschreiben „eine Woche bei der kämpfenden Truppe“. Siehe die Militärschau ILA. Auch im Mai 2014  zog diese in Berlin wieder mehr als 200.000 Besucherinnen und Besucher an. Die Show stellt sich mit den folgenden Worten in eine unzweideutige Tradition: „Die ILA ist die älteste Luft- und Raumfahrtmesse der Welt. Nach erfolgreicher Premiere 1909 in Frankfurt fand die ILA von 1912 bis zum Beginn des Zweiten Weltkriegs in Berlin statt. […] 1992 kehrte die ILA an ihren Heimatstandort Berlin zurück.“[2] In diesem Jahr startete am 25. Mai als Teil des „offiziellen Flugprogramms“  auch die NS-„Wunderwaffe“, Messerschmitt Me 262.

Wenn Bundespräsident Gauck offen dafür wirbt, „im Kampf für Menschenrechte auch zu den Waffen zu greifen“ und von der Leyen vor allem betont, welch normaler und spannender Job doch das Unternehmen Bundeswehr GmbH & Co KG zu bieten habe, dann bilden die beiden durchaus ein eingespieltes Team, kreativ ergänzt von Frank Steinmeier, wenn dieser mal in Tel Aviv, mal in Kiew sorgenvoll in Kameras blicken darf. Die drei traten Anfang 2014 auch auf der Münchner Sicherheitskonferenz als militaristisches, medial gut orchestriertes Trio auf. Schließlich sollen höchst unterschiedliche Schichten angesprochen werden bei dem gemeinsamen Ziel, die altmodische Stimmung bei zwei Dritteln der deutschen Bevölkerung, die immer noch Bundeswehr-Auslandseinsätze ablehnen, zu kippen. Jede Idee, Krieg könnte konkreten Zwecken dienen und materielle Ursachen  haben, soll ausgetrieben werden.

Doch immer wieder  blitzt es durch – das Bild vom Mann als Krieger, von der Natur des kriegerischen Mannes, von der Natürlichkeit des Mordens – just so wie die Propaganda in den ersten Wochen des Ersten Weltkriegs tönte. Eckhard Fuhr schrieb am 7. Juni in einem Leitartikel in der Tageszeitung Die Welt den folgenden Klartext: „Jeder Mensch kann zum Krieger werden. Der Krieg ist nicht wider die menschliche Natur, sondern er entspringt ihr. […] Der Krieg stirbt nicht aus. Er wird die Zivilgesellschaft überleben.

Anmerkungen

[1] Ernst Jünger, Maxima – Minima, 1964, in: Ernst Jünger, Sämtliche Werke, Band 8, Stuttgart 1981, S. 328. Zitate zuvor aus „Der Arbeiter“, erschienen 1932, hier nach: E. Jünger, Sämtliche Werke, Band 8, S. 308 und S. 276.

[2] Dietmar Schrick, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands der Deutschen Luft- und Raumfahrtindustrie (BDLI) in: FLUG REVUE ILA-Extra, 2014.

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=62279
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