Chaos bei Karstadt – Der plötzliche Abgang von Kurzzeit-Chefin Sjöstedt und die Ankündigung von Filialschließungen machen klar: Lohnverzicht hat sich nicht ausgezahlt

Artikel von Daniel Behruzi, zuerst erschienen in der jungen Welt vom 19.07.2014Karstadt: Hände weg von unserem Tarifvertrag (ver.di)

Die Abwicklung von Karstadt setzt sich fort. Der Aufsichtsratsvorsitzende, Stephan Fanderl, hat angekündigt, jede vierte der 83 verbliebenen Filialen schließen zu wollen. Und das nur zwei Wochen nachdem Eva-Lotta Sjöstedt als Chefin des Warenhauskonzerns das Handtuch geworfen hat – nach einem halben Jahr. Belegschaftsvertreter kritisieren die Aufgabe von Standtorten als »das falsche Signal« und betonen: »Es gibt keine Schließungsliste.« Diese dürfte jedoch nicht mehr lange auf sich warten lassen. Die Zukunft der rund 17000 Beschäftigten ist mehr als ungewiß. Eine Zerschlagung des Unternehmens – inklusive Standortschließungen und Massenentlassungen – ist wohl die wahrscheinlichste Perspektive.

Auf insgesamt 700 Millionen Euro haben die Karstadt-Beschäftigten in den vergangenen zehn Jahren verzichtet, um einer »Sanierung« des Unternehmens den Weg zu ebnen. Spätestens jetzt ist klar: Es hat sich nicht gelohnt. Karstadt ist weiter denn je davon entfernt, auf dem umkämpften Einzelhandelsmarkt bestehen zu können. Das ist auch kein Wunder. Denn anders als die gering bezahlten Verkäuferinnen sind die Karstadt-Eigentümer nicht bereit, Geld in den Konzern zu stecken.

Für einen symbolischen Euro hat der damals als Retter gefeierte Nicolas Berggruen die insolvente Karstadt Warenhaus GmbH im Juni 2010 übernommen. Und seither hat der »Investor« nichts investiert. Im Gegenteil: Berggruen profitierte von Lizenzgebühren, die der Konzern alljährlich für Markenrechte zahlen muß. Fanderl stellte nun klar, daß von dem deutsch-amerikanischen Finanzhai auch in Zukunft nichts zu erwarten ist: »Von einem rationalen Finanzinvestor finanzielle Unterstützung zu erwarten, wenn man ihm nicht zeigen kann, ob und wie sich diese rentiert, ist müßig und in der Regel erfolglos«, so der Aufsichtsratschef in der FAZ.

Auch Berggruens Kompagnon, René Benko, ist nur auf den eigenen Vorteil bedacht. Der österreichische Immobilienspekulant besitzt die Gebäude von etwa 20 Karstadt-Filialen und übernahm im Herbst die Mehrheit an den profitablen Sporthäusern sowie den drei Luxusstandorten KaDeWe (Berlin), Oberpollinger (München) und Alsterhaus (Hamburg). Damit hat er sich die Filetstücke des Karstadt-Konzerns bereits unter den Nagel gerissen. Angeblich besitzt Benko zudem eine Option zur Übernahme der restlichen Häuser für einen Euro. Von dieser Möglichkeit will er dem Vernehmen nach aber nur Gebrauch machen, wenn sich Berggruen an den Sanierungskosten beteiligt.

Eine weitere, bereits seit Jahren diskutierte Variante ist, daß der Metro-Konzern-Betreiber der zweiten deutschen Warenhauskette Kaufhof – bei Karstadt zum Zuge kommt. Auch das liefe aber auf eine Zerschlagung und Massenentlassungen hinaus. Dem Vernehmen nach würde Kaufhof nur jedes vierte Haus übernehmen.

Betriebsrats- und Gewerkschaftsspitzen haben diesem Treiben in den vergangenen Jahren wenig entgegengesetzt. Ihr Versuch, mit diversen »Sanierungstarifverträgen« Arbeitsplätze zu sichern, ist gescheitert. Die Eigentümer haben den Lohnverzicht gerne mitgenommen, ohne selbst Verantwortung zu übernehmen. »Wenn man darauf wartet, Erträge zu reinvestieren, dauert das zu lange. Wer aus der Krise kommen will, muß schnell investieren. Da ist der Eigentümer in der Pflicht«, analysierte Jörg Funder, Professor für Unternehmensführung im Handel an der Hochschule Worms in der taz (Freitagausgabe). Das war aber wohl gar nicht der Plan. Statt einer »Sanierung« geht es Berggruen und Benko offenbar um profitable Resteverwertung.

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