Künftiges Europaparlament: Zum erreichten Stand der Rechtskräfte

Artikel von Bernard Schmid, Paris vom 26.05.2014

Im neu gewählten Europaparlament für die Legislaturperiode 2014-2020 sitzen nun 145 Abgeordnete (von insgesamt 751), die als mehr oder minder rechtslastige „Euroskeptiker“ eingestuft werden. Aber nicht alle unter ihnen haben dasselbe Profil. Insbesondere die britische „Unabhängigkeitspartei“ UKIP und die deutsche AfD – die im Unterschied bspw. zum französischen Front National keine (neo)faschistischen, sondern rechtsbürgerliche Wurzeln aufweisen – wollen erklärtermaßen etwa nicht mit Marine Le Pen und ihrer Partei zusammenarbeiten.

Voraussichtlich wird aus dem rechten „EU-kritischen“ Lager nicht eine einheitliche, sondern werden mindestens zwei Fraktionen geformt werden: eine mit einem eher national-konservativen und eine mit einem rechtsextremen, Sozialdemagogie und Rassismus vereinigenden Profil.

An der Spitze der zweitgenannten Fraktion, sofern sie (im juristischen Sinne) zustande kommt, dürfte der französische Front National stehen. Denn er schnitt gleichzeitig unter den rechtsextremen Parteien mit am höchsten ab – neben der britischen UKIP und der dänischen DFP war er als einzige Rechtsaußenpartei stärkste Kraft im eigenen Land, und erhielt 24,85 % der abgegebenen Stimmen – und ist in einem „Kernland“ der Union angesiedelt. Nun wird diese Partei sich jedoch im Europaparlament zusätzliche Verbündete suchen müssen, um eine Fraktion zu bilden. Gelingt ihr dies, locken Mittelzuwendungen in Höhe von zwei bis drei Millionen Euro pro Jahr, Mitarbeiter/innen/stellen, Sitze in den Ausschüssen – und damit Zugang zu Informationen in diversen Fachthemen – und ein ausgeweitetes Rederecht. All dies bleibt fraktionslosen Abgeordneten vorenthalten, die lediglich über eine einmütige Redezeit pro Aussprache verfügen.

Der FN an der Spitze einer Eurofraktion?

Um den Fraktionsstatus im EP zu erlangen, benötigt eine politische Kraft 25 Sitze – über diese verfügt der französische FN mit 24 Mandaten nun fast alleine – und Mandate aus sieben verschiedenen Mitgliedsländern der Union. Bei der Staatenzahl sieht es im Augenblick jedoch noch knapp aus.

Seit zwei Treffen in Den Haag am 13. November und Wien am 15. November 2013 trat der französische FN im Bündnis mit sechs anderen Rechtsparteien an. Doch nicht alle zogen ins Europaparlament ein, denn erhielt die „Slowakische Nationalpartei“ (SNS) – die in Wien am 15.11.2013 beim Bündnisschluss dabei war – erhielt nur dreieinhalb Prozent und keinen Sitz. Bei Redaktionsschluss behielt der belgische Vlaams Belang (die Partei „Flämisches Interesse“) zwar voraussichtlich ein Mandate im Europarlament, doch blieb dies im Laufe des Montag noch unsicher. Fest steht, dass die rechtsextreme flämische Partei massiv verlor, mit 4,7 % der abgegebenen Stimmen (minus 5,2 %). Bei den EP-Wahlen ebenso wie bei den gleichzeitig dazu stattfindenden Parlamentswahlen in Belgien büßte der VB massiv an Boden ein, zugunsten der flämisch-nationalistischen Rechtspartei N-VA („Neue Flämische Allianz“) des Antwerpener Bürgermeisters Bart de Wever. Diese Partei steht zwar selbst weit rechts, ist jedoch eine nationalistisch-konservative Partei ohne faschistische Wurzeln, im Unterschied zum Vlaams Belang.

Also wird Marine Le Pen nun nach neuen Verbündeten im EP suchen müssen, die bei der Fraktionsbildung mitmachen. Möglicherweise wird die FN-Chefin dabei auch auf Parteien zurückkommen, die bislang von Bestrebungen bezüglich einer gemeinsamen Fraktionsbildung ausgeschlossen blieben. Etwa die ungarische Partei Jobbik (ihr Name beruht auf einem Wortspiel, bedeutet „Die Rechte“ und „Die Bessere“ zugleich), welche mit 14,7 Prozent der abgegebenen Stimmen in Ungarn zur zweitstärksten Partei dort wurden, hinter der konservativ-völkischen Regierungspartei FIDESZ unter Viktor Orban mit 51,5 Prozent. Aufgrund ihres ungeschminkten Antisemitismus, aber auch aufgrund ihrer Vorliebe auch für asiatische Nationalismen – wie den türkischen – war die Jobbik-Partei in jüngster Vergangenheit von den Bündnisbemühungen des französischen FN und der österreichischen FPÖ ausgeschlossen geblieben.

Dem war jedoch nicht schon immer so: Von ihrer Gründung im Oktober 2009 in Budapest bis zum Oktober/November 2013 beruhte die „Europäische Allianz nationaler Bewegungen“ (französisch abgekürzt AEMN) im Kern auf einem Bündnis zwischen französischem Front National und ungarischer Jobbik. Doch Marine Le Pen ordnete einen Rückzug ihrer Partei aus dieser Struktur an, und der bis dahin amtierende AEMN-Vorsitzende Bruno Gollnisch vom FN sah sich genötigt, sein dortiges Amt niederzulegen. Nun kann es allerdings einen enormen Unterschied zwischen den Positionen vor einem Wahlgang und der Praxis danach geben – vor allem, sollte es aus dem einen oder anderen Grund doch noch knapp werden mit der Fraktionsbildung in Brüssel/Strasbourg. Die weitere Entwicklung des Verhältnisses zu den Antisemiten und Romahassern von Jobbik muss also genau beobachtet werden.

Unwahrscheinlich ist jedoch, dass die Abgeordneten der Neonazipartei „Goldene Morgenröte“ (9,39 % der abgegebenen Stimmen in Griechenland) oder der deutschen NPD in solche Bündnisse integriert werden. Die NPD erhielt 1,0 % (während in Deutschland auch 7 % für die AfD abgegeben wurden) und ein Mandat, dürfte aber ebenso isoliert bleiben wie voraussichtlich die „Golde Morgenröte“. Diese mehr oder minder offenen Hitler-Verehrer sind denn doch nicht vorzeigbar genug für Wahlparteien, die in ihren eigenen Ländern jeweils Einiges an politischer Reputation zu verlieren haben.

Abschneiden in einzelnen EU-Mitgliedsstaaten

Neben dem französischen FN sind noch zwei andere rechtsnationalistische Parteien zur jeweils stärksten Kraft in ihren Ländern geworden: die britische UKIP mit 27,5 Prozent der abgegeben Stimmen, und die „Dänische Volkspartei“ (DFP) mit 26,7 Prozent der Wahlteilnehmer/innen im Königreich zwischen Nord- und Ostsee. Doch beide Parteien haben im Vergleich zum FN ein unterschiedliches Profil, weisen – anders als die französische Partei unter ihrem langjährigen Vorsitzenden Jean-Marie Le Pen – keine antisemitische Tradition auf und lehnen eine Zusammenarbeit mit Le Pen (Vater & Tochter) bislang ab.

Zur drittstärksten Partei in ihrem Land wurde die österreichische „Freiheitliche Partei“ mit (laut vorläufigem amtlichem Endergebnis) 20,5 % der Stimmen, nachdem sie im Laufe des Wahlabends zunächst mehrere Stunden lang bei 19,5 % zu stehen schien. Dies entspricht zwar einem starken Zuwachs für die FPÖ gegenüber den Europarlamentswahlen im Juni 2004 (die damals in der Wiener Bundesregierung sitzende Partei erhielt seinerzeit nur 6,3 %) und denen im Juni 2009 (die Partei befand sich in der Opposition und im Wiederaufstieg, und erhielt damals 12,7 %). Dennoch wurden der FPÖ zu Anfang dieses Jahres noch höhere Ergebnisse vorausgesagt. Doch sie vergeigte tüchtig ihren diesjährigen Wahlkampf. Infolge von verbalen Angriffen auf den österreichischen Fußballstar (nigerianischer und philippinischer Abstammung) David Alaba musste der nazi-nahe Ideologe und bisherige Spitzenkandidat Andreas Mölzer seinen Hut nehmen. Zu seinem Nachfolger als Spitzenkandidat wurde FP-Generalsekretär Harald Vilimsky bestimmt, doch ging daraufhin die deutschnationale Burschenschafter-Sippe – die nach wie vor das Rückgrat der FPÖ-Aktivistenschaft stellt – gewissermaßen in den Sitzstreik. Aufgrund des erzwungenen Abgangs von Mölzer zeigte sie sich unmotiviert für den Wahlkampf. Die inneren Widersprüche der Partei schlugen dadurch nach außen durch.

Ebenfalls auf dem dritten Platz, und einem aus ihrer Sicht relativ enttäuschenden Ergebnis, landete die „Partei für die Freiheit“ (PVV) des wasserstoffblonden niederländischen Hetzers Geert Wilders. Ihr wurden bei Redaktionsschluss 13,35 % und ein dritter Platz hinter Christdemokraten und Liberalen angesagt. Doch in den Umfragen hatte die Partei zum Teil deutlich höher gelegen. Bei den Europaparlamentswahlen im Juni 2009 erhielt sie noch 17 % der Stimmen, und 15,5 % bei der niederländischen Parlamentswahl im Juni 2010. Danach fiel sie allerdings, infolge ihrer zweijährigen Beteiligung an der Regierungskoalition (welche sie zum Platzen brachte), im September 2012 auf „nur“ noch 10,1 %. In der Opposition konnte die Partei sich zwar resignieren und stieg erneut auf. Aber im Frühjahr 2014 verlor sie aufgrund einer Hetzrede ihres unangefochtenen Chefs Geert Wilders vor den holländischen Kommunalwahlen („Was wollt Ihr? Weniger, weniger Marokkaner!“) an Zustimmung und auch mehrere ihrer Parlamentarier/innen.

Die PVV von Geert Wilders trat im Bündnis mit dem französischen FN und der österreichischen FPÖ zur Europaparlamentswahl an. Ebenso wie der im Niedergang befindliche belgische Vlaams Belang, die aus dem Europaparlament verschwundene slowakische SNS und auch die italienische Lega Nord (6,19 %, minus fünf Prozentpunkte). Als siebte verbündete Kraft traten die „Schwedendemokraten“ an. In dem skandinavischen Land erhielten sie 9,7 %, was eine spürbare Steigerung ihres Stimmenanteils gegenüber den Europaparlamentswahlen 2009 (damals 3,27 %) und den schwedischen Parlamentswahlen vom September 2010 (5,70 %) darstellte. Es genügte jedoch nur für einen fünften Platz.

Ebenfalls in Nordeuropa trat die Partei der „Wahren Finnen“ (PS) im Nachbarstaat Finnland an, die außerhalb der Allianz mit FN und FPÖ steht und sich wohl eher mit den nationalkonservativen EU-Skeptikern verbünden dürfte. Sie erhielt 12,9 % und belegte einen dritten Platz hinter Konservativen und Zentrumspartei.

Schwach schnitten ferner die rumänische rechtsextreme PRM („Großrumänienpartei“) mit rund drei Prozent und Ataka in Bulgarien mit 2,5 % der Stimmen (minus neun Prozentpunkte) ab. Beide Formationen hatten in der Vergangenheit zu den stärkeren rechtsextremen Parteien des Kontinents gehört. Und anlässlich des EU-Beitritts Rumäniens und Bulgariens hatten sie aufgrund ihrer Mandatsstärke die damalige rechtsextreme Fraktion ITS („Identität, Tradition, Souveränität“) ermöglichst. Letztere existierte rund neun Monate lang, von Februar bis November 2007, brach jedoch im Anschluss im Streit auseinander: Bei pogromartigen Ausschreitungen gegen Roma in Rumänien hatte die italienische Europaparlamentarierin Alessandra Mussolini, ebenfalls Mitglied der IST-Fraktion, gegen alle Rumänen gehetzt und sich so den Zorn der rumänischen PRM-Europaparlamentarier zugezogen. Sowohl die PRM-Vertreter als auch die Mussolini-Enkelin zogen daraufhin im Zorn aus der gemeinsamen Fraktion aus, die dadurch den Fraktionsstatus verlor. Während die PRM daraufhin durch die übrigen rechtsextremen Parteien geschnitten wurde, liebäugelte der französische FN zeitweilig noch mit einem Bündnis mit der bulgarischen Formation Ataka. Diese wurde jedoch im Februar 2014 durch Marine Le Pen ebenfalls von der Liste der bündnisfähigen Parteien gestrichen. Nunmehr konnten weder die rumänischen noch die bulgarischen Rechtsextremen einen Sitz erringen, oder auch nur in die Reichweite eines Mandats gelangen.

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