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Frankreich: Zukunft der Tageszeitung ,Libération’ bedroht.

Libération:  Nous sommes un journalDas Redaktionsgebäude als Spekulationsobjekt und Opfer von Aktionärsstrategien… Oder: Wie die Belegschaft einer linksliberalen, gleichwohl einstmals maoistischen, Tageszeitung den Klassenkampf (zuerst den „von oben“) wieder entdeckt…

Artikel von Bernard Schmid vom 3. März 2014

Ceci n’est pas une pipe – „Dies ist keine Pfeife“ – übertitelte der surrealistische Maler René Magritte dereinst ein Gemälde, auf dem ein ebensolcher Gegenstand zu sehen war. Der Künstler spielte mit dem Gedanken, dass Bilder zu täuschen vermögen. Nous sommes un journal, „Wir sind eine Zeitung“, übertitelt die französische Tageszeitung Libération seit der zweiten Februarwoche dieses Jahres eine ständige Rubrik. Es ging und geht allerdings nicht darum, dass die KäuferInnen sonst drohten, sich täuschen zu lassen und das Produkt vielleicht mit einem Schuhkarton oder einer Kaffeetasse zu verwechseln.

Die Schlagzeile prangte unter dem berühmten Rautensymbol der Zeitung, die 1973 zunächst als Produkt der linken Post-68er-Bewegung – genauer, ihres damaligen maoistischen Flügels – gegründet worden war. Ihr Herausgeber war in den Anfangsjahren, zumindest formell, der Philosophen Jean-Paul Sartre. Libération war damals von möglicher staatlicher Repression bedroht, nachdem die Zeitung aus der Agence de presse Libération entstanden war: einer radikalen Presseagentur, deren erste Aktivität darin bestanden hatte, im April 1972 quasi-live über die kurzzeitige Entführung eines Renault-Managers durch französische Maoisten zu berichten. Die Aktivisten hatten die Journalisten, die derselben Organisation – La Gauche prolétarienne (GP) – nahe standen, ständig über die neueste Entwicklung auf dem Laufenden gehalten. Sartre war zuvor presserechtlich Verantwortlicher bei der GP-Zeitung Le Cause du peuple („Sache des Volkes“) gewesen, hatte aber ihre grausamsten Verirrungen deutlich kritisiert – besonders, als das Maoistenorgan 1972 eine Kampagne für Lynchjustiz gegen einen Notar, der eines Sexualverbrechens beschuldigt wurde, durchführte und dabei alle vormaligen linken und liberalen Verbündeten verlor. Bei der neuen Tageszeitung Libération, die als breitere und offenere Bündniszeitung angelegt war, übernahm der existenzialistische Philosoph diese Funktion, auch wenn er kaum real in die Zeitungsproduktion eingriff oder Stellung zu ihr nahm. Der Neugründung auf dem Zeitungsmarkt verlieh Sartre damals das Motto: „Damit das kleine Volk das Wort ergreift, und es behält.“

Dies alles ist lange her. Libération ist längst brav geworden. Seit einer mehrwöchigen Einstellung im Frühjahr 1981 und einem Relaunch unmittelbar nach der Wahl des vorgeblich sozialistischen Staatspräsident François Mitterrand steht sie nun seit Jahrzehnten der Sozialdemokratie nahe. Anzeigenkunden traten erstmals 1982 mit zahlender Werbung in die Zeitung ein, die Abschaffung des früher einmal geltenden Einheitslohns erfolgte um dieselbe Zeit. Begleitet wurde das Ganze, wie bei manchen früheren Achtundsechzigern üblich, durch die Behauptung, man sei sich selbst vollkommen treu geblieben, nur die Welt drumherum habe sich um einen gedreht. Serge July, bis zu seinem durch Konflikte erzwungenen Abgang im Jahr 2006 langjähriger Herausgeber der Zeitung – und eine der Figuren, die in Guy Hocquenghems Streitschrift „Offener Brief an jene, die vom Maokragen zum Rotary-Club übergingen“ (Albin Michel, 1986) portraitiert wurden –  brachte es mit seiner legendären Unverfrorenheit auf den Nenner. Glänzend war seine Formulierung dazu: „Es ist nicht ,Libération‘, die sich verändert hat, sondern die Werbung. Die Werbung ist zu Kunst geworden.“

Der Inhalt von Libération zeichnet sich seit einigen Jahren noch durch mitunter gute Reportagen aus – die hauptsächliche Stärke der Zeitung liegt in ihnen -, aber nur noch selten durch originelle Analysen, und seit langem nicht mehr durch irgendeine politische Radikalität.

Dennoch sehen die Zeitungsmacherinnen und –macher auch heute die Existenz ihres Projekts bedroht, und zwar einerseits von ebenjenen Aktionären, die man vor einigen Jahren rief. Auf der anderen Seite ist Libération vom Rückgang seiner Verkaufserlöse bedroht. Wie andere Medien des Landes auch leidet die Zeitung unter der Konkurrenz von Gratispresse, Internet und wachsendem politischem Desinteresse. Aber für Libération kommen spezifische Faktoren hinzu. In den Jahren 2010, 2011 und 2012 fuhr das Blatt noch Gewinne ein, denn damals war es unter Präsident Nicolas Sarkozy ein Oppositionsorgan und als solches geschätzt. Die Wahlkämpfe des Frühjahrs 2012 befeuerten das Publikumsinteresse zusätzlich. Das Ende der Wahlkämpfe, vor allem aber die absolut ernüchternde und desillusionierende Bilanz der seitdem amtierenden Regierung aus Sozialdemokraten und Grünen – auch wenn Libération deren Wirtschaftspolitik mintunter scharf kritisiert und am 10. September 13 titelte: „Hollande, der Präsident der Unternehmen“ -, ließen das Interesse der potenziellen Leserschaft einknicken. 2013 wurde zum Verlustjahr.

Seit längerem kündigte sich an, dass die Hauptaktionäre der Zeitung demzufolge auf einen harten Sparkurs drängen. Zunächst wurden den RedakteuerInnen u.a. ein Lohnverzicht – in Höhe bis zu 15 % -, Frühpensionen und Übergänge zu Teilzeitarbeit „auf freiwilliger Basis“ nahe gelegt. Am Donnerstag, den 06. Februar 14 streikte die Belegschaft dagegen, die Freitagsausgabe erschien nicht. Am selben Tag (07. Februar) fanden zwei Verhandlungsrunden zwischen Personal- und Aktionärsvertretern statt, in ruhiger Atmosphäre, wie verlautbarte. Um 17 Uhr fiel dann jedoch die Nachricht, die wie von vielen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern als Dolchstoß erlebt wurde: der offizielle „Plan der Aktionäre“ für „die Zukunft von Libération“.

Ihn charakterisieren die JournalistInnen der Zeitung als „das Vorhaben, Libération zu verkaufen, ohne Libération zu machen“. Das Vorhaben dreht sich laut Wortwahl der Aktionäre darum, Libération zu „einem sozialen Netzwerk“ zu machen. Dies bedeutet konkret, dass das bisherige Redaktionsgebäude von 4.500 m2 in der Pariser rue Béranger in ein „Café Flore des 21. Jahrhunderts“ umgewandelt werden solle – das Café Flore im Nobelstadtteil Saint-Germain-des-Près, das noch heute existiert, war in den 1950er und 60er Jahren einmal ein Intellektuellentreffpunkt. Unter dem roten Rautensymbol von Libération sollen dort „ein Fernsehstudio, eine Radiostation, ein Digital-Newsroom, ein Restaurant, ein Bar und eine Brutstätte für Start-up-Unternehmen“ einziehen.

Prosaischer ausgedrückt: Die Redaktion soll aus ihren bisherigen Arbeitsstätten verdrängt werden, die Räume sollen untervermietet und der Name Libération soll dabei als Attraktivitätsmerkmal vermarktet werden – aber nicht mehr in erster Linie für eine Zeitung und für einen Informationsauftrag stehen. Die Aktionäre nennen es monétiser (monetisieren), was aber, zieht man die leicht poetische Ausdrucksform ab, nichts anderes bedeutet als „mit dem Namen Geld machen“. Der Rest ist nichts als schmückende Lyrik, etwa die Rede davon, das geplante neue Geschäftszentrum solle „eine Synthese aus den beiden größten gesellschaftlichen Revolutionen der modernen Geschichte“ darstellen, nämlich aus der Nach-68er–Bewegung und „der digitalen Revolution“ (sic).

Die Redaktion zeigte sich geschockt und widmete ihrer Schreckversion am darauffolgenden Wochenende (08. und 09. Februar 14) den Titel und fünf Zeitungsseiten, unter der Überschrift: „Die schwarzen Tage einer Tageszeitung“. Am selben Tag wurde durch ein Börsenradio – BFM Business – ein E-Mail bekannt, das der Hauptaktionär Bruno Ledoux am Freitag früh an die anderen Investoren der Zeitung sandte. Darin heißt es in barschem Tonfall: „Ich will all diese engstirnigen Geister als Spießer dastehen lassen, ihnen zuvorkommen und Klartext reden, auch was das Vorhaben für das Gebäude betrifft.“ Und dabei will der Bauunternehmer, Kunstmäzen und Abenteurer Ledoux „die Franzosen, die für diese Typen blechen, zu Zeugen machen“. Es handelt sich um eine Anspielung auf die staatliche Förderung für die Printpresse, u.a. in Gestalt von vergünstigten Posttarifen und einer erheblich verringerten Mehrwertsteuer.

Dieses System existiert bereits seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs und dient hauptsächlich dazu, den Meinungspluralismus aufrecht zu erhalten und einen selbige bedrohenden Presseeintopf zu verhindern. Allerdings ist die konkrete Funktionsweise dieses Systems fragwürdig, da die genaue Höhe der Beihilfen sich nach der Auflage richtet – und die Zeitungen mit der stärksten Verbreitung, die oftmals die geringsten Probleme aufweisen, also die größten Summen beziehen. In absoluter Höhe gemessen, erhalten folgerichtig Le Monde und Le Figaro die stärksten Beihilfen, als überregionale Zeitungen mit den höchsten Auflagen und den wenigsten Geldschwierigkeiten. Bezogen auf das einzelne Exemplar erhält allerdings die KP-nahe TageszeitungL’Humanité die stärksten Hilfen, und sie kann auch nur dank deren Existenz überleben.Libération liegt an sechster Stelle, misst man die Beihilfen in absoluten Zahlen; und an neunter Stelle, gemessen an ihrer Verbreitung.

Am Sonntag, den 09.02.14 lag ein erneuter Streik der Belegschaft vonLibération in der Luft. Doch dann entschieden sich die MitarbeiterInnen dagegen, um nicht ihrer eigenen Zeitung zu schaden. Stattdessen widmeten sie das Darstellung ihrer Sicht der Ereignisse am Montag erneut zwei Zeitungsseiten, ebenso wie an allen folgenden Wochentagen. Darin erinnern sie daran, dass der zu dem Zeitpunkt noch amtierende Zeitungsdirektor Nicolas Demorand – sein Rücktritt war im November 2013 bereits durch ein Votum von 89,9 % des Personals gefordert worden – schon im Herbst 2012 von der Umwandlung der Obergeschosse des Zeitungsgebäude in einen Ort für schicke (und teure) „Premium-Ereignisse“ fantasiert hatte. Also noch vor dem letzten Jahr, in dem Libération rote Zahlen schrieb. Die Geschäftsidee resultiert also nicht aus dem Einbruch der Verkaufszahlen, letztere dient aber als gute Gelegenheit für ihre Durchsetzung. – Demorand erklärte am Donnerstag, den 13. Februar seinen Rücktritt. Woraufhin die Redaktion am Freitag, den 14. Februar titelte: „Demorand ist weg, der Kampf geht weiter!“

Die Redaktion war unterdessen vor allem über eine andere Nachricht schockiert. Am selben Freitag, den 14.02.14 publizierte sie (zuvor durch die Internetzeitung Médiapart aufgedeckte) Informationen, die den Blick auf andere als die bislang bekannten Hintergründe freigeben: Bruno Ledoux, Hauptaktionär der Zeitung, ist Eigentümer des Gebäudes über mehrere Kapitalgesellschaften, die in Steuerparadiesen in der Karibik angesiedelt sind. Der französische Fiskus ist misstrauisch geworden und fordert nun Steuernachzahlungen in Höhe von 40 Millionen Euro von ihm. Hier liegt wohl das Hauptmotiv für seine aktuellen Bestrebungen…

Seit einiger Zeit werden Aktionäre, und zwar die der eigenen Zeitung, auf durch die Redaktion von Libération gestalteten Seiten in ganz altem Stil karikiert. Also mit  dicker Zigarre, Zylinder und mit sichtbarer Überheblichkeit, Arroganz und Selbstzufriedenheit. In einer Karikatur kehrt eine solche Aktionärsgestalt Figuren, die wohl die Angestellten verkörpern, mit einem Pusthauch vom Rautensymbol der  Tageszeitung herunter und in den Mülleimer. Sollten die Redakteurinnen und Redakteure nun plötzlich den Klassenkampf (und sei es in einer Vorstellung „alter Schule“) wieder entdecken?

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=54297
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