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„Das ist keine Revolte mehr, das ist die Revolution!“

Bosnien und Herzegowina: „Das ist keine Revolte mehr, das ist die Revolution!“Das war am Freitag die Überschrift eines Korrespondentenberichts aus Sarajevo und Tuzla im Courrier des Balkans: Nicht, um den Begriff der Revolution zu diskutieren wird dies eingangs erwähnt, sondern um deutlich zu machen, wie heftig Protest und Widerstand in Bosnien Herzegowina sind – so heftig zumindest, dass nicht nur Regierungsgebäude brennen, sondern offensichtlich auch der Nationalismus keine wesentliche Rolle spielt. Unsere aktuelle Materialsammlung „Rebellion in Bosnien“ vom 08. Februar 2014

Rebellion in Bosnien

Seit Mitte der Woche werden die Proteste in Bosnien immer heftiger und breiteten sich, von Tuzla ausgehend übers ganze Land aus, erreichten am Freitag einen neuen Höhepunkt und wurden auch mit politischen, konkreten Forderungen verbunden:

Nach den schwersten Unruhen seit dem Krieg von 1992 bis 1995 mit 150 Verletzen und enorm hohem Sachschaden haben Vertreter der Demonstranten am Samstag nach einer weitgehend ruhigen Nacht eine „politische Revolution“ gefordert. Angesichts der katastrophalen sozialen Lage fordern sie in einem Fünfpunktekatalog tiefgreifende Veränderungen.“

Demnach sollen beispielsweise die Einkommen aller Politiker an den äußerst niedrigen Durchschnittslöhnen im Land ausgerichtet werden. Zudem sollen die „kriminellen Privatisierungen“ der Staatsbetriebe rückgängig gemacht und die „Wirtschaftskriminellen“ vor Gericht gestellt werden. Außerdem verlangen die Protestierer, dass nach dem Rücktritt der Regionalregierung in Tuzla nur parteilose Experten eine neue Regierung bilden. Die Stadt war am Freitag das Zentrum der Gewalt“ – so beginnt der Bericht (Gespannte Stimmung nach ruhiger Nacht externer Link) im ORF am 08. Februar 2014.

In dem Kurzbericht (Quelques nouvelles de Bosnie-Herzégovine externer Link) am 08. Februar 2014 bei Solidarité Ouvrière wird (im Rahmen eines Telefonats mit Aktivisten) insbesondere darauf verwiesen, dass es in der Nacht zum Samstag eine Verhaftungswelle gegen Antifaschisten und Linke gegeben habe.

«Tous ensemble!»

Das war der Ruf der Demonstranten in Tuzla, Zenica, Sarajevo und Mostar – Büros beider nationalistischer Parteien wurden attackiert, was folgende Aussage erbrachte „Parmi les manifestants, les divisions ethniques sont en effet oubliées“ (unter den Demonstranten sind die ethnischen Spaltungen in der Tat vergessen) – aus dem Bericht (Bosnie-Herzégovine: la révolte du désespoir et le début d’un nouveau «printemps» externer Link) von Eléonore Loué-Feichter und Andrea de Noni am 08. Februar 2014 im Courrier des Balkans.

Der im Titel erwähnte Bericht (Manifestations en Bosnie-Herzégovine: ce n’est plus une révolte, c’est la révolution externer Link) von Andrea De Noni, Lejla Sadović, und Eléonore Loué-Feichter am 07. Februar 2014 ebenfalls im Courrier des Balkans ist in Wirklichkeit eine Tageschronologie des Freitags und ein Dokument darüber, wie sich die Proteste rasant ausbreiteten. Am 08. Februar meldete die Sarajevo Times in dem redaktionellen Beitrag (121 People Injured, 2 Policemen Are Being Medically Treated externer Link) dass von den erwähnten 121 Verletzten 101 Polizisten seien.

Eine Reihe Kurzvideos über das „Möbelrücken“ in den Parteizentralen bilden den Beitrag (Mostar: Les locaux des partis nationalistes en feu externer Link) am 08. Februar 2014 bei Solidarité Ouvrière.

Noch muss man natürlich vorsichtig mit der Beurteilung der Ereignisse in Bosnien und Herzgowina sein. Die Baby-Revolution (Babylution) vom letzten Sommer hat nur wenige Tage angehalten. Doch vieles deutet jetzt darauf hin, dass es sich bei den Demonstrationen und militanten Auseinandersetzungen, die in der Industriestadt Tuzla begonnen haben, nicht mehr um eine Eintagsfliege handelt. Zu viel hat sich bei vielen Menschen angestaut, zu viel an Frustration über die soziale und politische Lage“ ist eine einleitende Bemerkung in dem Kommentar (Gemeinsam gegen Nationalismus externer Link) von Erich Rathfelder am 07. Februar 2014 in der taz. Der Beitrag (Bosnien erlebt »Tsunami der bestohlenen Bürger« externer Link) am 08. Februar 2014 im neuen deutschland bemerkt dazu: „Seit dem Bürgerkrieg (1992-1995) steckt Bosnien in einer von den Politikern verschuldeten Sackgasse, wie das EU-Parlament in Straßburg erst am Vortag wieder gerügt hatte. Wegen des Dauerstreits der muslimischen Bosniaken, der orthodoxen Serben und der katholischen Kroaten ist das gesamte Land blockiert“.

Ein Analyseversuch der Ursachen ist der (Beitrag The ‘Bosnian Spring’ Starts With a Bang externer Link) von Srecko Latal am 07. Februar 2014 bei Balkan Insight, der relativ genau die ersten Aktivitäten am Dienstag in Tuzla beschreibt, wenn er unterstreicht, dass die DemonstrationsteilnehmerInnen von „Dita detergent factory, the Konjuh furniture factory, the Resod-Guming motor parts firm and the Polihem and Poliolchem chemical plants“ kamen. Keine Überraschung: Viele privatisierte Unternehmen machten Pleite, was, wie es eben so in der Marktwirtschaft ist, keine grösseren Folgen für die Unternehmer hatte, wohl aber für die Beschäftigten solcher Werke, die nicht nur ohne Lohn blieben, sondern auch ohne Sozialversicherung, wird in dem ersten Protestbericht (Redundant Bosnian Workers Protest in Tuzla externer Link) von Elvira M. Jukic am 05. Februar 2104 bei Balkan Insight unterstrichen.

Wer mehr wissen möchte: Zwar schon aus dem Jahre 2009 aber heute mehr denn je gültig ist der ILO Bericht (Youth Labour Markets in Bosnia and Herzegovina externer Link) – Grund zuhauf zum rebellieren…

Zusammengestellt von hrw am 08. Februar 2014

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=52595
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