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Außerparlamentarische Formierung und Faschisierungsprozess: Rechte Melange macht mobil

Artikel von Bernard Schmid vom 07.02.2014

Seit Jahresanfang geht es Schlag auf Schlag, Sonntag auf Sonntag, Aufmarsch auf Aufmarsch. Die Rechte und die extreme Rechte nehmen tageweise oder wochenendweise Besitz von der Straße. Gegenüber ist die politische Linke weitgehend gelähmt, gespalten zwischen Anhängern des „kleineren Übels“ und Verfechterinnen einer Oppositionslinie, frustriert und desorientiert über die eskalierende wirtschaftsliberale Orientierung der Regierung.

Am 19. Januar d.J. demonstrierten so mehrere Zehntausende Abtreibungsgegner in Paris. An ihrem „Marsch für das Leben“ nahmen laut Veranstalterangaben 40.000, der Polizei zufolge jedoch 16.000 Menschen teil. Ihr Demonstrationszug findet zwar alljährlich statt, aber in diesem Jahr war er besonders gut besucht, da er an das aktuelle Geschehen anknüpfen konnte. Das vor kurzem angekündigte Gesetz zum Quasi-Verbot der Abtreibung im Nachbarland Spanien, das am 20. Dezember 13 vorgelegt wurde, inspirierte die selbsternannten Lebensschützer.

Unter ihnen befanden sich als promineste Demonstrant/inn/en der Europaparlamentsabgeordnete des Front National (FN) Bruno Gollnisch und die rechtskatholische Ex-Wohnungsbauministerin Christine Boutin. Auch ein Senator der spanischen „Volkspartei“ (PP) und Mitverfasser des jüngst verabschiedeten Abtreibungsverbotsgesetzes in Spanien, Luis Peral, marschierte in den vordersten Reihen mit. Am vergangenen Samstag fand dagegen die – zahlenmäßig schwächere – Mobilisierung der Befürworterinnen und Befürworter des Rechts auf Schwangerschaftsunterbrechung statt, die vor der spanischen Botschaft protestierten. In Frankreich selbst braucht man sich im Augenblick keine kurzfristigen Sorgen um dieses Recht zu machen, es wurde im Gegenteil soeben durch die sozialdemokratisch-grüne Regierung ausgeweitet, zumindest theoretisch. Seit 1975 war es erlaubt, die Schwangerschaft in den ersten drei Monaten abzubrechen, wobei das Gesetz präzisierte, dies gelte für Frauen in „Leidsituationen“. Letzterer Begriff wird nunmehr aus dem Gesetz gestrichen, wobei er bislang in der Praxis kein Hindernis für eine Abtreibung mehr darstellte. Allerdings wird es in der Praxis vielerorts schwerer, Abbrüche vorzunehmen, weil durch die Sparpolitik viele Zentren geschlossen und Krankenhäuser zusammengelegt werden.

Am darauffolgenden Sonntag, den 26. Januar 13 waren es mehrere Zehntausend Menschen, die im Rahmen des so genannten „Tags des Zornes“ an einem Protestmarsch in Paris teilnahmen. Dieses Ereignis bündelte unterschiedliche Kräfte, und formal gab es keinen zentralen Veranstalter, sondern lediglich in lockeren Initiativgruppen zusammengeschlossene, weitgehend unbekannte Aufrufer. In Wirklichkeit wurde die Sache weitgehend durch die „Identitären“, eine außerparlamentarische neofaschistische Aktivistenbewegung, gesteuert. Gemeinsame Klammer der teilnehmenden Kräfte war hauptsächlich die Forderung nach einem Rücktritt von Präsident François Hollande, da in den Augen der Einen Frankreich durch die Verabschiedung des Gesetzes zur Homosexuellenehe in eine „sozialistische Diktatur“ überführt worden ist, während Andere einen angeblich „linken“ Staatschef für grundsätzlich illegitim halten. „Hollande-Rücktritt“ war denn auch die wichtigste Internetadresse, unter der Informationen zu dem Aufmarsch zu finden waren. An ihm nahmen laut Veranstalter angeblich 120.000, der Polizei zufolge 17.000 Menschen teil. Die Wahrheit dürfte irgendwo zwischen zwanzig- und vierzigtausend liegen.

Erstaunlich war, wie vordergründig unterschiedlich die Kräfte waren, die durch die Initiative gebündelt worden. Hauptberufliche Moslemhasser, wie die Kryptofaschisten von der Publikation Riposte Laïque („Gegenschlag der Säkularisten“) oder vom „Komitee Lepante“ – nach dem Ort einer Seeschlacht zwischen Franzosen und Osmanen im Jahr 1571 benannt – demonstriert mit besessenen Antisemiten und vordergründig-demagogischen angeblichen „Moslemfreunden“, unter ihnen die Anhänger von Dieudonné M’bala M’bala, der selbst verhindert war. Dessen engster politischer Kumpan Alain Soral, der vor kurzem in einem Buch präzisierte: „Ich bin nicht rechtsextrem, ich bin französischer Nationalsozialist“ und mit einer Mischung aus Antisemitismus und Demagogie bisweilen auch ethnische Minderheiten in Frankreich umgarnt, war dagegen persönlich anwesend. Offen wie in der Form noch nie seit 1945 wurden aus einzelnen Demoblöcken heraus Slogans gerufen wie: „CRS (Bereitschaftpolizei), Polizei der Juden“ oder „Jude, Frankreich gehört Dir nicht“. Im Anschluss an die Demonstration verkündete die Sprecherin des fanatischen Flügels der Gegner der Homosexuellenehe, Béatrice Bourges, von diesem Tag an trete sie in den Hungerstreik, bis ein Absetzungsverfahren gegen Präsident Hollande eingeleitet werde. Dies wird mutmaßlich nicht der Fall sein, zu befürchten ist dennoch, dass Bourges so schnell nicht aus dem Leben abtritt.

Am vergangenen Sonntag (02.02.13) waren es wiederum alte Bekannte, die aufmarschierten, um zum x-ten Mal gegen die Öffnung der Ehe für homosexuelle Paare – das Gesetz dazu ist seit acht Monaten in Kraft getreten – und gegen die „Familienphobie“ der Regierung zu demonstrieren. Mit dabei waren die Anhänger von Béatrice Bourges, die FN-Abgeordnete Marion Maréchal-Le Pen, die Rechtskatholikin Christine Boutin und viele Andere; 80.000 Menschen waren es laut Polizei in Paris und 500.000 nach Angaben der Veranstalter. In Lyon waren es zwischen 20. und 40.000. Die Gallionsfigur der Demonstrationen gegen die Homosexuellenehe vor einem Jahr, Virginie Telemme alias „Frigide Barjot“, rief dagegen explizit gegen eine Teilnahme auf. In ihren Augen hat die Bewegung zu extreme Züge angenommen.

Am darauffolgenden Montag (03. Februar 14) zog die französische Regierung ihr für 2014 geplantes „Familiengesetz“, das unter anderem Näheres zum Adoptionsrecht für – nunmehr verheiratete – homosexuelle Paare und zur Möglichkeit künstlicher Befruchtung beinhalten sollte, für das laufende Jahr zurück. Dies wurde als Sieg für das am Vortag aufmarschierende rechte Spektrum interpretiert. Dass der Rückzieher und Einknicker der Regierung unter François Hollande und Premierminister Jean-Marc Ayrault ausgerechnet am Tag nach dem Aufmarsch bekannt gegeben wurde, war ursprünglich nicht geplant: Eigentlich sollte der Beschluss dazu erst 14 Tage später verkündet werden, wie die französische Wochenzeitung ,Le Canard enchaîné’ vom Mittwoch, den 05. Februar 14 schreibt. Doch der allgegenwärtige und quasi-größenwahnsinnige Innenminister Manuel Valls, welcher noch zu jedem Thema seinen persönlichen Senf absondern zu müssen glaubt, preschte eigenmächtig vor und machte dem ursprünglichen Vorhaben – bei dem es weniger nach einem Nachgeben gegenüber dem rechten und homophoben Mob ausgesehen hätte – einen Strich durch die Rechnung. Viele Regierungsmitglieder, unter ihnen die zuständige Familienministerin Dominique Bertinotti, waren über den geplanten Rückzieher (der lediglich zwischen den Regierungsspitzen -Hollande, Ayrault und einigen wenigen Anderen – ausgekungelt worden war) nicht einmal auf dem laufenden und sind nun erzürnt. Auch die mitregierenden französischen Grünen, die ,natürlich’ ebenfalls nicht konsultiert worden waren, scheinen richtig sauer.

Die aktuelle rechte, anti-aufklärerische, homophobe und reaktionäre Massenmobilisierung wurde auch durch die anfänglichen Erfolge einer rechten Schulboykottbewegung mit befördert. Am 24. und 27. Januar 14 wurde in rund einhundert französischen Schulen der Unterricht durch ein relativ massives Fernbleiben von schulpflichtigen Kindern im Grundschulalter beeinträchtigt. Geographisch betrachtet, hatte die so genannte Bewegung JRE (für ,Journée de retrait de l’école’, also „Tag des Rückzugs aus / Herunternehmens von der Schule“) nur punktuell Erfolge – es gibt insgesamt 40.000 Schulen in Frankreich -, aber die einhundert stark beeinträchtigten Schulen waren möglicherweise nur die Spitze des Eisbergs, während es andernorts nur einzelne Kinder betraf. Hintergrund des Aufrufs, der darauf abzielt, dass die Eltern ihre Kinder für einen bestimmten Tag pro Monat aus der Schule nehmen, ist die Einführung des so genannten „ABCE-Egalité-Programms“, also einer Unterrichtseinheit für Grundschüler/innen, die ihnen die Rechtsgleichheit zwischen den beiden Geschlechtern vermitteln soll. Derzeit wird dieses Unterrichtsprogramm an insgesamt 600 Schulen probeweise eingeführt.

Bei der aktuell erprobten Unterrichtseinheit geht es um so harmlose Dinge wie darum, dass Kinder ein Märchen lesen, in welchem ein stolzer und charmanter Prinz eine schöne und holde Prinzessin errettet, die in einem Turmverlies schmachtend auf ihn wartet. Daraufhin sollen die Grundschüler/innen sich fragen, ob nicht etwa auch die weibliche Protagonisten einmal die aktive Rolle im Märchen übernehmen könnte. Absolut harmlos also, doch in Gerüchten wird etwas Anderes daraus gemacht: „Unterricht in Masturbation“, „Werbung für Homo- und Transsexualität“, „Jungs müssen sich als Mädchen verkleiden“ (und ob der Infragestellung ihrer Identität furchtbar leiden), „die Kinder sollen sich gegenseitig ihre Geschlechtsteile im Unterricht berühren“ – all solche Behauptungen und noch weitere kursierten in SMS-Botschaften, die an Eltern gerichtet wurden. Den Vogel schoss eine SMS-Kampagne im Raum Strasbourg behauptete, die folgende Behauptung zum Inhalt hatte: „Da kommen Juden in die Schulen und untersuchen das Geschlecht Ihrer Kinder.“ Die Kurznachricht zirkulierte unter Eltern aus der dortigen türkischen Community.

Lanciert hatte die Kampagne der Antisemit und Verschwörungstheoretiker Alain Soral mitsamt seinem Umfeld, insbesondere in Gestalt der vor kurzem zu Sorals Theorien „bekehrten“ früheren Linken und einstmaligen antirassistischen Aktivistin Farida Belghoul. Unterschiedliche reaktionäre Milieus – darunter christliche Fundamentalisten, einige salafistische Moscheen,… – griffen die Kampagne dankbar auf. Auch die stärkste Oppositionspartei in Frankreich, in UMP, spielt mindestens ein doppeltes Spiel dazu: Einerseits verurteilt sie den reaktionären Schulboykott offiziell, andererseits jedoch drückt sie konkret vor Ort ihr betontes „Verständnis für die Sorgen und Ängste der Eltern“ aus und beschuldigt die sozialdemokratische Regierung, angeblich „ideologisch verseuchte Lehrpläne“ aufzulegen. Als Bürgermeister von Meaux (wo eine salafistische Moschee sich an die JRE-Kampagne dranhängte und diese auf lokaler Ebene ziemlich erfolgreich war) ging UMP-Parteichef Jean-François Copé stark in letztere Richtung und kehrte vor allem seine Opposition zur Unterrichtspolitik der Regierung heraus.

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=52586
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