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Ukraine: Was ist eigentlich ein Oligarch?

Eine kurze aktuelle und kommentierte Materialsammlung zur Entwicklung in der Ukraine in den beiden letzten Monaten ist „Oligarchie“ vom 26. Januar 2014, zusammengestellt von Helmut Weiss

Sie werden vermisst in der aktuellen Auseinandersetzung: Von allen möglichen Medien, die fast schon rituell die Frage stellen, warum sich eben diese Oligarchen nicht äussern. Wobei stets so getan wird, als würde etwa der Präsident (und seine Leute) nicht genug Privatunternehmen besitzen um ökonomisch unkontrollierbar zu sein, was beispielsweise eine der Definitionen von Oligarchie wäre. Was jedoch ebenso für eine ganze Reihe von führenden Oppositionellen gilt…

Rinat Achmetow ist der reichste Mann des Landes und Herrscher über ein Kohle- und Stahlimperium. Er verfügt laut Forbes über ein Vermögen von 15,4 Milliarden Dollar und leitet den so genannte „Donezker Clan“, dem auch Präsident Janukowitsch angehört. Zu den „Donezkern“ zählen auch Ministerpräsident Mykola Asarow und der Chef des Nationalen Sicherheits- und Verteidigungsrats, Andij Kljujew. Der Multimilliardär Achmetow lebt vorwiegend in London in seiner Residenz „Hyde Park Number One“ und steuert von dort nicht nur sein Industrie- und Finanzunternehmen, sondern kontrolliert auch etwa 50 Abgeordnete im Kiewer Parlament. Eine zweite Oligarchen-Gruppe im Präsidentenlager wird von Dmitro Firtasch gelenkt, einem Multimillionär (geschätztes Vermögen 700 Millionen Dollar), der mit Kanzleichef Sergej Ljowotschkin eng verbunden ist. Diese Gruppe hat ihre Basis in der chemischen Industrie und im Gashandel. Über ihre Fernseh- und Radiosender-Gruppe Inter, der größten des Landes, unterstützt sie zum Ärger der „Donezker“ immer wieder punktuell die Opposition um Vitali Klitschko und übt damit Druck auf Janukowitsch aus“ – so schrieb es in dem Beitrag Die Oligarchen der Ukraine und die EU externer Link Autor Ulrich Rippert am 11. Dezember 2013 auf der World Socialist Website, und das erscheint zunächst ausreichend, um die Grundkonstellation zu erkennen.

Eine knappe Skizze der wirtschaftlichen Situation der Ukraine, inklusive eventuell rentabler Anlegeoptionen für ausländische Investoren leistet der redaktionelle Beitrag Das Wirtschaftspotenzial der Ukraine externer Link am 25. Januar 2014 im Berner Oberländer.

Auf der anderen Seite der aktuellen Problematik: die schlichte Tatsache dass die Rechte bis hin zu Faschisten in der Opposition stark sind, was für die Linke keineswegs zutrifft. Dass faschistische Gruppierungen dort aktiv sind ist so deutlich, dass selbst ein beBILDertes Frontkämpferorgan nicht umhin kam, dies zu erwähnen. Wichtiger aber ist eher dieses: „In Kiew heizt insbesondere der Favorit der deutschen Außenpolitik, Witali Klitschko, die Proteste weiter an. Klitschko, der von der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung zum Oppositionsanführer aufgebaut worden ist [2], hat der Regierung ein „Ultimatum“ gestellt und angekündigt, nach dessen Ablauf am gestrigen Abend „in die Offensive“ gehen zu wollen. Es sei „nicht klar“, worauf das hinauslaufe, hieß es gestern etwa bei der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP); man könne jedoch nicht ausschließen, dass es „Gewalt bedeute“.[3] Klitschko sucht die Eskalation nicht zuletzt zu nutzen, um sich die Führung innerhalb der Opposition zu sichern. Er hat vor einigen Tagen allein mit dem ukrainischen Präsidenten verhandelt, was bei den zwei anderen Anführern der Opposition, mit denen eigentlich ein gemeinsames Vorgehen vereinbart worden war, auf erkennbaren Unmut gestoßen ist“ – so heisst es in dem Artikel In die Offensive externer Link am 24. Januar 2014 bei German Foreign Policy. Was im übrigen auch dazu dienen sollte diverse mehr als seltsame Kritiken zu entkräften, wie etwa die, die EU habe in Kiew versagt: Sieht gar nicht so aus…

Für die Situation der Linken, wenn nicht repräsentativ, so doch leider nicht untypisch ist der Beitrag Autonomous Workers’ Union, Kiev: Statement on the Current Political Situation externer Link von rg am 24. Januar 2014 bei linksunten indymedia, worin es unter anderem heisst „Over the last days not only the far right confront the government, but also people of more moderate views. And they constitute the majority of the protesters. Many of them are indifferent to nationalism or negatively predisposed to it. Many of them don’t support integration into the EU. People go into the streets to protest against police violence“. Am 21. November, beim ersten Protest gegen den Schritt der Regierung, das Abkommen mit der EU nicht zu unterzeichnen, waren es gerade mal knapp Tausend Menschen, die demonstrierten – die massive Polizeirepression hat jedoch, wie auch hier unterstrichen wird, eine wichtige Rolle bei der Massenmobilisierung des Protests gespielt (deutlich wird in dem Text eben die Tatsache, dass die Linke in der Ukraine in den aktuellen Auseinandersetzungen keine wesentliche Rolle spielt). Auch etwa der Artikel The nightmare in Ukraine externer Link von Olha Samborska am 11. Dezember 2013 in checkpoint east macht deutlich, dass es schon eine breitere Strömung in der Opposition gibt, die mehr Demokratie will, aber unter anderem auch weitgehend desorganisiert ist – und in diesem Beitrag an die Zivilgesellschaft Europas appelliert, sie zu unterstützen – eben nicht an die EU.

Dass die Frage der Demokratie durchaus eine eigene Rolle spielt wird auch in der jüngsten Reaktion der ukrainischen Regierungspartei auf die Fortsetzung der Proteste deutlich: In der Meldung PR ready to cancel some norms of January 16 laws externer Link am 24. Januar 2014 bei den Ukraine News wird die Bereitschaft signalisiert, zumindest Teile der faktischen Notstandsgesetze vom 16. Januar zu revidieren.

Es bleiben hinter den Bildern von Auseinandersetzungen einige Fakten: Die herrschende Klasse der Ukraine gehört zu den reichsten Europas – man kennt sie dort, wo sie sich milliardenschwere Hobbys wie Fußballklubs leisten, nach arabischem, russischem (und deutschem) Muster, wohingegen etwa die ukrainischen Rentner die ärmsten Europas sind: „Rund 80 Prozent der Rentner in der Ukraine bezogen 2012 die kärgliche Mindestrente von 81 Euro“ – so schrieb es in dem Beitrag Altersarmut in der Ukraine: Schutzengel der Einsamen externer Link Autor Till Mayer am 18. Februar 2013 in Spiegel Online.

Der Beitrag Kiev under tripple siege, 2014: reflections and observations for discussion externer Link von Martin Kraemer Liehn am 07. Dezember 2013 bei Indymedia UK schliesslich schreibt über eine der westlichen Lieblingsfiguren „The oligarch Timoshenko is in jail not because of her flagrant robbery of common goods, that’s common business practice, but because she aimed at selling her support to the new power structure at too high a price“, und zieht im übrigen an verschiedenen Punkten sowohl zur Entwicklung in Weissrussland als auch zur Etablierung eines rechtsradikalen Regimes in Ungarn.

Zusammengestellt und kommentiert von Helmut Weiss, 26. Januar 2014

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=51697
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