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„Es wäre nötig gewesen, viele Generalstreiks durchzuführen“

Interview von Raoul Rigault mit Pierpaolo Leonardi, Mitglied der Nationalen Exekutive der größten italienischen Basisgewerkschaft USB, zuerst gekürzt erschienen in der jungen Welt vom 16.12.2013

Trotz immer neuer Angriffe auf Löhne, Renten und soziale Errungenschaften hat die Generalsekretärin des größten Gewerkschaftsbundes CGIL, Susanna Camusso, jetzt weiteren Generalstreiks eine Absage erteilt. Die Führung der christlichen CISL sieht sich bestätigt. Was sagen Sie dazu?

Damit hat die unsägliche CGIL-Chefin der Praxis des Generalstreiks einen schweren Schlag versetzt. Ihre Argumentation, mit der sie eines der wichtigsten Kampfmittel verschrottet, macht einen sprachlos. Die Behauptung, damit würden all jene ausgeschlossen, die keine Arbeit haben, ist absurd. Der Generalstreik ist ein Instrument des politischen Kampfes, das die Werktätigen gegen die Beschlüsse der Regierung anwenden, wenn diese einen reaktionären Charakter des politischen Generalangriffs auf die Welt der Arbeit annehmen. Es wäre nötig gewesen, viele Generalstreiks durchzuführen als die italienischen Regierungen mit verheerenden Folgen ganz gezielt ihre Ideologie der Flexibilität, der Abschaffung fester Arbeitsplätze und der Schaffung einer industriellen Reservearmee verwirklichten. Die sozialpartnerschaftlichen Gewerkschaften haben es jedoch vorgezogen diese Umstrukturierungsprozesse zu begleiten, um so Mitglied der Eurozone zu werden und es zu bleiben. Das Resultat ist eine enorme Erwerbslosigkeit, grassierende Armut, neue Formen von Sklaverei, Massenentlassungen, massiver Sozialabbau und anderes mehr.

Bedarf es aber nicht auch gewisser Anpassungen dier Kampfform?

Die von der USB proklamierten Streiks rufen seit langem auch die prekär Beschäftigten, Arbeitslosen, Obdachlosen, Migranten, Schüler und Studenten zur Mobilisierung auf. Das heißt sie weiten den Streik auf jenen Teil der Gesellschaft aus, der immer umfangreicher wird und nicht mehr im Betrieb auf die Gewerkschaft trifft oder dort derart erpressbar ist, dass er sich nur schwer eine Beteiligung vorstellen kann. Und diese Streiks gelingen, wie der außerordentliche Erfolg des Generalstreiks, den wir mit vielen Anderen zusammen am 18. Oktober organisiert haben, beweist.

Was treibt die CGIL-Spitze an?

Erstens, dass diese Gewerkschaft, die ihre Unabhängigkeit von den Bossen und der Regierung verloren hat, nicht zu einem Generalstreik aufrufen kann, weil der sich nicht mit ihrer Unterstützung der wichtigsten Regierungskraft, das heißt der Demokratischen Partei (PD), verträgt. Zweitens wird ein solcher Aufruf zum Kampf ohne klare Ziele oder mit Zielen, die von den realen Bedürfnissen der Leute meilenweit entfernt sind, wie bei dem lächerlichen, in den einzelnen Orten an drei verschiedenen Tagen veranstalteten Vier-Stunden-Streik Mitte November zum Bumerang. Da ist es dann besser, es gleich ganz zu lassen.

Dennoch ist es in vergangenen Monaten zu einer Wiederannäherung der bislang recht kämpferischen Metaller von der FIOM an die CGIL-Führung gekommen. Wie viel Gewicht besitzt die CGIL-Linke noch?

Diese Aussöhnung besiegelt den endgültigen Tod jener „Gewerkschaftslinken“, die sich auf dem letzten Kongress unter dem Namen „La CGIL che vogliamo“ („Die CGIL, die wir wollen“) zusammengefunden hat und das Ende der Anomalie FIOM, die in ihrer Mehrheit jenen, eher scheinbaren als realen, internen Gegensatz nicht mehr ausdrückt. Dafür ist aus dem radikaleren Netzwerk 28. April eine neue linke Fraktion entstanden, die allem Anschein nach aber deutlich schwächer ist und wir erleben Teile der CGIL, die sich uns annähern oder sogar in die USB eintreten.

Die „befreundete Partei“ der CGIL, die aus einer Fusion der aufgelösten KP mit Christ- und Sozialdemokraten hervorgegangene PD, hat einen neuen Vorsitzenden. Ist Matteo Renzi „ein italienischer Tony Blair“, wie die „Financial Times“ hofft?

Mit Renzi gewinnt der „Berlusconismus ohne Berlusconi“, die Medien- und Spektakelpolitik ohne bedeutende Inhalte, ein vollmundiger Populismus der Neuen Mitte, der die demokratischen Spielräume weiter verringern will, um die Direktiven von EU, EZB und IWF soweit wie möglich zu befördern. Letztendlich ist Renzi ein Schauspieler in neuem Gewand, der jedoch dieselbe Rolle spielt und die gleiche neoliberale Politik betreibt, wie eh und je.

Wie steht es mit der Linken?

Die stark geschrumpfte Rifondazione Comunista hat gerade ihren Parteitag abgehalten, aber aufgrund der internen Spaltungen, ist es ihr nicht gelungen, einen neuen nationalen Sekretär zu wählen. Das soll nun im Januar geschehen. Zwar schlägt sie harte Töne gegen die regierenden Demokraten und die EU an und spricht sich für die Bildung einer Linksallianz zu den Europawahlen im Mai 2014 aus, doch weder über das Programm, die Arbeitsweise und den Weg zur Wiederbelebung der Partei herrscht Klarheit. Wir werden uns anschauen, wie sich die Nationale Versammlung des von verschiedenen Gruppen und Einzelpersonen der radikalen und revolutionären Linken gegründete Projekt Ross@ am 14.Dezember entwickelt, deren Ziele klar sind und von uns in punkto Arbeit, Gewerkschaftsfrage, Schuldenstreichung, Aufhebung der europäischen Verträge und Ausbau der Demokratie geteilt werden.

Aktuell sorgen so genannte „Mistgabel-Proteste“ gegen die Politik der Regierung Letta für Schlagzeilen. Wie sind die einzuschätzen?

Es ist schwer, darin eine klare Physiognomie zu erkennen. Es handelt sich nicht um eine einheitliche Bewegung. Ihre Bestandteile sind sozial gesehen völlig unterschiedlich. In normalen Zeiten hätte man große Mühe zu verstehen, was Arbeitslose, Lohnabhängige und Studenten mit Kleinunternehmern, Spediteuren und Händlern zu tun haben. Außerdem machen da Faschisten unterschiedlichster Art sowie Ultras verschiedener Fußballvereine mit. Ein gefährliches Gemisch, gerade weil es keinen gemeinsamen Background besitzt und nur durch die soziale Unzufriedenheit miteinander verbunden ist. Man sollte dieses Phänomen, das in der Vergangenheit und in anderen Ländern zu abrupten reaktionären Wendungen geführt hat, wegen der Verzweifelung, die es ausdrückt, nicht unterschätzen. Die Krise untergräbt nicht nur die Lebensbedingungen der ärmeren Klassen und Schichten sondern sorgt auch für eine rasante Verarmung der Mittelschicht.

Was also tun?

Wir von der USB machen weiter Gewerkschaft so wie sie sein sollte und beginnen die Früchte zu ernten. Unsere Glaubwürdigkeit wächst genauso wie unsere Mitgliederzahlen. Wir wünschen uns, dass die Linke ebenfalls wieder anfängt, ihre Arbeit zu machen. Wenn das gelingt, könnte man an eine andere Krisenlösung denken als sie heute vorherrscht. Wir wollen den Spieß umkehren und die Realität nicht mehr aus dem Blickwinkel der Märkte, der Finanz und der Unternehmer aus betrachten, sondern von unten, von den einfachen Menschen aus, die sich jeden Tag krumm machen und feststellen, dass das Geld dennoch nicht bis zum Monatsende reicht.

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=50314
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