Hoch die internationale Wettbewerbsfähigkeit?

DGB heute. Ordnungsfaktor, Gegenmacht, Auslaufmodell?Artikel von Mag Wompel aus „DGB heute. Ordnungsfaktor, Gegenmacht, Auslaufmodell?“ (Siehe Infos zum Buch)

Eine Krise kann jeder Idiot haben. Was uns zu schaffen macht, ist der Alltag.“ (Tschechow)

Was 2008 als Finanzkrise begann, hat sich schnell zu einer EU- und Weltwirtschaftskrise gemausert. Nicht nur Banken brachen zusammen, auch die Bänder der Automobilindustrie standen wochenlang still. Kapitalistischer Albtraum oder der Traum aller Antikapitalisten? Katastrophe oder ökologischer Durchbruch? Albtraum und Katastrophe, schallte es unisono und zwar auch aus den Gewerkschaftshäusern. Es ging die Angst um. Angst um das angeblich alternativlose Mittel zur Existenzsicherung: Angst um den Lohnarbeitsplatz. Eine allerdings vielfach verdrängte Angst, denn nicht nur Banken und Konzerne, auch jede/jeder Lohnabhängige hoffte und hofft immer noch, in diesem verschärften Verdrängungswettbewerb zu den Gewinnern der Krise zu zählen. Und einem großen Teil der Lohnabhängigen in Deutschland scheint das bislang auch zu gelingen!

Dies gilt allerdings nur für diejenigen Lohnabhängigen, die immer noch zur Zielgruppe gewerkschaftlicher Interessenvertretung zählen, nämlich diejenigen aus den geschrumpften Stammbelegschaften der Industrie. LeiharbeiterInnen, die oft bis zu einem Drittel der Belegschaft ausmachen, wurden als erste entlassen, verbliebene befristete KollegInnen haben meist so gut wie keine Chance und nutzen sie, nach allen Seiten strampelnd. Die gewerkschaftliche Empörung darüber war nur eine symbolische, denn schließlich ist dies genau die Funktion prekär Beschäftigter, die von ihnen – einhergehend mit der vielfachen Spaltung der Belegschaften – geduldet wenn nicht gar aktiv akzeptiert wurde: Ein Flexibilitätspuffer zu sein.

Das war der Stand 2008/2009. Während inzwischen griechische, spanische, portugiesische und italienische Lohnabhängige in einer nicht endenden Spirale des Abbaus sozialstaatlicher und gewerkschaftlicher Rechte stecken, erscheint Deutschland in Europa – nach den beschriebenen kurzen „Marktbereinigungen“ – als eine vermeintliche Insel der Seligen und abermaliger Exportweltmeister.

Viele streiten sich, zu diesem angeblichen Arbeitsmarkt- und Wirtschaftswunder des Standorts Deutschland inmitten europäischer Trümmer beigetragen zu haben und hoffen – da allen Prognosen zu Folge die Krise irgendwann dann doch auch Deutschland erreichen wird – auf abmildernde Wirkung ihrer jeweiligen Rezepte. Es soll hier vernachlässigt werden, ob Merkels neoliberale Agenda das Wundermittel darstellt oder lediglich die Wirkungen der Schröderschen Agenda 2010 genießt. Im Fokus steht das Eigenlob der DGB-Gewerkschaften, mit zu den vergleichsweise (noch?) milden Krisenfolgen beigetragen zu haben.

Es wird zu zeigen sein, dass der vermeintliche Erfolg der Gewerkschaftsapparate einen bitterbösen Pyrrhussieg darstellt und zudem eine für diese keinesfalls neue Medizin.

Arbeitsplätze retten – nicht die Menschen.

Was tun Organisationen der Lohnabhängigen, die keine Alternativen zur Lohnabhängigkeit kennen (und wollen), wenn die Angst um den Arbeitsplatz und vor den Hartz-Bedingungen der Erwerbslosigkeit umgeht? Sie suchen nach weiteren Puffern, um das Unheil abzuwenden oder zumindest hinauszuzögern. Da zum Wesen der Abhängigkeit Unterwerfung gehört, können die Puffer nur bei den Abhängigen selbst gesucht und folgerichtig auch gefunden werden. Die IG Metall (und sie soll hier lediglich als Beispiel verstanden werden) hat dafür – schon vor Jahren, bei der vor-vor-vor-vorletzten Welle der „Beschäftigungssicherung“ in der Automobilindustrie – den Begriff „share the pain“ eingeführt. Sprich: Die Kostensenkung ist ein Sachzwang, die Belastung für die Beschäftigten also folgerichtig und unabwendbar. Solidarität heißt in einem solchen Fall, dass diese Lasten bzw. der Verzicht „gerecht“ unter den KollegInnen verteilt werden müssen, national wie international.

Entsprechend mau bestellt ist es um die internationale Solidarität. Lange, viel zu lange hat der DGB der Bild-Zeitung das Feld der Hetze gegen die faulen Griechen stillschweigend überlassen. Spät, sehr spät regte sich Kritik und auch diese unzureichend: Klar müsse in Griechenland gespart werden, aber bitte nicht so rigide, denn schließlich hängen auch die Arbeitsplätze in Deutschland von der Nachfrage aus Europa ab.

Wie sieht also „share the pain“ in der Weltwirtschaftskrise aus? Ganz kurz? Nur Kostensenkung – und zwar nur der Arbeitskosten, denn auch staatliche Bürgschaften und Hilfen werden von den Lohnabhängigen finanziert – kann Arbeitsplätze sichern/retten. Wie sieht diese Logik, die – deutschen – Arbeitsplätze durch Lohndumping über die Krise zu retten, en detail aus?

a) Jobs retten durch Kurzarbeit und Prekarisierung?

Die Kurzarbeit hat, zumindest arbeitsmarktpolitisch, gegriffen und wird als gewerkschaftliche Krisenmaßnahme gefeiert – obwohl sie eine staatliche Übernahme des unternehmerischen Risikos durch unsere Steuermittel bedeutet. Um die Zahl der anschließenden Entlassungen zu minimieren, sollten zudem die Kosten der Kurzarbeit (die ja eine drastische Lohnsenkung bedeutet) für die Unternehmen gesenkt werden – so ein Vorstoß der IG Metall Baden-Württemberg. In Baden-Württemberg bestand die bundesweit einzige Tarifregelung zur Aufstockung des Kurzarbeitergeldes, die aber mit dem „Krisen-Tarifvertrag zur Beschäftigungssicherung“ weitgehend aufgehoben wurde. Die Arbeitgeber konnten Zuschüsse für Kurzarbeiter verringern, während die Arbeitnehmer vier statt zwei Jahre befristet beschäftigt werden können. Dies bedeutet mehr Flexibilität, als das Gesetz vorsieht, und zwar zu Lasten der befristet Beschäftigten – um die Jobs der Stammbelegschaften etwas länger zu retten.

Wie überrascht und erschüttert war man da im Gewerkschaftshaus, als der einkehrende (und nun wieder abflauende) Aufschwung neue Arbeitsplätze nur in Leiharbeit, Niedriglohn oder Werkvertrag brachte! Doch für den absehbaren nächsten Abschwung – nicht zuletzt weil die deutsche Sparpolitik die europaweite Nachfrage beim Exportmeister knebelt – fordert der IG-Metall-Chef Berthold Huber „ähnliche Instrumente wie 2008 als Arbeitszeitkonten, Kurzarbeit oder die Abwrackprämie für Erleichterung sorgten“ (Interview in der Süddeutschen Zeitung vom 17.9.2012).

b) Jobs retten durch (erneute/weitere) Lohnsenkung?

Für Sparrunden ist Opel seit Jahrzehnten ein hervorragendes Beispiel (siehe unten). Der Vorschlag zur Krise lautete (nach dem Prinzip „share the pain“): Zehn Prozent bei Managern (bei rund 300 Managern einige Millionen Euro) – eine Milliarde bei Belegschaft. Für diesen symbolischen Verzicht des Managements wurde eine europäische Rahmenvereinbarung gekündigt (durch den Streik der Bochumer Belegschaft 2000 erkämpft), was zudem nun betriebsbedingte Entlassungen und Standortschließungen ermöglicht. Der Betriebsrat bot ein Unterschreiten des Flächentarifs an, Tariferhöhungen werden ohnehin ausgesetzt und dennoch hören die Schlagzeilen um die (endgültige) Schließung der Opel-Standorte in Deutschland nicht auf. Dabei überschlagen sich die Opel-Betriebsräte darin, dem Konzern vorzurechnen, wie viel billiger z.B. die bochumer Belegschaft sei.

Was Opel kann, kann auch Daimler schon lange und muß es in diesem Kostensenkungswettbewerb auch. Den Bilanz-Verlust von rund 1,4 Milliarden Euro im ersten Quartal 2009 glich die Belegschaft durch erneute Senkung der Arbeitskosten aus und mehr als dies: Das durch den Gesamtbetriebsrat durchgewunkene Rationalisierungsprogramm hat allein in diesem ersten Jahr insgesamt vier Milliarden Euro einspart. VW, Ford müssen folgen, von den Zulieferern ganz zu schweigen – und dies gilt national wie international.

Dennoch beschränkt sich die IG Metall darauf, den Missbrauch (!) von Leih- und Werkverträgen anzuprangern, weil sie die Stammbelegschaft ersetzen und das Lohnniveau noch weiter drücken. Auf die Idee, den Sklavenhandel abschaffen, kommt man nicht – weil genau hierauf das Wunder des Exportweltmeisters beruht.

Die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di steht da nicht nach und fordert `vehement` in einem Flugblatt zur Finanzmarktkrise (Oktober 2008): „Rettungsaktionen können nötig sein um Schlimmeres zu verhindern: Ein Übergreifen auf die gesamte Wirtschaft, das Unternehmen und Beschäftigte in eine Spirale nach unten reißt. Aber Rettung nicht zum Billigtarif!“ Klar, nur zum ver.di-Billigtarif. Selbstverständlich war es grundverkehrt, zu Beginn der Krise die Lohnforderungen (IG Metall bei Metall- und Elektroindustrie, ver.di bei den Banken) rücksichtsvoll zurückzuschrauben. Aber es war nicht falsch, weil es keinesfalls honoriert wurde, die Binnennachfrage und darüber das „heimische“ Kapital zu stärken. Es war grundsätzlich falsch, weil die Menschen ohnehin viel zu lange und viel zu viel verzichtet haben!

c) Jobs retten durch Verzichtspakte?

„Was gilt ein Versprechen in der Krise?“ fragt das Handelsblatt vom 03.05.2009 im Zusammenhang mit Beschäftigungspakten. Als Antwort reicht eigentlich eine Gegenfrage: Was galten solche Versprechen schon vor der Krise?

Möge mal wieder Opel, Standort Bochum, als Beispiel dienen: Opel gehörte – neben Ford – zu den  Vorreitern bei betrieblichen „Wettbewerbsbündnissen“ bzw. „Standortsicherungsvereinbarungen“ in Deutschland. Die erste „Zukunftssicherung“ bei Opel war 1993 (u.a. Anrechnung übertariflicher Entgeltbestandteile auf die Tariferhöhungen, Senkung der Abwesenheitszeiten), die zweite 1995 (u.a. erneute Reduzierung der Lohnerhöhungen), die dritte 1997 (u.a. Lohnkürzungen und „sozialverträglicher“ Abbau von über 3.000 Arbeitsplätzen), die vierte 2001 (u.a. Reduzierung des Weihnachtsgeldes und der Lohnerhöhungen) sowie die fünfte 2005 (u.a. „sozialverträglicher“ Abbau von 9500 Arbeitsplätzen, Arbeitszeitflexibilisierung und Anrechnung übertariflicher Entgelte auf die Lohnerhöhungen). Alle diese Vereinbarungen beinhalteten zusätzliche Arbeitsintensivierung und versprachen lediglich den Ausschluss betriebsbedingter Kündigungen, und auch dies nur, sofern sich die Wirtschaftslage nicht drastisch ändert. In diesem Zeitraum schmolz die Bochumer Belegschaft von ca. 20.000 auf knapp 4.000 KollegInnen zusammen, die nun erleben, dass der letztjährige „Zukunftsvertrag 2016“ jetzt schon Makulatur ist.

Wie leichtgläubig – diesen Erfahrungen in Tausenden von Betrieben zum Trotz – die IG Metall dennoch und immer noch ist, zeigt die zu Beginn der sich abzeichnenden Weltwirtschaftskrise vereinbarte Öffnungsklausel im Tarifvertrag von 2008 für die Metall- und Elektroindustrie – nicht die erste solcher Öffnungsklauseln allerdings. Der Tarifvertrag lässt den Betrieben die Möglichkeit, die zweite Stufe der Erhöhung bis Dezember 2009 zu verschieben, sofern sie krisenbedingt in Schwierigkeiten geraten. Dies geschehe lt. IG Metall Baden-Württemberg nun nur in etwa 20 Prozent der Betriebe -und auf solche Ausnahmefälle hat diese offenbar auch gehofft. Nach Ergebnissen der gleichen Umfrage nutzen weitere 15 Prozent der Betriebe diese Option des laufenden Entgeltabkommens für einen kürzeren Zeitraum oder verrechnen die Erhöhung mit übertariflichen Bestandteilen – eigentlich schlimm genug. Und soweit es zu einer Verschiebung käme, würden in der Regel Gegenleistungen der Arbeitgeber ausgehandelt, bei fast der Hälfte dieser Vereinbarungen nämlich betriebsbedingte Kündigungen ausgeschlossen – wow! Doch das Kapitallager hat es bekanntlich nicht mehr nötig, uns anständig zu belügen und korrigiert diese Meldung. Südwestmetall-Chef Jan Stefan Roell widersprach nämlich im der „Stuttgarter Zeitung“ (03.05.2009) der IG-Metall-Führung: „70 Prozent der Betriebe verschieben Tariferhöhung“. Roell erwartet zudem – nicht unerwartet, aber erstaunlich offenherzig – einen weiteren Schub durch die Krisenvereinbarung bei Daimler. Sparpakete wie bei dem krisengeschüttelten Automobilbauer hätten durchaus Einfluss. „Viele Unternehmen schauen, was die ganz Großen machen, sodass deren Regelungen salonfähig werden“, sagte er ebenda.

Dies gilt auch für den ver.di-Bereich: Nach den „Schlecker-Frauen“ erleben nun Karstadt-Beschäftigte, dass sich Verzicht niemals auszahlt, sondern vielmehr die Lohnabhängigen als diejenigen brandmarkt, mit denen man es machen kann.

Dies gilt aber nicht nur für betriebliche Verzichtspakte, vielmehr für die gesamte Tarifpolitik. „Natürlich“ war sie auf dem bisherigen Höhepunkt der Krise in Deutschland „moderat“ aus Solidarität mit dem heimischen Kapital (ganz nach dem Motto „man beißt nicht die Hand, die einen füttert“!) und aus dem kräftigen „Schluck aus der Pulle“ ist aus seit der Tarifrunde 2011 so wenig geworden, wie auch 2012. Die Reallöhne sinken weiterhin, wie bereits seit über 20 Jahren, seit 2000 um ca. 5%, doch jetzt erst hat die Gewerkschaftsdebatte erreicht, dass die Eurokrise eine Krise der deutschen Lohnpolitik ist. Noch um die Jahrtausendwende wurde ich in gewerkschaftlichen Veranstaltungen ausgebuht, weil ich vor dem international unsolidarischen Lohndumping warnte.

Die von den DGB-Gewerkschaften mitgetragene Agenda 2010 (diesmal nach dem Motto „wenn es darum geht, Arbeitsplätze zu schaffen, dürfen wir nicht zurückstehen, um jeden Preis“) hat den Gewerkschaften das Genick gebrochen. Jetzt erst wird es zugegeben, doch nicht, um eine Korrektur zu fordern, sondern um als Begründung für eine „weiter-so-Politik“ herzuhalten.

EZB, ESM und Fiskalpakt fordern von den Krisenländern Lohnsenkungen – niemand kommt auf die Idee, Deutschland zur Lohnerhöhung aufzufordern. Doch selbst die deutschen Gewerkschaften senden höchstens eine Protestnote.

(Deutsche) Jobs retten durch Protektionismus („GM ist schuld an Opels Problemen“ bzw. „angloamerikanischer Shareholder-Value-Kapitalismus gegen deutsche soziale Marktwirtschaft“), Jobs retten durch Binnennachfrage – trotz Lohnsenkung („Umweltprämie“ und Konjunkturprogramme) – die Liste ließe sich lange fortsetzen. Die Alternative lautet in jedem Fall, die immer weniger zur Existenzsicherung ausreichenden Jobs retten oder die Lebensqualität der lohnabhängigen Menschen? Unsere Jobs zu Lasten wessen Jobs? So stärkt die Finanzkrise das Kapital und schwächt die Arbeiterbewegung. An dieser massenhaften tagtäglichen Umverteilung von unten nach oben ändert auch eine Kampagne für Vermögenssteuer à la „Umfairteilen“ nichts.

d) Jobs retten durch Mitbestimmung?

Die in ihren Auswirkungen immer noch nicht absehbare Weltwirtschaftskrise erweist sich von Beginn an als eine große Chance für sozialpartnerschaftlich eingestellte Gewerkschaften, sich den vor Jahren weg gelaufenen Sozialpartner zurück zu holen und sich als für den „sozialen Frieden“ unentbehrliche Co-Manager, ja oftmals die besseren Manager, zu beweisen.

Vorreiter war mal wieder die IG Metall: Als sich die Milliarden schwere Familie Schaeffler mit der feindlichen Übernahme des Automobilzulieferers Conti verhoben hat, demonstrierte die Belegschaft Arm in Arm mit der Chefin sowie Berthold Huber, Erstem Vorsitzenden der IG Metall, um deren Ruf nach staatlichen Bürgschaften zu unterstützen. Der Dank: IG Metall und Schaeffler beschlossen eine Zukunftsvereinbarung, in der Verzicht durch Mitbestimmung und ein Beteiligungsprogramm für die Belegschaft belohnt wurde. Nur kurz darauf stand – dennoch? – ein Stellenabbau von bis zu 4500 Arbeitsplätzen ins Haus. Angeblich und glaubhaft fühlen sich die KollegInnen nun „veräppelt“ – ob nur von der Firmenleitung?

Wie wenig der Fakt der Mitbestimmung über deren Qualität und arbeitspolitischen Effekte aussagt, hat allein der Skandal um den Personalchef Peter Hartz und den Gesamtbetriebsrat Klaus Volkert bei VW gezeigt. Und doch kann der Drang nach der Mitbestimmung des Elends auch zur direkten Beteiligung führen, wie im Falle der US-amerikanischen Automobilgewerkschaft UAW. Nach milliardenschweren Zugeständnissen für den Gesundheitsfonds der Betriebsrentner und drastischer Senkung der Lohnkosten wird nun versucht, die Arbeitsplätze bei Chrysler und nun auch die bei GM durch gewerkschaftliche Beteiligung an den Konzernen zu retten – zu Lasten eben dieser Pensionsfonds, denn die Unternehmensanteile kosten die UAW je rund die Hälfte der ausstehenden Zahlungsverpflichtungen der Konzerne. Diese gewerkschaftliche Beteiligung erfolgt dabei unter ausdrücklichem Verzicht auf mehrheitliche Mitbestimmung an der Firmenpolitik.

Und diese „Lösung“ fand prompt Nachahmer bei der deutschen GM-Tochter Opel. Der damalige Betriebsratschef Klaus Franz schlug kurz vor seinem Abgang zur (mal wieder erneuten) Rettung des Konzerns eine gemeinsame Beteiligung der Belegschaft und der Händler von Opel vor. Hierfür könne eine Milliarde Euro durch einen (weiteren, siehe oben) Lohnverzicht der Belegschaft und weitere 500 Millionen Euro durch den Rettungsfonds der rund 4000 Opel-Händler aufgebracht werden – auch hier sei keine Mehrheitsübernahme geplant.

Wie bei einem etwas früheren Vorstoß der IG Metall, Lohnverzicht durch Aktienbeteiligung der Belegschaft zu erkaufen, scheint das Zeitalter, in dem die Lohnabhängigen für das „Privileg“ eines Arbeitsplatzes auch noch Geld mitbringen, längst angebrochen.

Auf höherer Ebene macht es der DGB vor: nach langem Schweigen zu der Krise, nach mangelnder Unterstützung des EGB-Europaprogramm von 2010 ging der DGB im September 2011 gemeinsam mit den Arbeitgeberverbänden in die Bütt für den Euro-Rettungsschirm EFSF: „Ja zu Europa – ja zum Euro“ – bedingungslos zum Europa der Spardiktate, um die Absatzchancen der deutschen Industrie zu retten. Denn „“Wir sind die Gewinner des Euros“, wie der IG-Metall-Chef Huber im Deutschlandradio-Interview im Oktober 2011 noch offener zugab: „Wir sind die Gewinner des Euros und wir müssen als Bundesrepublik Deutschland größten Wert darauf legen, dass dieser Euro erhalten bleibt. Da fühle ich mich mit auch den Arbeitgebern ziemlich einig.“

Dass sich bis heute nichts daran geändert hat, beweist das Interview von Michael Sommer im Deutschlandradio Anfang September 2012, das sich auf den Besuch von Merkel in Spanien kurz vor dem Marsch nach Madrid der spanischen Gewerkschaften und sozialen Bewegungen bezog: „.Dann hat die Kanzlerin gesagt, Herr Sommer, wir wissen ja, dass wir die Gewerkschaften brauchen, wenn wir die Krise wirklich lösen wollen, und ich habe ein großes Interesse daran, dass die spanischen Gewerkschaften zum Teil der Krisenlösung werden. Und dann habe ich ihr gesagt, Sie müssen einfach sehen, die spanischen Gewerkschaften brauchen zweierlei. Sie brauchen zum einen die Kommunikation mit der Regierung, die Regierung braucht die Kommunikation mit den Gewerkschaften, und zum anderen brauchen die Gewerkschaften das klare Signal, dass nicht nur die Politik alleine gegen die kleinen Leute gemacht wird, sondern dass man versucht, mit ihnen und nicht gegen sie die Krise zu lösen.“ Und es kommt noch schlimmer: Angesichts der fast 50%igen Erwerbslosigkeit der best ausgebildeten Jugend in Spanien entblödet sich der DGB nicht, als `solidarische Hilfsmaßnahme` den spanischen Gewerkschaften das bewährte deutsche duale Ausbildungssystem anzudienen!

Und um die Position des Co-Managers am Katzentisch abzusichern, scheut sich der DGB auch nicht, Hand in Hand mit dem Arbeitgeberverband den Angriff auf kleine, durchsetzungsfähige und kämpferische Spartengewerkschaften wie die Gewerkschaft der Lokführer (GdL) oder die Unabhängige Flugbegleiter Organisation (UFO) zu starten. Faktisch bedeutet dies einen sozialpartnerschaftlichen Angriff auf das Streikrecht. Es wird nicht nur die Gewerkschaften – auch die des DGB – schwächen und damit die Arbeitgeber stärken. Es erweist die Begründung ausbleibender faktischer Solidarität mit den Lohnabhängigen der Krisenländer in Europa mit dem in Deutschland fehlendem politischen Streikrecht als das, was es ist: Eine faule Ausrede.

Globalisierung ohne Internationalisierung – die Probleme fingen lange vor der aktuellen Krise an

Die Globalisierung der Wirtschaft hat längst nicht nur die Konzerne, sondern auch den Mittelstand erreicht. Lohnabhängige aller Länder empfinden sich nicht erst seit der Krise als austauschbar und erpressbar. Ebenso ergeht es den Nationen, Regionen und Kommunen, die alle vom neoliberalen Strudel erfasst wurden.

Gewerkschaften stehen dem immer noch ohnmächtig gegenüber, denn ihre Rezepte gegen den schleichenden Verlust in Jahrzehnten erkämpfter sozialer Errungenschaften entziehen sich ihrer jeweiligen Handlungsebene. Den nationalen Regierungen ähnlich, dient die Globalisierung der Wirtschaft den Gewerkschaften als Standardausrede auch für die selbstgewählte nationale Ohnmacht. Vertröstungen auf international zu schaffende Handlungsebenen gehören dazu, ihre Demokratisierung steht aus.

Die Tarifpolitik der deutschen Gewerkschaften hat die Aufgabe der Wettbewerbsbegrenzung unter den Lohnabhängigen in den letzten 2 Jahrzehnten schlechter als andere erfüllen können und ist dabei v.a. ihren KollegInnen in Europa mit diesem Lohndumping mächtig in den Rücken gefallen – allen internationalen Vereinbarungen, wie z.B. der Initiative von Doorn, zum Trotz. Die oft dafür vorgebrachte Begründung der „Globalisierung“ kann nicht nur lähmend wirken, sie trifft nur zum Teil zu.

In der Tat liegt an der Globalisierung der Wirtschaft und den damit verbundenen strukturellen Veränderungen der Unternehmen (Outsourcing, Privatisierung), dass Tarifverträge immer weniger Beschäftigte einer Branche/Sparte erreichen. Diese Erosion von Flächentarifverträgen kann nur auf internationaler/globaler Ebene aufgefangen werden.

„Internationale Solidarität“, das Gründungsmotto der Gewerkschaftsbewegung, wäre in der Tat das Gebot der Stunde, wenn das Kapital die Lohnabhängigen international gegeneinander ausspielt. Natürlich gibt es – übrigens seit bereits ca. 30 Jahren – Verlautbarungen und Pläne einer Internationalisierung der Gewerkschaften als einer Antwort auf die Globalisierung des Kapitals. Annähernd umgesetzt hat es bislang nur die Internationale Transportarbeitergewerkschaft ITF. Kein Euro- oder gar Weltbetriebsrat und kein Versuch der Koordinierung der europäischen Tarifpolitik haben Entlassungen oder Lohndumping verhindern können, auch keine Armut oder Privatisierung. Dies liegt weniger an unzureichenden Institutionen, als an der jegliche Solidarität verhindernden Akzeptanz der Kapitallogik und damit des Wettbewerbs der Lohnabhängigen um das knappe Gut Lohnarbeit. Wer „seinen“ Arbeitsplatz bzw. „seinen“ Standort verteidigen muss/will, kann kein Mitgefühl und keine Solidarität kennen.

Es ist daher kein Zufall, dass selbst dem LabourNet Germany kein einziger Fall faktischer internationaler Solidarität bekannt ist, in dem miteinander konkurrierende Belegschaften dem Kampf um das Nullsummenspiel „Arbeitsplatz“ widerstehen konnten.

Es ist allerdings ein Offenbarungseid für die deutschen Gewerkschaften, wenn selbst von direkter Konkurrenz unbeteiligte internationale Begegnungen und Solidaritätsreisen von BasisgewerkschafterInnen auf privaten Initiativen beruhen. Beispielhaft genannt seien hier die Solidaritätsreise „Nein zu Spardiktaten und Nationalismus!“ einer europäischen Gewerkschaftsgruppe nach Griechenland vom 15. bis 22. September 2012 oder der Aufruf zum 2. Internationalen Treffen linker GewerkschafterInnen und Sozialbewegungen im April 2013 in Frankreich.

Auf welchen Bedingungen basiert echte Internationalisierung?

1) Aneignung „Globaler Sozialer Rechte“ als Voraussetzung für Menschenrechte

Eine Gesellschaft, in der die Menscherechte für alle gelten, kann es im Kapitalismus nicht geben! Eine emanzipatorische postkapitalistische Gesellschaft kann es aber nur geben, wenn bereits im Kapitalismus emanzipatorische Entwicklungen und emanzipatorische Kampf- wie Protestformen bestärkt werden. Eine wichtige Voraussetzung hierfür spielen m.E. globale soziale Rechte als Konkretisierung von Menschenrechten mit dem wichtigen Unterschied, dass globale soziale Rechte nicht gewährt werden, sondern Rechte darstellen, die wir uns nehmen, weil wir sie brauchen. Diese Bedeutung selbstbewusster Aneignung gilt auch für die Perspektiven einer starken, internationalen Gewerkschaftsbewegung.

2) Recht auf Arbeit bedeutet den Kampf um immer schärfere Ausbeutung

Wer heute auf das postulierte Recht auf Arbeit pocht – und selbst das tun die real existierenden Gewerkschaften nicht wirklich – bestätigt die Lohnarbeit als angeblich alternativloses Mittel zur Existenzsicherung – und entfernt die Gewerkschaftsbewegung mehr denn je von internationaler Organisierung und internationalen Kämpfen. Denn der Kampf um Lohnarbeit – längst auch unterhalb der Armutsgrenze – verstärkt die Lohnabhängigkeit und verschärft den Ausbeutungsgrad.

3) Nur eine starke, internationale Gewerkschaftsbewegung kann die (Arbeits)Not mildern – ist aber nicht in Sicht

Das Kapital konkurriert global und setzt somit verschärft Belegschaften auch international in Konkurrenz zueinander. Doch von den Weltgewerkschaften sind wir – bis auf die rühmliche Ausnahme der Internationalen Transportarbeiter Föderation (ITF)  – weit entfernt. Auf institutioneller Ebene (europäische und Welt-Betriebsräte) funktioniert echte Internationalisierung nur, wenn es gelingt, den „business unionism“  zu überwinden, also auf die Sicherung der eigenen Vorteile oder Arbeitsplätze zu verzichten. Hierfür ist kein Beispiel bekannt, hingegen viele negative (VW, BMW, Opel/GM.), bei denen solidarischen Verlautbarungen zum Trotz die nationale Standortpolitik überwiegt.

Die aktuelle Diagnose zum Stand der Gewerkschaftsbewegung muss leider lauten, dass selbst die Menschenrechte auf menschengerechte Arbeitsbedingungen und auf eine existenzsichernde Entlohnung nicht konsequent – und schon gar nicht erfolgreich – vertreten werden, solange sie sich in Konkurrenz zur Arbeitsplatzsicherung verhalten („Hauptsache Arbeit“).

Daher ist m.E. auf eine Re-Internationalisierung einer dringend benötigten, reaktivierten breiten Gewerkschaftsbewegung aller Lohnabhängigen und nicht die Gewerkschaften als real existierende hierarchische Organisationen zu setzen. Internationalisierung darf dabei aber nicht auf Europäisierung reduziert werden. Dazu gehören grenzübergreifender Austausch, internationale Solidarität und Streikformen, nicht Kampf gegen ausländische Billig-Arbeiter sondern ihre internationale Organisierung. Auch solidarische Absprachen und gemeinsame Bemühungen um internationale Arbeits- und Tarifstandards sowie Unterlassung jeglichen Dumpings untereinander. Dies setzt eine solidarische Einstellung aller Lohnabhängigen voraus, nicht institutionelle Verlautbarungen ihrer Organisationen.

Doch der Kampf um jeden Arbeitsplatz reproduziert vorhandene Spaltungen und verstärkt sie erneut. Belegschaften werden in den Wirtschaftskrieg um Aufträge und Arbeitsplätze gehetzt und der gewerkschaftliche Kampf richtet sich nicht gegen den Konkurrenz- und Verzichtszwang, sondern gegen die Konkurrenz anderer Lohnabhängigen an anderen Standorten und anderen Ländern und dies nicht selten mit nationalistischen Untertönen.

Zusammenfassend muss es sich um einen radikalen Abschied von der deutschen Integrations- und Mitbestimmungskultur, die als Erfolgsmodell vielen Gewerkschaften weltweit als Vorbild verkauft wird, handeln. Abschied von einer Gewerkschaft als Ordnungsfaktor und von der institutionalisierten Interessenvertretung – Beginn einer gelebten Solidarität als Antwort auf den erzwungenen Wettbewerb.

Dies liegt nicht nur an der politisch-strategischen Ausrichtung der Gewerkschaften (Wettbewerbsfähigkeit, (nationaler) Standortkorporatismus, Sozialpartnerschaft) – allen Verlautbarungen eines gewerkschaftlichen Internationalismus zum Trotz. Dieser Konkurrenzsituation können sich auch linke Gewerkschaften oder linksgewerkschaftliche Initiativen nicht entziehen, solange Lohnarbeitsplätze als alternativlos und zugleich ein knappes Gut gelten und fungieren.

Daher muss es gelten, Lohnarbeit zu bekämpfen, nicht um sie kämpfen!

Es scheint, als hätte die Lohnabhängigkeit nie so abhängig gemacht – und nie so genügsam. Vergessen die – damals noch so kritisierbaren – Debatten um die Humanisierung der Arbeitswelt“, um die gesellschaftlichen Folgen mancher Produkte (Rüstung, Kernenergie, Verfassungsschutz etc), um Profit und Mehrwert und nicht zuletzt die internationale Solidarität. Hauptsache Arbeit haben, auch wenn sie längst vom Lohn und damit der Existenzsicherung entkoppelt ist. Hauptsache Arbeitsplätze in Deutschland, auch wenn „wir“ längst den KollegInnen weltweit in den Rücken fallen. Um den Arbeitsplatz zu „retten“, werden hart und teilweise blutig erkämpfte Errungenschaften der Arbeiterbewegung verscherbelt und damit eine verhängnisvolle (internationale) Verzichtsspirale mit nach unten offenem Ende aktiv „mitgestaltet“.  Gleichzeitig werden aber illusionäre Kampagnen für „Gute Arbeit“ gestartet.

Die bestehende Konkurrenz um Lohnarbeitsplätze widerspricht aber auch dann der (internationalen) Solidarität. Ihre Überwindung setzt die Überwindung – oder wenigstens Minderung der Lohnabhängigkeit – zumindest als Ziel voraus. Wenn der Arbeitsplatzerhalt als vermeintlich einziger Weg zur Existenzsicherung ebenso vermeintlich nur durch die sozialpartnerschaftliche Sicherung und Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit des je eigenen Unternehmens erreicht werden kann, ist dies zwangsläufig mit der Adaption der unternehmerisch erstellten Konkurrenz der Belegschaften verbunden. Wer sich nicht klar macht, dass dies mit Ab- und Ausgrenzung verbunden ist, die (inter)nationale Solidarität ad absurdum führt, muss als naiv oder Dummschwätzer bezeichnet werden. Da die Globalisierung zur Verfestigung und Vertiefung räumlich-sozialer Ungleichheiten führt, kann effektive Solidarität nur am gemeinsamen Ziel der Überwindung dieser Ungleichheiten und Spaltungslinien ansetzen.

Angesichts von international zunehmendem Arbeitszwang, moderner Sklaverei und Kinderarbeit stellen das Recht auf Arbeit oder ein Verbot von Entlassungen keine vorwärts gewandte Forderung dar.

Statt Recht auf (Lohn)Arbeit, muss daher das Recht auf Existenzsicherung, die nicht an die Bedingung der ökonomischen Verwertbarkeit der eigenen Arbeitskraft gekoppelt ist und ein wirklich gutes Leben sichert, ein gemeinsames internationales Ziel bilden.  Denn globale soziale Rechte sind m.E. die Voraussetzung für die Aufhebung des internationalen Unterbietungswettbewerbs und damit die Voraussetzung für die Realisierung der Menschenrechte.

Denn selbst die menschenverachtenden Folgen der Lohnabhängigkeit können nur gemildert werden, wenn der Kampf darum nicht aus einer abhängigen und erpressbaren Schwächeposition heraus geführt wird, sondern sich selbstbewusst gegen die Lohnabhängigkeit selbst richtet. Dieses Selbstbewusstsein erfordert gesteigerte Ansprüche an das Leben und das Vorhandensein realistischer Alternativen und sei es nur als denkbare Option – dies ist m.E. die wichtige Funktion der Forderung nach einem bedingungslosen Grundeinkommen (BGE).

Da BGE die Lohnabhängigkeit frontal angreift und damit direkt auch das kapitalistische System, muss diese Forderung zusammengehen mit der nach sozialer Infrastruktur, um Transferleistungen sukzessive zu minimieren und das Geld-/Wertsystem abzulösen.

Fazit

Die DGB-Gewerkschaftsführungen gebärden sich de facto hilflos mit protektionistischen Konjunkturprogrammen, Tarifkonzessionen und korporatistischer Solidarität mit den Banken, nicht ihren lohnabhängigen Opfern. Das liegt u.a. auch an ihrem Menschenbild, das die lohnabhängigen Menschen zum Träger der Binnennachfrage zur Schaffung von Arbeitsplätzen macht. Lohnarbeit als Selbstzweck?!

Es gibt hierfür ein aktuelles, trauriges Beispiel: „Wir haben die Betriebe, die Unternehmen und auch die Existenz der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer weitgehend gesichert. Wir haben wirklich es geschafft, mit einem Paket von Maßnahmen, Kurzarbeit plus Konjunkturmaßnahmen, die Menschen in Arbeit zu halten und die Unternehmen über Wasser zu halten. Aber was damals nicht gemacht worden ist: Es ist weder die Frage geklärt worden, wer zahlt die Zeche, noch ist die Spekulation eingedämmt worden, und solange die Spekulation nicht eingedämmt wird, wird die Krise weitergehen. (.)  Wir haften dadurch mit, dass im Zweifelsfall die Krise auf Deutschland überschwappt und die deutschen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer wieder in ihrer Existenz bedroht werden. Die kleinen Leute, das ist die bittere Wahrheit, haften immer mit, und dann will ich wenigstens Maßnahmen haben, wo man weiß, wir haben Licht am Ende des Tunnels.“ (Michael Sommer im Deutschlandradio-Interview Anfang September 2012)

Doch Menschen sollten nicht „klein“ gehalten werden und sie brauchen Güter und Infrastruktur, sie brauchen weder Geld noch Lohnarbeit, noch eine „Realwirtschaft“, die sich um diese Bedürfnisse nicht kümmert und keine Produktionsweise, die diesen Bedürfnissen entgegensteht. Die Macht des Kapitalismus über Produktion wie Konsum, die Ökonomisierung unserer Gefühle und Bedürfnisse, unserer Kommunikation und zwischenmenschlichen Beziehungen muss – gerade in dieser Krise – gebrochen werden. Entweder die Gewerkschaftsbewegung trägt diese menschlichen Ansprüche in die notwendigen – internationalen – Kämpfe, oder sie geht unter.

Bislang heißt es jedoch leider nur betteln statt kämpfen – und Illusionen über die Machtverhältnisse wie die politische Verfasstheit der EU zu schüren. „Krise in Europa sozial gerecht und demokratisch lösen“, so lautet eine immer wiederkehrende Forderung des DGB.

Was ist sozial gerecht daran, wenn den griechischen KollegInnen `aus Solidarität` und als Ausgleich für inhumane Spardiktate ein ominöser europäischer Marshallplan angeboten wird zur Wiedererlangung ihrer internationalen Wettbewerbsfähigkeit nach deutschem Vorbild?

Wie kann eine Kampagne wie „Umfairteilen“ für die Wiedereinführung der Vermögenssteuer als stärkste Waffe der Gewerkschaftsbewegung gelten? Jede Reichenabgabe ist nur ein Furz gegenüber der tagtäglichen Umverteilung von unten nach oben durch Lohnsenkung, Arbeitsverdichtung, Privatisierung der Daseinsvorsorge, Agenda 2010 und die Hartz-Gesetze. Die Umverteilung von unten nach oben gehört zum Alltag und Wesen des kapitalistischen Systems wie die „Gier“ nach Profitmaximierung. Auch ohne ständige Reallohnverluste und auch mit (National)Keynsianismus gibt es keine „gerechten Lohn“ und keine „gute Arbeit“.

Doch wer den vorgeblichen Sachzwang und Finanzierungsvorbehalt akzeptierte und immer noch akzeptiert, kann nun nicht anders als moralisch anzuprangern, verarscht worden zu sein – und sich weiterhin verarschen zu lassen. Wir sitzen eben nicht im gleichen Boot, die letzten 20 Jahre hätten es eigentlich jedem zeigen müssen: Geht es den Unternehmern (oder dem Staat) gut, geht es uns noch lange nicht gut!

Aber die DGB-Gewerkschaften haben sich einreden lassen, die Schulden seien schuld an der Krise – und nicht umgekehrt. Erst gegen den Fiskalpakt kam eine eindeutige Absage – verbunden mit einer angesichts der Kräfteverhältnisse naiven Gegenforderung nach einem „sozialen und solidarischen Europa“. Und in der neuesten Stellungnahme kritisiert der DGB, der Fiskalpakt führe zur staatlich legitimierten Armut. Werde wach, möge Mensch rufen, werde wach und schaue dich um – diese staatlich legitimiere Armut haben wir spätestens seit den Hartz-Gesetzen!

Der Steuerzahler zahlt immer alles, ob Subventionen oder Kriege, und die größte Last tragen die Niedrig- bis Durchschnittsverdiener – solange das funktioniert, funktioniert der Kapitalismus hervorragend. Was wird sich nun also ändern? Wenn die Rettungspakete greifen, wird die Staatsverschuldung (Schulden bei den Reichen!) die Demontage der öffentlichen Dienste wie Infrastruktur sowie den Sozialabbau drastisch beschleunigen (und rechtfertigen), die Krisenentwicklung aber nicht stoppen können. Wenn sie nicht greifen, wird auch der Arbeitsplatzabbau in der Realwirtschaft drastisch beschleunigt (und gerechtfertigt). Weitere Umverteilung der Steuerlast von Oben nach unten ist so oder so sicher, denn die Erhöhung der Kapitalrentabilität zu Lasten der Lohnabhängigen ist das Ziel jeder Rettungsaktion des Kapitals. So oder so bedeutet daher der Schrei nach dem Staat (wenn nicht gar moralisierende und bettelnde Appelle), den Bock zum Gärtner zu machen und autoritäre, repressive Krisenszenarien (Bundeswehreinsatz im Innern!) zu akzeptieren.

Anstatt immer noch die Realwirtschaft undifferenziert und maßlos gegenüber dem „fiktiven Kapital“ zu überbewerten, sollte diese lieber einer ebenso strengen Analyse unterzogen werden wie nun (angeblich) das Finanzsystem. Zur Realwirtschaft gehört die tägliche Überausbeutung, krankmachende Arbeitsbedingungen und Erniedrigung (egal, ob es sich dabei um Autos, Rüstungsgüter oder Sozialschnüffler handelt). Die einzige Realwirtschaft, um deren Erhalt wir uns sorgen müssten, existiert kaum bis gar nicht: international gerechte, humane und ökologische Herstellung von Produkten und Dienstleistungen, die wir brauchen, um unsere tägliche Not zu stillen und gemeinsam Spaß zu haben. Ohne Rücksicht auf Sachzwänge des ausbeuterischen Systems, ohne Rücksicht auf die Finanzierbarkeit, ohne den Umweg über die zu erst in Form der Binnennachfrage zu rettenden „Realwirtschaft“, die tagtäglich dafür sorgt, dass unsere Not eben nicht gelindert wird.

Dafür reichen keine Demonstrationen, Flugblätter und Unterschriftenlisten. Die KollegiInnen in Athen und Madrid kämpfen verzweifelt und allein. Aus der deutschen Gewerkschaftszentrale kommt eine Videobotschaft.

„Proletarier aller Länder vereinigt Euch“ – vielleicht sind wir davon weiter denn je entfernt. Sicher: Dieser Wunsch bleibt noch ohne Relevanz im betrieblichen oder gewerkschaftlichen Alltag. Internationalisierung muss aber alltagsnah werden und durch die Lohnabhängigen selbst gewollt und gelebt werden. Sie kann nicht selbst durch noch so gutwillige Stellvertreter verordnet werden. Dafür muss noch viel Überzeugungsarbeit geleistet werden. Mit Information über gleiche und gleichberechtigte Probleme und Bedürfnisse aller Lohnabhängigen in der Welt fängt diese an. Mit Alternativen zur Lohnabhängigkeit – nicht mit der Milderung ihrer Auswirkungen – muss sie fortgesetzt werden. Denn realistisch und realisierbar sind nicht theoretisch postulierte Menschenrechte, sondern soziale Rechte, die wir brauchen und uns nehmen – egal, ob sie kapitalismusverträglich sind oder nicht. Dann werden selbst internationale Streiks, von denen wir bislang nur träumen, überflüssig.

Mag Wompel im September 2012

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=40546
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