Alternativen zum Abgrund

Bericht von Bernard Schmid vom 13.6.2013 Alter Summit in Athen

Gestern standen wir am Abgrund, aber heute sind wir einen Schritt darüber hinaus. Dieses doppeldeutige Bonmot, dessen Ursprung auf einen früheren Staatspräsidenten der Côte d’Ivoire – Félix Houphouët-Boigny – zurückgeführt wird, könnte sich auch auf die Europäischen Sozialforen anwenden lassen.

Um deren Krise zu überwinden, fand am vergangenen Wochenende in Athen eine europaweite Veranstaltung unter einem veränderten Titel statt. Nicht mehr als Sozialforum, sondern als Alter Summit, statt. Menschen aus Ländern von Frankreich und Spanien bis Weißrussland sowie Russland trafen sich im riesigen Olympiastadion der griechischen Hauptstadt. Die Halle der Radrennbahn war für die Vollversammlungen zur Verfügung gestellt worden. Dazu kamen vielleicht 2.000 Menschen zusammen. Auf der Demonstration am Samstag Abend wurde es etwas voller. Richtig voll und bunt wurde es zu ihrem Abschluss, weil der Demonstrationszug sich mit der Athener Gay and Lesbian Pride-Parade traf und die beiden Züge sich auf dem Syntagma-Platz vereinigten. Dieser Ausklang hob die Stimmung beträchtlich.

Vor  dem Treffen vom letzten Wochenende war beim letzten europaweiten Sozialforum, im Herbst 2010 in Istanbul, eine schwere Krise dieser Organisationsform konstatiert worden. In manchen Berichten fielen Worte wie „Abgrund“ oder auch „Sterbebett“. Nur knapp 3.000 Menschen waren damals in der türkischen Metropole zusammengekommen. Für eine Veranstaltung, die den Anspruch erhob, die sozialen Bewegungen auf dem europäischen Kontinent wie im „Gastland“ zu repräsentieren und sich also auch vor Ort wie ein Fisch im Wasser zu bewegen, war dies wenig.

Daraus wurden allerdings unterschiedliche Schlussfolgerungen gezogen.

Die Ursachen wurden zwar verschieden analysiert: Wo für die Einen zu wenig Basisverankerung in den sozialen Bewegungen vor Ort herrschte und man deswegen „in die Stadtteil“ gehen sollten, monierten Andere eher eine in ihren Augen bereits zu starke Verzettelung und Zersplitterung. Trotz zahlreicher interessanter Veranstaltungen waren aus ihrer Sicht im Nachhinein wenig konkrete Ergebnisse zu verzeichnen, da die einzelnen Themen und Aktionen nur wenig aufeinander bezogen waren und oft relativ zusammenhanglos nebeneinander standen. Dieser Standpunkt konnte sich vorläufig durchsetzen. Und so kam es zur  Ablösung der „Sozialforen“ in ihrer bisherigen Form durch eine Art Multiplikatoren-Treffen. Es soll, in Gestalt der nunmehr organisierten „Alternativ-Gipfel“, als Arbeitstreffen nach einem Konsens zu bestimmten Themen suchen und stärker ergebnisorientiert arbeiten. Statt dass – wie bei den „Sozialforen“ – zahlreiche, autonom organisierte Veranstaltungen „im Rahmen des Forums“ angeboten werden, soll es nur Treffen und Workshops „des“ Gipfels geben.

Als Bestandteil eines gemeinsamen, verbindlichen Rahmens. Allerdings haben die Treffen dabei zugleich an Offenheit und Pluralismus eingebüßt. Größere Organisationen, insbesondere manche Gewerkschaften wie die französische CGT oder die italienische CGIL, oder Attac – trotz eines beträchtlichen Einflussverlusts der französischen Stammorganisation seit etwa fünf Jahren – können durch ihre Präsenz bei Vor- und Nachbereitung die Inhalte erheblich kanalisieren.

Inhaltliche Schwerpunkte waren am vergangenen Wochenende etwa die Gesundheitspolitik, „Arbeit und Prekarität“, die Schuldenstreichung und der Kampf gegen die extreme Rechte. Die antifaschistische Dimension fehlte zunächst bei den ersten Vorbereitungstreffen im September 2012 fast völlig. Sie konnte jedoch durch das massive Engagement von zum Thema tätigen Kräften letztendlich einen breiten Raum beim Athener „Gipfel“ einnehmen. Dessen Vollversammlung am Freitag Abend begann mit einer Schweigeminute für den 18jährigen französischen Antifaschisten Clément Méric, der 48 Stunden zuvor in Paris durch Naziskins zu Tode geprügelt worden war. Eine der größten Veranstaltungen innerhalb des Alter Summit fand zum Thema „Kampf gegen die extreme Rechte in Europa“ statt.

Dort wurden zunächst Berichte und Analysen über die erschreckenden Erfolge der extremen Rechten vor allem in Griechenland und in Ungarn, aber auch etwa in der Tschechischen Republik ausgetauscht. Der deutsche Europaparlamentarier Helmut Schultz (Die Linke) berichtete von der NSU-Affäre und der Verwicklung deutscher Polizeiorgane. Einzelne Teilnehmer aus dem antiautoritären Spektrum wollten den antifaschistischen Kampf stark auf eine Orientierung gegen staatliche Repression und zwischenstaatliche polizeiliche Zusammenarbeit – illustriert an der Auslieferung eines türkischen Linksradikalen, Bulut Yayla, durch Griechenland an die Türkei – zugespitzt wissen. Ihr Standpunkt konnte sich jedoch nicht durchsetzen. Mehrere Teilnehmer, unter ihnen Moderator Walter Baier, plädierten dafür, dass „nicht alle Katzen grau“ sind und es einen Unterschied zwischen konservativen bürgerlichen Kräften und offenem Faschismus gebe. Als gemeinsame Aktionen werden ein europaweiter antifaschistischer Aktionstag, möglicherweise am 8. Mai, und eine europäische Großveranstaltung im zweiten Halbjahr 2014 anvisiert. Aufgrund der aktuellen politischen Entwicklung dort wird sie voraussichtlich in Budapest stattfinden.

Gleichzeitig diente der Alternativgipfel als Forum für die Präsentation des „Europäischen antifaschistischen Manifest“. Dieser Alarmruf war im vergangenen Jahr von einer Gruppe in Athen lanciert worden und fand inzwischen breitere Unterstützung vor allem in Griechenland – wo etwa fünfzig Abgeordnete der Linkspartei Syriza das Manifest unterzeichnet haben -, in Slowenien und in Spanien. In Slowenien reichen die Unterstützen vom Verband der Veteranen des Widerstands gegen die Nazibesatzung bis zu einer Polizistengewerkschaft. In Madrid gibt es ebenfalls breite Unterstützung, und in Valencia fand im Oktober vorigen Jahres ein antifaschistischer Kongress von Intellektuellen und Schriftstellern sowie Filmemachern statt. Im November soll eine Folgeveranstaltung dazu organisiert werden. Auch in Frankreich wächst die  Unterstützung für das Manifest, und ein Arbeitstreffen könnte im Herbst in Paris stattfinden.

Weniger konkret blieb die Zusammenarbeit beim Thema „Arbeit und Prekarität“, wo eher die Streik- und Erfahrungsberichte aus den einzelnen Ländern dominierten. Eine gemeinsame Perspektive zu erarbeiten, erwies sich hingegen als mühsames Unterfangen. Ein grenzüberschreitender Aktionstag im Sozialprotest soll jedoch wahrscheinlich im Oktober stattfinden.

Vom Autor überarbeitete Langfassung seines Berichts vom ,Alter Summit‘ der sozialen Bewegungen in Athen, von dem eine leicht gekürzte Fassung in der Wochenzeitung ,Jungle World‘ erschien.

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=38163
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