Killen statt chillen? Wir dürfen uns die „Friedens-Instinkte“ nicht austreiben lassen!

Eine deutliche Mehrheit der deutschen Bevölkerung lehnt Auslandseinsätze der Bundeswehr jeder Art ab. Gut zwei Drittel der deutschen Bevölkerung lehnt Kampfeinsätze der Bundeswehr im Ausland ab. Bis zu drei Viertel der Bevölkerung lehnt den Export von Waffen und Rüstung ab.

Wie reagieren darauf diejenigen, die in der Politik, in der Wirtschaft, in der Rüstungsindustrie und in der Bundeswehr das Sagen haben? Ganz einfach: Sie handeln ziemlich exakt entsprechend den Worten des damaligen CDU-Verteidigungsministers Volker Rühe, der den ersten Bundeswehr-Einsatz im Ausland befehligte. Rühe stellte 1992, im Vorfeld des Somalia-Einsatzes, fest: „Niemand sollte erwarten, dass die Übernahme neuer Aufgaben in der Außenpolitik über Nacht geschieht. Die in 40 Jahren gewachsenen Instinkte der Menschen lassen sich nicht einfach wegkommandieren. (…) Deswegen müssen wir Schritt für Schritt vorgehen. Es geht auch nicht nur darum, die Soldaten, sondern die ganze Gesellschaft auf diese neuen Aufgaben vorzubereiten.“

In diesem Sinn – Schritt für Schritt – wurde in den letzten 21 Jahren viel getan, um diese „Instinkte“ – den Friedenswillen der Menschen – in den Hintergrund zu drängen und Auslandseinsätze deutscher Militärs als „normal“ erscheinen zu lassen. Was in Somalia in Belet Uen mit dem ersten militärischen Einsatz der Bundeswehr im Ausland vor fast genau zwanzig Jahren – am 12. Mai 1993 –begann, wurde im Kosovo, in Bosnien, in Afghanistan, vor der Libanon-Küste und am Horn von Afrika fortgesetzt. In den letzten Wochen kamen die Bundeswehr-Einsätze in Mali und in der Türkei hinzu (siehe Seiten 4 und 12).

Für jeden neuen Bundespräsidenten und für jeden neuen Verteidigungsminister ist es allererste Bürger-in-Uniform-Pflicht, umgehend nach dem Amtseid einen Besuch in einer Bundeswehr-Führungsakademie zu absolvieren und – das ist die Top-Priorität – beim Truppenbesuch in Afghanistan aufzuschlagen. Hier gab es zwar den einen und anderen Betriebsunfall. Bundespräsident Horst Köhler hatte im Mai 2010 auf dem Rückflug von einer Afghanistan-Visite Klartext gesprochen, worauf er als Bundespräsident gegangen wurde (siehe Kasten). Ein gutes halbes Jahr später, an Weihnachten 2010, hatten Freiherr Karl-Theodor zu Guttenberg und dessen Gattin in Afghanistan – den TV-Moderator Kerner im Tornister – eine derart überzogene Show abgezogen, dass damit der bald darauf folgenden Absturz des adligen Verteidigungsministers beschleunigt wurde.

KK = Klartext Köhler

„Wir kämpfen dort (in Afghanistan; ZgK-Red.) auch für unsere Sicherheit in Deutschland, wir kämpfen dort (…) auf der Basis eines Mandats der Vereinten Nationen (…) Meine Einschätzung ist aber, dass insgesamt wir auf dem Wege sind, doch auch in der Breite der Gesellschaft zu verstehen, dass ein Land unserer Größe mit dieser  (…) Außenhandelsabhängigkeit auch wissen muss, dass im Zweifel, im Notfall auch militärischer Einsatz notwendig ist, um unsere Interessen zu wahren, zum Beispiel freie Handelswege, zum Beispiel ganze regionale Instabilitäten zu verhindern, die mit Sicherheit dann auch auf unsere Chancen zurückschlagen negativ durch Handel, Arbeitsplätze und Einkommen. Alles das soll diskutiert werden und ich glaube, wir sind auf einem nicht so schlechten Weg. (…) Es wird wieder sozusagen Todesfälle geben. Nicht nur bei Soldaten (…) Man muss auch um diesen Preis sozusagen seine am Ende Interessen wahren.“Der deutsche Bundespräsident Horst Köhler am 22. Mai 2010 in einem Interview mit dem Deutschlandradio. Köhler war von 2000 bis 2004 geschäftsführender Direktor des Internationalen Währungsfonds (IWF). Das befähigte ihn sicher, die kapitalistischen Interessen, denen er sich durchaus verpflichtet fühlt, klar zu erkennen. Doch solcher Köhler-Klartext dies erwies sich auch als problematisch, wenn die „Friedensinstinkte“ einer Bevölkerung abgebaut werden sollen.

 

 

 

 

 

 

Das aktuelle Spitzenduett allerdings leistet im Sinne der Militärs und der Militarisierung ganze Arbeit. Joachim Gauck lobte sofort nach seiner Wahl ins Bundespräsidentenamt die Bundeswehr als „Armee des Volkes“ und als „Demokratiewunder“. Im Dezember 2012 besuchte er mit seiner Lebensgefährtin die deutschen Soldaten in Afghanistan. Während Rühe in Somalia Brunnen präsentierte, die angeblich von der Bundeswehr neu gebohrt wurden, berichtete Gauck in Kabul von „neuen Stromanschlüssen und erfolgreichen Schulabschlüssen“. Im Januar 2013 besuchte der Bundespräsident demonstrativ das Einsatzführungskommando der Bundeswehr in Geltow bei Potsdam, von dem aus die derzeit 5.800 Mann und Frau der Bundeswehr, die sich in Auslandseinsätzen befinden, kommandiert werden. Thomas de Maizière wiederum absolvierte seit seinem Amtseid als Verteidigungsminister im März 2011 bereits zehn Kurztrips nach Afghanistan. Bei seiner jüngsten Visite im Bundeswehr-Lager bei Masar-i-Sharif, im März 2013, äußerte er: „Die Bundeswehr hat hier schwere Verluste erlitten und gelernt zu kämpfen.“ Das muss für denjenigen zynisch klingen, der sich an den Vorgang vom September 2009 erinnert. Damals ließ der Bundeswehr-Oberst Georg Klein bei Kundus eine Menschenansammlung um einen Tanklastzug bombardieren. 140 Zivilisten wurden getötet. Klein wurde im August 2012 zum General befördert – unter just diesem Verteidigungsminister de Maizière.

Doch warum betreiben maßgebliche Politiker – auch sozialdemokratische wie weiland Verteidigungsminister Struck – diese Militarisierung? Das kostet doch – siehe die Eingangssätze – Stimmen! Es gibt drei Gründe für diese scheinbar kontraproduktive Politik:

Erstens die kapitalistische Krise selbst: Diese verstärkt die Konkurrenz zwischen den Blöcken und Staaten. Während Arbeitslosigkeit und Armut für viele klassische Wirtschaftszweige eine Strukturkrise bedeuten, erweist sich die Rüstungsbranche , die von Staatsgelder gespeist wird, als „sichere Bank“.

Zweitens die Hegemonialkrise: Teil der aktuellen Krise ist der mögliche Niedergang der USA als Hegemonialmacht und der absehbare Aufstieg von China. Der Abgang einer Hegemonialmacht war in der Weltgeschichte schon immer mit der Gefahr neuen Kriegen verbunden. Die USA haben ihre Militärausgaben in den letzten 12 Jahren mehr als verdoppelt. China will seine Militärausgaben ebenfalls mehr als verdoppeln. Der US-Verbündete Japan fährt seit Beginn des Jahres 2013 einen extrem aggressiven Kurs gegenüber China im Streit um die Inselgruppe Senkaku (japanisch) bzw. Diaoyu (chinesisch). Die neue japanische Regierung kann sich eine solche Politik nur leisten, weil sie die USA hinter sich weiß.

Drittens der Kampf um strategische Rohstoffe: Schließlich geht es um die Frage, wer in dieser Schlacht um den Weltmarkt und die Weltmacht über die entscheidenden strategischen Rohstoffe verfügt und insbesondere wer die größten Öl- und Gasreserven kontrolliert. Vor diesem Hintergrund muss der Krieg in Mali und muss insbesondere der Bürgerkrieg in Syrien und der Nato-Aufmarsch um Syrien herum gesehen werden. Syrien ist der letzte wichtige Verbündete des Iran. Wenn das autokratische Regime unter Assad durch ein prowestliches autokratisches oder diktatorisches Regime ersetzt wird, dann ist die Umkreisung des Iran perfekt. Dann stehen wir vor einer neuen Eskalation – und vor der Gefahr eines Kriegs gegen den Iran, also um die drittgrößten Ölreserven und um die zweitgrößten Gasreserven der Welt.

Natürlich werden die hierzulande Herrschenden diese handfesten Gründe für die Militarisierung nicht offenlegen. Das würde die „in Jahrzehnten gewachsenen Friedens-Instinkte“ nur noch stärken. Aus diesem Grund wird Militarismus verbrämt. In diesem Sinne suchte Thomas de Maizière im März 2013 die Öffentlichkeit und erklärte: Bei der „jetzigen Generation, die viel an Chillen und Karriere denkt“ empfehle er „schnörkellos: Die sollen zur Bundeswehr kommen.“ Er könne aufgrund der „Erfahrungen mit einem unserer Söhne“ allen Betroffenen nur sagen: „Jungs“, die zur Armee gehen, würden „plötzlich männlicher werden. Damit meine ich das Verhalten, die Stimme, den Oberkörper, die Haltung.“

Apropos Oberkörper und Haltung: Wir schlagen vor: Aufrecht gehen und Haltung bewahren! Insbesondere die in Jahrzehnten gewachsenen „Friedens-Instinkte“ verteidigen! Nein zu Militarisierung und Rüstung! Nie wieder Krieg!

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=29895
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