In Berlin tagten Gewerkschaften, Wissenschaft und Politik zur Zukunft des öffentlichen Nahverkehrs

Artikel von Markus Wollina vom 18.03.2013

„Was haben die Hartz-IV-Gesetze mit dem ÖPNV zu tun?“ – mit dieser Frage eröffnete Doro Zinke die Tagung „ÖPNV – nie war er so wertvoll wie heute! Die Finanzierung des öffentlichen Nahverkehrs vor der Zerreißprobe“, die am 12. März an der Technischen Universität Berlin stattfand. Die Antwort der Berlin-Brandenburger DGB-Bezirksvorsitzenden: „Wir leben in einer Situation, in der die Verantwortung für Mobilität privatisiert wird, und das ist der erste Schritt zur Privatisierung des ÖPNV.“ Damit wurde die Stoßrichtung der Konferenz vorgegeben, die von der Universität zusammen mit dem DGB, ver.di und der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) ausgerichtet wurde: Wie lässt sich angesichts klammer kommunaler Kassen der öffentliche Nahverkehr als Mittel der Daseinsfürsorge sichern?

Die wissenschaftlichen Grundlagen, um diese Frage zu beantworten, lieferten Jürgen Gies vom Deutschen Institut für Urbanistik (Difu) und Wulf-Holger Arndt (TU Berlin / Difu). Nach einer Einführung in die verwinkelten rechtlichen und finanziellen Grundlagen des ÖPNV plädierte Gies für mehr Flexibilität in der lokalen Umsetzung zentral vorgegebener Ziele, Transparenz und Evaluation von Investitionen, um Fördergelder sinnvoll einsetzen zu können. Arndt rechnete vor, dass es sich für die öffentliche Hand wie für Privathaushalte mehr lohnt, in den öffentlichen als in den motorisierten Individualverkehr zu investieren. Kommunen, die zum Schuldenabbau hier bei Investitionen sparten, würden sich letztlich mehr Probleme durch Umweltbelastung und die Verschärfung sozialräumlicher Gegensätze einhandeln. Ein gut gepflegtes öffentliches Netz könne gegenüber dem Autoverkehr mit Verkehrssicherheit, Energieverbrauch und gesellschaftlicher Inklusion punkten. Diese Vorteile müssten im öffentlichen Bewusstsein verankert werden, um den ÖPNV bei der Verteilung der in Deutschland durchaus vorhandenen Mittel stärker zu berücksichtigen. Da die rechtliche Grundlage für die Finanzierung mit dem Wegfall der Zweckbindung bei Entflechtungsmitteln und dem Ende des Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetzes spätestens ab 2019 mehr als ungewiss sei, müssten neue Geldquellen bedacht werden. Als Beispiele nannte Gies die Einführung einer City-Maut nach Londoner Vorbild, eine Reform der Grundsteuer unter Berücksichtigung des Bodenwertes sowie die Einrichtung eines zweckgebundenen Verkehrsinfrastrukturfonds.

Wie schwer die Umsetzung solcher Vorschläge allerdings sein kann, zeigte die anschließende Podiumsdiskussion zwischen Vertretern aus Politik, Gewerkschaften und öffentlichem Verkehr. Der Vorsitzende des Bundestags-Verkehrsausschusses Anton Hofreiter (Grüne) bemerkte, dass die Verkehrspolitik in anderen Politikbereichen als verschwenderisch gelte. Nur bei klarem Nachweis der Effizienz und Effektivität von Investitionen könne die Forderung nach mehr Mitteln für den Verkehr durchgesetzt werden. Dass zur Aufrechterhaltung des Nahverkehrs auch neue Beförderungswege nötig seien, machte Daniela Trochowski (Linke) aus dem Brandenburger Finanzministerium deutlich. So sei in dünn besiedelten Regionen die öffentlich finanzierte Taxifahrt die bessere Alternative zum leeren Bus. Aus dem Alltag des ÖPNV-Geschäfts berichtete die Vorstandsvorsitzende der Berliner Verkehrsbetriebe Sigrid Nikutta, die beklagte, dass die Politik ihren Betrieb zwar stets zum Sparen anhalte, aber gleichzeitig eine möglichst komfortable Ausstattung der Fahrzeuge und Stationen fordere. Schließlich mahnten Reiner Bieck (EVG) und Ingo Koch (Betriebsratsvorsitzener bei der DB Regio) an, dass der an Kosten orientierte Wettbewerb im ÖPNV letztlich zu Lasten der Beschäftigten und des Services gehe.

Am Ende machte die Tagung vor allem deutlich: Konzepte zur Sicherung des ÖPNV gibt es viele, doch noch fehlt es an einem allgemein geteilten Bewusstsein für seinen sozialen, ökonomischen und ökologischen Wert und an gesellschaftlichem Druck, um eine gesetzliche Grundlage für seine Zukunft zu schaffen. Hier könnten die Gewerkschaften als Vertreter der Beschäftigten wie der Nutzer noch großes Potenzial entfalten.

Weitere Informationen zu der Tagung auf der Seite der TU Berlin externer Link

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=29714
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