Die kränkelnde Arbeitsgesellschaft. Die zunehmende Krisenkonkurrenz führt zu einer raschen Zunahme psychischer Erkrankungen bei Lohnabhängigen

Quelle:  Artikel von Tomasz Konicz in telepolis vom 30.12.2012 externer Link

„Arbeit hält gesund“ – auf diesen Nenner brachte die Bild-Zeitung die Ausführungen des Präsidenten der Bundesvereinigung Deutscher Arbeitgeberverbände (BDA), Dieter Hundt, der in einem Gespräch mit dem Boulevardblatt behauptete, dass Lohnarbeit unter keinen Umständen psychisch krank machen könne. „Im Gegenteil: Berufstätigkeit schafft Selbstbestätigung und Anerkennung. Sie ist damit eine wichtige Basis für die psychische Gesundheit“, so Hundt. Wenn Lohnabhängige dennoch psychisch erkrankten, dann seien sie selbst daran schuld, führte der BDA-Chef weiter aus…“

Aus dem Text: „… Inzwischen konstatieren Medizinsoziologen mit der „Gratifikationskrise“ ein neues populäres Krankheitsbild, das zu einem 40 bis 80 Prozent höheren Herzinfarktrisiko führt. Hierbei handelt es sich um eine tief sitzende Unzufriedenheit, die dadurch ausgelöst wird, dass der Angestellte das Gefühl hat, seine Leistungen würden nicht zur Genüge von den Vorgesetzten gewürdigt. In dem Boomland Bayern etwa sollen 11,8 Prozent aller Lohnabhängigen von diesem Arbeitsfrust langsam verzehrt werden.
Und es herrscht mittlerweile weitgehende Einigkeit darüber, dass es die (krisenbedingte) Verschärfung und Entgrenzung des Arbeitslebens ist, die zu dieser Konjunktur psychischer Deformationen bei immer mehr Lohnabhängigen wie Funktionsträgern der Kapitalverwertung führt. Die „Grenzen zwischen Arbeit und Privatleben“ würden für Millionen von Lohnabhängigen immer stärker verschwimmen, beklagte beispielsweise die AOK, so dass die Betroffenen in einem Zustand ständiger Arbeitsbereitschaft verharren und kaum noch abschalten könnten. (…) Hinzu kommt die Intensivierung der Ausbeutung der „Ware Arbeitskraft“, die durch eine Umdeutung des Freiheitsbegriffs, die Prekarisierung des Arbeitslebens und eine Verinnerlichung der Kapitalimperative erreicht wird. Rund ein Drittel aller Lohnabhängigen kann inzwischen die Arbeitszeit „selbst bestimmen“, meldete die AOK. Da diese „Selbstbestimmung“ in der Krisenkonkurrenz zu anderen Lohnabhängigen geschieht, wächst das Arbeitspensum aller Betroffenen bis ins Unerträgliche an. (…) Diese beständige Intensivierung der Krisenkonkurrenz äußert sich wiederum in einer Zunahme des Mobbings, der Schikanen und des Psychoterrors am Arbeitsplatz. (…) Es sind die Isolierung, die Schikanen der „Ämter“ und die allgegenwärtigen Ressentiments gegenüber den als „Schmarotzer“ denunzierten Arbeitslosen, die diese in psychische Erkrankungen treiben – und nicht etwa das Fehlen der kapitalistischen Tretmühle, an der immer mehr Menschen ebenfalls verzweifeln. Ein Sprecher der TK machte bei der Vorstellung des Reports folglich auch klar, dass dieser massive Anstieg der psychischen Erkrankungen bei Arbeitslosen erst nach der Einführung der Hartz-IV-Arbeitsgesetze einsetzte. (…) Je größer das Automatisierungspotenzial ist, je weniger Menschen gebraucht werden, um in immer kürzerer Zeit immer größere Warenmassen zu produzieren, desto stärker bildet sich der Druck aus auf all diejenigen, die in der Arbeitsgesellschaft noch eine Verwendung finden, desto brutaler werden auch die Schikanen gegen die Masse derjenigen, die vom kriselnden Prozess der Kapitalverwertung bereits ausgespien worden sind…“

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=20156
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