«Die Menge des Unfugs wächst proportional zur Arbeitszeit» – Warum wir unser Verhältnis zur Arbeit radikal ändern müssen

postmodern times. Grafik der FAU MannheimInterview von Martin Helg mit dem Soziologen Harald Welzer bei der Neuen Züricher Zeitung online vom 6. September 2019 externer Link: „Herr Welzer, in Ihrem neuen Buch «Alles könnte anders sein» beschreiben Sie einen Moment am Flughafen, wo Ihnen die Laptops und Handys der Wartenden plötzlich als Waffen erscheinen. Harald Welzer: Ich kenne ja noch die Handy-freien Zeiten aus der Vergangenheit, als die Arbeitszeit noch begrenzt war. Heute haben wir in vielen Berufen entgrenzte Arbeitszeiten. Das schlägt sich darin nieder, dass viele ihre Laptops aufklappen oder ihre Arbeit per Smartphone erledigen, egal, wann und wo. Die Struktur der Geräte selbst veranlasst dazu, ständig online und erreichbar zu sein. Und die höhere Verfügbarkeit wird natürlich auch gefordert und vorausgesetzt. Das übt einen unglaublichen Druck auf die Leute aus, sich bereitzuhalten. (…) Sie kommen ja nicht dazu, einen klaren oder neuen Gedanken zu fassen, wenn Sie keine Freiräume haben, wo Sie einmal unstrukturiert ziellos reflektieren können. Es ist ein Irrtum, zu glauben, dass gute Ideen planmässig entwickelbar sind oder dass es dafür bestimmte festgelegte Zeiten gibt, in denen man denkt oder aufhört zu denken. Insofern sind ja gerade die absichtslosen, ziellosen Phasen im Ergebnis viel produktiver als das Weiterlaufen im Rad. (…) Wir optimieren an der Symptomatik rum, ohne die Frage zu stellen: Ist das eigentlich sinnvoll? Trägt das etwas zur gesellschaftlichen Entwicklung im 21.Jahrhundert bei, zur Bewältigung des zentralen Problems einer zunehmend gefährdeten Biosphäre und Ökosphäre? Die Antwort ist: Nein. Genauso ist es mit der Arbeit: Wir haben super Ausgangsbedingungen dafür, unsere Gesellschaft inklusive Wirtschaft besser zu machen, als sie gegenwärtig ist. Doch funktioniert das nicht, indem ich sage, die Zukunft wird genauso wie die Gegenwart – nur optimiert. Wenn ich falsche Entwicklungen habe, hat es wenig Sinn, die falschen Entwicklungen zu verbessern. Oftmals ist ein kompletter Programmwechsel besser als die Optimierung des Programms. Ich muss nicht immer in demselben Modus weiterdenken und Prozesse optimieren und prüfen, ob sie tatsächlich optimiert sind oder nicht und dann nochmals optimieren. Ich kann halt ganz anders denken.“ – Achtung: Der Beitrag erforderte eine – wenn auch kostenlose – Registrierung!

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