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Weltweite Reaktionen auf die Brände am Amazonas: Geschäftspartner streiten – soziale Bewegungen organisieren Protest und Widerstand

Brasilien: Wahlplakat von 2018 gegen Bolsonaro„… Die Brandrodung ist eine traditionelle Vorgehensweise beim tropischen Ackerbau, um landwirtschaftlich genutzte Flächen und Weideflächen für Nutztiere freizumachen. Mehr als die Hälfte des Regenwaldes befindet sich in Brasilien, dem weltweit führenden Exporteur von Rindfleisch. Im brasilianischen Regenwald leben rund 200 Millionen Rinder. Laut dem Global Forest Atlas der Yale School of Forestry and Environmental Studies ist die Viehzucht der größte Treiber der Waldzerstörung in jedem Amazonasland und macht 80% der derzeitigen Abholzungsraten aus.  Die Intensivtierhaltung verschwendet massive Mengen an Land, Futter, Energie und Wasser und verursacht weltweit das Leid von Milliarden von Tieren. Wir Menschen müssen handeln, indem wir weniger Fleisch konsumieren, Fleisch durch pflanzliche Alternativen ersetzen und hohe Tierschutzstandards verlangen.  VIER PFOTEN betrachtet die Fleischindustrie, allen voran die Intensivtierhaltung, als eine der größten Hürden im Kampf gegen Klimawandel und sie ist auch für die Zerstörung des Regenwaldes durch die aktuellen Feuer mitverantwortlich. Deshalb fordert VIER PFOTEN die großen Lebensmittelunternehmen auf, effektive Maßnahmen zu ergreifen, um solche Katastrophen zu verhindern, die Zahl der Tiere in der Massentierhaltung zu verringern und endlich den Planeten zu retten...“ – aus der  „Stellungnahme zu den Feuern im Amazonas Regenwald und ihrer Verbindung zur Fleischindustrie“ der Tierschutzorganisation vom 26. August 2019 externer Link (hier dokumentiert bei scharf links) – auch ein Hinweis darauf, wie sehr heutzutage verschiedene Probleme, die der moderne Kapitalismus schafft, miteinander verbunden und verschränkt sind. Siehe dazu weitere aktuelle Stellungnahmen Betroffener und demokratischer Bewegungen sowie Hintergrundbeiträge – und den Hinweis auf unseren bisher letzten Beitrag zum Thema:

„El conjunto de las comunidades amazónicas de 9 países sancionan, condenan y declaran No Gratos a los dos gobiernos de Jair Bolsonaro y Evo Morales“ am 24. August 2019 bei Clajadep-LaHaine externer Link ist die kommentierte Dokumentation einer gemeinsamen Erklärung von indigenen Zusammenschlüssen aus den 9 Ländern, die zur Amazonas-Region gehören. Eine Erklärung im übrigen, wie die Überschrift zeigt, die sich nicht nur gegen die rechte Bolsonaro-Regierung Brasiliens richtet, sondern auch gegen die bolivianische Regierung Morales, die beide als „unerwünscht“ bewertet werden. Darin wird daran erinnert, dass es schon seit langer Zeit eine Auseinandersetzung gebe, die sich um Entwicklungsziele und -methoden drehe, die vom amazonischen indigenen Netzwerk seit langem kritisiert würden: Schließlich seien die rund 400 indigenen Völker der Region die Hauptleidtragenden dieser Art Verwertungspolitik.

„La defensa de la Amazonía es una lucha por el futuro de la tierra“ am 26. August 2019 bei Rebelion.org externer Link dokumentiert, ist eine gemeinsame Erklärung zahlreicher Organisationen (darunter auch wichtiger Gewerkschaften) aus Mexiko – die hier auch als Beispiel für ähnliche Stellungnahmen aus anderen lateinamerikanischen Ländern steht – die nicht nur die Politik der rechtsradikalen brasilianischen Regierung kritisiert, sondern auch auf Parallelen zur Politik in Mexiko hinweist, Parallelen, die keineswegs nur die Politik rechter Regierungen prägen, sondern auch die der aktuellen mexikanischen Regierung – auch hier gilt die Kritik sogenannten Entwicklungsprojekten.

„Queimar a Amazônia é crime contra a humanidade“ am 23. August 2019 bei der Landlosenbewegung MST externer Link ist die Erklärung der brasilianischen Organisationen, die der Via Campesina angehören zu den Bränden – die jetzt, seit dem 27. August (weiter unten im Text) auch in englischer Übersetzung dokumentiert wird. Darin wird sowohl ausführlich auf die verschiedensten politischen Maßnahmen verwiesen, die die brasilianische Rechtsregierung ergriffen hat, um die Geschäftsinteressen ihrer agrarkapitalistischen Klientel von Kontrollen zu befreien – die neben institutionellen Maßnahmen selbstverständlich auch solche Offensiven wie die Kampagne zur Kriminalisierung sozialer Bewegungen umfassen – als auch ausdrücklich die Verantwortung des Agrarkapitals und der Bergbauunternehmen unterstrichen wird. Die Verteidigung des Lebensraumes – und auch dies wird besonders unterstrichen, dass es eben ein Lebensraum ist, in Wäldern wie an zahllosen Flussufern – sei gemeinsames Anliegen der dort lebenden Menschen, wie aller BrasilianerInnen, das Feuer legen oder auch Wirken lassen, sei ein Verbrechen an der Menschheit wird abschließend zusammen gefasst.

„Movimiento de los Sin Tierra: «Queremos existir, y por lo tanto seremos resistencia»“ am 26. August 2019 bei Resumen Latinoamericano externer Link ist ein Interview mit Ayala Ferreira, der Menschenrechtsbeauftragten der brasilianischen Landlosenbewegung MST (von Wafika Ibrahim), die darin auf den Zusammenhang der Bolsonaro-Politik hinweist: Die Kriminalisierung ihrer Bewegung zur selben Zeit, wie er die Entkriminalisierung der Brandrodung und die faktische Abschaffung der Kontrollen der Umweltbehörde Ibama durchgesetzt habe. Was auch, so unterstreicht sie ausdrücklich, den Unterschied ausmache zwischen der industrialisierten, auf großen Pestizid-Einsatz basierenden Plantagen-Produktion und der der MST-Ansiedlungen sei, die heute der größte brasilianische Lieferant für organische Lebensmittel sei.

„Regenwald: Sorge um Umwelt oder Ökoimperialismus?“ von Peter Nowak am 27. August 2019 bei telepolis externer Link zum Zusammenhang zwischen aktuellen Entwicklungen und der EU-Freihandelsoffensive: „… Dabei streiten sich unterschiedliche Kapitalfraktionen auch in der EU über das Freihandelsabkommen mit den Mercosur-Staaten. Es muss von allen EU-Staaten ratifiziert werden und nun gibt es einige, die es zumindest auf Eis legen oder ganz kippen wollen und die Brände als Grund nehmen. Dabei ist der Streit über das Freihandelsabkommen aber älter und hatte ursprünglich nichts mit Bolsonaro und den Waldbränden zu tun. Zu den Befürwortern des Abkommens galt von Anfang an die deutsche Industrie und auch die Bundesregierung. Das hat sich bis heute nicht geändert. Bei aller Kritik an der Regierung will man dort nicht auf den großen Markt verzichten, den das Abkommen schaffen soll. Zudem wurde es immer als Alternative zum Protektionismus der Trump-Regierung angepriesen. Nun wird zusätzlich das Argument angebracht, dass das Abkommen Instrumente liefert, um den Regenwald zu schützen. Doch es gab schon lange vor den Waldbränden Kritiker des Freihandelsabkommens. Es ist kein Gegenmittel gegen die von der brasilianischen Agrarlobby unterstützten Vernichtung des Regenwaldes, sondern ist selbst ein Motor des Raubbaus an der Natur. Den EU-Industriekonzernen sind geringere Zölle garantiert, mit der Konsequenz, dass die Kleinproduzenten in Südamerika in den Ruin getrieben werden. Dafür dürfen die Großgrundbesitzer mehr billiges Fleisch nach Europa exportieren. Dazu bedarf es der Ausweitung der Flächen für Rinderzucht und Soja-Futtermittelproduktion. Sie werden auch mittels Brandrodung geschaffen. Der Deutsche Bauernverband sieht sich durch diese Importe benachteiligt und benutzt jetzt auch das Menschenrechtsargument, um das Abkommen zu verhindern. Auch Marianne Grimmenstein, die sich seit Jahren gegen das Freihandelsabkommen engagiert und auch Klage dagegen eingereicht hatte, fordert in einer Petitionden Stopp des Abkommens und stellt sich hinter den französischen Präsidenten Macron, ob der das Abkommen ausdrücklich im Moment verhindern will. Allerdings wird hier auch das Problem deutlich, dass Lobbyverbände wie der Bauernverband und auch Globalisierungskritiker zur Stärkung der eigenen Position Argumente von Politikern heranziehen, die eigene Interessen, aber keine Lösung für das Problem – hier die brennenden Wälder – haben. Eine Kritik an dem Abkommen müsste doch gerade aufzeigen, dass es eben keine Alternative zum Kurs von Bolsonaro ist, sondern im Gegenteil die Agrarlobby stärkt…“

„Das Problem ist nicht Brasilien“ von Maerin Ling am 27. August 2019 in neues deutschland online externer Link zu den „Kritiken“ aus Europa einleitend: „Wer selbst Abholzung fördert, sollte andere nicht zum Aufforsten auffordern. Dass die ultrarechte brasilianische Regierung die von den G7-Staaten angebotene Hilfe im Kampf gegen die verheerenden Waldbrände zurückgewiesen hat, mag kurzsichtig sein und ist ganz sicher dem Motiv geschuldet, sich eine Einmischung in innere Angelegenheiten zu verbitten. Fakt ist dennoch, dass die europäischen Urwälder längst bis auf wenige Restbestände verschwunden sind. Sie mussten Siedlungen und Landwirtschaft weichen. Perfide wird das Angebot der G7-Hilfe dann, wenn die Motivation für Brandstiftung im Amazonasgebiet offengelegt wird: Dort wird Land urbar gemacht, hauptsächlich um Soja für den Export anzubauen: Europa ist der größte Importeur von Soja aus Lateinamerika…“

„Sacred groves, sacrifice zones and soy production: globalization, intensification and neo-nature in South America“ von Gustavo Oliveira & Susanna Hecht am 31. März 2016 bei Taylor&Francis externer Link ist ein Buchauszug, der sich mit dem Thema der Auswirkungen der Soja-Plantagenwirtschaft im südlichen Amazonasbecken befasst. Darin wird deutlich, dass die gewaltig expandierende Plantagenwirtschaft ihre Auswirkungen auf die gesamte Region haben und die übliche Argumentation zur Verteidigung dieser (agrarkapitalistischen, voll maschinellen) Produktionsform, sie „verbrauche weniger Land“ nicht zutrifft, denn sie verbrauche eben nicht nur das Land, das direkt bewirtschaftet wird.

„Welche Interessen haben Macron, Merkel und die G7 im Amazonas?“ von André Augusto am 25. August 2019 bei Klasse gegen Klasse externer Link (in der Übersetzung von Mark Turm) weist nochmals auf die Zusammenhänge mit dem Freihandels-Abkommen hin: „… Die reaktionären Maßnahmen von Bolsonaro sind direkte Angriffe auf die indigenen Völker und Nachkommen der Quilombos (schwarze Rebellenpopulationen während der Sklaverei) sowie auf die Existenzgrundlage der gesamten Bevölkerung zugunsten des Agrarsektors, der Banken und des Großkapitals. Das Abkommen mit der Europäischen Union stellt ein weiterer Beweis für seine eklatante Unterwerfung unter den Imperialismus dar. Denn Bolsonaro und seine Regierung haben einen Pakt unterzeichnet, der sklavenähnliche Verhältnisse für brasilianische Arbeiter*innen mit sich bringt, ganz im Sinne der Interessen der großen Wirtschaftskonzerne Deutschlands, der Niederlande, Belgiens und Frankreichs, deren kolonialistische Mentalität Bolsonaro zu bekämpfen behauptet. (…) Einige der Unternehmen, die den Amazonas-Regenwald am stärksten roden, sind aus Frankreich: Credit Agricole (Frankreichs größte Privatkundenbank) und BNP Paribas, Frankreichs reichstes Finanzinstitut, stehen laut einem Bericht von Amazon Watch mit der Entwaldung in Verbindung. Laut demselben Bericht erhalten Unternehmen wie Guillemette & Cie und Groupe Rougier regelmäßig Tonnen von Holz vom brasilianischen Unternehmen Benevides Madeiras. Das US-amerikanische Unternehmen Monsanto (das mit dem deutschen Pharmakonzern Bayer fusionierte) und Dreyfuss haben ebenfalls große Geschäfte im Amazonasgebiet. Sie betrachten es als ihren Hinterhof zur kapitalistischen Ausbeutung. Wie die Vereinigten Staaten wollen auch Frankreich und Deutschland nicht, dass ihre Ackerflächen durch die lokale Agrarwirtschaft Schaden nehmen…“

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=153648
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