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Vom Lohnstreik zum Kampf um Grundrechte: Mehrere LKW-Fahrer-Gewerkschaften in Portugal ab 12.8.2019 im (unbefristeten) Streik – Regierung beschließt den Notstand, inklusive Armee-Einsatz

Ab dem 12.8.2019 hat die portugiesische sozialdemokratische Regierung Polizeirecht statt Streikrecht eingeführt: Gegen die LKW Fahrer und ihre Forderung nach 900 Euro MindestlohnTrotz einer, bescheiden ausgedrückt, „intensiven“ Medienkampagne gegen einen erneuten Streik der LKW-Fahrer in Portugal (es gab bereits einen ersten im April 2019, der drei Tage dauerte) haben die beiden Gewerkschaften Sindicato Nacional dos Motoristas de Matérias Perigosas (SNMMP) (Nationale Gewerkschaft im Gefahrgüter-Transport) und Sindicato Independente dos Motoristas de Mercadorias (SIMM) (Unabhängige Gewerkschaft der Warentransporteure) ab 12. August 2019 einen unbefristeten Streik beschlossen. Die Gewerkschaft Sindicato dos Trabalhadores de Transportes Rodoviários e Urbanos do Norte (STRUN) (Fernstraßen und Stadttransporte Nordportugals) hat sich mit einem Streikaufruf vom 12. bis zum 20. August 2019 dieser Bewegung teilweise angeschlossen – insofern ein Politikum, als diese Einzelgewerkschaft zur Föderation der Transportarbeiter FECTrans gehört: Die nicht zum Streik aufgerufen hat, sondern „sich in Verhandlungen befindet“. Das weitaus größere politische Problem aber ist die Haltung der sozialdemokratischen Regierung, die einen umfangreichen Notfall-Versorgungsplan, der den Wünschen des Unternehmerverbandes Antram entspricht, diktiert hat: Inklusive der zwangsweisen Durchsetzung mit Armee und Polizei, müssen zwischen 50% (Hotels) und 100% (Flughäfen) der „normalen Menge“ Treibstoff ausgeliefert werden. Meldungen vom Montagabend zufolge wurden auch bereits erste Tanklastwagen mit Soldaten am Steuer gesehen – das ganze begleitet von Drohungen. Wer die Mindestversorgung boykottiere, müsse mit Entlassung und der juristischen Verfolgung rechnen. Die Gewerkschaften, die den Streik organisieren – sicherlich keine „radikalen“ Organisationen – stützen sich auch auf die Solidarität der wachsenden Zahl unabhängiger Gewerkschaften, die sich in den letzten Jahren in Portugal konstituiert haben – vor allem aber auf die Entschlossenheit der Fahrer, die genug davon haben, täglich 14 Stunden arbeiten zu müssen, um überleben zu können. Zum Streik der LKW Fahrer und dem Großangriff von Portugals Regierung auf das Streikrecht unsere aktuelle kleine Materialsammlung „Vom Lohnstreik zum Kampf um Grundrechte: Die LKW Fahrer in Portugal“ vom 13. August 2019 – jetzt mit Update vom 14. August über erste persönliche Entlassungsandrohungen, sich über die Streikbrecher-Arbeit beklagende Polizisten und eine demokratische Öffentlichkeit mit Kritik an der Regierung: Dies ist keineswegs der erste Streik, den sie mit Zwangsverpflichtungen faktisch verbietet:

„Vom Lohnstreik zum Kampf um Grundrechte: Die LKW Fahrer in Portugal“

(Neu am 14. August: Drei Beiträge) New

„Substituindo grevistas. Militares conduzem, carregam e descarregam“ am 13. August 2019 bei RTP externer Link meldet den Einsatz von Militär und Polizei zum Fahren und Befüllen von Tanklastern– und den Protest der  Vereinigung des Wachpersonals (AGP): Nicht nur, dass die Soldaten und Polizisten nicht für das Befüllen ausgebildet seien – sie hätten auch teilweise 27 Stunden am Stück im Einsatz bleiben müssen und beides seien Gefahrenherde nicht nur für sie selbst, die Regierung agiere unverantwortlich.

„14 trabalhadores não cumpriram requisição civil“ am 13. August 2019 bei Sapo externer Link meldet, dass die ersten 14 streikenden Fahrer persönlich davon „benachrichtigt“ worden seien, dass gegen sie Anzeige gestellt würde, weil sie ihren Verpflichtungen gemäß dem Regierungserlass nicht nachgekommen seien: Was bedeutet, dass sie sowohl gerechtfertigt entlassen werden können, als auch einen Prozess haben werden, bei dem sie eine Höchststrafe von zwei Jahren Gefängnis erwartet: In der Tat wegen „Ungehorsam“. (Wir empfehlen etwaige Solidaritätsbekundungen mit der LabourNet Germany Postkarte – mit Hannah Arendts Schlussfolgerung „Niemand hat das Recht zu gehorchen“ – bei uns gratis erhältlich).

„A Lei Da Greve Até Pode Continuar A Existir Formalmente…“ von Paulo Guinote am 12. August 2019 auf seinem Blog externer Link ist ein Kommentar des Aktivisten zur neuerlichen Zwangsverpflichtung gegen Streikende, deren Wirkung er so bewertet: Das Streikrecht gibt es nur noch formal…

(13. August 2019)

„Conferência de imprensa conjunta dos sindicatos dos motoristas, que mantiveram a greve do sector a partir das 00h01 da próxima segunda-feira“ am 10. August 2019 bei der Dockergewerkschaft SEAL externer Link (Facebook) ist ein Video von der Pressekonferenz der beiden Fahrergewerkschaften, auf der über die Aufrechterhaltung des Streikbeschlusses berichtet wurde.

„Klare Antwort“ von Susanne Knütter am 13. August 2019 in der jungen welt externer Link zum Notstandsdiktat der portugiesischen Regierung: „… Offiziell erhöhte die Regierung den Druck bereits im Vorfeld, um eine »Benzinkrise« wie beim Streik der Gefahrgutfahrer im April zu vermeiden. Aber das ist nur ein Vorwand. Wie ein Gewerkschaftssprecher der SIMM am Sonnabend gegenüber der portugiesischen Tageszeitung Público sagte, widersprechen die Maßnahmen der Aussage der Regierung, dass es sich hier um einen Konflikt zwischen Privatparteien handele, bei dem sie nicht interveniere. Die Gewerkschaft erwarte, dass Militär und Polizei eingesetzt werden, um die »Mindestversorgung« zu gewährleisten. Erste Meldungen vom Montag zeigen, dass genau das bereits eingetreten ist: Die Polizei eskortierte Lkw, um Tankstellen mit Kraftstoff zu versorgen. Bereits am Mittwoch vergangener Woche hatte die Regierung »Mindestleistungen« für die Tage des Streiks vorgeschrieben. Dies soll sicherstellen, dass die Treibstoffversorgung in den Städten für die Bevölkerung zu 50 Prozent und für die Mitglieder des Rettungsdienstnetzes zu 100 Prozent gewährleistet ist. Sieht man sich die gemeinsame Verordnung der Ministerien für Wirtschaft, Infrastruktur, Arbeit, Umwelt, Landwirtschaft und Gesundheit genauer an, dann fällt auf, dass die Vorgaben nicht nur für Rettungsdienste, Feuerwehren oder die Entsorgung von gesundheitsgefährdenden Abfällen gelten. Als »notwendig oder empfehlenswert« wurde ebenso die Versorgung von Flughäfen, der Binnenschiffahrt, des Militärs oder der Bank von Portugal definiert…“

„Streik in Portugal: Mitten in der Ferienzeit geht der Sprit aus“ am 12. August 2019 beim Bayerischen Rundfunk externer Link kann als Beispiel dafür gelten, wie bundesdeutsche Medien – wenn überhaupt – über diesen Streik berichten (in Verteidigung des armen deutschen Urlaubers, versteht sich): „… Mitten in der Sommersaison geht den Tankstellen in Portugal der Sprit aus. Die Fahrer von Gefahrgut-Lastwagen sind zum zweiten Mal innerhalb von vier Monaten in einen unbefristeten Streik getreten. Sie fordern unter anderem höhere Gehälter.  Die sozialistische Regierung von Ministerpräsident António Costa rief den Energienotstand aus. Offiziell dürfen demnach Pkw nur noch 25 Liter und Lkw nur noch 100 Liter tanken. An manchen Tankstellen wurde der Verkauf noch stärker eingeschränkt. Vielerorts bildeten sich lange Schlangen, andere Tankstellen hatten ganz zu, weil sie bereits kein Benzin mehr haben.  Weil viele Autofahrer in Erwartung des Ausstandes schon am Wochenende vollgetankt hatten, hatten nach Angaben eines Nutzerportals fast 15 Prozent der rund 3.000 Tankstellen im Land kein Benzin oder keinen Diesel mehr. Militär, Rettungskräfte wie der Zivildienst, Polizei und Feuerwehr sowie Flughäfen und Häfen sollten weiter zu 100 Prozent bedient werden.  Besonders stark betroffen sei die südliche Region Algarve, in der gerade zahlreiche Touristen Ferien machten: Viele Autofahrer seien von dort ins nahe gelegene Spanien gefahren, um zu tanken, schrieb die spanische Zeitung „El Mundo“. Die Regierung setzte zudem die Polizei ein, um einige Tankstellen trotz des Streiks mit Kraftstoff zu versorgen. Ein Konvoi von Tanklastern verließ am Morgen unter Polizeischutz ein Tanklager in Aveiras am Rande der Hauptstadt Lissabon…“

„Greve com dias contados“ am 10. August 2019 bei SAPO externer Link ist eine Meldung, die eine neue Variante der medialen Anti-Streik Kampagne darstellt. Nachdem die tagelangen bunt ausgemalten Horror-Szenarien eines LKW-Streiks nicht so richtig wirkten – die öffentliche Unterstützung für den Streik ist durchaus relativ hoch, zu deutlich extrem sind die Arbeitsbedingungen der Beschäftigten  – jetzt eine, auch anderswo vertretene, Argumentation, der Streik könne gar nicht unbefristet sein, weil die politischen Karriereabsichten des Anwalts der Gewerkschaft dem entgegenstünden: Ein Appell an die Fahrer also, sich nicht zum Hilfsdienst für die politischen Absichten anderer zu engagieren.

„Incumprimento da requisição civil pode levar a despedimento e pena de prisão“ am 12. August 2019 ebenfalls bei SAPO externer Link ist eine neuerliche Wende der Anti-Streik-Propaganda nach dem Notstandsbeschluss der Regierung. Wer meine, so der Tenor, er könne auf die beschlossene „Zivilverpflichtung“ reagieren, wie auf die Regeln für die Mindestversorgung (die dieser Propaganda zufolge nicht befolgt wurden, was die beteiligten Gewerkschaften wiederum verneinen), der irre sich: Entlassung und Gefängnis könnten das Ergebnis sein.

„O primeiro camião conduzido por militar já saiu da refinaria de Sines“ ebenfalls am 12. August 2019 bei SAPO externer Link ist die Meldung über den ersten LKW, der von Soldaten gefahren wurde (am ersten Geltungstag des Regierungsdiktats). Vor den Toren der Raffinerie von Sines (Südportugal) hätten etwa 30 Fahrer dagegen protestiert.

„Requisição civil dos camionistas: Antram pediu, governo declarou“ am 12. August 2019 beim esquerda.net externer Link ist ein Beitrag auf der Webseite des Linksblocks (der meist die sozialdemokratische Minderheitsregierung stützt, wie es auch die KP Portugals tut), in dem diese Maßnahme – die im Laufe des Montags immer größeren Umfang und schärfere Bestimmungen annahm – die Notversorgung per Zwang zu sichern, kritisiert wird. Es sei immer schärfer vorgegangen worden aufgrund des Drucks des Unternehmerverbandes Antram, im gegensatz zur ursprünglich postulierten Neutralität der Regierung, so der Tenor der Kritik.

„Posição da CGTP-IN sobre o anúncio da requisição civil para os trabalhadores do sector de mercadorias perigosas“ am 12. August 2019 beim Gewerkschaftsbund CGTP-IN externer Link ist die Stellungnahme des größten portugiesischen Gewerkschaftsbundes nachdem kurz vorher der Umfang und die konkret Form des regierungsamtlichen Notstandes bekannt gegeben worden waren: Obowohl, wie bereits oben erwähnt, die der CGTP angehörende Branchenorganisation FECTrans sich nicht am Streik beteiligt,  hat der Verband immerhin erkannt, dass es sich bei diesem „Maßnahmenpaket“ um eine Offensive gegen das Streikrecht handelt und kritisiert das Vorgehen der Regierung als eines, das im Interesse der Unternehmen geschehe und die verfassungsgemäß garantierte Streikfreiheit angreife.

„Solidariedade com os Motoristas: lucros para as grandes petrolíferas e retalhistas ou salários dignos para quem vive do seu trabalho?“ am 07. August 2019 bei der MAS externer Link steht hier als Beispiel für die Aktivitäten verschiedener linker Gruppierungen im Vorfeld des Streikbeginns, die sowohl die Solidarität organisierten als auch die bereits zu diesem Zeitpunkt eindeutigen Bekundungen der Regierung kritisieren. In dem Beitrag werden auch nochmals die grundlegenden Forderungen dargestellt: Das heutige (und das seit langer Zeit) Grundgehalt beträgt 630 Euro im Monat. Beim Dreitage-Streik im April diesen Jahres war die Forderung 1.200 Euro gewesen – die dann im Verlauf des Streiks und nachfolgender Verhandlungen auf 900 reduziert wurde – der Unternehmerverband blieb eisern bei seinem „Angebot“ die Hungerlöhne fortzusetzen – 700 Euro, keinesfalls mehr. Viele Fahrer fordern auch eine Ende der „schwarzen“ Bezahlung von Überstunden, die sie natürlich auf Dauer schädigt.

„Solidariedade com os motoristas de matérias perigosas e de mercadorias: “Contra a miséria dos salários e a anulação do direito à greve”“ am 08. August 2019 bei der Dockergewerkschaft SEAL externer Link ist eine gemeinsame Erklärung mehrerer Alternativgewerkschaften Portugals (unter anderem auch bei VW Portugal), mit der sowohl eindeutig der Streik unterstützt wird, als auch die „Beseitigung des Streikrechts“ durch die Regierung kritisiert – und dabei unterstrichen wird, man werde diese Solidarität auch konkret vor Ort organisieren.

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=152997
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