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Sudan

Zwischen Zuversicht, Skepsis und Entschlossenheit: Die Demokratiebewegung im Sudan nach dem Kompromiss mit der Militärjunta

Zur Ikone der Bewegung im Sudan geworden: Der Zug aus Atbara bringt Demostranten nach Khartum„… Hält das Abkommen im Sudan, bringt es eine tragfähige Lösung? Die deutsche Politik will es glauben. Der US-amerikanische Think Tank Atlantic Council glaubt es eher nicht. Hier geht der Forscher Cameron Hudson davon aus, die Vereinbarung diene den Machthabern nur dazu, Zeit zu gewinnen. Worum geht es? Infolge massiver Proteste und der Wiederaufnahme von Massendemonstrationen Ende Juni dieses Jahres – trotz brutaler Repression, die am 3. Juni mehrere Dutzend Menschen das Leben gekostet hatte – kam es zu einer Vereinbarung zwischen der amtierenden Militärregierung und den Trägerorganisationen der Proteste. Unter den letztgenannten spielt die gewerkschaftsähnlich strukturierte Sudanese Professionnals Association eine Hauptrolle. Die Vereinbarung sieht eine „Übergangsperiode“ von drei Jahren und drei Monaten Dauer vor, während derer künftige freie Wahlen vorbereitet werden sollen. Während dieser Periode soll eine gemischte Übergangsregierung, die sowohl aus Vertretern der bislang amtierenden Militärjunta als auch aus solchen der zivilen Opposition besteht, das Land führen. 21 Monate lang sollen dabei Armeevertreter die Führung innerhalb der Übergangsregierung innehaben, danach anderthalb Jahre lang die zivilen Oppositionskräfte. Abzuwarten bleibt, wie stabil die Verhältnisse während dieser relativ langen „Transitionsperiode“ bleiben werden, in welchem Ausmaß die jeweils Regierenden ihre Leute auf strategischen Posten positionieren, wie die in diesem Zeitraum gebildete Wahlkommission aussehen wird – und nach welchen Regeln im Anschluss dann gewählt werden soll. Die Antwort auf diese Fragen wird entscheidend dafür sein, ob man in der Bilanz der Übergangsperiode davon sprechen wird können, diese habe eine Demokratisierung des Landes vorbereitet; oder, im Gegenteil, es habe sich nur um ein Manöver zum Verschleppen und zur Verhinderung von Demokratisierung gehandelt…“ – so beginnt der Beitrag „Hamdan Daglo, Schlüsselfigur für die Verhinderung unerwünschter Migration“ von Bernard Schmid am 09. Juli 2019 bei telepolis externer Link, worin die Entwicklung der letzten Monate zusammen gefasst wird, die wesentlichen Bestandteile des Abkommens dargestellt und eine Bewertung der dadurch entstandenen Situation versucht wird. Siehe dazu auch einige weitere Beiträge zu Reaktionen und Bedeutung des Abkommens, sowie zur Rolle der Streikbewegung im Hafen von Port Sudan – und der Tee-Frauen von Khartum, wie auch den Hinweis auf unseren bisher letzten Beitrag zu dem Abkommen:

„Beware of betrayal by the military, Sudanese Communist Party warns protesters“ von Pavan Kulkarni am 08. Juli 2019 bei Peoples Dispatch externer Link ist ein Beitrag über eine im Sudan weit verbreitete Stellungnahme der KP Sudan zu dem ausgehandelten Kompromiss, in dem die Partei zu extremer Wachsamkeit gegenüber dem Militärrat aufruft, dessen Absichten dieselben blieben wie bisher, der dieses Abkommen nur gezwungenermaßen unterschrieben habe.

„After defying violence for months, Sudan’s fearless protesters are skeptical of latest agreement“ von Geoffrey York am 05. Juli 2019 bei The Globe and Mail externer Link ist ein Beitrag, der über verschiedene AktivistInnen aus verschiedenen politischen Strömungen der Opposition im Sudan berichtet, die allesamt zwar für diesen Kompromiss sind, aber kein Vertrauen in das Militär haben.

„Sudan: Widerstand gegen die blutige Repression“ am 06. Juli 2019 bei der SAV externer Link hebt neben verschiedenen politischen Einschätzungen hervor, dass es eben auch innerhalb der Oppositionsplattform entschieden bürgerliche Kräfte gibt, die kontinuierlich für eine Kompromisslösung eingetreten sind: „… Die wirkliche Rolle der prokapitalistischen Parteien und Gruppierungen in der Allianz der Freiheit und des Wandels spiegelte sich im April wider, als sie versuchten, eine Verhandlungslösung mit al-Bashir zu finden, als Teil ihrer Opposition gegen die sudanesischen Massen. Jetzt haben sie das während des jüngsten Generalstreiks und der zivilen Proteste wiederholt, die sie genauso erschreckten wie das Regime und den internationalen Kapitalismus. Der Streik wurde von den prokapitalistischen Parteien und Gruppierungen als eine Form des Protestes angesehen, die so schnell wie möglich abgebrochen werden sollte. Auf den 24-Stunden-Stillstand folgten keine Forderungen nach einer unbefristeten Verlängerung des Streiks mit dem Ziel, das Regime zu stürzen. Arbeiter*innen und Unterstützer*innen des Streiks wurden zu Unrecht aufgefordert, zu Hause zu bleiben und nicht zu einer Massenkundgebung auf die Straße zu gehen, um sich darauf vorzubereiten, das Regime zu konfrontieren und zu stürzen. Nach nur vierundzwanzig Stunden wurde der solide Streik abgebrochen und die Verhandlungen wieder aufgenommen. Solche Schritte können nur dazu dienen, die Massen schließlich zu demobilisieren und den Weg für einen Verrat und Sieg der Konterrevolution zu bereiten…“

„Soudan: les coulisses de l’accord de transition“ am 09. Juli 2019 bei RFI externer Link ist ein Beitrag über die Rolle vor allem der US-Diplomatie beim Zustandekommen des Abkommens, die laut einer Meldung der Agentur AP hinter den Kulissen sowohl auf die Militärs, als auch auf deren internationale Unterstützer wie etwa Saudi Arabien und Ägypten Druck ausübten – die Schlichtungsvorschläge Äthiopiens und der Afrikanischen Union zu unterstützen. Woraus ausrechenbar bleibt, dass dieser Kompromiss als Durchgangsstadium betrachtet wird…

„Harbor workers‘ strike gave a bonus in Sudan“ am 09. Juli 2019 bei Dockers Hangarounds externer Link (Facebook) ist ein Bericht über die Wirkung der Streikbewegung im Hafen von Port Sudan, dessen Betrieb vom alten Regime an den philippinischen Multi ICTSI vergeben worden war, was die amtierende Junta nunmehr ausgesetzt hat (und stattdessen beschlossen, den Streikenden einen Bonus auszubezahlen) – eine Entwicklung, die sowohl die Vielschichtigkeit der Oppositionsbewegung zeigt (waren die Docker in Port Sudan doch die ganzen Monate über Hauptkraft der auch in dieser Stadt massiven Proteste), als auch, dass es eben dadurch zu einer Situation zahlreicher erzwungener Zugeständnisse kam.

„Khartoum’s vulnerable tea sellers face deadlier risks in Sudan’s time of turmoil“ von Geoffrey York am 09. Juli 2019 bei The Globe and Mail externer Link ist eine Reportage über die Tee-Verkäuferinnen von Khartum. Tausende von Frauen, die dieser Arbeit in den Straßen der Hauptstadt nachgehen, waren schon immer der Polizeiwillkür des alten Regimes ausgesetzt – und leiden, auch durch ihre massive Beteiligung an den Protesten, nun unter dem alltäglichen Druck des Militärs. Was sie aber keineswegs davon abhält, weiter für die Demokratisierung des Landes zu kämpfen, so wenig, wie es das „Verschwinden“ einiger von ihnen bei den Angriffen der Milizen auf die Bevölkerung Anfang Juni erreicht hat, sie einzuschüchtern.

„25 civil society organisations petition AU over militarization of public spaces in Khartoum“ am 08. Juli 2019 bei der Sudan Tribune externer Link ist die Meldung über eine Petition von zivilgesellschaftlichen Organisationen an die Afrikanische Union, mit der gefordert wird, die bei der Militarisierung des öffentlichen Raums begangenen Verbrechen, insbesondere die zahlreichen Vergewaltigungen, ebenfalls unabhängig zu untersuchen, wie es bei den Morden am 3. Juni bereits beschlossen worden ist.

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=151355
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