[Buch] Linke Heimatliebe. Eine Entwurzelung

[Buch von Thomas Ebermann] Linke Heimatliebe. Eine EntwurzelungHeimat boomt. Ihre Allgegenwart markiert das Grundrauschen der gesellschaftlichen Rechtsentwicklung. Kein Begriff siedelt so nahe an der Volksgemeinschaft wie dieser. Er gehört den Rechten und ist ohnehin nur Statthalter in einer Zeit, in der „Blut und Boden“ so ohne weiteres nicht mehr propagiert werden können. Was Negation verdient, wird von jenen „Linken“, die notorisch noch den letzten Dreck nicht den Rechten überlassen wollen, dem alternativen Gebrauch zugeführt. So alternativ ist der oft aber nicht: Die Verwechslung des Menschen mit nicht umpflanzbaren Bäumen; die unentrinnbare Prägung durch Herkunft; die Liebe zu Gebietskörperschaft, Brauchtum und Eckkneipe; der Kampf gegen die Fremden und das Fremde; die Abscheu vor dem Zersetzenden; all das findet sich auch im “linken“ Heimatdiskurs. Dieses Buch seziert seine aktuellen Ausformungen und seine affirmativen Autoritäten – etwa Ernst Bloch, Kurt Tucholsky, Johannes R. Becher oder den vorgeblichen Erneuerer des Heimatfilms, Edgar Reitz. Der Autor zügelt dabei seinen Hass auf die „Gemütlichkeit“ keineswegs.“ Umschlagtext zum Ende März 2019 erschienenen Buch von Thomas Ebermann (mit einem Vorwort von Thorsten Mense) in der Reihe konkret texte 75 (ca. 148 Seiten, ISBN 978-3-930786-87-9, 19,50 € inkl. Mwst., zzgl. Versandkosten). Siehe weitere Infos zum Buch beim Konkret-Verlag, als Leseprobe im LabourNet Germany Ausschnitte aus dem Kapitel 1 („Besetztes Gebiet: die linke Heimat“) – wir danken dem Verlag! – und ein Interview mit dem Autor zur aktuellen Veranstaltungsreihe „Anti-Heimatabend“:

  • Unser Lieblingszitat: „… Warum sollte man Begriffe, die zu den Rechten passen wie  die Faust des Nazis aufs Auge des Kommunisten, nicht ihnen überlassen? Wie man Begriffe, die den Sozialdemokraten gehören, wie etwa »gerechter Lohn«, »antizyklische Wirtschaftspolitik« und »Sozialpartnerschaft«, den Sozialdemokraten überlässt...“
  • Besetztes Gebiet: die linke Heimat
    Überall lese ich seit Monaten, man müsse die Heimat, um sie nicht den Rechten zu überlassen, von links besetzen. Meist ist schon den ersten Sätzen der Begründung abzulesen, was Besetzung meint. Wenn etwa die Friedrich-Ebert-Stiftung unter dem Titel »Linke Heimat« verlangt, den Rechten müsse »die Deutungshoheit abgerungen werden«, weil »blutleere Begriffe wie der Verfassungspatriotismus nicht in der Lage« seien, »die menschlichen Bedürfnisse nach Zugehörigkeit, Stolz, Selbstachtung, Ehre, Halt und Sicherheit zu befriedigen« und die »emotionale Bindung« zu schaffen, die »der Begriff Heimat« verspreche – ist schon fast alles beisammen, was das rechte Repertoire an Begriffen vorhält. Wer eine einigermaßen moderne bürgerliche Demokratie »blutleer« nennt, knüpft direkt an den antidemokratischen Blut-und-Boden-Mythos völkischer Bewegungen an. Wer »Stolz« und »Ehre« zu »menschlichen Bedürfnissen «, also unhinterfragbaren anthropologischen Konstanten erklärt, schreibt seinen Text, ob er es nun bewusst tut oder nicht, von Kriegerdenkmälern und aus Landser-Romanen ab. (…) Warum sollte man Begriffe, die zu den Rechten passen wie die Faust des Nazis aufs Auge des Kommunisten, nicht ihnen überlassen? Wie man Begriffe, die den Sozialdemokraten gehören, wie etwa »gerechter Lohn«, »antizyklische Wirtschaftspolitik« und »Sozialpartnerschaft«, den Sozialdemokraten überlässt. Dass sich hinter Begriffen entschlüsselbare Sehnsüchte verbergen, ist zwar nicht belanglos, denn es erklärt, warum sie unter kapitalistischen Verhältnissen ständig reproduzierbar sind, ist aber kein Grund, sie zu übernehmen, sondern einer, sie ihren Nutznießern um die Ohren zu hauen. (…) Dürfen wir neben der Heimat auch die »Volksgemeinschaft« nicht den Rechten überlassen? Die Frage klingt satirisch, aber wer weiß schon, welche Sau übermorgen durchs Dorf getrieben wird. Anknüpfungspunkte für einen solchen Irrsinn fänden sich jedenfalls in den Programmen und Proklamationen aller Parteien, die die »besten Jahre« der Weimarer Republik getragen haben, und eben nicht nur bei rechten Antidemokraten. (…) Die Annahme, der Begriff der Volksgemeinschaft sei in Deutschland ein »erledigter«, durch den Nationalsozialismus »für immer« diskreditierter, würde Land und Leute ganz zu Unrecht verharmlosen. 43 Prozent der Befragten (wenn man »voll und ganz« und »teils, teils« addiert) stimmen der Aussage zu: »Was Deutschland jetzt braucht, ist eine einzige starke Partei, die die Volksgemeinschaft insgesamt verkörpert« (Oliver Decker u.a.: »Flucht ins Autoritäre«). Wir werden den volksgemeinschaftlichen Aspekten des linken Heimatbegriffs im Folgenden immer wieder begegnen. Wer Heimat sagt, affirmiert immer das Bestehende und macht Anleihen nicht unbedingt bei allen, aber bei den tragenden Säulen rechter Ideologie…“ Ausschnitte aus dem Kapitel 1 – wir danken dem Verlag!
  • Thomas Ebermann: »Die Sturmriemen um den Stahlhelm werden enger«.
    Thomas Ebermann geht mit einem »Anti-Heimatabend« auf Tournee. Ein Gespräch über die Seehoferisierung Deutschlands, bewegungsfeindliches Tanzen, Nestbeschmutzung und den Kampfbegriff »Heimat«
    „… »Heimat« ist in Politik, Werbung, Musikgeschäft usw. allgegenwärtig, was etwas mit der gesellschaftlichen Rechtsentwicklung zu tun haben muss. Wir sind zu der Auffassung gekommen, dass wir die aktuelle Dimension dieses Grundrauschens gesellschaftlicher Rechtsentwicklung auf den Begriff bringen müssen. Und uns mal mit der linken Geschichte der Negation der »Heimat«, wie man sie bei Karl Marx und anderen findet, auseinandersetzen müssen. Und auch einen Blick auf heimattümelnde Positionen werfen, wie sie in der zweiten Hälfte der Weimarer Republik zum ersten Mal aufgetreten sind. Und daraus ist dann unser Abend entstanden. (…) Man darf ja fast alles, wenn man es für sich behält. Aber »Heimat« ist ein politischer Kampfbegriff. Warum müssen die Menschen, wenn sie auf ihre Kindheit und Jugend zurückblicken, so gnadenlos fälschen? Warum haben sie vergessen, wie es früher in der Schule war? Die geprügelten Gleichaltrigen, die sie gekannt haben? Oder die unerträgliche Langeweile am Sonntagnachmittagstisch im Familienkreis? Oder den Hass auf die Außenseiter, die sogenannten Querulanten? Wenn der Begriff »Heimat« politisiert wird, geht es auch um die vollkommen unangemessene Beschwörung einer guten alten Zeit mit Prügelstrafe, mit ausgeprägtesten patriarchalen Verhältnissen und mit der Macht der Pfaffen über die Menschen im Beichtstuhl. Wenn das alles verdrängt und im Nachhinein süßlich dargestellt wird, dann wird es reaktionär. (…) Mein Begriff von einer gesellschaftlichen Rechtsentwicklung ist auch keiner, der sich fokussiert auf die AfD. Das Gespür dafür, wann sich eine Gesellschaft nach rechts entwickelt, muss darin bestehen, herauszukriegen, wie ehemals verpönte Begriffe widerstandslos die ganze Gesellschaft ergreifen. Als ich noch für die Grünen im Bundestag war und gerade eine Fußballweltmeisterschaft stattfand, hätte die überwältigende Zahl der grünen Abgeordneten nicht Deutschland zu ihrem Wunschweltmeister erklärt. Das war nicht möglich. Man hat entweder so was wie Dänemark genommen – ein kleines sympathisches Land, und die essen auch vor dem Schlüsselspiel Pommes frites oder so etwas – oder ein Land wie Kamerun, die sind spielerisch elegant und haben den ältesten Mittelstürmer oder was weiß ich. Dann kamen Mauerfall und Wiedervereinigung, und seither kann kein Politiker mehr sagen, dass er der deutschen Nationalmannschaft nicht die Daumen drückt. Das ist eine Rechtsentwicklung, die weit über die Frage hinausgeht, ob es den demokratischen Parteien gelingen wird, die AfD kleinzuhalten. (…) Wer »Heimat« sagt, negiert die in Klassen fragmentierte Gesellschaft. Wer »Heimat« sagt, meint, wir müssen alle zusammenhalten und sollen bitteschön nicht hässliche Verhältnisse ökonomischer und kultureller Art aufeinanderprallen lassen zum Zwecke ihrer Überwindung. Wer »Idyll« sagt, meint etwas, das belastet ist mit der sogenannten guten alten Zeit, als man noch mit der Milchkanne barfuß durch zwölf Kilometer Schnee gegangen ist, aber glücklich war, weil man da noch wusste, was die Milch wert ist. »Heimat« ist ein regressives Phänomen…“ Interview von Thomas Blum am 06.04.2019 in Neues Deutschland online externer Link
  • Ebd. zur Person: Thomas Ebermann, Autor, Publizist, Dramaturg und Mentor der undogmatischen Linken in Deutschland, veranstaltet schon seit den 90er Jahren (oft gemeinsam mit Rainer Trampert) satirische Lesungen. Von 1987 bis 1989 war er Fraktionssprecher der Grünen im Bundestag. 1990 trat er aus der Partei aus. 2012 wurde er vom Auschwitz-Komitee mit dem Hans-Frankenthal-Preis ausgezeichnet. Gestern hatte in Potsdam seine neue, gemeinsam mit Thorsten Mense erarbeitete und inszenierte Lese-Show Premiere: »Heimat – Eine Besichtigung des Grauens (Ein Anti-Heimatabend)«. Gleichzeitig erscheint sein neues Buch: »Linke Heimatliebe – Eine Entwurzelung«. Der Anti-Heimatabend wird in mehreren Städten auf die Bühne kommen (mehr unter: www.heimatfeindschaft.de externer Link).
Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=147168
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