Bodycams bei der Polizei – nicht nur zum Schutz von Polizistinnen und Polizisten!

Dossier

Bodycam der Polizei„Eine neue Dienstvereinbarung des Bundesinnenministeriums regelt, dass Bodycam-Aufnahmen, die von Polizistinnen und Polizisten zur Einsatzdokumentation gemacht wurden, bei Vorwürfen polizeilichen Fehlverhaltens nicht für interne Ermittlungen der Bundespolizei verwendet werden dürfen. Vor dem Hintergrund, dass 20.000 Bundespolizistinnen und -polizisten mit stets aufnahmebereiten Bodycams ausgerüstet werden, kritisiert die Süddeutsche Zeitung, dass die Asymmetrie zwischen Bürgerinnen und Bürgern auf der einen und der Polizei auf der anderen Seite auf diese Weise verstärkt wird. Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) feierte diese Vereinbarung hingegen als großen Erfolg – nicht zuletzt, da die Videodateien nicht zur Verhaltensüberwachung oder Leistungskontrolle durch Vorgesetzte genutzt werden dürfen. Aber was folgt aus dieser Regelung im Detail? Sind deswegen die Bodycam-Aufnahmen auch für strafrechtliche Ermittlungen ausgeschlossen?…“ Beitrag von Hartmut Aden und Jan Faehrmann vom 2. März 2019 beim Verfassungsblog externer Link. Siehe mehr daraus und dazu:

  • Bodycams: Wunsch und Wirklichkeit New
    Am 8. August 2022 tötete die Polizei in Dortmund den 16-jährigen Mouhamed Lamine Dramé durch Schüsse aus einer Maschinenpistole, nachdem sie ihn schon mit Pfefferspray und Taser angegriffen hatten. Der Junge saß – vermutlich mit suizidalen Absichten – im Hof einer Jugendhilfeeinrichtung und hielt sich ein Messer vor den Bauch. Anstatt Möglichkeiten der Hilfe und Unterstützung anzubieten, entschieden sich die Polizist*innen innerhalb von nicht einmal 30 Minuten für tödliche Gewalt. Mouhameds Tod löste in Dortmund und darüber hinaus große Bestürzung und Wut aus. Es gibt anhaltende Proteste und ein sehr aktives Solidaritätsbündnis, das auch den Kontakt zu Mouhameds Familie im Senegal hält. Durch den Druck aus der Zivilgesellschaft scheinen ausnahmsweise ernsthafte Ermittlungen geführt zu werden1. Der leitende Staatsanwalt und sogar der Innenminister von NRW sahen sich gezwungen, öffentlich Kritik an den beteiligten Polizist*innen zu üben – eine absolute Seltenheit.
    Im Rahmen der Proteste und medialen Diskussion erhielt ein Aspekt überraschend große Aufmerksamkeit: der Fakt, dass alle zwölf bei dem Einsatz anwesenden Polizist*innen ihre Bodycams ausgeschaltet ließen. Dies sorgte in den Sozialen Medien für Empörung und bestimmte tagelang die Schlagzeilen zum Fall. Die Polizei führte unterschiedliche Begründungen an: zunächst hieß es, in der Stresssituation hätten alle Beamt*innen vergessen, die Bodycams einzuschalten. Kurz darauf wartete das Innenministerium mit der Begründung auf, das Filmen suizidaler Handlungen falle unter „höchstpersönliche Lebenssachverhalte“ und sei der Polizei nicht gestattet.
    Der Öffentlichkeit scheint weitgehend unbekannt zu sein, dass die Einführung von Bodycams in Deutschland nie dafür gedacht war, polizeiliches Handeln überprüfbar zu machen – dass die Polizist*innen in Dortmund also schlicht im Rahmen der geltenden Gesetze handelten. Bodycams sollen vorrangig zum Schutz der Polizei dienen. Beamt*innen bestimmen daher selbst über deren Nutzung und zu welchem Zeitpunkt sie Aufnahmen machen.2 Die Verantwortung für das Löschen von Aufnahmen liegt ebenfalls in der Hand der Beamt*innen und ihrer Vorgesetzten. Das hatte NRW-Innenminister Reul noch 2019 vom Landtag bestätigen lassen, nun will er allerdings eine Trage- und Aufzeichnungspflicht prüfen. (…)
    Wie in den USA zielen die Erwartungen der Öffentlichkeit an Bodycams hier darauf ab, Fehlverhalten zu dokumentieren und die Rechenschaftspflicht der Polizei zu erhöhen. Doch auch das ist zu kurzsichtig: In einigen Fällen haben Bodycam-Aufnahmen zwar polizeiliches Fehlverhalten ans Licht gebracht, das sonst nicht aufgefallen wäre. Doch das heißt nicht, dass die Polizei systematischer zur Verantwortung gezogen würde. (…)
    Videoaufnahmen sind wichtig, um das riesige Problem tödlicher Polizeigewalt zu dokumentieren und ins Zentrum des gesellschaftlichen Bewusstseins zu rücken. Der Wunsch nach Aufklärung, Konsequenzen und systemischer Veränderung ist verständlich und richtig. Doch sollte die Verfügungsgewalt über die Technik und die Bilder nicht der Polizei überlassen werden, sondern vielmehr als zivilgesellschaftlicher Auftrag verstanden werden. So, wie es KOP Berlin in ihrer aktuellen Kampagne fordern: Go film the police! Filmt die Polizei! externer LinkBeitrag vom 24. Nov 2022 beim Grundrechtekomitee externer Link

  • Bodycams: Transparenz im Rechtsstaat ist keine Einbahnstraße 
    „Anlässlich der zweiten Sachverständigenanhörung zur Polizeirechtsnovelle im Sächsischen Landtag fordert Amnesty International eine menschenrechtskonforme Ausgestaltung der Regelungen zu Bodycams. Aufzeichnungen dürfen nicht nur für den Schutz der Polizei selbst genutzt werden, sondern müssen auch zur Aufklärung von Polizeigewalt dienen. (…) “Uns ist es vor allem ein wichtiges Anliegen, dass auch Betroffene von polizeilichen Übergriffen die Möglichkeit haben, die Aufnahmen zur Wahrung ihrer Interessen zu nutzen”, meint Philipp Krüger, Sprecher der Themenkoordinationsgruppe Polizei und Menschenrechte bei Amnesty International, der als Sachverständiger zur Landtagsanhörung geladen war. Entsprechend der derzeitigen Regelungen soll die Bodycam speziell dem Schutz der Polizeibeamt_innen vor Angriffen dienen, ihre Aktivierung liegt teilweise im Ermessen der einzelnen Beamt_innen. So legitim dieses Anliegen ist, muss aus Menschenrechtsaspekten aber eine “informationelle Waffengleichheit” zwischen der Polizei und den Bürger_innen hergestellt werden, denn: Auch unverhältnismäßige Polizeigewalt ist eine Realität, die ernst genommen und entschieden bekämpft werden muss. Die Aufzeichnungen der Bodycam dürfen nicht nur einseitig die Beamt_innen schützen, sondern müssen ebenfalls den Betroffenen zur Verfügung gestellt werden, damit diese ihre Rechte durchsetzen können. Außerdem darf die Aktivierung der Bodycam nicht im Ermessen der einzelnen Beamt_innen liegen, sondern sollte grundsätzlich immer dann erfolgen, wenn die Polizei unmittelbaren Zwang einsetzt. Transparenz im Rechtsstaat ist keine Einbahnstraße. Nur wenn auch polizeiliches Handeln transparent und nachvollziehbar gemacht wird, kann das öffentliche Vertrauen in die Beamt_innen gesichert werden. (…) “Es muss außerdem klar sein, dass auch die Bodycams kein Allheilmittel sind. Aufgrund der schwierigen wissenschaftlichen Lage braucht es mehr unabhängige Forschung zu dem Thema”, so Krüger weiter…“ Pressemeldung von und bei Amnesty International Bezirk Sachsen verfasst von Sebastian Lupke am 12. März 2019 externer Link, siehe auch: Stoppt das neue Polizeigesetz in Sachsen!
  • Neue Ausrüstung der Bundespolizei: FragDenStaat veröffentlichet die Dienstvereinbarung zu Bodycams 
    Eine kleine Revolution in der Polizeiarbeit: Der Bundespolizei wird das Tragen von Bodycams erlaubt. Allerdings sollen die Kameras vor allem der Verfolgung von Straftaten durch die Polizei dienen, nicht der Transparenz von staatlichem Handeln. Wir veröffentlichen die umstrittene Dienstvereinbarung des Innenministeriums. Bis zum Jahresende soll die Bundespolizei mit Bodycams ausgerüstet werden. Der schrittweise Einsatz der 2.300 Bodycams externer Link ist stark umstritten. Wie die Dienstvereinbarung des Bundesinnenministeriums mit der Bundespolizei zeigt, die wir veröffentlichen externer Link , steht nicht – wie etwa in den USA externer Link – die Kontrolle staatlichen Handelns im Vordergrund beim Einsatz der Bodycams. Vielmehr sollen die Aufzeichnungen vor allem der Strafverfolgung durch Polizisten dienen. Wie die Dienstvereinbarung klarstellt, soll sie Beschäftigte der Bundespolizei vor „unverhältnismäßiger Überwachung“ schützen und „Gewaltdelikte gegen Angehörige der Bundespolizei“ eindämmen. (…) Es ist abzusehen, dass die Dienstvereinbarung zur Vorlage für ähnliche Regelungen in den Bundesländern wird. Umso ärgerlicher ist es, dass die Dienstvereinbarung in der vergangenen Tagen zwar breit diskutiert, aber bisher weder durch das Innenministerium noch durch Journalist*innen veröffentlicht wurde.“ Beitrag vom 4. März 2019 von Arne Semsrott bei FragDenStaat externer Link
  • 1400 Bodycams für Bayerns Polizei: Datenschützer hat Bedenken 
    1400 Bodycams soll die bayerische Polizei bis 2020 erhalten. Der Datenschutzbeauftragte sieht deren Einsatz als verfassungsrechtlich bedenklich an. Nach einem einjährigen Pilotversuch wird die bayerische Polizei mit 1400 Körperkameras ausgerüstet. Innenminister Joachim Herrmann (CSU) gab die Geräte, die an Uniformen befestigt werden und Einsätze in Bild und Ton aufzeichnen können, am Montag für den bayernweiten Einsatz frei. Die Bodycams hätten sich hervorragend bewährt: „Aufgrund der deutlich erkennbaren Videoaufzeichnung besteht eine höhere Hemmschwelle, Polizeibeamte anzugreifen“, erklärte Herrmann. „Wir erhoffen uns durch die Nutzung von Bodycams mehr Schutz für unsere Polizistinnen und Polizisten. Die Kameras werden nach Worten Herrmanns im uniformierten Streifendienst sowie bei den Einsatzeinheiten der Polizeipräsidien und der Bereitschaftspolizei eingeführt. Dabei bekomme aber nicht jeder Beamte eine Kamera, sondern es gebe eine Pool-Lösung bei den Dienststellen. (…) Die Kameras nehmen nicht automatisch alles auf. Sie können von den Polizeibeamten aber jederzeit aktiviert werden – „wenn eine Einsatz- oder Kontrollsituation zu eskalieren droht“, erklärte Herrmann. Der Beamte entscheide über die Aktivierung wegen der Umstände, etwa bei einem unkooperativen oder aggressiven Verhalten. Geregelt ist dies im bayerischen Polizeiaufgabengesetz (PAG): Demnach sind Aufnahmen zulässig, wenn dies „zum Schutz von Polizeibeamten oder eines Dritten vor Gefahren für ein bedeutendes Rechtsgut erforderlich ist“. (…) Der bayerische Datenschutzbeauftragte Thomas Petri kritisierte wie bereits die Datenschutzbeauftragte des Landes Schleswig-Holsteins, Marit Hansen externer Link, den Einsatz von Bodycams bei der Polizei. Damit werde in die Grundrechte von Bürgerinnen und Bürger eingegriffen, weil jeder auf der Straße mit aufgenommen werden könne, sagte Petri dem Bayerischen Rundfunk (BR). Zwar gebe es im neuen Polizeiaufgabegesetz klare Vorgaben für den Einsatz von Bodycams. „Allerdings ist diese Vorschrift nicht frei von verfassungsrechtlichen Bedenken.“…“ Agenturmeldung vom 11.03.2019 bei heise-news externer Link
  • Siehe weiter im Beitrag von Hartmut Aden und Jan Faehrmann vom 2. März 2019 beim Verfassungsblog externer Link: „(…) Kommt eine Bodycam zur Anwendung, so ist es aus rechtsstaatlichen Gründen geboten, dass die Aufnahmen verwendet werden, um Fehlverhalten von Bürgerinnen und Bürgern und auch von Polizeibediensteten nachweisen zu können. Dabei müssen selbstverständlich datenschutzrechtliche Grundsätze eingehalten werden, insbesondere der Grundsatz der Datenminimierung. Insofern darf es nicht zu einer uferlosen Anwendung der Bodycam kommen. Dementsprechend muss die Gesetzeslage so angepasst werden, dass auch die Betroffenen der Videoüberwachung Zugang zu dem Datenmaterial haben und dass der Bodycam-Einsatz nicht allein im Ermessen der Polizei steht. Zum Beispiel wäre es denkbar, dass die Bodycam in bestimmten Einsatzlagen automatisch angeschaltet wird und dass auch die betroffenen Bürgerinnen und Bürger das Einschalten der Bodycam verlangen können, wenn sie mit dem Verhalten von Polizeibediensteten nicht einverstanden sind. Aktuell stellt die Bodycam eine einseitige Drohkulisse dar, da sie ausschließlich zulasten von Bürgerinnen und Bürgern eingesetzt wird, unabhängig davon, ob sich die Polizei rechtswidrig verhält oder nicht.“

Siehe auchim LabourNet Germany:

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=145514
nach oben