[Buch über nützliche Armut und ihre Verwaltung] „Der Sozialstaat ist ein buchstäbliches Armutszeugnis“

Buch von Renate Dillmann und Arian Schiffer-Nasserie bei VSA: "Der soziale Staat: Über nützliche Armut und ihre Verwaltung. Ökonomische Grundlagen | Politische Maßnahmen | Historische Etappen"„Armut ist in unserer Gesellschaft nicht die Ausnahme, sondern die Regel.“ Das sagen Arian Schiffer-Nasserie und Renate Dillmann im Interview mit den NachDenkSeiten vom 3. Februar 2016 externer Link: „… Schiffer-Nasserie: Es stimmt. Deutschland hat einen vergleichsweise gut ausgebauten Sozialstaat. Es gibt in Deutschland so gut wie keine soziale Notlage, die nicht bereits sozialrechtlich erfasst und sozialpolitisch bearbeitet wird. (…) Dillmann: Der Sozialstaat ist in diesem Sinne – nüchtern betrachtet – ein buchstäbliches Armutszeugnis über die Lebensbedingungen der Mehrheit in diesem Land. (…) Der soziale Staat rechnet mit diesen Notlagen. Und ganz im Gegensatz zu dem, was sozial Engagierte oder im Sozialwesen Beschäftigte in Deutschland häufig von „ihrem“ Staat erwarten, zielt seine Tätigkeit nicht auf die Beseitigung der Ursachen sozialer Notlagen, sondern darauf, diese Notlagen wirtschafts- und staatsnützlich zu verwalten. Die Armut (…) entspringt nämlich den ökonomischen Grundlagen dieser Gesellschaft und ihrer Eigentumsordnung. An diesen ändert die Sozialpolitik nichts. (…) Schiffer-Nasserie: Armut, wie immer man sie auch näher bestimmt, bedeutet zunächst mal Ausschluss von Reichtum. (…) Ausschluss vom Reichtum fängt also nicht da an, wo Menschen arbeitslos werden, wo sie unter dem Hartz-IV-Regime verarmt werden oder wo man ihnen sogar lebenswichtige Nahrungsmittel, Medikamente oder Wohnraum vorenthält. Ausschluss von den Mitteln der eigenen Interessensverfolgung und Ausschluss von den Mitteln, um nützliche Dinge für die Bedürfnisbefriedigung herzustellen, konstituieren geradezu diese Gesellschaft. (…) Wir sind zu dem Resultat gekommen, dass sozialwissenschaftliche Armutstheorien sehr grundsätzlich falsch liegen, wenn sie Armut in dieser Gesellschaft als Ausnahme definieren bzw. wenn sie Armut als quantitative Abweichung vom Normaleinkommen fassen…“ Siehe neben Infos zum Buch auch:

  • Falsches Lob, falscher Tadel. Bilanz und Kritik der Sozialpolitik: »Der soziale Staat« von Renate Dillmann und Arian Schiffer-Nasserie New
    „Im bürgerlichen Sozialstaatsdiskurs gelten die unangenehmsten Härten des Kapitalismus seit der Etablierung der »sozialen Marktwirtschaft« als überwunden. (…) Kritiker wie Christoph Butterwegge und Ulrich Schneider verweisen dagegen auf steigende Armutszahlen und werfen den Regierungen der letzten Jahrzehnte fehlende soziale Verantwortung und falsche Weichenstellungen vor. Renate Dillmann und Arian Schiffer-Nasserie setzen dieser seit Jahren andauernden Debatte über »weniger oder mehr Sozialstaat« grundsätzlichere Überlegungen entgegen. Sie ermitteln in ihrem Buch zunächst, was die sozialpolitischen Interventionen überhaupt nötig macht. Ihre Antwort ist gewiss nicht neu, in dieser Eindeutigkeit aber vor langer Zeit aus der Mode gekommen – in der Sozialwissenschaft allemal: Eine Gesellschaft allumfassender Konkurrenz um Eigentum bringt eine Klasse vom Lohn abhängiger Eigentumsloser hervor. Diese ist aus eigener Kraft nicht fähig, ihr Leben zu bestreiten – egal, ob ihr der Verkauf ihrer Arbeitskraft gelingt oder nicht. Armut ist im Kern also nicht Folge von Neoliberalismus, sondern des ganz gewöhnlichen Kapitalismus – das arbeiten die Autoren, die angehende Sozialarbeiter unterrichten, in einer politökonomischen Einleitung und in der Analyse der sozialpolitischen Maßnahmen »von der Wiege bis zur Bahre« heraus. Von dem eingangs zitierten Lob der Sozialpolitik bleibt da nicht mehr viel übrig. Die Autoren kritisieren fortlaufend gängige Vorstellungen über den Sozialstaat und seine »eigentlich« nötigen, aber nicht zustande kommenden Leistungen. (…) Bemerkenswert ist auch die Befassung mit der Geschichte der deutschen Sozialpolitik. (…) Fazit: Umfassende Darstellung der deutschen Sozialpolitik in ihren Ursachen, Maßnahmen und ihrer Geschichte; gut recherchiert, die einzelnen Kapitel für sich lesbar, verständlich und flüssig geschrieben. Ein wichtiges Buch, auch wenn (oder weil) es in vieler Hinsicht desillusioniert.“ Rezension von Arvid Schilde bei der jungen Welt vom 27. Mai 2019 externer Link zu „Der soziale Staat. Über nützliche Armut und ihre Verwaltung. Ökonomische Grundlagen, politische Maßnahmen, historische Etappen“ von Renate Dillmann und Arian Schiffer-Nasserie bei VSA Hamburg 2018
Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=143837
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