Facebook, Google & Co.: „Überwachungskapitalisten wissen alles über uns“

BestandsdatenauskunftDie großen Datenkonzerne beuten ihre Nutzer aus, sagt die emeritierte Harvard-Professorin“ Shoshana Zuboff in einem Interview von Mirjam Hauck bei der Süddeutschen Zeitung online vom 7. November 2018 externer Link. „Sie erklärt, warum es so schwer ist, sich dem Überwachungskapitalismus zu entziehen. (…) Der Überwachungskapitalismus ist eine Mutation des modernen Kapitalismus. Er geht davon aus, dass die private menschliche Erfahrung frei zugängliches Rohmaterial für die kapitalistische Produktion und den Warenaustausch ist. Zweitens kombiniert er digitale Technologien mit Strategien heimlicher Überwachung, um Verhaltensdaten aus allen menschlichen Erfahrungen zu extrahieren. Drittens nutzt er Maschinenintelligenz, um Verhaltensdaten in Verhaltensprognosen umzuwandeln – ich nenne sie „Vorhersageprodukte“. Diese Produkte werden dann an die neuen Märkte verkauft, die ausschließlich mit Prognosen über unser zukünftiges Verhalten handeln. (…) Der Kapitalismus im 19. und frühen 20. Jahrhundert und die Bevölkerung dieser Zeit waren voneinander abhängig. Menschen waren Arbeiter und Kunden dieses Systems. In dieser Hinsicht war dieser Kapitalismus – mit all seinen Schrecken – ein Kapitalismus für uns. Im Überwachungskapitalismus sind wir dagegen kaum noch Kunden oder Angestellte, sondern in erster Linie Rohstoffquellen … (…) Arbeitnehmerrechte, Gewerkschaften, Arbeitszeiten, Mindestlöhne, ein Verbot von Kinderarbeit – diese und viele andere Errungenschaften erforderten jahrzehntelange soziale und politische Kämpfe. Wir werden diesen Prozess der Zähmung wieder durch demokratischen Druck und mit Entschlossenheit durchführen müssen. Wir stehen am Anfang eines ähnlichen Kampfes…“ Siehe dazu:

  • [Interview] Überwachungskapitalismus: Facebook und Google wissen alles über uns, aber wir wissen nichts über sie New
    Anlässlich seiner Veröffentlichung „Das Zeitalter des Überwachungskapitalismus“ erläutert Shoshana Zuboff in einem Interview von FEPS am 13. November in kontrast.at externer Link sein theoretisches Konzept: „… Der Kapitalismus entwickelt sich immer so weiter: Dinge, die bisher kein Teil des Marktes waren, werden in den Markt integriert, um sie zu kaufen und zu verkaufem. Das gilt auch für den Überwachungskapitalismus. Der Überwachungskapitalismus nimmt private Erlebnisse und Erfahrungen und bringt sie auf den Markt – als Verhaltensdaten, als Rohmaterial für Berechnungsprozesse. Daraus werden dann Muster errechnet, um unser Verhalten vorherzusagen. Die “ Prognose-Produkte “ werden dann auf einem neuartigen Marktplatz verkauft, der ausschließlich mit Prognosen von menschlichem Verhalten handelt. (…) Der Überwachungskapitalismus wurde 2001 von Google als Reaktion auf eine finanzielle Notlage entwickelt. Er wurde geschaffen, damit Online-Suchdienste schnell Geld verdienen können. Das Konzept war so erfolgreich, dass es auch Facebook übernommen hat. Innerhalb weniger Jahre hat es sich in den meisten Start-ups im Technologiebereich durchgesetzt. Aber es lässt sich längst nicht mehr sagen, dass sich der Überwachungskapitalismus auf den Technologiesektor beschränkt. Denn wir können derzeit beobachten, dass er sich über die gesamte Wirtschaft ausbreitet: Vom Versicherungssektor über den Automobilsektor bis hin zu den Bereichen Finanzen, Gesundheit, Bildung. (…) Die Leute mögen sagen, dass Google eine bessere Suchmaschine hat, aber was sie nicht verstehen, ist: Google kann nur eine bessere Suchmaschine haben, weil die Verbesserung der Suchfähigkeit zu einem gewissen Preis erfolgt. Dieser Preis ist für die meisten von uns nicht sichtbar. Die Menschen müssen sich über den tatsächlichen Preis bewusst werden, die sie für Google, seiner Such-Maschine und seine Praktiken bezahlen. Wir haben hier zwei sehr unterschiedliche Alternativen. Und wenn diese beiden Alternativen gegenüber gestellt werden, muss das in ihrer ganzen Fülle mit vollem Wissen und Transparenz darüber, was jede einzelne bedeutet, geschehen. (…) Wenn die Menschen über dieses volle Wissen und diese Transparenz verfügen, werden sie diese Praktiken ablehnen.“
  • Im Zeitalter des Überwachungskapitalismus
    „… Ich wende mich hier und heute nicht nur als Denkerin, Wissenschaftlerin und Autorin an Sie, sondern auch als Staatsbürgerin und – nicht zuletzt – auch als Mutter. Über die vergangenen beiden Jahrzehnte habe ich die Entstehung und Ausbreitung einer beispiellosen Mutation des Kapitalismus beobachtet, die ich als „Überwachungskapitalismus“ bezeichne. Und ich mache kein Hehl aus meiner Besorgnis hinsichtlich seiner Auswirkungen für unsere Ökonomien, für die Aussichten von Marktdemokratie und Privatsphäre, ja hinsichtlich seiner Bedeutung für die Zukunft des Kapitalismus selbst. In sieben Jahren eingehender Beschäftigung mit dem Phänomen bin ich zu der Überzeugung gelangt, dass die Folgen des Überwachungskapitalismus weit hinausreichen über die traditionellen Domänen des Kapitalismus und seiner Ökonomien. Die tiefere Wahrheit ist, dass er die Gesellschaft des 21. Jahrhunderts auf eine ebenso menschen- wie demokratiefeindliche Art und Weise umwälzen wird – und das allein um des finanziellen Gewinns aus der Überwachung willen. So entstehen die größten Gefahren aus den überwachungskapitalistischen Ambitionen denn auch unseren Kindern, die schon jetzt – sozusagen als Vorhut – dieses neue Terrain durchstreifen. Tobten die Titanenkämpfe des 20. Jahrhunderts zwischen Industriekapital und Arbeiterschaft, steht im 21. Jahrhundert das Überwachungskapital der Gesamtheit unserer Gesellschaft gegenüber, bis hinab zur und zum letzten Einzelnen. Der Wettbewerb um Überwachungserträge zielt auf unsere Körper, unsere Kinder, unsere Zuhause, unsere Städte und fordert so in einer gewaltigen Schlacht um Macht und Profit die menschliche Autonomie und demokratische Souveränität heraus. Wir dürfen uns den Überwachungskapitalismus nicht als etwas „irgendwo da draußen“, in den Fabriken und Büros einer vergangenen Ära vorstellen. Vielmehr sind seine Ziele wie seine Auswirkungen hier – seine Ziele wie seine Folgen sind wir…“ Gastbeitrag der Harvard-Ökonomin Shoshana Zuboff vom 12. Juni 2019 bei Netzpolitik externer Link (Übersetzung: Bernhard Schmid)
Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=139742
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