„Wir können ja nicht überall perfekt sein“. Greta Wagner erforscht, wie aus der Selbstentfaltung ein Zwang zur Selbstverbesserung wurde

isw-Wirtschaftsinfo 52 vom 27. November 2017„… Verschiedene gesellschaftliche Entwicklungen sind da aufeinandergetroffen: Auf der einen Seite gab es in den 1960er und ’70er Jahren in den sozialen Bewegungen eine Kritik an entfremdenden Arbeitsverhältnissen und mangelnden Möglichkeiten der Selbstentfaltung. Auf der anderen Seite entstanden in den 1980ern neue Managementstrategien, bei denen eben diese Selbstentfaltungsansprüche zur Profitsteigerung genutzt wurden, indem Angestellte dazu angehalten wurden, sich kreativ in die Suche nach Problemlösungen einzubringen. Und schließlich kam es in den 1990ern zu einer Entgrenzung von Wettbewerben, bei der Güter in immer größerem Ausmaß und immer kürzeren Abständen wettbewerblich verteilt werden. Das heißt: Die Ansprüche auf Selbstverwirklichung sind Ergebnis sozialer Kämpfe, die Kontexte von Selbstverwirklichung dabei aber immer konkurrenzieller, also dem Wettbewerb unterworfen, geworden. (…) Wenn ich selbst entscheiden kann, wann und wo ich arbeite, die Deadline meines Projektes aber erfordert, dass ich extrem viel arbeite, dann ergeben sich aus den Gestaltungsmöglichkeiten nicht unbedingt Freiheitsgewinne, sondern es droht die Gefahr der Selbstausbeutung und Erschöpfung. Viele Firmen reagieren darauf, indem sie psychologische Beratungen anbieten, Zeitmanagementkurse oder Achtsamkeitstrainings, also Angestellte zur Arbeit am eigenen Selbst anhalten. Dabei handelt es sich aber wieder um eine Individualisierung des Problems. Die Ursachen liegen in der Regel eher in einer zu dünnen Personaldecke: Das zu ändern, ist natürlich viel teurer als ein Achtsamkeitskurs. (…) Die Vorstellung, dass jede und jeder selbst für eigenen Erfolg und die eigene Leistungsfähigkeit verantwortlich ist, schafft die Illusion, dass, wer scheitert und krank wird, daran selbst die Schuld trägt. (…) Überall da, wo im Modus der Kooperation interagiert wird und nicht im Modus des Wettbewerbs, verliert die individuelle Selbstoptimierung an Bedeutung. In solidarischen Zusammenhängen, in denen man sich in Krisenzeiten wechselseitig unterstützt, muss man sich eben nicht durch die Optimierung der eigenen Leistungsfähigkeit absichern…“ Interview von Pepe Egger vom 25.07.2018 beim Freitag online externer Link

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